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Die geistigen und kulturellen Ursachen der demographischen Katastrophe und unsere Antwort als Christen

Die geistigen und kulturellen Ursachen der demographischen Katastrophe und unsere Antwort als Christen

Hinführung: Befinden wir uns wirklich in einer demographischen Katastrophe?

Was eine Katastrophe ist, bleibt letztlich immer Auslegungssache. Aber darin sind sich alle einig, daß es sich bei einer Katastrophe sowohl hinsichtlich der Größenordnung und Folgenschwere als auch hinsichtlich des für viele überraschenden Auftretens um ein besonders schweres Unglück handelt. Diese Kriterien treffen auf die derzeitige und die bis 2050 vorherrschende demographische Lage in Deutschland und Europa zu.

Wenn die Geburtenrate eines Landes seit 30 Jahren förmlich abstürzt wie in Deutschland und die Bevölkerung über diesen Sachverhalt nur unzureichend aufgeklärt ist, wenn seit den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts das sog. „Erwerbspersonenpotential“, also die Menschen im Alter von 20 bis 40 Jahren, jedes Jahr um mehrere Hunderttausend Personen abnimmt, wenn die Volksvertreter und die gesellschaftlich relevanten Gruppen nicht willens und nicht in der Lage sind, den Nachwuchs eines Volkes wirksam zu schützen, dann darf man diese Tatsachen nicht mit den Euphemismen „demographischen Faktor“ oder „demographischen Wandel“ bezeichnen, sondern dann liegt eine Katastrophe vor.

Der Demograph Prof. Herwig Birg stellt fest: „Es ist dreißig Jahre nach Zwölf, heute kann selbst ein Anstieg der Geburtenrate auf die ideale Zahl von zwei Kindern je Frau die Alterung für Jahrzehnte nicht mehr abwenden“.

Der katastrophale Charakter der demographischen Entwicklung ist zwar erst seit einigen Jahrzehnten offenbar, doch Kenner der Lage wußten es schon lange, daß in Deutschland die Anzahl der Lebendgeborenen bereits seit dem Ende des 19. Jahrhunderts beständig abnimmt. Bis etwa 1930 wurden noch so viele Kinder geboren, daß die Bevölkerungszahl insgesamt gehalten wurde. Aber seitdem sinkt die Geburtenrate langsam unter das Bestandserhaltungsniveau von 2,1 Lebendgeborenen pro Frau. Zwar gab es in den 60er Jahren für ein paar Jahre den sog. Nachkriegs-Babyboom, aber etwa seit 1970 pendelt sich die Geburtenrate bei einem mittleren Wert von etwa 1,35 ein, wobei dieser sich zusammensetzt aus dem Wert von 1,9 bei den Ausländern und von 1,2-1,3 bei den Deutschen. Deutschland befindet sich heute zusammen mit Spanien, Italien, Lettland, der Ukraine, Tschechien, der Slowakei, Slowenien, Moldavien, Bulgarien und Weißrußland unter den Ländern mit der weltweit niedrigsten Geburtenrate (d.h. von 200 Ländern). Die Bevölkerungszahl in Deutschland profitiert noch bis etwa 2010 von der relativ hohen Geburtenrate bis 1930 und von den Ausländern mit deutscher Staatsangehörigkeit. Doch in wenigen Jahren geht es unweigerlich bergab mit der Bevölkerungszahl, von derzeit 82 Mio. bis auf ca. 36 Mio. im Jahre 2100, wenn es bei der derzeitigen extrem niedrigen Geburtenrate bleibt.

Schon heute sind die Anzeichen der demographischen Katastrophe mit Händen zu greifen. Windelhersteller stellen ihre Produktion auf Seniorenwindeln um. Kinderschuhhersteller wie Salamander und Elefanten mußten 2004 Insolvenz anmelden, weil die Kunden ausblieben. Im Bundesland Brandenburg mußten wegen Schülermangels bis Ende 2004 von 645 Grundschulen 172 geschlossen werden. Bis 2008 werden dort die Oberschülerzahlen gegenüber 1998 um 40 % sinken. Der sächsische Ministerpräsident Prof. Milbradt führte in einem Vortrag 2003 aus, daß in Sachsen die Zahl der Abiturienten zwischen 1999 und 2010 von 2020 auf weniger als die Hälfte zurückgehen wird. In Walsrode wird demnächst das Freibad schließen. Die demographische Katastrophe hat uns mittlerweile alle erreicht. Ein Kindergarten im Umkreis von Walsrode wurde vor 10 Jahren für 25 Kinder eingerichtet und war in den ersten Jahren voll. Jetzt sind es 15 Kinder, und das sind alle Kindergartenkinder, die in dieser Ortschaft z. Zt. leben.

