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Gottes Heil für Heiden und Juden nach Römer 11

1.) Die Heilspläne Gottes sind für die menschliche Vernunft unbegreiflich

Wer sich mit Gottes Heilsplänen beschäftigt, begegnet lauter Wundern. Das größte aller Wunder ist und bleibt, dass der allmächtige Gott überhaupt ein Interesse daran hat, Menschen an Leib, Seele und Geist wohlzutun, obwohl sie aus sich heraus an ihm in keiner Weise interessiert sind. Aber auch die Anschlusswunder, wie Gott seine Pläne verwirklicht, sind erstaunlich genug. Am erstaunlichsten ist zweifellos Gottes Plan mit seinem Auserwählungsvolk Israel. Im Lauf der Kirchengeschichte sind schon viele Christen über diesen Plan gestolpert und konnten ihn nicht verstehen. Aber auch das jüdische Volk hat ihn bis heute nicht verstanden, von Ausnahmen abgesehen. Was in Röm 11,33 steht, ist bis heute Realität geblieben. „Welch eine Tiefe des Reichtums, beides, der Weisheit und Einsicht Gottes! Wie unbegreiflich sind seine Strafgerichte und wie unerforschlich seine Wege“.

2.) Der tragische Dauerirrtum der Christenheit in der Einschätzung des jüdischen Volk

Ein bekannter frühchristlicher Prediger aus der Ostkirche, Johannes Chrysostomus (ca. 350 bis 407), verglich die jüdischen Synagogen mit Theatern und Bordellen. An vielen Kirchen wurde im Mittelalter eine sog. Judensau dargestellt, die zugleich Ferkel und Juden säugt, z.B. am Magdeburger Dom (13. Jahrh.). Am Straßburger Münster (1230) sind zwei Frauenfiguren in Stein gehauen, welche die Synagoge und die Ekklesia zeigen. Die Synagoge hält eine zerbrochene Lanze und blickt nach unten mit verbundenen Augen, die Ekklesia trägt eine Krone und andere Attribute des Sieges. Aber es blieb nicht bei Predigten und bildnerischen Darstellungen. 1290 wurden die Juden aus England vertrieben, kurze Zeit später aus Frankreich, 1492 aus Spanien. Als 1348 eine katastrophale Pest Europa heimsuchte, wurde das Gerücht gestreut, dass die Juden Brunnenvergifter seien. In etlichen deutschen Städten wurden daraufhin Juden massakriert oder vertrieben. 1517 freute sich der Humanist Erasmus von Rotterdam, dass Frankreich von Juden gereinigt sei. Luthers antijüdische Altersschriften sind bekannt (etwa „Von den Juden und ihren Lügen“ 1543). Bis 1964 hielt die Röm.-kath. Kirche in ihrer Liturgie noch an ihrer Einschätzung der Juden als „Volk von Gottesmördern“ fest.

Man steht vor einem Rätsel, wenn man sich fragt, wie angesichts von Röm 9-11 eine solche viele Jahrhunderte andauernde antijüdische Stimmung in der Christenheit aufkommen und herrschen konnte. Der Wortlaut gibt dazu keinen Anhaltspunkt. Im Gegenteil, dort steht klar und deutlich, dass Gott sein Auserwählungshandeln am jüdischen Volk nicht zurücknimmt (11,29) und dass einst die von ihm festgelegte Vollzahl der Juden das Heil finden wird (11,12 und 11,16). Darüber hinaus werden die Heidenchristen ermahnt, sich nicht über die von Gott geistlich blindgemachten Juden zu erheben (11,20 bis 22) und in ihren Gedanken über das Schicksal Israels nicht eigenen Einschätzungen zu folgen (11,25).

