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Warum eigentlich Mission?

Warum eigentlich Mission?

Warum der neue kirchliche Ruf nach Evangelisation oft wenig glaubwürdig ist Warum eigentlich Mission? Er war der bekannteste Evangelist der DDR, wurde von der Stasi verfolgt und prägte mit seinen Jugendgottesdiensten in Karl-Marx-Stadt/Chemnitz Generationen von Christen: Dr. Theo Lehmann. Im folgenden Kommentar nimmt der sächsische Pfarrer das neue Interesse der Landeskirchen am Thema Mission kritisch ins Visier. Der Theologe ist überzeugt: Das neue Ja zur Mission ist gut – die Begründung dafür allerdings häufig falsch.

Jesus Christus selbst hat den Missionsbefehl gegeben. Gegenüber einem Befehl, zumal von allerhöchster Stelle, gibt es nur eine angemessene Reaktion, und das ist der Gehorsam. Der für mich geradezu selbstverständliche Gehorsam ist das tragende Motiv für mein Leben als Theologe. Alles andere (wobei ich weiß, daß Gott ja auch das Wollen schafft) ist Gottes Sache gewesen. Nun weiß ich, daß es bei anderen Theologen ganz andere Reaktionen gegeben hat.

Mission vor allem, um neue Steuerzahler zu gewinnen?

Es hat sogar Zeiten gegeben, wo sich Theologen nicht entblödet haben, offen zur Gehorsamsverweigerung aufzurufen. Zur Zeit der Orthodoxie hat der Prediger Erdmann Neumeister (1671-1756), dem wir das herrliche Lied „Jesus nimmt die Sünder an“ verdanken, in einer Predigt gesagt, „daß die so genannten Missionen heutzutage nicht nötig seien“. Er schloß: „Vor Zeiten hieß es wohl: ,Geh hin in alle Welt.‘ Jetzt aber: Bleib allda, wohin dich Gott bestellt.“ Inzwischen hat sich das Blatt gewendet. Von Synoden und aus vieler Bischöfe Munde vernehmen wir pausenlos, daß Evangelisation die wichtigste Aufgabe der Kirche sei und ihr in Ausbildung und Praxis die höchste Priorität zukomme. Natürlich freue ich mich über die lieblichen Töne dieses cantus firmus, wenn ich auch in der Praxis und an der Basis kaum ein Umdenken in Sachen Evangelisation feststellen kann. Aber ich ärgere mich in zunehmendem Maße über die Begründung. Es wird ganz offen und naiv ausgesprochen, daß die Kirche missionieren muß, weil sie Kirchensteuerzahler rekrutieren muß. Der Chefredakteur einer Kirchenzeitung formulierte: „Letztendlich hat die Kirche nichts anderes zu tun als ein Sportverein, ein Buchclub oder eine Freiwillige Feuerwehr: Sie hat Mitglieder zu werben. Das kann, wer möchte, “Mission“ nennen, das kann man auch – weltlich ausgedrückt – als ,Zukunftsinvestition‘ bezeichnen.“ Das einzige, was mit diesen Sätzen bewiesen wird, ist die Tatsache, daß der Verfasser weder weiß, was Kirche noch was Mission ist.

Missionieren fürs Gehalt?

Es stimmt natürlich, daß wir, genau wie die Freiwillige Feuerwehr, Mitglieder brauchen, wenn wir überleben wollen. Sonst gehen wir unangenehmer Gehaltskürzung entgegen (die Angst davor scheint wichtigstes Missionsmotiv zu sein). Aber das kann nie und nimmer das Motiv für Mission sein. Wir missionieren nicht, um zu überleben, sondern um ohne den Glauben an Jesus Christus Verlorene ins ewige Leben zu rufen. Wir missionieren nicht, um die maroden Finanzen der Kirche zu retten, sondern um Sünder vor der ewigen Verlorenheit zu retten. Wir missionieren nicht, um an die Knete der Leute ranzukommen, sondern damit sie aus der Knechtschaft der Sünde befreit in den Himmel kommen. Die so verstandene Mission und Evangelisation hat sich nur eine kleine Spezialeinheit auf die Fahnen geschrieben, und diese Spezialtruppe wird oft von den anderen Truppenteilen und vom Generalstab etwas argwöhnisch betrachtet. Dabei kann ich mich bei meiner Tätigkeit als Evangelist ja nicht nur auf das Neue Testament, sondern in diesem Fall auch auf Vater Luther berufen, der z.B. zu Markus 16,15 gesagt hat: „Das Hauptstück in diesem Evangelium ist der Befehl, den der Herr Christus seinen Jüngern gibt, da er spricht: ,Geht hin in alle Welt und predigt das Evangelium aller Kreatur …‘ Das heißt, das Maul weit auftun und nicht im Winkel, sondern frei öffentlich predigen, also, daß es von allen Kreaturen, Sonne, Mond usw. erschalle und daß es alle Menschen… hören können, auf daß sich niemand zu entschuldigen habe noch sagen dürfe, er habe es nicht gehört … Dieser Befehl ist so groß und stark, daß kein größerer noch stärkerer Befehl oder größeres Gebot je in die Welt ausgegangen ist.“ Und für die, die den Missionsbefehl nicht ausführen, hatte er besonders scharfe Worte: „Vermaledeit und verflucht sei das Leben in die Hölle hinein, das sich Christus allein lebt, denn das ist heidnisch und nicht christlich.“ „Gott will einen Christen nicht um seinetwillen leben lassen. Ja verflucht sei das Leben, das für sich lebt.“