1. Die kulturellen Ursachen der demographische Katastrophe

Unser Thema nennt zwar die geistigen Ursachen vor den kulturellen, aber in der Analyse ist es ratsam, mit den kulturellen zu beginnen. Nicht die Kultur prägt den geistigen Habitus eines Volkes, sondern umgekehrt die in einer Gesellschaft wirksamen geistigen Strömungen und Haltungen prägen die Kultur. Wenn wir die kulturellen Ursachen in den Blick bekommen, dann wird es uns leichter fallen, die geistigen herauszufinden. Erst wenn wir diese gefunden haben, wird es möglich sein, Strategien zur Überwindung der demographischen Katastrophe zu definieren und die spezifische Antwort der Christen zu formulieren.

In der demographischen Lage eines Volkes spiegelt sich seine gesamte geistige und kulturelle Verfassung. Hier drückt sich seine innere Prioritätenliste, seine Werteskala, seine Zukunftsverantwortung und seine Fähigkeit zum Krisenmanagement am unmittelbarsten aus, vorausgesetzt, man versteht die Sprache der Zahlen, Kurven und Vergleiche. Das ist wie in der Chemie, Physik, Medizin oder Mathematik. Hier, denke ich, ist ein gewaltiges Lernfeld für uns Christen entstanden.

Wenn wir nach den kulturellen Ursachen der demographischen Katastrophe fragen, müssen wir uns im klaren sein, daß sich in der jeweiligen Kultur eines Volkes eine Vielzahl von Segmentkulturen niederschlägt wie z.B. die Rechtsauffassungen, der medizinische Fortschritt, das Selbstverständnis der Medien, die politischen Rituale, die Tabus und die Autoritäten, um nur einige zu nennen. Wer nach der Kultur fragt, muß also immer das weite Spektrum kulturgestaltender Institutionen, Normen und Tabubrüche bedenken.

Die demographische Entwicklung eines Volkes ist das Ergebnis vieler kultureller Einflußfaktoren. Ich liste im folgenden zehn solche Faktoren auf, die auf die demographische Entwicklung in Deutschland eingewirkt haben und einwirken. Es sind sowohl Faktoren, die in der demographischen Literatur immer wieder genannt werden, als auch solche, die ich selbst hinzufüge.

1.1

Unser umlagefinanziertes Sozialversicherungssystem wird von den Demographen als eine der Hauptursachen für den Kindermangel genannt. Hans-Werner Sinn, der Direktor des Münchner Ifo Instituts für Wirtschaftsforschung, drückt das Problem folgendermaßen aus: „Das wohl großzügigste Rentensystem der gesamten Welt hat Deutschland zum Weltmeister beim Tourismus gemacht und eine atemberaubende Infrastruktur mit Seebädern und Vergnügungsvierteln auf Mallorca, den Kanaren und vielen anderen Inseln der Welt geschaffen. Kaum irgendwo sonst wird den Aktiven so viel von ihrem Arbeitseinkommen weggenommen, wie es in Deutschland geschieht, um den Alten ein auskömmliches Transfereinkommen zu sichern. Wenn aber die Dink-Generation selber alt ist („Dink“ = Double income no kids), dann wird sie vergebens darauf hoffen, das Rentner-Leben ihrer Eltern zu kopieren. Dann fehlen die Beitragszahler, die zur Finanzierung der Renten in der Lage wären“. Unser Sozialversicherungssystem, zumindest was die Rentenversicherung betrifft, geht auf die große Rentenreform unter Konrad Adenauer im Jahr 1957 zurück. Der Kerngedanke war, daß der jeweils im aktiven Arbeitsprozeß stehende Bevölkerungsteil die Ruheständler finanziert, und zwar unabhängig davon, ob diese Kinder hatten oder nicht. Die wenigen ungewollt Kinderlosen waren in die Segnungen dieses Rentensystems miteinbezogen. Daß aber mittlerweile über ein Drittel der geburtsfähigen Frauen keine Kinder hat und demzufolge immer mehr kinderlose Menschen ins Rentenalter eintreten, die von diesem System profitieren, ohne es durch Kinder unterstützt zu haben, hat man sich damals nicht vorgestellt (Adenauer: „Kinder kriegen die Leute von alleine“). 2001 hat das BVG diese mittlerweile eklatante Ungerechtigkeit angeprangert. Es liegt auf der Hand, daß unser derzeitiges Sozialversicherungssystem die Kinderlosigkeit belohnt und dringend verändert werden muß.

