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Toleranz bis zur Selbstaufgabe? Was ist aus christlicher Sicht zur Frage der Toleranz zu sagen?

Mittwoch 20. Juli 2016 von Detlef Löhde


Detlef Löhde

Da wird mancher kritisch sagen, zu diesem Thema sollte die Kirche lieber schweigen angesichts der Geschichte der KreuzzĂŒge, der Religionskriege, der Hexenprozesse und der Inquisition. Das alles ist nicht zu bestreiten, doch darf man diese furchtbaren Ereignisse der Kirchengeschichte nicht mit der christlichen Botschaft des Neuen Testaments gleichsetzen. Sondern umgekehrt muss man die Kirchengeschichte an den Aussagen des Neuen Testaments, an den Aussagen Jesu und seiner Apostel, messen und beurteilen. Dann wird deutlich, wie hĂ€ufig leider die Institution Kirche von der Botschaft des ihr anvertrauten Evangeliums abgewichen ist. Genauso wie der einzelne Christ in seinem persönlichen Leben leider immer wieder von den Worten Jesu und seiner Apostel abweicht – SĂŒnde nennt man das. Es ist ganz eindeutig, nach dem Neuen Testament darf fĂŒr die Belange des Glaubens und der Kirche, keine Gewalt und kein Zwang angewendet werden, auch nicht mittelbar. Das unterscheidet den christlichen Glauben grundlegend vom Islam.

ZunĂ€chst sollten wir uns bewusst machen, was Toleranz nach der Wortbedeutung eigentlich meint. Toleranz meint, „etwas ertragen mĂŒssen“. Dass man bestimmte Handlungen, Worte, Denk- und Glaubensweisen, die man fĂŒr falsch und schĂ€dlich hĂ€lt, nicht mit Zwang und Gewalt begegnet, sondern sie ertrĂ€gt. Aber wie weit geht diese Toleranz, dieses Hinnehmen-mĂŒssen? Wenn alles hingenommen wird, dann gibt man sich doch letztlich selbst auf. Also wo sind die Grenzen der Toleranz? Diese Frage stellt sich persönlich jedem einzelnen Christen, diese Frage stellt sich der Institution Kirche und der Institution Staat und der westlichen Gesellschaft. Und da ist festzustellen, dass die Grenzen, was und wie viel hinzunehmen ist, vom einzelnen Christen und der Kirche in anderer Weise zu ziehen sind als vom Staat und der Gesellschaft.

Was hören wir aus der Bibel ĂŒber „Toleranz“ gegenĂŒber anderen Menschen?

Jesus predigt, dass wir unseren NĂ€chsten lieben sollen, wie uns selbst (Mt. 19, 19), und sogar unsere persönlichen Feinde sollen wir lieben (Mt. 5, 44; unterscheide „echtros“ = persönlicher Feind von „polemios“ = Feind im Krieg). Das ist mehr als Toleranz, mehr als nur ein „Ertragen-mĂŒssen“. Besonders, wenn ein Mensch in Not geraten ist, dann haben wir ihm als Christ zu helfen, unabhĂ€ngig von seiner NationalitĂ€t und Religion. Erinnert sei an die Geschichte Jesu vom barmherzigen Samariter (Lk. 10, 25). In dieser Weise haben wir uns persönlich auch gegenĂŒber jedem FlĂŒchtling und Migranten, der uns begegnet, zu verhalten.

Aus der NĂ€chstenliebe verbietet sich Zwang, Gewalt und Hass gegenĂŒber Jedermann. Jesus sagt in der Bergpredigt (Mt. 5): Selig sind die SanftmĂŒtigen, die Friedfertigen, die Barmherzigen … Bei seiner Festnahme spricht Jesus zu Petrus: „Stecke dein Schwert ein.“ Zu Pilatus spricht Jesus (Joh. 19, 36): „Mein Reich ist nicht von dieser Welt. WĂ€re mein Reich von dieser Welt, meine Diener wĂŒrden darum (mit der Waffe) kĂ€mpfen.“ Jesus lĂ€sst sich widerstandslos verhaften, zum Tode verurteilen und kreuzigen. In der Verfolgungssituation haben auch die ersten Christen nicht zur Waffe gegriffen, sondern haben gelitten bis in den MĂ€rtyrertod. Das ist tatsĂ€chlich persönliche Ă€ußerliche Selbstaufgabe. Den JĂŒngern Jesu ist allein der Glaube und das Wort zum Kampf gegeben, wie der Apostel Paulus schreibt (Eph. 6, 16): „Ergreift den Schild des Glaubens, mit dem ihr auslöschen könnt alle feurigen Pfeile des Bösen, und nehmt den Helm des Heils und das Schwert des Geistes, welches ist das Wort Gottes.“

