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Berufen zur Freiheit!

Als 1789 die Französische Revolution mit ihrer Losung „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ die Bühne der Geschichte betrat und mit euphorischer Leidenschaft den Adel Frankreichs hinwegfegte, wusste niemand, wie sich die Geschichte weiter entwickeln würde. Sehr schnell übernahmen die neuen Herren den verlotterten Lebensstil ihrer Vorgänger. Sie erfinden die Guillotine, die Maschine zur Herstellung der Gleichheit. Erst wird der König geköpft, dann der Adel, dann die Mächtigen der Kirche, dann die Girondisten (= die gemäßigten Revolutionäre), danach selbst die, die ihre Meinung gegen die Revolutionäre oder „Mutlosigkeit“ äußerten, zum Schluss selbst die treibenden Kräfte, die Jakobiner. Mit der Hinrichtung Robespierres (1794) naht die Stunde Napoleons. Die napoleonischen Kriege mit ihren ungeheuren Menschenopfern finden nun bald in ganz Europa statt…

Als Madam Roland (1754-1793) zum Tode verurteilt wurde, rief sie vor ihrer Hinrichtung durch die Guillotine: „O Freiheit, o Freiheit, wie viele Verbrechen begeht man in deinem Namen“.

Diese Geschichte wird sich immer wiederholen:

Ein Beispiel: Im Namen der „Freiheit von den Ausbeutern und Unterdrückern“ werden die Tschekisten der Bolschewiki Massen von Kulaken umbringen und das ganze Land in ungeahnte Hungersnöte stürzen.

Oder: Nachdem seit dem 19. Jahrhundert Intellektuelle von Richard Wagner bis Konrad Lorenz vor der „Verjudung des deutschen Volkes“ warnten und die „Ausmerzung der Juden“ forderten, übernahm Hitler diese „Befreiung“ mit typisch deutscher Gründlichkeit….

Es gibt bis heute aber auch subtilere Formen der Unfreiheit. Wenn beispielsweise eine Arbeitshypothese wie die Zufallsevolution zum einzig richtigen Denkansatz erklärt und mit politischen Mitteln gegen Andersdenkende (und oft genug gegen andere wissenschaftliche Erkenntnis) durchgesetzt wird, dann beginnen Ideologien zu herrschen und die „Freiheit Andersdenkender“ einzuschränken. Dafür gibt es bereits eine Reihe Beispiele.

Neben den großen ideologischen und politischen Tyrannen gibt es aber auch Tyrannei und Freiheitsberaubung im Alltag: Tyrannische Ehepartner, Verwandte, Kollegen, Vorgesetzte, Nachbarn usw. Auch Kinder können tyrannische und verständnislose Eltern, mobbende Mitschüler usw. erleben.

Und es gibt noch einen weiteren Bereich gnadenloser Unfreiheit, wenn nämlich Menschen unter zwanghaften Gefühlsstrukturen leiden, die ihr tägliches Leben zur Hölle machen: Zwanghafte Ängste, Zwangsverhalten, chronisches Einsamkeitsgefühl, schweren depressiven Verstimmungen und viele andere innere Unfreiheiten.

Der Apostel Paulus schreibt im Galaterbrief Kapitel 5, in den Versen 1 + 13:

„Zur Freiheit hat uns Christus befreit! So steht nun fest und lasst euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen! 13 Ihr aber, liebe Brüder, seid zur Freiheit berufen. Allein seht zu, dass ihr durch die Freiheit nicht der Selbstsucht Raum gebt; sondern durch die Liebe diene einer dem andern.“

Diese Freiheit, die äußere wie die innere, hat neben dem Frieden den höchsten Wert im christlichen Glauben. Unabhängig davon, dass die machtvollen Kirchen in den Entscheidungen ihrer Geschichte oft selbst die Freiheit der Andersdenkenden ignorierten, hat Gott den Menschen zur Freiheit bestimmt. Von Anfang an kann der Mensch den Worten Gottes folgen oder auch nicht. Er hat sogar die verhängnisvolle Freiheit, sich von seinem Schöpfer zu trennen (satanische und faschistische Mächte lassen dem Menschen diese Freiheit nicht!).

Die Freiheit der Selbstbestimmung des eigenen Lebens ist die Grundlage unserer Würde. Einem Menschen die Freiheit zu nehmen heißt, ihm seine Würde zu nehmen.