1.2

Eine politische Ursache dafür, daß Politiker sich mit langfristig wirkenden Entscheidungen schwertun, liegt in unserem Wahlrecht. Der Rhythmus von vier Jahren führt und verführt zu kurzfristig wirkenden Maßnahmen. Demographische Entwicklungen lassen sich aber, wenn überhaupt, nur langfristig beeinflussen. Insofern haben demographisch wirksame politische Maßnahmen im Tagesgeschäft unserer Politiker keine Lobby und schlechte Aussichten auf Verwirklichung.

1.3

Zur Realität unserer Kultur gehört auch, daß die Bevölkerungspolitik der Nationalsozialisten wie ein Damoklesschwert über der demographischen Wissenschaft in Deutschland lag und liegt. Herwig Birg stellt fest: „Deutschland betreibt seit dem Zweiten Weltkrieg keine Bevölkerungspolitik mehr“. Das bedeutet, daß ein halbes Jahrhundert Politik und Öffentlichkeit an den Erfordernissen einer an der Überlebensfähigkeit Deutschlands orientierten Bevölkerungspolitik vorübergingen. Herwig Birg fügt mit Recht hinzu: „Die Definitionsmacht der Nazis über den Inhalt des Begriffs Bevölkerungspolitik ist mit ihnen untergegangen. Dieses Land muß die Souveränität über seine Sprache wiedergewinnen, ohne die es keine geistige und auf Dauer auch keine politische Souveränität geben kann“.

1.4

Als ab 1965 in Deutschland die Antibabypille im größeren Ausmaß eingenommen wurde, sackte die Geburtenrate, die sich damals nach dem Nachkriegsbabyboom ohnehin schon senkte, noch einmal um etwa 200 000 Kinder im Jahr ab, wie aus den entsprechenden Schaubildern ersichtlich ist. Von diesem „Pillenknick“ hat sich die deutsche Bevölkerung bis heute nicht erholt. Was viele Jahre von vielen als Instrument der sexuellen Selbstbestimmung der Frau verstanden worden ist, erweist sich langfristig als Negativfaktor für die demographische Entwicklung.

1.5

Ein wesentliches kulturelles Segment nehmen in unserer Informationsgesellschaft die Medien ein. Die Wechselwirkung zwischen Gesellschaft und Medien schlägt in Bezug auf das familiale und generative Verhalten voll zu Buche. In Serien wie „Gute Zeiten schlechte Zeiten“ kommt die normale Familie kaum vor. Statt dessen wird eine Scheinwelt selbstverantwortlicher Jugendlicher vorgeführt, in der Sexualität als Lustfaktor eine große Rolle spielt, Ehe und Eltern aber nur noch ganz am Rand ins Bild kommen. Eine Ermutigung zur Gründung von Ehe und Familie geht weder von solchen Serien noch von der Mehrzahl der Fernseh- und Kinofilme aus. Ganz im Gegensatz zur deutschen Medienkultur betonen übrigens die nordamerikanischen Fernsehserien den Wert der Familie. In diesen Zusammenhang gehört auch die unerträgliche jugendliche Scheinwelt in unserer Werbung, die erheblich zur Infantilisierung und Familienfeindlichkeit unserer Gesellschaft beiträgt. Auf einem vom Bundespräsidenten ins Leben gerufenen „Forum Demographischer Wandel“ wurde kürzlich dieser Zusammenhang vom Oberbürgermeister von Frankfurt/Oder ausgeführt. „Die Infantilisierung des Erwachsenenlebens im Horizont von Pop, Fernsehen und Tourismus trägt das ihre dazu bei, daß sich selbst Fünfunddreißigjährige noch nicht vorstellen können, Familienvater zu sein. Jugendliche kriegen keine Kinder“.