Diese Worte zur grenzenlosen NĂ€chstenliebe und zum bedingungslosen Gewaltverzicht, besonders die Bergpredigt, hat Jesus an uns als Einzelne und an seine Gemeinde gerichtet, aber nicht etwa an den Staat, die Regierung, ihre Beamten und Soldaten. Jesus wollte nicht den Staat auffordern, dass er mit Nachgiebigkeit, Vergebung und Verzicht auf staatliche Gewalt regieren solle. Das hat nicht nur Martin Luther so vertreten, sondern auch die Römisch-katholische Kirche und ist auch heute „die Mehrheitsmeinung in der neueren neutestamentlich-exegetischen Forschung“ (Prof. Markus Zehnder).

Aber in Jesu Gemeinschaft, in seinem Reich, das nicht von dieser Welt ist, das ein unsichtbares Reich des Glaubens ist (Joh. 18, 36), da gelten eben andere MaßstĂ€be und Mittel als im weltlichen Bereich, nĂ€mlich allein das Evangelium des Wortes, des Glaubens und der Liebe. Der einzelne Christ in seinem persönlichen Bereich und die Kirche sieht und begegnet also immer zuerst dem einzelnen Menschen und zeigt gegenĂŒber seiner Person Langmut und NĂ€chstenliebe und weist keinen HilfsbedĂŒrftigen zurĂŒck. Paulus schreibt  (1. Kor. 13, 4): „Die Liebe ist langmĂŒtig und freundlich, die Liebe eifert nicht, die Liebe treibt nicht Mutwillen, sie blĂ€ht sich nicht auf, sie verhĂ€lt sich nicht ungehörig, sie sucht nicht das Ihre, sie lĂ€sst sich nicht erbittern …“

Der christliche StaatsbĂŒrger und Politiker handelt hingegen immer in Verantwortung fĂŒr das Ganze und muss dabei Gefahren und Schaden von der Allgemeinheit abwehren und den Nutzen aller mehren wollen. Er kann keine Toleranz ĂŒben, die Schaden oder Gefahr fĂŒr die Allgemeinheit oder gar eine partielle staatliche Selbstaufgabe in sich birgt. Dieses unterschiedliche SelbstverstĂ€ndnis und dieser unterschiedliche Auftrag von Kirche und Staat fĂŒhren zu unterschiedlichen Handlungsweisen und unterschiedlichen Grenzen der Toleranz. Auf die naturgemĂ€ĂŸ unterschiedlichen Mittel und Toleranz-grenzen von Staat und Kirche und dem einzelnen Christen haben Luther mit der Theologie von den Zwei-Reichen / Regimenten Gottes aber auch die Staats- und AufklĂ€rungsphilosophen John Locke (1632 –1704) und Voltaire (1694 –1778) hingewiesen. FĂŒr einen Christen, der zugleich auch StaatsbĂŒrger und Politiker ist, kann da nun eine Spannung entstehen zwischen der NĂ€chstenliebe gegenĂŒber jedem Einzelnen und der Verantwortung fĂŒr das Ganze. Da gilt es die Balance zu halten und die Spannung auch innerlich emotional zu bewĂ€ltigen (Hinweis auf die FlĂŒchtlingspolitik).

Toleranz ist nicht gleich Toleranz – die unterschiedlichen Grade der Toleranz

Oft wird gesagt, wenn man der Meinung eines anderen widerspreche, dann sei man ein „intoleranter Mensch“. Das mag zutreffen, wenn es in rechthaberischer Art geschieht und sich auf NebensĂ€chlichkeiten oder Geschmacksfragen bezieht, aber eben nicht, wenn es sich um inhaltlich grundlegende Überzeugungen handelt.

