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Ein Wahrzeichen der Weltoffenheit und ein Fragezeichen, wie offen dort der Islam ist

Dienstag 27. Oktober 2015 von Dr. Friedmann Eißler


Dr. Friedmann Eißler

Für ein christliches Vorzeigeprojekt in der Mitte Berlins hat sich die Evangelische Kirche einen Partner ins Boot geholt, dessen Islamverständnis Zweifel weckt.

An einem Ursprungsort Berlins, auf dem Petriplatz in Berlin-Mitte, soll auf Initiative der Evangelischen Kirche für 43,5 Millionen Euro ein „neues Wahrzeichen der Weltoffenheit und Toleranz Berlins“ entstehen. Seit der Vorstellung des Konzepts 2009 ist das Projekt, das zuerst als interreligiöser Sakralbau, dann als „Bet- und Lehrhaus“, seit 2014 als „The House of One“ angekündigt wird, einigen Wandlungen unterlegen. Geblieben ist die Idee, dass Christen, Juden und Muslime einander gleichberechtigt und respektvoll begegnen und unter einem Dach beten. Geblieben ist auch die Frage, wer denn muslimischer Dialogpartner sein kann und sein wird.

Die Partnersuche gestaltete sich schwierig. Zwar war ein Vertreter des progressiven Judentums bald gefunden, doch von muslimischer Seite – die Katholische Kirche blieb von Anfang an auf Distanz – wurde dem ambitionierten Projekt größte Zurückhaltung entgegengebracht. Schließlich wurde die Zusammenarbeit mit dem Forum für Interkulturellen Dialog e.V. gesucht. Das FID Berlin ist ein kleiner, aber wichtiger Verein der nicht wenig umstrittenen Gülen-Bewegung in Deutschland, die gerade keine muslimische Gemeinde repräsentiert, sondern im Gegenteil bisher auf religiöse Diskretion gesetzt und gezielt säkulare Bildung etwa durch Einrichtung von Schulen in freier Trägerschaft lanciert hat. Da die Gülen-Bewegung auch innerislamisch umstritten ist, dürfte sich die Hoffnung auf die mittelfristige Einbeziehung weiterer muslimischer Partner kaum erfüllen.

Gülen – was ist denn das?

Das Netzwerk des einflussreichen türkisch-amerikanischen Predigers Fethullah Gülen gründet weltweit Kindergärten, Schulen, Universitäten und andere Bildungseinrichtungen. Viele haben bunte Namen wie Regenbogen, Harmonie, Eventus, Primus, Atlantik oder einfach Lernstube. Die Gülen-Bewegung erlebt seit Jahren eine dynamische Entwicklung. Tatkräftige finanzielle Unterstützung erfährt sie dabei von einem weit gespannten und gut organisierten Netz von Wirtschaftsunternehmen. In Deutschland betreiben Gülen nahestehende Träger weit über 300 Vereine, 24 staatlich anerkannte Privatschulen und rund 150 außerschulische Nachhilfeeinrichtungen.

Hinzu kommen rund ein Dutzend Zentren und Vereine für interkulturellen Dialog und seit einem Jahr die „Stiftung Dialog und Bildung“, die so etwas wie das offizielle Gesicht der Gülen-Bewegung ist. Die internationale Mediengruppe World Media Group AG im hessischen Offenbach vereint Zeitungen wie Zaman Avrupa, Radio- und Fernsehsender wie Samanyolu TV Avrupa und Ebru TV, Zeitschriften wie Zukunft sowie das Deutsch-Türkische Journal (DTJ), ein Online-News- und Debatten-Portal, unter einem Dach.

Im Bundesverband der Unternehmervereinigungen (buv) sind etwa zwanzig regionale Mitgliedsverbände mit rund 5000 Unternehmen registriert. In der Türkei haben sich die Unternehmer unter dem Dach der TUSKON („Turkish Confederation of Businessmen and Industrialists“) zusammengetan. Hier und in den Schul- und Kursgebühren liegen die Haupteinnahmequellen der Gülen-Anhängerschaft. Die wenigsten Vereine machen ihren Bezug zu Gülen kenntlich. Zulauf und Beteiligung kommen fast ausschließlich aus türkeistämmigen Milieus.