1.6

Seit dem 1.10.1995 ist die geltende Abtreibungsregelung in Kraft. Ein Schwangerschaftsabbruch ist danach zwar rechtswidrig, bleibt aber straffrei, wenn ein Beratungsgespräch nachgewiesen wird. Bernhard Büchner, der Vorsitzende der Juristen-Vereinigung Lebensrecht e.V., hat im Oktober 2005 in einem Resümee festgestellt, daß sich das sog. Beratungsgespräch mehr und mehr als „kollektiver Selbstbetrug“ erweist. Nach Recherchen in 14 Bundesländern sagt er, daß es nur wenige Fälle sind, bei denen das Leben des ungeborenen Kindes gerettet wird. „Beratene Abbrüche“ werden ihm zufolge im Alltag „wie rechtmäßiges Geschehen“ behandelt. Die innere Fehlkonstruktion des § 218 hat also in unserem Volk in zehn Jahren zu einer deutlich erkennbaren Perversion des Rechtsbewußtseins geführt. Büchner betont, daß nur etwa 60% der Schwangerschaftsabbrüche dem Statistischen Bundesamt gemeldet werden, so daß mit erheblich mehr als 200 000 Abtreibungen pro Jahr gerechnet werden muß. Addiert man dazu die 200 000 durch die Antibabypille verhinderten Kinder, dann verdanken wir, sarkastisch gesprochen, dem medizinischen Fortschritt und dem deutschen Gesetzgeber einen jährlichen Verlust von etwa 400 000 Kindern. Die geltende Abtreibungsregelung – von Abtreibungsrecht getraut man sich gar nicht zu sprechen – produziert aber neben den Kindestötungen noch einen weiteren Unrechtstatbestand. Indem sie in etwa 90% der Abtreibungsfälle den Krankenkassen mit Landesmitteln, also mit allgemeinen Steuermitteln, die Kosten ersetzt – immerhin mit etwa 40 Mio. € im Jahr -, macht sie alle Steuerzahler zu indirekten Mittätern. Es ist erstaunlich, daß der Bund der Steuerzahler auf diesen Umgang mit Steuermitteln noch nicht seinen Finger gelegt hat! Claudia Kaminski, die Vorsitzende der Aktion Lebensrecht für alle, stellte im Herbst 2004 fest, daß die Bundesländer seit 1996 den Krankenkassen für die Tötung der Ungeborenen Kosten in Höhe von mehr als 250 Mill. € erstattet haben.

1.7

Auch die weiteren drei Ursachen sind juristischer Art. Zunächst ist das deutsche Scheidungsrecht zu nennen. Auch hier scheut man sich schon fast, von „Recht“ zu reden. Nach erfolgter Scheidung bürdet das Scheidungsrecht dem mehrverdienenden Teil die Unterhaltszahlung des anderen Teils und, falls vorhanden, der minderjährigen Kinder auf. Im Regelfall sind es die Männer und Väter, die hier zur Kasse gebeten werden. Gleichzeitig verzichtet die Rechtssprechung auf Ursachenforschung für das Auseinandertriften einer Ehe. Der bewußt aus der Ehe strebende Teil kann also, wenn er der minderverdienende ist, nach der Scheidung auf Kosten des anderen an der Ehe festhaltenden Teils leben. Es liegt auf der Hand, daß diese juristische Konstruktion besonders auf junge Männer keine ehe- und familienstimulierende Wirkung ausübt.

1.8

In den letzten Jahren und Jahrzehnten hat der Gesetzgeber zwei ehefeindliche gesellschaftliche Trends anerkannt. Zunächst sind die nichtehelichen Partnerschaften zu nennen. Der Gesetzgeber hat diesen Verbindungen immer mehr rechtliche Zugeständnisse gemacht. Derzeit leben etwa 2 Mio. Paare in einer nichtehelichen Partnerschaft, mit zunehmender Tendenz. Ein zweiter Trend liegt in der Homosexuellen- und Lesbenbewegung vor, die es ebenfalls erreicht hat, im sog. Lebenspartnerschaftsgesetz aus dem Jahr 2000 eine staatlich anerkannte Rechtsform zu bekommen und damit auch eine neue Rechtsnorm zu begründen. In beiden Fällen hat der Gesetzgeber seine Verpflichtung nach dem Grundgesetz Art. VI, Ehe und Familie besonders zu schützen, versäumt. Besonders das Lebenspartnerschaftsgesetz ist, demographisch gesehen, tief problematisch. Der Staat unterstützt damit eine Verbindung, die unmittelbar darauf angelegt ist, ohne eigene Nachkommen zu bleiben. Er untergräbt also willentlich und wissentlich seine eigene Zukunft. Die Auswirkungen dieses Gesetzes auf die öffentliche Wertigkeit von Ehe und Familie insbesondere in ihrer Einschätzung durch junge Menschen dürften ausgesprochen destruktiv sein.

1.9

Schließlich möchte ich auf eine Ursache für den Kindermangel in Deutschland hinweisen, die wenig gesehen wird. Ich meine die Pornographiefreigabe für Volljährige, wie sie seit 1973 rechtlich verankert ist. Man findet mittlerweile im Internet unter dem Stichwort „Pornographie“ über 3 Mill. Einträge. Durch die Pornographie wurde und wird die Würde der Frau zerstört. Die Frau wird zum Objekt sexueller Lust des Mannes entwürdigt. Das in jeder Frau liegende Mutterbild wird überlagert, sowohl für sie selber als auch für ihre Umgebung. Die Seele insbesondere des Mannes wird mit einer Bilderwelt belastet, die eine Eigendynamik entwickelt und in der Ehe ein von Rücksichtnahme und Zärtlichkeit bestimmtes Sexualleben behindert. Die durch die Pornographie entwürdigte Frau verliert die Achtung vor dem Mann. Damit werden zwei wichtige Voraussetzungen für eine stabile Ehe und Familie zerstört: hingebungsfähige Liebe seitens des Mannes und Achtung des Mannes durch die Frau.