3.)  Das Ölbaumgleichnis in 11,16b bis 24

Paulus beginnt seine Beschreibung des Verhältnisses von Juden und Heidenchristen mit einem Hinweis auf die Anordnung in 4 Mose 15, dass beim Backen ein Teil des Teigs als Opfergabe für Gott gebacken werden sollte. Dadurch wurde der ganze Teig Gott geweiht. Das ist übrigens auch ein geistlicher Ertrag des finanziellen Zehnten: dadurch wird alles Geld Gott geweiht. Paulus zieht aus diesem Hinweis die Folgerung, dass die Nachkommen („Zweige“) eines von Gott geheiligten Stammvaters („Wurzel“) ebenfalls geheiligt sind. Die Wurzel im Ölbaumgleichnis ist also der von Gott geheiligte Abraham und die Zweige sind diejenigen, die genauso wie er im Glauben auf Gottes Verheißungen vertrauen. Diejenigen seiner leiblichen Nachkommen, die im Unglauben blieben und das Heil in Christus nicht annahmen, wurden aus diesem Glaubensbaum entfernt. Andere, und zwar Juden und Heiden, die den Verheißungen des Evangeliums vertrauten, wurden eingefügt. Da alle Eingefügten nur aus reiner Gnade eingefügt wurden, haben sie nicht den mindesten Anlass, sich über die Ausgebrochenen zu erheben.

Nun folgt eine ernste Warnung. Wenn die Eingefügten aus der Gnade und Güte Gottes heraustreten, wenn sie also beginnen, sich stolz über die Ausgebrochenen zu erheben, dann können auch sie wieder aus dem Glaubensölbaum ausgebrochen werden. Mit anderen Worten: wer als Christ herablassend auf das jüdische Volk hinunter blickt, lebt gefährlich. Er steht in der Gefahr, selber aus der Gnade und Güte Gottes herauszufallen. „Wer meint, er stehe, mag zusehen, dass er nicht falle“ (1 Kor 10,12). Wenn man die christliche Judenfeindschaft durch die Jahrhunderte verfolgt, kann einem angst und bange werden über der Frage, wie viele Christen da aus Gottes Gnade wieder herausgefallen sind.

Das Ölbaumgleichnis endet mit einer heilsgeschichtlichen Hoffnung für das Volk Israel. Wenn schon Heiden, die weit weg waren von wahrer Gotteserkenntnis, in den geistlichen Abrahamsbaum eingefügt worden sind, um wieviel mehr werden dann Juden, wenn sie Christus annehmen, in ihn eingegliedert werden.

4.)  Die heilsgeschichtliche Deutung der Christusblindheit Israels

Bei aller Hoffnung auf eine künftige innere Erneuerung des jüdischen Volks bleibt aber zunächst noch die schwierige Frage im Raum, warum ausgerechnet dieses Volk, das wie kein anderes Erkenntnis des Willens Gottes hatte und durch die Schriften des A.T. bestens auf die Ankunft des Messias vorbereitet war, ihn nicht erkannt hat. Paulus bemüht sich in Röm 9-11 redlich um eine Antwort. Im Wesentlichen ist sie dreigeteilt:

4.1       Israel hat das Evangelium nicht verstanden (10,21). Sie sind zwar eifrig um Gott zu gefallen, aber sie haben keine wirkliche Gotteserkenntnis (10,2). Ihr Unverständnis hat seinen Grund darin, dass sie wegen ihres Gesetzesgehorsams von Gott angenommen werden wollen und nicht aus der freien Gnade Gottes, wie er sie im Evangelium verkündigen lässt.

4.2       Denen, die das Evangelium verwerfen, gibt Gott einen „Geist der Betäubung“, d.h. geistlich blinde Augen und geistlich taube Ohren (11,8). Hier liegt der eigentliche Grund dafür, dass im Lauf der Kirchengeschichte immer nur wenige Juden zur Christuserkenntnis gekommen sind. Diese Situation wird so lange andauern, bis Israel aufgrund eines göttlichen Eingreifens sich zu Christus bekehrt (vgl. 2 Kor 3,16).

4.3       In der Zwischenzeit wendet Gott sein Heil den Völkern zu (11,11). Es erfüllt sich Jesu Gleichnis von den bösen Weingärtnern (Mt 21,33-44). „Wenn nun der Herr des Weinbergs kommen wird, was wird er mit diesen Weingärtnern tun? Sie antworteten ihm: Er wird den Bösen ein Ende bereiten und seinen Weinberg anderen Weingärtnern verpachten, die ihm die Früchte zur rechten Zeit geben“ (Mt 21,40 und 41).