Maßgeblich sind zu unterscheiden, die „formale Ă€ußere Toleranz gegenĂŒber der Person“, also Gewaltverzicht und respektvoller Umgang, von einer viel weitergehenden „inneren inhaltlichen Toleranz“, die eine positive Akzeptanz, Anerkennung und WertschĂ€tzung der anderen Ansicht beinhaltet. Das wĂ€re sozusagen eine zweite Stufe der Toleranz, die vom unmittelbaren Wortsinn des „Ertragen-mĂŒssens“ nicht mehr abgedeckt ist, sondern eigentlich ein „Zustimmen“ bedeutet.

Der christliche Glaube verlangt von mir aber nicht, dass ich das Handeln, die Worte oder die Glaubens- und Denkweise eines anderen, die meinem Glauben widersprechen, nun fĂŒr gleichwertig, fĂŒr gleich gut, fĂŒr gleich gĂŒltig, fĂŒr gleich wahr halten mĂŒsse und sie auch nicht kritisieren dĂŒrfe. Damit entfiele ja die Suche und Unterscheidung von „richtig und falsch“, von „nĂŒtzlich und schĂ€dlich“, von „wahr und unwahr“, von „gut und böse“. Solche Haltung, die alles einebnet, ist nicht „tolerant“, sondern „indifferent“ – unentschieden, orientierungslos. Denn damit stellte man seine eigene Überzeugung zur Disposition. Ja, eigentlich hat man dann gar keine eigene Überzeugung mehr, zu mindestens traut man sich nicht mehr, fĂŒr sie einzutreten. Das wĂ€re geistig-geistliche Selbstaufgabe.

Von tolerant-sein im Wortsinne kann man nur sprechen, wenn man einen eigenen Standpunkt hat. Hat man keinen eigenen Standpunkt, dann erduldet man ja keine andere Ansicht, sondern nimmt sie einfach nur wertneutral oder gleichgĂŒltig zu Kenntnis. Toleranz bedingt also einen eigenen Standpunkt!

Jesus, die Apostel, die ersten Christen, die MĂ€rtyrer, waren gegenĂŒber jeder Person formal-Ă€ußerlich grenzenlos tolerant aber eben nicht innerlich-inhaltlich. Sie sagten nicht, es ist ganz egal, was man glaubt, welcher Religion man angehört. Sie ließen weder die Lehre der PharisĂ€er und Schriftgelehrten gelten, noch die griechischen Götter, noch den Kaiser als Gott. FĂŒr das Festhalten am Glauben an Jesus Christus und die Verneinung der konkurrierenden Lehren und Götter nahmen die ersten Christen den Tod in Kauf. Ja, wir sind zum geistig-geistlichen Kampf gegen antichristliche Meinungen, Worte und Taten aufgefordert. Paulus schreibt (Eph. 6, 17): „KĂ€mpft den guten Kampf des Glaubens und nehmt dazu das Schwert des Geistes, welches ist das Wort Gottes.“

Nach der Unterscheidung von formal-Ă€ußerer Toleranz und innerlich-inhaltlicher Toleranz handelt auch Gott mit uns. Aus Liebe ertrĂ€gt Gott den ungehorsamen sĂŒndigen Menschen, vernichtet ihn nicht, als Zeichen dafĂŒr hat er den Regenbogen gesetzt, aber Gott ertrĂ€gt und billigt nicht die SĂŒnde, sondern straft sie. Doch hat uns Jesus Christus aus Liebe die SĂŒnde und die dafĂŒr verwirkte Strafe abgenommen, getragen und ertragen (Joh. 1, 29): „Siehe das ist Gottes Lamm, das der Welt SĂŒnde trĂ€gt.“