1.10

Ein nicht zu unterschätzender kultureller Faktor sind auch Kollektivschlagworte, Kollektivängste und Kollektivsehnsüchte. Sie können das Verhalten einer Gesellschaft stark prägen. Die Werbung macht sich ja diese Effekte mit Wonne zu eigen. Das Thema Kinder ist von solchen kollektiven Verhaltensmustern nicht frei. Eine diffuse Zukunftsangst oder die Angst vor einer befürchteten „Überbevölkerung“ können durchaus das generative Verhalten beeinflussen. Auch Christen übernehmen solche Schlagworte schnell. In einer weitverbreiteten Bibelausgabe wird z.B. zu Ps. 128,5f. „Der Herr wird dich segnen aus Zion, daß du siehst das Glück Jerusalems dein Leben lang und siehst Kinder deiner Kinder“ ausgeführt: „In unseren Tagen der Überbevölkerung empfinden viele in Kindern nicht mehr so stark Gottes Segen, eher eine Belastung“. Liest man demgegenüber Fachdemographen, wird man in die Rede von einer angeblich drohenden Überbevölkerung nicht mehr einstimmen. Laut den neuesten Bevölkerungsprognosen der UNO, die die AIDS-Pandemie einkalkulieren, wird die Weltbevölkerung von heute ca. 6,5 Milliarden bis zum Jahr 2050 auf eine Zahl von etwa 9,5 Milliarden (mittlere Prognosevariante) ansteigen. Die Zahl der Hungernden nimmt derzeit trotz wachsender Weltbevölkerung nicht zu, sondern leicht ab. Nach Herwig Birg wird aufgrund eines weltweiten Rückgangs der Fertilität die Zunahme der Weltbevölkerung um 2070 den Zenit überschritten haben.

2. Die geistigen Ursachen der demographischen Katastrophe

Nachdem wir uns die kulturellen Ursachen des Kindermangels vergegenwärtigt haben, gehen wir an die Aufgabe heran, die geistigen Ursachen, die zu der derzeit herrschenden kinderfeindlichen Kultur geführt haben, zu untersuchen. Chronologisch geordnet, stoßen wir im Blick auf die letzten 50 Jahre auf vier wichtige Weichenstellungen, die den aufgeführten kulturellen Ursachen die intellektuellen Impulse geliefert haben.

2.1

Die eben aufgeführten juristischen Entscheidungen (die Gesetzgebung zur Abtreibung, zur Scheidung, zu nichtehelichen und gleichgeschlechtlichen Partnerschaften und zur Pornographie) wurden alle im Namen eines bestimmten Menschenbildes gefällt. Es ist das autonome Menschenbild, das Bild des Menschen, der sich von jeder sog. Fremdbestimmung löst und sein Leben aus sich selbst heraus entwirft. Einen klassischen Ausdruck dieses Menschenbildes findet man in der Aussage des früheren Staatsministers für Kultur Nida-Rümelin: „Es gibt keine externen Kriterien für die richtige Wahl der Lebensform“. Dieses Menschenbild ist in seiner Konsequenz die vollständige Verkehrung des christlichen Menschenbildes, wonach jeder Mensch als ein Beziehungswesen erschaffen ist und ein sinnerfüllendes Leben durch gelingende Beziehungen findet, und zwar in doppelter Weise, mit Gott und mit seinen Nächsten. Daß sich, beginnend im 19. Jahrhundert, das autonome Menschenbild über viele Mutationen hinweg bis in die genannten Gesetze hinein durchsetzen konnte, deckt den Bedeutungsverlust des Christentums in der Postmoderne schonungslos auf.

