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Schweden: Dunkle Landstriche im sozialen Paradies

In vielen Ländern hat Schwedens Sozialpolitik einen Ruf wie Donnerhall. Nicht selten hört man das Argument, Erwachsene und Kinder leideten nur deshalb unter dem Auseinanderbrechen von Familien, weil sie nicht die politische Weisheit der Schweden besitzen würden, die alleinerziehenden Müttern und deren Kindern mit außergewöhnlich großzügigen Sozialhilfen beiseite stünden. Dieses naive Vertrauen in Schweden hat jedoch jüngst einen herben Rückschlag erlitten. Eine neue Studie (1) offenbart, dass sogar im sozialpolitisch gelobten Land Kinder geschiedener, alleinerziehender Eltern statistisch deutlich schlechter durchs Leben kommen als Gleichaltrige aus intakten Familien.

Im Rahmen dieser Studie untersuchten Wissenschaftler der Universitäten von Stockholm und Uppsala sowie des Karolinska Instituts das psychische Wohlbefinden schwedischer Kinder aus drei unterschiedlichen Lebenssituationen: Kinder in der Obhut alleinerziehender Eltern, Kinder  deren geschiedene Eltern das gemeinsame Sorgerecht innehaben sowie Kinder, die in intakten Kernfamilien leben. Die Daten zu den in den drei Gruppen beobachteten psychologischen Symptomen stammen aus einer Stichprobe von 3.200 schwedischen Familien mit Kindern im Alter von zwei bis siebzehn Jahren. Diese Daten zeigen deutlich, dass eine intakte Familie psychisches Wohlbefinden fördert, während eine zerrüttete Familie eher psychische Krankheiten hervorruft.

Der summarische Befund ist nicht überraschend. Interessant sich auch einige Einzelergebnisse. Die schwedischen Wissenschaftler berücksichtigten bei ihren Forschungen sowohl die Anzahl als auch den Schweregrad von „emotionalen Symptomen, Verhaltensproblemen, Hyperaktivität/Unaufmerksamkeit und Beziehungsproblemen unter Gleichaltrigen“. Laut den Wissenschaftlern deuten die Studienergebnisse auf eine „höhere Symptombelastung bei Kindern alleinerziehender Eltern ([Relatives Risiko] = 2.2, p < 0.001) und bei Eltern mit gemeinsamem Sorgerecht ([Relatives Risiko] = 1.6, p < 0.001) hin als dies bei Kindern aus Kernfamilien der Fall ist.” Mit anderen Worten. „Kindern mit Eltern, die ein gemeinsames Sorgerecht innehaben, geht es besser als Kindern von Alleinerziehenden, jedoch nicht so gut wie Kindern in Kernfamilien.”

Bei dem Versuch, das von ihnen ausgemachte Muster zu begründen, wurde den Forschern deutlich, dass sogar in einem so  großzügigen Sozialstaat wie Schweden Kinder ökonomisch benachteiligt sind, die nicht in Kernfamilien leben: die Berechnungen der Autoren ergaben, dass „die beiden Typen von Trennungsfamilien mehr als doppelt so häufig (41.9% und 42.6%) zu der untersten Einkommensstufe zählen wie Kernfamilien (20.2%).” Nach eingehender, statistischer Auswertung kamen die Wissenschaftler zu dem Schluss, dass „das Haushaltseinkommen nur begrenzt zur Erklärung der Unterschiede im seelisch-geistigen Wohlbefinden der Kinder beiträgt.“

Unabhängig davon, wie sie ausgelöst wird, ist die ausgeprägte psychologische Verletzbarkeit von Kindern, die nicht in Kernfamilien leben, eine Tatsache – auch in Schweden. Dies ist allerdings auch keine neue Erkenntnis. Laut den Autoren dieser Studie „bestätigen die Ergebnisse bisherige Forschungen“, welche belegen, dass in Schweden (wie auch in anderen wohlhabenden westlichen Ländern) „im allgemeinen Kinder geschiedener Eltern ein erhöhtes Risiko für „emotionale Probleme, soziale Missstände und geringes Wohlbefinden aufweisen als Kinder aus intakten Familien.”

Worunter nun leiden Kinder psychisch in den zerrütteten Familienverhältnissen? Die Wissenschaftler argumentieren, dass das Leid der Kinder, das Leid der Eltern wiederspiegeln könnte. „Eine Mutter mit alleinigem Sorgerecht oder ein Vater ohne Sorgerecht zu sein steht im Zusammenhang mit einem erhöhten Gesundheitsrisiko – sowohl psychischer als auch physischer Natur“, so die Forscher. Außerdem könnten „elterliche Erkrankungen wiederum negative Auswirkungen auf die kindliche Entwicklung und das Wohlbefinden haben.“

Der im Laufe der Jahrzehnte immer stärkere Zauber Schwedens wird so schnell nicht verblassen. Die neue Studie jedoch bringt eine ernüchternde Wahrheit ans Licht: kein Sozialstaat wird die seelisch-geistige Gesundheit von Kindern mehr schützen als es eine intakte, natürliche Familie tut. Von Stockholm bis Seattle oder von Berlin via Brüssel und Paris bis Moskau gilt: Das Auseinanderbrechen von Familien bringt Kinder an den Rand psychologischer Belastbarkeit, oder wie manche  Forscher sagen: An den Rand dunkler Landstriche in den Weiten der Psyche.

Quelle: Nachricht 3/2016, Institut für Demographie, Allgemeinwohl und Familie e.V. (www.i-daf.org [1])

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(1) Malin Bergström et al., “Mental Health in Swedish Children Living in Joint Physical Custody and Their Parents’ Life Satisfaction: A Cross-Sectional Study,” Scandinavian Journal of Psychology 55.5 [2014]: 433-9.)