An falsch verstandener Toleranz kranken vielfach die interreligiösen GesprĂ€che. Nein, ich halte den Islam nicht fĂŒr genauso wahr, wie den christlichen Glauben, sondern fĂŒr geistlich gefĂ€hrlich und in besonderer AusprĂ€gung auch fĂŒr Ă€ußerlich gefĂ€hrlich. Aber deshalb muss man trotzdem mit einem Muslim persönlich friedfertig, ja, christlich vorbildlich reden und umgehen, formale Ă€ußere Toleranz ĂŒben. Damit meine ich nicht die Nachgiebigkeit, ja Anbiederung der Kirchen an den Zeitgeist und an den Islam, wie z.B. kirchliche GrĂŒĂŸe zum Ramadan, wie die Mitgliedschaft des EKD-Ratsvorsitzenden Bedford-Strohm im „MĂŒnchner Forum fĂŒr Islam“, das eine große Moschee bauen will; dass Pastoren der hannoverschen Landeskirche Imame zu muslimischen Seelsorgern ausbilden, dass Kirchengemeinden einen Moscheebau unterstĂŒtzen, dass Muslimen Rede- und Gebetsmöglichkeiten in christlichen Gottesdiensten eingerĂ€umt werden…  Gegen entsprechende Gesten seitens des Staates im Sinne der Integration und Gleichbehandlung der Religionsgemeinschaften in unserem sĂ€kularen Verfassungsstaat ist dagegen schwerlich etwas einzuwenden.

Oft wird als Beispiel fĂŒr religiöse Toleranz auf Lessings „Nathan der Weise“ mit der Ringparabel hingewiesen. Die wahre Religion erweise sich darin, wie viel Gutes ihre AnhĂ€nger ihren Mitmenschen tun. Als nĂŒtzliche politische „Staatsmoral“ lasse ich das gern gelten. Doch religiöser Glaube besteht nicht zuerst und allein aus Geboten der NĂ€chstenliebe, besteht nicht nur aus Ethik – der horizontalen Ebene von Mensch zu Mensch. Das ist erst der zweite Schritt, den man nicht von dem ersten abschneiden und isolieren kann. Zuerst geht es darum, was Gottes Wahrheit fĂŒr uns ist, auf welchem Wege Gott uns anspricht und welchen Weg uns Gott ins ewige Leben weist – die vertikale Ebene von Gott zum Menschen. Dazu spricht Jesus (Joh. 14, 6): „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben, niemand kommt anders zum Vater als durch mich.“

Weltlich-religionswissenschaftlich betrachtet, erhebt jede Religion den Wahrheitsanspruch, der vielfach als „Absolutheitsanspruch“ diffamiert wird. Das  Aufgeben des Wahrheitsanspruches wĂ€re Selbstaufgabe. Auch die so oft als absolut tolerant gepriesenen östlichen Religionen des Hinduismus und Buddhismus halten an ihrem Wahrheitsanspruch unbeirrt fest. Sie integrieren zwar andere religiöse Überzeugungen, aber hinsichtlich ihrer obersten Dogmen vom Karma, von Reinkarnation und Monismus halten sie an ihrem absoluten Wahrheitsanspruch fest.

Gegen die Anerkennung anderer Götter, anderer Gottesvorstellungen und anderer Wege zum Heil und gegen eine geistlich indifferente, unentschiedene Haltung finden wir viele Worte in der Bibel. Gott sagt uns mit dem 1. Gebot: Ich bin der Herr dein Gott. Du sollst keine anderen Götter haben neben mir.“ Gott sagt von sich, dass er ein eifernder, ein eifersĂŒchtiger Gott ist (2. Mose 20, 5). Wir sind aufgefordert und gemahnt, die Wahrheit und die Liebe zu Gott und unseren NĂ€chsten in Jesus Christus und seinem Wort zu finden und weiterzugeben. Wir werden angehalten, Gott und seinen Geboten treu zu sein, alles in der Welt und an Meinungen zu prĂŒfen, das Gute zu behalten und das Böse zu meiden. Standhaft sollen wir im Glauben bleiben, mit Worten und Taten Jesus Christus bekennen und nachfolgen. Wir hören die Warnung Gottes, dass er die Unentschiedenen, die Lauen, wie widerliches lauwarmes Wasser ausspucken wird (Offb. 3, 16).