Zielgruppe: Hans und Grete

Ich bin Evangelist und habe manchmal den Eindruck, daß ich bei manchen Theologen unter dem Verdacht stehe, gar kein richtiger Theologe zu sein. Einer hat mal über mich gesagt: „Der predigt ja so einfach — hat der Mann das nötig?“ Jedenfalls haben das die nötig, zu denen ich predige, der Hans und die Grete. Mit großen Worten über die Köpfe der Leute wegreden, das kann jeder Idiot. Aber sich so ausdrücken, daß es ein Kind versteht, das ist die große Kunst. Und diese Kunst besteht in der Hauptsache aus einer ungeheuren Disziplin und Arbeit an der Sprache, um die kompliziertesten theologischen Sachverhalte für den Normalbürger verständlich auszudrücken. Ich habe mich deshalb immer auch als Lehrer der Kirche verstanden, der an vorderster Front die biblische Lehre der Kirche zu erklären hat. Schon allein in meinem berühmten Fragekasten werde ich konfrontiert mit Fragen von der Jungfrauengeburt bis zur Dreifaltigkeit, von der Abtreibung bis zur Homosexualität. Da muß ich in wenigen Sätzen etwas zu einer Frage sagen.

Was heißt „verloren“?

Zum Beispiel: „Was heißt ,verloren‘?“ Antwort: „Verloren ist das, was nicht dort ist, wo es hingehört. Der Autoschlüssel, der nicht in der Handtasche, sondern im Müllbeutel liegt, ist verloren. Und der Mensch, der sich nicht in der Hand Gottes befindet, wo er hingehört, der ist eben verloren.“

„Holzschnittartig“ predigen

Mir ist aufgefallen, daß in letzter Zeit die Arbeit des Evangelisten mehrmals kirchenobrigkeitsbehördlicherseits mit dem Begriff „holzschnittartig“ beschrieben wurde. Es ist gemeint, daß der Evangelist in seiner holzschnittartigen, also grobschlächtigen Beschränktheit nicht in der Lage ist, die theologischen Einzelheiten, Verästelungen und Feinheiten zu erfassen bzw. zu berücksichtigen. Mit anderen Worten: Der holzschnittartig arbeitende Evangelist trampelt wie ein grober Holzfäller im sanft duftenden Rosengärtlein der Theologie herum, ein Waldschrat eben, dem für die feinere theologische Florettfechterei nur seine plumpe Bekehrungskeule zur Verfügung steht.

Unsereiner predigt ja nicht nur vor Hans und Grete, sondern da sitzen oft kritisch gestimmte Pastoren in der Menge. Oftmals Berufsbedenkenträger, die immer so tun, als ob der Verkündigungsengel den armen, ungebildeten Hirten nicht zugerufen hätte: „Ich verkündige euch große Freude“, sondern „Ich verkündige euch große Probleme“. Die Versuchung besteht nun darin, diesen Kollegen mal so nebenbei zu zeigen, daß man kein theologischer Blödmann ist. Nachdem ich dieser Versuchung einmal in Potsdam erlegen bin und dabei über die Köpfe von Hans und Grete hinweggepredigt hatte, zog ich einen Schlußstrich. Seitdem ziehe ich es vor, lieber unter dem Verdacht zu leben, gar kein richtiger Theologe zu sein, als meinen Hörern die klare Botschaft durch intellektuelle Angebereien zu vernebeln. Mit anderen Worten: Ich bin lieber Theo der Holzfäller als ein theologischer Süßholzraspler.

Aus: idea 10.1.2008