2.2

Unter dem Einfluß des Neomarxismus kam es in den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts in den westlichen Gesellschaften zu einer Neubewertung der Sexualität. Nach Herbert Marcuse strebt jeder Mensch danach, das in ihm angelegte Lustprinzip gegen das ihm von der Gesellschaft auferlegte Realitätsprinzip auszuleben. Wenn ihm das verwehrt wird, entsteht ein sog. unglückliches Bewußtsein, das den Menschen pervertiert und zu einem gesellschaftsangepaßten profillosen Menschen macht, den sog. „eindimensionalen Menschen“. Für Marcuse ist jeder Mensch zu einer „polymoph-perversen“ sexuellen Praxis angelegt, und er bezieht Glücksempfinden, wenn er seine spezifische Form sexuellen Lustgewinns praktiziert. Diese Definition von Sexualität nimmt sie vollständig aus dem geschöpflichen Bezugsrahmen der Ehe und aus ihrer göttlichen Bestimmung der Fruchtbarkeit und ehelichen Kommunikation heraus. Daß sie in Schule, Medien, Gesetzgebung und öffentlicher Geltung einen nahezu totalen Einfluß gewonnen hat, läßt wiederum einen tiefen Einblick in die heutige Randstellung des Christentums zu. In einer Frauenzeitschrift wird über die Dauer des Intimverkehrs debattiert, ohne daß das Stichwort Ehe überhaupt noch fällt.

2.3

Ein dritter maßgeblicher geistiger Faktor für das Klima der Kinderfeindlichkeit in unserer Gesellschaft ist das Schweigen der evangelischen Kirche. Anstatt den beiden genannten kulturrevolutionären Angriffen auf das christliche Menschenbild und die christliche Sexualethik entschieden entgegenzutreten, ist die offizielle evangelische Kirche in das Fahrwasser der Postmoderne eingeschwenkt. Man kann natürlich fragen, inwiefern ein Schweigen als geistige Ursache für gesellschaftliche Prozesse angesehen werden kann. Die Antwort ergibt sich, wenn man bedenkt, daß das abendländische Ehe- und Familienethos seine Wurzeln in der jüdisch-christlichen Ethik hat. Wenn dieses Ethos nicht mehr als das maßgebliche vertreten wird, entsteht unweigerlich ein geistiges Vakuum, das dann anders gefüllt wird. 1991 hat die Synode der Evang.-Luth. Kirche in Bayern in der sog. Rosenheimer Erklärung festgestellt, daß niemand das Recht habe, einer schwangeren Frau im Konfliktfall die letzte Entscheidung über Leben und Tod ihres ungeborenen Kindes abzunehmen. Diese Aussage ist nichts anderes als der Sieg des autonomen Menschenbildes in der evangelischen Kirche! Bis heute ist es bibelorientierten Gruppen innerhalb der bayerischen Landeskirche nicht gelungen, die Synode zu einer Rücknahme dieser Feststellung zu bewegen. Weder von den übrigen evangelischen Landeskirchen noch vom Rat der EKD ist eine öffentliche Kritik an der Rosenheimer Erklärung bekannt geworden. Wenn eine maßgebliche Institution, die noch etwa ein Drittel der deutschen Bevölkerung vertritt, das christliche Menschenbild und die christliche Sexualethik nicht mehr zum Wohl des Kindes und im Interesse von Ehe und Familie durchzusetzen versucht, wer soll dann in unserem Volk einen Gesinnungswandel voranbringen?

2.4

Mit der Verabschiedung des sog. Lebenspartnerschaftsgesetzes im Jahr 2000 ist weit mehr geschehen als in der Öffentlichkeit wahrgenommen und diskutiert wurde. Hier wurde erstmals in der deutschen Rechtsgeschichte eine Lebensform unter staatlichen Schutz gestellt, die der jüdisch-christlichen Sexual- und Eheauffassung vollständig entgegensteht. Man kann sagen, daß es hier mit politisch legalen Mitteln erstmalig in Deutschland zur Durchsetzung eines gegenchristlichen Menschenbildes kam. Hatte die 1995 beschlossene Neufassung des § 218 immerhin noch die Rechtswidrigkeit der Abtreibung wenigstens formell festgestellt und damit an der jüdisch-christliche Tradition festgehalten, so verabschiedet sich das Lebenspartnerschaftsgesetz aus dieser Tradition endgültig. Eine neue bewußtseinsverändernde Norm entsteht. Eine Lebensform wird staatlich sanktioniert, die ausdrücklich die Sexualität aus ihrer Bestimmung der Fruchtbarkeit herausnimmt. Dieses Gesetz wird die Einstellung in unserem Volk zu Ehe, Familie, Sexualität und Kindern mehr verändern als alle anderen aufgeführten Gesetze zusammen.

