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Das koranische Jesusbild

Montag 7. Dezember 2015 von Dr. Gerald Lauche


Dr. Gerald Lauche

Die heilsgeschichtliche Mitte des christlichen Glaubens besteht in der Person Jesu Christi. So ist es höchst interessant, welchen Stellenwert Jesus im Koran erfährt.

Muslime kennen Christus

Bedingt durch Erwähnungen in 93 Versen in 15 Koransuren ist Jesus Muslimen bekannt. Er spielt zwar keine zentrale Rolle, es lässt sich aber aus den verstreut angelegten Aussagen durchaus eine koranische Christologie erstellen. Dabei fällt auf, dass die unterschiedlichen Daten zum Teil ungewöhnliche Aussagen positiver Art über die Person Jesu enthalten, die über die Aussagen zu Muhammed hinausgehen.

Andererseits werden so manche biblischen Zentralaussagen abgelehnt oder finden keine Erwähnung. Die objektive Betrachtung der islamischen Christologie führt zu der ambivalenten Schlussfolgerung, dass der Koran genügend Material liefert, um Jesus eine besondere Bedeutung zuzugestehen. Zugleich wird Jesus auf sein Menschsein begrenzt und Muhammed untergeordnet.

Der Eigenname Jesu

Der vom Koran benutzte Eigenname Jesu lautet „‘Iisa“. Die Herkunft dieses Namens ist äußerst umstritten. Seine Bedeutung ist unbekannt. Im Gegensatz zum biblischen Namen Jesus (Gott rettet) enthält der koranische Namen keine heilsgeschichtliche Aussage.

Jesus, Sohn der Maryam

Der häufigste Zusatz zum Eigennamen Jesu, Sohn der Marjam (ibn Marjam), ist verbunden mit dem Hinweis auf die außergewöhnliche Geburt durch Marjam. In zwei Textabschnitten (3:35ff. und 19:16-36) berichtet der Koran von der Ankündigung und der wundersamen Empfängnis Jesu durch den schöpferischen Atem Gottes. Die ungewöhnliche Bezeichnung Jesu als Sohn der Marjam, die im Koran die Schwester Aarons ist (19:28), kommt insgesamt sehr häufig vor (16x). Die Nennung nach seiner Mutter ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass kein menschlicher Vater bekannt ist. Josef findet im Gegensatz zum NT im Koran keine Erwähnung.

Dass Jesus in der Wiege den Beschuldigern Marjams verbal entgegen tritt und seine Mutter vor deren Anklage verteidigt (19:30), verstehen Muslime als sein prophetisches Beglaubigungswunder. Darüber hinaus wird Jesu Geburt als ein Akt der Barmherzigkeit Gottes (rahma) und als ein Zeichen (aaja) für die Menschen weltweit verstanden (19:21, 21:91).

Jesus, der Messias

Mehrfach wird Jesus mit dem Ehrennamen Messias bezeichnet. Allerdings hat dieser Name erst in medinensischer Zeit Eingang in den Koran gefunden (3:45; 4:171f.; 5:17.72.75), ohne dass biblische Inhalte mit diesem Namen verbunden werden.

Jesus, der Gesandte

Mit dem Titel Gesandter (rasuul) kommt Jesus eine besondere Bedeutung zu (4:157; 10:47). Jedem Gesandten wird ein geistliches Volk zugeordnet. Jesus begründet das Glaubensvolk der Christen und bringt ihnen eine Schrift, nämlich das Evangelium (indschiil). Dabei bleibt er aber ganz Mensch (2:87.253; 3:49). Das wird auch durch die Bezeichnung Diener (‘abd) zum Ausdruck gebracht (4:172).

Jesus, der Prophet

Als Prophet (nabi) wird Jesus trotz aller Sonderheiten und Fähigkeiten eingereiht in das Prophetenschema (4:171) des Koran. Seine Menschlichkeit wird herausgestellt. Seine Fähigkeiten sind ihm für nur durch die „Erlaubnis Gottes“ möglich, nicht aber Hinweis auf seine Göttlichkeit.

Die Kindheit und Jugendzeit Jesu

Über die Lebensgeschichte Jesu bis zu seinem öffentlichen Auftreten weiß der Koran wenig Bestimmtes zu berichten. Der Gehorsam seiner Mutter gegenüber (19:32), der Beginn der Unterweisung in der Schrift (3:48) und das Wunder der Tonvögel (5:110) mag in diese Lebensphase einzuordnen sein.

Die Öffentliche Wirksamkeit Jesu

In der koranischen Darstellung des Lebens Jesu ist weder ein chronologischer noch ein geographischer Rahmen erkennbar. Wann genau seine öffentliche Wirksamkeit begann, muss unklar bleiben. Im Blick auf seine Lebensführung betont der Koran die Reinheit Jesu von Anfang an (19:19) und die Liebe zu seiner Mutter (19:32). Mit anderen Gottgesandten wird er als Rechtschaffener bezeichnet (6:85). Im Gegensatz zu anderen Propheten wird im Blick auf Jesus niemals von seiner Sündhaftigkeit gesprochen. Obwohl das Jesusbild im Koran nicht durch Sündhaftigkeit entstellt ist, hat dies keine Konsequenzen im Blick auf die Heilsbedeutung Jesu.