Dass die Gülen-Bewegung mittel- und langfristig plant, macht auch der Erwerb eines 84 000 qm großen Grundstücks mitten in Berlin-Spandau deutlich. Auf dem Gelände einer ehemaligen Kaserne soll ein bislang einzigartiger Bildungscampus entstehen, der vom Kindergarten bis zur Hochschulreife alles an einem Standort anbieten wird. Das Engagement von Menschen mit Migrationshintergrund in der Mitte der Gesellschaft für Dialog und Bildung ist vielen in Deutschland hochwillkommen. Allerdings irritiert ein zweiter Blick.

Hizmet.

Muhammed Fethullah Gülen wurde 1941 im Nordosten der Türkei geboren. Er genoss eine traditionelle religiöse Bildung und vertritt ein türkisch-sunnitisches, konservativ geprägtes Islamverständnis. Ihm geht es, zugespitzt, nicht um einen modernen Islam, sondern um den Islam in der Moderne. Bei der Umsetzung der Ziele wird pragmatisch vorgegangen. Die Anhänger bevorzugen die Bezeichnung „Hizmet-Bewegung“.

Hizmet heißt „Dienst“: Der Mensch ist berufen, sagt Gülen, seinem Schöpfer aktiv zu dienen. Darin besteht der Sinn seines Lebens. „Ein erfolgreiches Dienen im Islam in Übereinstimmung mit dem Weg des Propheten ist nur durch eine Islamisierung des Lebens mit all seinen Institutionen möglich“, schreibt Gülen. Der Dienst Gott gegenüber ist zugleich nie ohne den Dienst an den Menschen zu denken. So gehören Wissenschaft und Glaube, Bildung und Religion aufs engste zusammen.

Gülen erklärt: „Die Religion leitet die Wissenschaft an, bestimmt ihr wahres Ziel und stellt ihr moralische und universelle menschliche Werte zur Verfügung“, und: „Wissenschaft und Religion können einander gar nicht widersprechen, denn beide verfolgen das eine Ziel, die Natur und den Menschen … zu verstehen. … Das Ende dieses Konflikts [zwischen Wissenschaft und Religion; F. E.] und ein neuer Erziehungsstil, der religiöse und wissenschaftliche Erkenntnisse miteinander verbindet, werden zusammen mit Moralität und Spiritualität für die Aufklärung der Menschen sorgen.“ In über sechzig Publikationen allein auf Deutsch zeigen sich die inhaltlichen Konstanten der Bewegung. Sie liegen im Wesentlichen im Islamverständnis Fethullah Gülens.

Schariavorbehalt.

Der Islam ist Gülen zufolge durch die Verbindung von Wissenschaft und Glauben anderen Religionen überlegen. Die Religion – das heißt der Islam – ist eine „Straße zur Vervollkommnung der Menschen“, und „eine Wissenschaft, die den Menschen nicht in Richtung der erhabenen Ziele führt, ist ein Trugbild“. Die Überlegenheit des Islam besteht darin, dass er das Potenzial hat, dem dekadenten materialistischen Westen Werte zu vermitteln, die diesem abhanden gekommen sind – vor allem Moral und Ethik.

Hintergrund der Überlegenheitsrhetorik, der man überall in den Schriften Gülens begegnen kann, ist eine religiös-theologisch überhöhte Dichotomie zwischen „dem Islam“ und „dem Westen“. Der Islam besitzt, das ist der Anspruch im Unterschied zu den anderen Religionen, die für ein gelingendes Zusammenleben unabdingbaren „unveränderlichen Prinzipien“ und „die universellen ethischen Werte, die bereits von den Gesellschaften der ersten Menschen anerkannt und akzeptiert wurden“. Der Islam hat nach dieser Auffassung jene „unveränderlichen Prinzipien“ in konkrete und menschenverständliche Normen gegossen, die als „Scharia“ überliefert worden sind.