Immer noch leben wir in dieser Zwischenzeit. Man kann sie vielleicht folgendermaßen kennzeichnen: es ist erstens Gnadenzeit für die Völker. Jetzt, hier und heute können Menschen aus allen Völkern zum lebendigen Glauben an Christus kommen. Es ist zweitens eine Straf- und Wartezeit für Israel. Es erfüllt sich, was der Prophet Jeremia angekündigt hatte: „Du musst innewerden und erfahren, was es für Jammer und Herzeleid bringt, den Herrn, deinen Gott, zu verlassen und ihn nicht zu fürchten, spricht Gott, der Herr Zebaoth“ (Jer 2,19). Und es ist drittens Bewährungszeit für die Christen. Paulus sagt uns Christen: „Lebt als Kinder des Lichts inmitten eines verdorbenen Geschlechts“ (Eph 5,8; Phil 2,15).

5.)  Die unerforschlichen Wege Gottes mit Israel

Jemand sagte mir einmal, wenn Israel damals Christus angenommen hätte, dann wäre unsere Weltgeschichte schon damals zum Ziel und zu Ende gekommen und die große Errettungsaktion Gottes unter den Völkern wäre gar nicht angelaufen. In der Tat: Wir haben es der Christusblindheit zu verdanken, dass wir zum Glauben gekommen sind. Welch ein merkwürdiger Umstand. Da wird ein Volk in Blindheit gehalten, damit andere Völker sehend werden können. Wahrlich, unerforschliche Wege Gottes! In Röm 11,25 ist die Rede davon, dass über Israel solange Verstockung bleiben wird, bis die volle Zahl der Heiden errettet worden ist. Niemand weiß, wann diese von Gott verfügte Zahl erreicht ist. Aber wenn einst, während der triumphalen Herrschaft des falschen Messias, die beiden Zeugen Gottes (wahrscheinlich Mose und Elia; Offb 11,3ff) die unmittelbar bevorstehende Herrschaft Christi ankündigen, „zum Zeugnis gegen alle Völker“ (Mt 24,14), dann ist es soweit, dann geht die Gnadenzeit für die Völker zu Ende (Lk 21,24 wird sie „die Zeiten der Heiden“ genannt).

Dann wendet sich Gottes Gnade wieder seinem Auserwählungsvolk Israel zu. „Ich habe dich einen kleinen Augenblick verlassen, aber mit großer Barmherzigkeit will ich dich sammeln. Ich habe mein Angesicht im Augenblick des Zorns ein wenig vor dir verborgen, aber mit ewiger Gnade will ich mich deiner erbarmen, spricht der Herr, dein Erlöser“ (Jes 54,7 und 8). In Röm 11,12 ist davon die Rede, dass es für Israel ein „Pleroma“ geben wird, die volle Erkenntnis Christi. Damit sind wir bei den berühmten Steigerungssätzen in Röm 11,12 und 15. In wörtlicher Übersetzung heißt der im Urtext sehr abgekürzte V. 12 „Wenn aber schon ihr Fehltritt für die Menschheit geistlichen Reichtum und ihr Zurückgehaltenwerden geistlichen Reichtum den Heiden gebracht hat, wieviel mehr (Segen werden die Heiden empfangen, wenn Israel) die volle Christuserkenntnis (empfängt)“. Der Leser ist gespannt, von welch einem übergroßen Segen der Apostel hier spricht. Im ebenfalls abgekürzt formulierten V. 15 wird das Rätsel gelöst: „Wenn schon ihre Ablehnung (Christi) der Welt die Versöhnungsbotschaft gebracht hat, was wird dann ihre Annahme (Christi) anderes mit sich bringen als „Leben aus Toten“? Was meint Paulus hier? Es kann hier nur die Auferstehung von den Toten gemeint sein, und zwar, weil der Steigerungssatz einen übergroßen Segen erwarten lässt, die Auferstehung des Lebens bzw. die Entrückung der Gemeinde.