Wie tolerant hat der Staat gegenĂŒber seinen BĂŒrgern zu sein?

Die Grenzen der Toleranz des Staates bestimmen sich nach dem göttlichen Auftrag, den jeder Staat, jede Regierung, hat. Der Staat ist, unabhĂ€ngig von seiner Staats- und Regierungsform, von Gott als ein Ă€ußerer Ordnungs- und Schutzgarant fĂŒr das Zusammen-leben der Menschen gegeben. Deshalb kann er keine Form des Unrechtes, der KriminalitĂ€t und Anarchie tolerieren. Die Welt soll nicht im Chaos versinken, die Bosheit soll nicht triumphieren, wie man es bei einem Verfall der Staatsmacht, etwa bei BĂŒrgerkriegen, beobachten kann. Zur Durchsetzung seiner Gesetze sind dem Staat Polizei, Gericht und MilitĂ€r gegeben (ev-luth. Bekenntnis, Art. 16 CA). Der Staat kann und soll eben nicht nach den MaßstĂ€ben der Bergpredigt Jesu mit grenzenloser Liebe, bedingungsloser Vergebung und staatlichem Gewaltverzicht regiert werden. Der Apostel Paulus schreibt (Röm. 13), dass der Staat der Diener Gottes zu deinem Besten sein soll, der das „Schwert“ – die staatliche Gewalt – dazu hat, dass er dich vor der Ă€ußerlichen Bosheit schĂŒtzt und sie straft. Und Christen haben die staatlichen Gesetzen zu befolgen, so lange nicht unmittelbar etwas von ihnen persönlich verlangt wird, was gegen Gottes Gebot verstĂ¶ĂŸt. Dann ist Gott mehr zu gehorchen (Apg. 4,19).

In dem Auftrag des Staates zur Verantwortung fĂŒr das Ă€ußere Leben seiner BĂŒrger liegt aber auch eine Begrenzung. Der Staat hat nĂ€mlich keinen Auftrag, das innere, das religiöse Denken und den Glauben seiner BĂŒrger vorzugeben (= Religionsfreiheit). Er darf der ReligionsausĂŒbung nur Grenzen setzen, wenn diese nach staatlicher Macht strebt oder unverhĂ€ltnismĂ€ĂŸige Sonderrechte beansprucht, wie z.B. der fundamentale Islam.

Sachen des Glaubens obliegen der Kirche und den Religionsgemeinschaften und der Staat hat religiös tolerant zu sein, hat Religionsfreiheit als ein Menschenrecht zu gewĂ€hren. Zur staatlichen Toleranz gegenĂŒber den Kirchen (= Religionsfreiheit) gehört auch die Freiheit, andere Religionen, Welt- und Werteanschauungen kritisieren zu dĂŒrfen. Der Staat hat kein Recht, den Kirchen und ihren AmtstrĂ€gern in dieser Hinsicht eine geistig-inhaltliche Toleranz und ein Schweigen abzufordern, wie es etwa der Große KurfĂŒrst 1666 mit seinem sogenannten Toleranzedikt von Paul Gerhardt verlangt hat.

Im Gegensatz zur Religionsfreiheit beanspruchen auch heute islamische Staaten, dass ihnen auch die religiöse Herrschaft ĂŒber ihre BĂŒrger zustehe. Wie auch alle sĂ€kular-ideologisch regierten Staaten nicht nur die Ă€ußere Herrschaft, sondern auch eine Herrschaft ĂŒber Herz und Seele, ĂŒber Denken und Glauben ihrer BĂŒrger beanspruchen und erzwingen wollen (Zeit des Nationalsozialismus und Kommunismus). Dieser Totalitarismus aber ist GrenzĂŒberschreitung des staatlichen Auftrags. Der totalitĂ€re Staat ist antichristlicher Staat, ist die „Hure Babylon“ nach der Offenbarung des Johannes.