Es handelt sich daher mitnichten um (philosophisch, theologisch, politisch) diskutierbare Werte, sondern um die in der islamischen Tradition vorgegebenen Regeln und deren verbindliche Auslegung, die wohl „den Staatsgebilden der Menschen einen gewissen Spielraum lassen“, jedoch „der Gesellschaft nicht geopfert werden dürfen“, wie Gülen betont. Mit Begriffen wie Recht, Gerechtigkeit, Tugend und Moralität spricht er häufig auf diese grundlegenden Zusammenhänge an.

Auch wo die fünf Grundrechte des Individuums auf „Leben, Glauben, Vernunft, Eigentum und Familie“ angesprochen werden, wird gerade nicht auf unveräußerliche individuelle Menschenrechte Bezug genommen, sondern auf das von der Scharia verbriefte Recht verwiesen (das etwa Männer und Frauen ungleich behandelt und keine Religionsfreiheit kennt). Das traditionelle Bild der Frau, das dem Mann das Erziehungs- und Züchtigungsrecht über seine Frau zuspricht und Frauen nicht nur erworbene, sondern auch charakterliche Schwächen wie Unzuverlässigkeit und Parteilichkeit zuschreibt sowie der Frau „das Anrecht auf Respekt“ abspricht, „wenn sie sich unsittlich benimmt“, wird teilweise pragmatisch modifiziert, jedoch nicht grundsätzlich angetastet.

Werden solche Perspektiven eingenommen und für allgemeingültig erklärt, sprechen wir von einem Schariavorbehalt im Blick auf die Akzeptanz der demokratischen Verfassungen in „westlichen“ Gesellschaften. Die islamische Religion wird ganzheitlich verstanden als Regelsystem für alle – privaten und öffentlichen – Lebensbereiche, das allen politischen, sozialen und wirtschaftlichen Systemen überlegen ist. Gülen formuliert teils moderat: „Als Besitzer eines Glaubenssystems mit einer anderen Geschichte und Essenz haben wir dem Westen …, aber auch der Menschheit in ihrer Gesamtheit einiges zu bieten“ – teils explizit: So stellt er die Demokratie als menschliche, variable Größe dar, die gegenüber der Religion, die „Regeln und Werte für das menschliche Leben“ bereithält, als defizitär erscheint. Der Islam gibt in diesem Weltbild die Grundprinzipien vor, denen auch Politik und Gesellschaft folgen müssen.

Zentrum und Peripherie.

Die Pflege des von Gülen vermittelten Islamverständnisses geschieht hauptsächlich in kleinen, verbindlich organisierten und nach Geschlechtern getrennten Wohngemeinschaften von Freiwilligen, die auch in der Regel ehrenamtlich für die gemeinsame Sache tätig sind. In den sogenannten „Lichthäusern“ wird das Leben nach der Religion ausgerichtet und der „Dienst“ für die Sache Gottes eingeübt. Von hier aus bilden sich konzentrische Kreise. Je weiter die Aktivitäten in die gesellschaftliche Öffentlichkeit wirken, desto selbstverständlicher wird die Beteiligung von engagierten Freiwilligen bis hin zu völlig Außenstehenden, die etwa als Lehrerinnen und Lehrer an „Gülen-Schulen“ angestellt sind. Noch weiter ist der Kreis des jeweiligen schulischen Umfeldes, aus dem sich neue Interessenten für die inneren Zirkel oder Sponsoren gewinnen lassen.

Fazit.