Wenn Israel Christus erkennt und annimmt, dann werden die Ersten die Letzten sein (Mt 19,30). Israel ist der „Erstgeborene Gottes“, das Auserwählungsvolk, durch das Gott die Menschheit segnen will. Aber die Auserwählung hat der übergroßen Mehrzahl von ihnen bis jetzt noch keinen Segen gebracht. Aber dann, ganz zuletzt, am Ende dieses Äons, wenn die Gnadenzeit für die Völker abgeschlossen ist, wenn Christus als Richter und ewiger König wiederkommt, dann wird ein heiliger Überrest aus Israel Christus erkennen. Dann werden sie den Geist der Gnade und des Gebets empfangen (Sach 12,10) und es wird eine nationale Buße geschehen, wie es sie in Israel noch nie gegeben hat. Sie werden Jes 53 beten. „Fürwahr, er trug unsre Krankheit und lud auf sich unsere Schmerzen. Wir aber hielten ihn für den, der geplagt und von Gott gemartert wäre. Aber er ist um unsrer Missetat willen verwundet und um unsrer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihn, auf dass wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt“ (Jes 53,4 und 5). Nach 1 Kor 1,22 sucht Israel Wunder. Dann, wenn Christus leibhaft vor ihnen erscheint, werden sie ihn endlich erkennen. Als „Letzte“ werden sie dann der Gemeinde Jesu eingegliedert und vom wiederkommenden Christus in den Himmel entrückt, ihrer Himmelsbürgerschaft entgegen (Phil 3,20 und 21).

Aber damit sind Gottes Wege mit Israel noch nicht am Ende. Seit der Sinaiverheißung (2 Mose 19,5 und 6) sind sie zu einem heiligen und priesterlichen Königsvolk bestimmt. Wenn Christus seine Gerichtshandlungen vollendet hat und sich das Neue Jerusalem auf die Erde gesenkt hat, dann wird sich auch diese gewaltige Verheißung erfüllen.

6.)  „Ganz Israel wird errettet“ (Röm 11,26)

Über diese Aussage wurde schon viel gerätselt. Eine rein numerische Auslegung verbietet sich, weil die Frage, wer denn mit „ganz Israel“ gemeint ist, gar nicht zu beantworten ist. Alle Juden, die jemals gelebt haben? Alle Juden, die z.Zt. der Wiederkunft Jesu leben? Alle Juden, die dann von der Nationalbuße ergriffen werden, weil sie Christus erkennen?

Naheliegender ist es, den Ausdruck „ganz Israel“ in Parallele zur „Vollzahl der Heiden“ zu sehen, die in 11,25 erwähnt wird. Auch diese Zahl ist keine Zählzahl, sondern meint alle Heiden, die nach Gottes Ratschluss zur Errettung auserwählt sind. So wird es sich auch bei „ganz Israel“ verhalten. Es sind alle jüdischen Menschen, die seit Pfingsten durch den Heiligen Geist zu Kindern Gottes wurden. Wenn der heilige Überrest aus Israel, der in der endgeschichtlichen Drangsalzeit an der Hoffnung auf den himmlischen Messias festgehalten hat, Christus erkannt und angenommen hat, dann ist „ganz Israel“ errettet.

7.)  „Gottes Gaben und Berufung können ihn nicht gereuen“ (Röm 11,29)

Gottes Strafgerichte sind unbegreiflich. Die langen Straf- und Gerichtszeiten, die Israel im Lauf seiner Geschichte durchlebt und durchlitten hat, sollten dieses Volk nicht zerstören, sondern läutern. Um seiner Zusagen willen, die er den Erzvätern Israels gegeben hat, hält er ihren Nachkommen die Treue. Er kommt mit Israel zum Ziel. Die Sinaiverheißung ist an den Gehorsam Israels gebunden. Israel ist das einzige Volk, das nach dem biblischen Zeugnis eine Ewigkeitsgarantie hat. „Denn wie der neue Himmel und die neue Erde, die ich mache, vor mir Bestand haben, spricht der Herr, so soll auch euer Geschlecht und Name Bestand haben“ (Jes 66,22). Im Anschluss an die Gerichtsakte Christi wird es also ein neues Israel geben. Satan ist dann endgültig in den Feuersee geworfen (Offb 20,10). Die Menschheit ist erlöst von jeglicher Verführung. Israel wird ein gehorsames Herz haben. Die dann lebenden Völker werden zum Neuen Jerusalem pilgern, um Christus zu suchen und ihm zu huldigen (Offb 21,24-26). Dann sind alle Dinge „zu Gott“, und er ist alles in allem (Röm 11,36).