Gott will aber keine Marionetten, sondern selbstbestimmte Menschen, die mit dem ihnen gegebenen Verstand die Wahrheit erkennen können und zu selbstverantworteten Entscheidungen fähig sind. Der Mensch hat die Fähigkeit, sich nach seinen besonderen natürlichen Anlagen zu entfalten und auf dem Hintergrund seiner Erfahrungen und seiner Geschichte seine persönlichen Entscheidungen zu fällen und sein Leben zu gestalten.

Und nur dann ist der Mensch für seine Entscheidungen auch verantwortlich zu machen und kann er diese Verantwortung auch übernehmen… So ist die Freiheit die Voraussetzung dafür, dass der Mensch sein eigenes Leben in Würde führen kann.

Deshalb warnt Paulus, sich nicht wieder die Joche der Unfreiheit und der Knechtschaft auflegen zu lassen, weder die alten noch andere im neuen Gewand. Und er warnt explizit vor des Menschen größtem Feinde, seiner Neigung zur Selbstsucht. Das Programm der egozentrischen Selbstsucht lautete zu allen Zeiten: „Ich habe nicht…, ich brauche…, ich will auch haben…, ich will haben, haben, haben…, ich, ich, ich“. Psychologisch gesehen lassen sich sehr viele Menschen von einem solchen Programm leiten. Man kann das gut an ihren Klagen erkennen und an ihren immer neuen ruhelosen Forderungen an ihre Mitmenschen und an die Gesellschaft, die speziell ihre persönlichen Wünsche erfüllen sollen.

Interessanterweise ist das Werk Christi ein Befreiungswerk, die Befreiung aus „Sünde, Tod und Teufel“ (wie nicht erst Luther formulierte). Die Freiheit Christi ist eine Freiheit aus Bindungen und Verhängnissen, eine Freiheit zum Leben. Es ist eine Freiheit von verhängnisvollen Abhängigkeiten. Aber es ist auch eine Freiheit zu einem ethisch verantworteten Handeln. Wenn der Mensch Einsicht in die Wirkungsgeschichte verschiedener Handlungsstrukturen gewinnt, kann er die zukünftige Wirkung seines Handelns durchschauen und sich für das erkennbar Gute entscheiden. Der Mensch ist dazu fähig, wenn er verlässliche Maßstäbe hat und sich selbst dazu verpflichten will, in Eigenverantwortung das Gute zu tun.

Und schließlich nennt Paulus als das angemessene christliche Handlungsmotiv die Liebe. Damit ist nicht irgendein sentimentales oder romantisches Gefühl gemeint, sondern die Liebe, die in vielfältiger Weise in der Heiligen Schrift als eine Lebenshaltung beschrieben ist, insbesondere erkennbar am Erlösungswerk Christi: „aus Liebe zu uns“.

Der französische Philosoph Gabriel Marcel, Begründer des Existenzialismus, ist auf dem Hintergrund der Schrecken des 1. Weltkrieges, und im Nachdenken über die Liebe Christi als säkularer Jude selbst Christ geworden. Er beschrieb die Liebe als eine „Haltung der Hingabe und der Verfügbarkeit“: „Suchen kann nur suchen, um zu geben sein.“

Wir sollen den Garten Eden (auch ein Synonym für die Schöpfung, 1Mo 2,15) „bebauen und bewahren“. Wir werden ihn nur im Frieden bewahren können, wenn wir die Freiheit sichern helfen. Sie war zu allen Zeiten bedroht. Die Freiheit ist nicht nur eine freundliche Zugabe zu unserem Wohlstand, sondern die Voraussetzung für ein Leben in Frieden nach Gottes Willen. Deshalb lasst uns für die Unversehrtheit der Freiheit eintreten, wo immer es uns möglich ist: In unseren Familie, in unserer Kirchen, in unseren Kommunen wie in der ganzen Gesellschaft und auch in den Strukturen der Politik, wo immer wir dazu die Gelegenheit haben.

Ein gutes Beispiel dafür, dass es tatsächliche „Befreiung“ auch ohne Gewalt und Blutvergießen geben kann, bleibt für mich die politische Wende 1989 in der DDR. Die damals gewonnene Freiheit haben wir mit all unseren Kräften zu bewahren und immer neu zu gestalten. Ich bin nach wie vor voller Dankbarkeit dafür.

Pfr. Bernhard Ritter