3. Was können wir Christen tun?

Angesichts der demographischen Entwicklung in unserem Land stehen wir Christen vor enormen Herausforderungen. Als Menschen, die verpflichtet sind, „der Stadt Bestes“ zu suchen (Jer. 29,7), dürfen wir nicht abseits dieser dramatischen Vorgänge stehen. Ich möchte jetzt aber nicht auf die zahlreichen Möglichkeiten politischer Einflußnahme näher eingehen, die unsere Gesellschaftsform den Christen bietet und die jeder von uns wahrnehmen kann. Es wären da z.B. die Lebensrechtsorganisationen und die Einflußmöglichkeiten auf die Medien zu nennen. Auch die neuerdings geforderte neue Wertschätzung des Alters wird bestimmt von Christen unterstützt werden. Eine viel wirkungsvollere Einflußnahme ist nach meiner Überzeugung möglich, wenn wir uns den genannten geistigen Ursachen für die demographische Katastrophe zuwenden. Katastrophen beginnen im Kopf und im Herzen. Hier gilt es anzusetzen. Wir stehen vor der Aufgabe, diese lebensfeindlichen und hoffnungszerstörenden Leitbilder zu durchschauen und an deren Stelle lebens- und hoffnungsstiftende Ideen zu setzen. Es ist ein großer geistig-geistlicher Kampf, auf den wir uns einlassen müssen. Ich möchte ihn abschließend anhand der aufgezählten vier geistigen Ursachen beschreiben.

3.1

Das autonome Menschenbild der Postmoderne hat keine Zukunft. Es isoliert den Menschen und nimmt ihm Entfaltungsmöglichkeiten. Es betrügt ihn um wesentliche seelische Grunderfahrungen, weil es ihm Geborgenheit, Heimat und Treue vorenthält. Unzerstörbare Geborgenheit kann ich nur erfahren, wenn ich mich der Autorität Gottes anvertraue. Heimat kann ich in einer heimatlosen Welt nur erfahren, wenn ich sie als Vorahnung auf die Bürgerschaft im Himmel erlebe (Phil. 3,20). Treue im zwischenmenschlichen Bereich ist vor allem in der Ehe erfahrbar, wenn ich sie als auf Lebenszeit eingesetzte göttliche Stiftung ernstnehme. Wenn dem Menschen Autonomie eingeredet wird, dann wird er skeptisch gegen Vorbilder und Leitbilder. Genau diese braucht er aber, um die in ihm liegenden seelischen Potenzen zur Entfaltung zu bringen. Und schließlich: Der Mensch ist ein Beziehungswesen. Sinnerfüllung kann er nur erleben, wenn seine Beziehungen funktionieren, und zwar die Beziehung zu Gott und zu seinen Mitmenschen. Das alles wissen wir Christen, aus dem Wort Gottes und aus Erfahrung. Trotzdem tun wir uns so schwer, unser Wissen in der Verwandtschaft, gegenüber den Lehrern unserer Kinder, im beruflichen Umfeld zu vertreten.

Eine auf Autonomie des Einzelnen aufgebaute Ehe hat keine Zukunft. Wir sehen vor unseren Augen Ehen in der Krise und kaputtgehen. Wir wissen, wie eine Ehe geheilt werden kann. Wenn der Mann bei Christus Hingabe lernt, wenn die Frau auf ihr Dominanzstreben verzichtet. Eine auf Autonomie gegründete Kindererziehung kann nicht gutgehen. Das Kind braucht die liebende Autorität der Eltern. Es braucht Training in Gehorsam. Das alles wissen wir. Wir müssen es nur wieder anwenden und selbstbewußt vertreten. Das ist unser Beitrag zur Überwindung des autonomen Menschenbildes. Schlechtes muß durch Gutes überwunden werden. Das ist die Maxime des Apostels Paulus (Röm. 12,21). Es genügt nicht, das Schlechte zu kritisieren. Wir müssen etwas Besseres dafür anbieten.

3.2

Die Isolierung der Sexualität aus ihrer Bestimmung zur Fruchtbarkeit und ihr ausschließlicher Gebrauch zum persönlichen Lustgewinn müssen auf Dauer scheitern. Niemand läßt sich auf Dauer sexuell ausbeuten. Wer im sexuellen Akt nur sich selbst sucht, schädigt die Beziehung. Das gilt innerhalb und außerhalb der Ehe. Christen können weiter blicken. Sie verdanken es der Einsicht eines Nichtverheirateten, Paulus, daß Sexualität ein kommunikatives Geschehen ist. „Ihr Ehemänner, gebt die Verfügung über eure Sexualität ab an eure Frauen. Ihr Ehefrauen, gebt die Verfügung über eure Sexualität ab an eure Männer“ (1. Kor. 7,3f.). So und nicht anders bleibt die eheliche Sexualität eine Quelle der Freude und festigt die Gemeinschaft. Das ist eine tiefe Wahrheit, die jede egozentrische Begründung der Sexualität meilenweit übersteigt.