Als Prophet ist Jesu Lehrtätigkeit seine Hauptaufgabe (3:46.48.49; 5:110). Er hat dazu das Evangelium (indschiil) von Gott empfangen (3:48; 5:46.110; 57:27). Zur Erfüllung seiner Sendung wurde er durch den Geist der Heiligkeit gestärkt (2:87; 2:253). Muhammed scheint insgesamt nur geringe Kenntnisse bezüglich der Verkündungsinhalte Jesu gehabt zu haben. Jesus hatte die Aufgabe, die Thora zu bestätigen (3:50) und sie zu einem Teil abzuändern (3:49-50). Vor allem aber ruft er zur Verehrung des einen Gottes auf (5:117) und schärft seinen Zuhörern sittliche Gebote ein (61:6). Insgesamt bleibt die inhaltliche Beschreibung seiner Lehrtätigkeit im Vergleich mit dem neutestamentlichen Befund eher farblos und gedankenarm. Der biblische Inhalt des Evangeliums als universale Begnadigungsbotschaft bleibt dem Koran fremd.

Die Wundertätigkeit Jesu wird im Koran im Wesentlichen summarisch dargestellt (3:49; 5:110). Die Blindenheilungen, Heilung von Aussätzigen, Totenauferweckungen und das Wunder der Tonvögel sind Zeichen der göttlichen Berufung Jesu und sollen seiner Sendung Autorität verleihen. Die Wunder werden ihm von Gott erlaubt, sind aber nicht Ausdruck seiner Göttlichkeit.

Auch im Koran sammelt Jesus eine Jüngerschar um sich. Es sind aber weder Zahl noch Namen bekannt. Sie werden als mildherzige Menschen beschrieben und als Begründer des Mönchtums (57:27). Darüber hinaus sind sie Helfer (ansaar) auf dem Weg zu Gott (61:14). Ihr Glaubensbekenntnis findet sich ebenso im Koran (5:111).

Trotz aller Wunder und Worte Jesu gab es Menschen, zu denen Jesus gesandt war, die ungläubig blieben (3:52) und als Gegner verstanden werden. Die sich entwickelnde Feindschaft der Nichtglaubenden findet ihren Höhepunkt in dem Versuch, Jesus zu töten, der aber nach koranischem Verständnis durch Gottes Eingreifen misslingt (3:54-55).

Das Ende Jesu

Zum Tod Jesu gibt es im Koran Aussagen, die sich schwer harmonisieren lassen (4:157-158; 5:117). Während die Kreuzigung und Auferstehung das Zentrum des christlichen Glaubens darstellen und in den Evangelien ausführlich beschrieben werden, spielen diese Ereignisse im Koran eher eine untergeordnete Rolle. Nur einmal wird die Kreuzigung erwähnt (4:157-158). Allgemeinhin wird diese Stelle von Muslimen so ausgelegt, dass die Juden zwar meinten, Jesus gekreuzigt zu haben, ihn aber in Wirklichkeit weder getötet noch gekreuzigt haben. Gott hat Jesus aus der Hand der Juden gerettet und ihn zu sich erhoben. Eine andere Person, die Jesus ähnlich sah, wurde an seiner Stelle getötet. Für einen Muslim ist der Tod eines Propheten Gottes durch Kreuzigung eine unakzeptable Schmach. Damit unterscheidet sich die koranische Christologie entscheidend vom biblischen Verständnis des Heils durch Christi Tod und Auferstehung. Im Blick auf die Erhöhung Jesu legt der Koran eine Entrückung Jesu zu Gott ohne ein Todeserlebnis nahe (3:55; 4:159). Vor dem Weltgericht Gottes wird Jesus nach koranischer Lehre auf der Erde erscheinen und die Schriftbesitzer, Juden und Christen, zum Islam als dem wahren Glauben bekehren (4:157; 43:61). Während Jesus im NT als Weltenrichter erscheinen wird, muss er sich nach dem Koran am Tage des Gerichts selber verantworten (5:109.116), da Gott keine Mitregenten duldet.

Die Polemik gegen die Gottessohnschaft Jesu und die Trinitätslehre

Einen erstaunlich breiten Raum nimmt im Koran die Ablehnung der Gottessohnschaft Jesu ein (4:171-172; 5:72; 6:110-111; 9:30-33). In der Ablehnung eines physischen Zeugungsverständnisses erklärt der Islam, dass Gott nicht zeugt noch gezeugt wurde (112:3). Alles, was irgendwie die Einzigkeit und Erhabenheit Gottes gefährden könnte, stößt bei Muhammed auf harten Widerstand.

Im Blick auf ein trinitarisches Gottesverständnis werden alle, die sich Gott in drei Personen vorstellen, als ungläubig bezeichnet (5:73), weil diese Auffassung dem koranischen Gottesbegriff widerspricht (4:171-172; 5:73-75) und einen Rückfall in den Polytheismus bedeutet.

Trotz des allgemein positiven Jesusbildes ist zu sagen: Jesus durfte Sohn der Marjam, Knecht Gottes, Gesandter, Prophet, Diener und Messias sein, aber sündloser Sohn Gottes, der durch seinen Tod und Auferstehung zum Retter der Menschheit wurde, das wird ihm vom Islam abgesprochen. Damit ist der entscheidende Unterschied markiert.

Gerald Lauche

Quelle: EMO-Aktuell – Zeitschrift der Evangeliumsgemeinschaft Mittlerer Osten (Ausgabe 5/2015)

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Montag 7. Dezember 2015 um 16:27 und abgelegt unter Theologie, Weltreligionen.