Hinter den Aktivitäten der Gülen-Bewegung stehen ein starker gesellschaftspolitischer Wille, ein großes persönliches Engagement vieler Ehrenamtlicher und eine Vision für Deutschland, dem Islam und islamischen Werten in der Mitte der Gesellschaft mehr Ansehen und Geltung zu verschaffen. Das Gülen-Schrifttum durchzieht eine programmatische Orientierung an einem konservativ-islamischen Gesellschaftsbild, das in wichtigen Aspekten der Menschen-, insbesondere der Frauenrechte, der Meinungs- und Religionsfreiheit sowie der Trennung von Religion und Staat der Werthaltung der Mehrheitsgesellschaft entgegensteht.

In der Türkei ist Hizmet in der langjährigen, inzwischen zerbrochenen Allianz mit der Regierungspartei AKP von Präsident Erdogan zu einem unübersehbaren Machtfaktor geworden. Heute tobt dort ein offener Machtkampf. Hierzulande – unter ganz anderen Vorzeichen – vollzieht sich der Kampf um Macht und Einfluss fast unbemerkt. Die Diskrepanz zwischen dem säkularen Bildungsdiskurs nach „außen“ und dem konservativ islamischen Diskurs nach „innen“ wird wenig beachtet. Viele sehen Gülen und seine Anhängerinnen und Anhänger daher als Reformer, die traditionelle Frömmigkeit mit einem moderaten Islamverständnis verbinden – liberal, unpolitisch und dialogisch.

Es wäre viel gewonnen, wenn die Zugehörigkeit der zahllosen „Gülen-Vereine“ zur Bewegung transparent gehandhabt würde. Wenn die religiös-ideologische Ausrichtung hinter den Begriffen „Dialog und Bildung“ offen kommuniziert würde. Religiöse Motivation für das gesellschaftliche Handeln ist legitim – wenn sie klar erkennbar und damit diskutierbar ist. Auch für „Gülen-Angebote“ gilt: Es muss drauf stehen, was drin ist. Mit dem „House of One“ soll in der Mitte Berlins ein „neues Wahrzeichen der Weltoffenheit“ entstehen. Hoffentlich wird es zumindest ein Wahrzeichen der Offenheit seiner Träger.

Dr. Friedmann Eißler, Der Hauptstadtbrief – Informations- und Hintergrund-Dienst aus Berlin, 10.9.2015 

Leseempfehlung: 

Friedmann Eißler (Hg.), Die Gülen-Bewegung (Hizmet). Herkunft, Strukturen, Ziele, Erfahrungen, EZW-Texte 238, Berlin 2015, 220 S.

Die Gülen-Bewegung wird so kontrovers beurteilt wie keine andere islamische Bewegung. Das global agierende Netzwerk des türkisch-amerikanischen Predigers Fethullah Gülen ist auch in Deutschland ein viel diskutiertes Thema. Es engagiert sich in Vereinen und Initiativen vor allem in den Bereichen Dialog, Bildung und Wirtschaft.

„Liberale Bildungsbewegung“ oder „islamistischer Wolf im Schafspelz“? Politikerinnen und Politiker, Entscheidungsträger in kommunalen Verwaltungen, Dialogpartner aus Kirche und Gesellschaft und interessierte Bürgerinnen und Bürger fragen nach den Hintergründen, Strukturen und Lehren des islamischen Hizmet-Netzwerks.

Der neue EZW-Text informiert in siebzehn Fachartikeln und Diskussionsbeiträgen – auch Beiträge aus der Türkei (M. Şen, H. Avcı) sowie eine Darstellung aus der Innenperspektive sind enthalten –, und stellt damit erstmals in diesem Umfang Material für eine differenzierte und kritische Auseinandersetzung zur Verfügung.

Der neue erschienene EZW-Text kann hier bestellt werden:  http://www.ezw-berlin.de/html/119_6935.php (Dort auch weitere Informationen)

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The House of One hat eine Website: www.house-of-one.org

Die „Stiftung Dialog und Bildung“, eine Art offizielles Gesicht der Gülen-Bewegung in Deutschland, finden Sie auch im Internet: www.dialog-und-bildung.de

 

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Dienstag 27. Oktober 2015 um 17:12 und abgelegt unter Gesellschaft / Politik, Kirche, Weltreligionen.