Die Antibabypille erleichtert die o.g. Isolierung. Sie ist eben nicht nur ein medizinischer Eingriff, sondern sie produziert eine Haltung. Die Möglichkeit der Zeugung wird grundsätzlich ausgeklammert. Das Kind als Gabe Gottes wird grundsätzlich abgelehnt. Und dabei wird der Frau der Umgang und das Vertrautsein mit ihrem eigenen Körper abtrainiert. Und sie wird verfügbar gemacht und zum Sexualobjekt degradiert. Diejenige Form von Familienplanung, die dem christlichen Wissen von der Geschöpflichkeit des menschlichen Körpers und dem christlichen Freiheitsethos gemäßer ist, das ist und bleibt nach meiner Überzeugung die von Josef Rötzer und anderen entwickelte sympto-thermale Methode der Beobachtung der Prozesse des weiblichen Körpers.

Der Pornographieboom (260 Millionen pornographische Internetseiten!) deutet weniger einen moralischen Verfall der Menschheit an als vielmehr eine gähnende Lust- und Freudlosigkeit des sexuellen Geschehens. Christen haben einen besseren, weil schöpfungsgemäßeren Zugang zur Sexualität. Ein gewaltiger Vorteil und Vorsprung“!

3.3

Das bedauernswerte Schweigen der evangelischen Kirche zur demographischen Entwicklung und zur postmodernen Kulturrevolution stellt die Christen vor die Aufgabe, stellvertretend das Wort zu ergreifen. Dazu haben sie nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht. Der Einfluß des autonomen Menschenbildes und der neomarxistischen Auffassung der Sexualität ist so groß, daß sowohl in der Gemeinde als auch in der Gesellschaft ein großer Aufklärungsbedarf besteht. Nur eine umfassende Aufklärung über das christliche Menschenbild und den gottgewollten Sinn der Sexualität vermag mittel- und langfristig eine Bewußtseinsänderung in unserem Volk auszulösen.

Dabei muß es um die Aktualisierung des biblischen Wortes gehen. Wir Christen müssen die zeitlose Wahrheit der biblischen Offenbarung neu entdecken, gerade auch im Blick auf das Menschenbild, auf Ehe, Familie, Sexualität und Erziehung. Wir müssen uns selber neu schulen. Ehe- und Ehevorbereitungsseminare müssen zum selbstverständlichen Angebot jeder Gemeinde gehören. Mitarbeiterschulungen sind nötig, bei denen die Fähigkeit zur geistigen Auseinandersetzung mit den genannten Zeitströmungen vermittelt wird. Und last but not least: unsere eigenen Ehen und Familien gilt es neu am Wort Gottes auszurichten. Nur wenn wir selber in überzeugenden Ehen und Familien leben, können wir andere überzeugen.

3.4

Die staatliche Aufwertung der Homosexualität und die staatliche Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften stellt die Christen vor neue und ganz besondere Herausforderungen. Zum ersten Mal seit dem Dritten Reich entscheidet sich die Politik gegen elementare Grundsätze der christlichen Ethik. Auch in dieser Problematik gilt es, den Grundsatz von Röm. 12,21 zu praktizieren. Es kann nicht darum gehen, Menschen moralisch zu kritisieren. Vielmehr muß Hilfe angeboten werden. Es gehört zu den großen Versäumnissen der kirchlichen Diakonie, daß sie bis heute kein Netz von Ansprechpartnern für veränderungswillige Menschen mit homophiler Neigung aufgebaut hat. Hier müssen Christen aktiv werden. Im Blick auf 1. Kor. 6,9-11 gilt es, ihnen Mut und Hoffnung für eine Veränderung ihrer Neigungen zu vermitteln. Jeder Mensch, der in homosexuellen bzw. lesbischen Beziehungen gelebt hat und durch den Glauben an Jesus Christus eine Veränderung seiner sexuellen Ausrichtung erlebt hat, ist ein Hoffnungszeichen für andere.

Gleichzeitig ist christliche Aufklärungsarbeit nötig, die homosexuelle Praxis deutlich als widernatürlich, schöpfungswidrig und sündhaft vor Gott benennt und zur Umkehr zu Jesus Christus auffordert. Die totale Infragestellung der christlichen Ethik durch das Lebenspartnerschaftsgesetz muß deutlich betont werden. Principiis obsta! Widerstehe den Anfängen! An dieser Stelle hat sich der demokratische Staat gegen das Christentum entschieden. In welchen Lebensbereichen wird er es noch tun?