Leider gibt es auch in der heutigen westliche Gesellschaft entsprechend bedenkliche Entwicklungen. So, wenn von den BĂŒrgern nicht nur die selbstverstĂ€ndliche formal-Ă€ußere Toleranz (= Gewaltverzicht) verlangt wird, sondern zugleich auch eine inhaltlich moralisch anerkennende Toleranz gegenĂŒber dem Islam, der Abtreibung, PromiskuitĂ€t, HomosexualitĂ€t und Gender Mainstreaming (Hinweis auf die Plakate des Bundesgesundheitsministeriums). Besonders ĂŒber „Political Correctness“ werden „neue Werte“ statuiert, die sich beginnen zu einer sĂ€kularen intoleranten „Zivilreligion“ (= Staatsideologie) auszuwachsen. Kritik an dieser neuen Welt- und Werteanschauung wird öffentlich diffamiert, weil sie die Belange des uferlosen Pluralismus und Liberalismus und der ĂŒberzogenen Antidiskriminierung stört.

Der Staat aber hat sich auf seine Verantwortlichkeit fĂŒr den Ă€ußeren Schutz und das Ă€ußere Wohl des Volkes zu beschrĂ€nken. DarĂŒber ist nach den MaßstĂ€ben der nĂŒchternen Vernunft zu befinden. Was nun jeweils fĂŒr das Volk das Beste ist, darĂŒber kann es aber auch unter christlichen Politikern und christlichen StaatsbĂŒrgern sehr unterschiedliche Meinungen und Wertungen geben. In diesem Kontext ist auch die Problematik des FlĂŒchtlingszustroms zu sehen. Der Staat hat aus seiner Gesamtverantwortung das Recht, Einreisen und Einwanderung zu begrenzen, Abschiebungen vorzunehmen, Sozialleistungen einzuschrĂ€nken usw., wie er auch umgekehrt das Recht hat, dieses alles sehr großzĂŒgig zu handhaben.

Als Christ darf ich zwar die Politik, und auch die FlĂŒchtlings- und Integrationspolitik, in der einen oder anderen Richtung kritisieren, aber ich darf die bestehenden Gesetze in keiner Richtung missachten. Ich habe mich an die bestehenden Gesetze und Entscheidungen der Regierung zu halten. Weder darf ich FlĂŒchtlinge am Gesetz vorbei zu Einreise und Aufenthalt verhelfen, noch darf ich umgekehrt FlĂŒchtlingen Steine in den Weg legen oder gar gewaltsam-kriminell werden. Als christlicher StaatsbĂŒrger kann ich aus gesamtstaatlicher Verantwortung durchaus fĂŒr eine Begrenzung der Aufnahme von FlĂŒchtlingen und Migranten, fĂŒr Verweigerung der  Einreise und Abschiebungen, unter Wahrung der HumanitĂ€t, eintreten. WĂ€hrend ich aber gleichzeitig dem einzelnen FlĂŒchtling, der mir begegnet, freundlich und hilfsbereit gegenĂŒberzutreten habe. Als Christ lebt man eben zum einen in der Gemeinschaft des Glaubens, in der die grenzenlose NĂ€chstenliebe regieren soll, und zugleich im Bereich des Staates, der vernunftgemĂ€ĂŸ rational handeln muss (Zwei-Reiche-Lehre). Und dem ich nach Gottes Gebot zur LoyalitĂ€t verpflichtet bin. Diesen Spannungsbogen gilt es auszuhalten, ohne nach der einen oder anderen Seite emotional abzurutschen. Wir sollen die sachliche und emotionsfreie Auseinandersetzung suchen und fördern und uns hĂŒten, in die Falle der Unterstellungen, der Verleumdungen und des Hasses zu laufen!

Detlef Löhde, 13. April 2016

Der obenstehende Beitrag wurde am 13.4.2016 beim „Kirchenvorsteher-Initiativkreis Hannover in der hannoverschen Landeskirche“ im Vortragssaal der Ärztekammer Hannover als Vortrag gehalten. Der Autor ist ordinierter ehrenamtlicher Pfarrdiakon der SELK. Weitere Informationen auf der Website www.biblisch-lutherisch.de. 

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Mittwoch 20. Juli 2016 um 9:23 und abgelegt unter Gesellschaft / Politik, Theologie.