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Segnungs-Gottesdienste für Menschen in Eingetragenen Lebenspartnerschaften?

Ein Blick auf die Begründungen in der Handreichung der Hannoverschen Landeskirche

Die Landeskirche Hannover legte im Herbst 2014 erstmals einen liturgischen Entwurf für Segnungen von Partnern vor, die in einer Eingetragenen Lebenspartnerschaft leben. In der Einführung schreibt Landesbischof Ralf Meister: die Kirche lädt im Unterschied zu bis dahin möglichen Fürbitt-Andachten erstmals ein zu einem „öffentlichen Gottesdienst der Segnung, wie er von vielen Paaren gewünscht wird.“ (Seite 5-7 der Handreichung).

Die folgenden Anmerkungen beziehen sich schwerpunktmäßig auf Teil I der dreiteiligen Einführung; hier stellt Bischof Meister seine theologisch grundsätzlichen Überlegungen vor.

(1) Ausgangspunkt aller seiner Überlegungen ist für ihn zunächst das biblische Zeugnis vom Menschen als Gottes Geschöpf mit der Bestimmung von Mann und Frau zum Ebenbild und Gegenüber Gottes. „Damit sind Mann und Frau in besonderer Weise aufeinander bezogen und aneinander gewiesen. Dem entspricht die besondere Würdigung der Ehe, wie sie sich auch im Trauhandeln der Kirche abbildet.“ Soweit, so gut, aber: Auffällig ist sofort: bereits beim Hinweis auf diesen Text bleiben zwei konstitutive Elemente des programmatisch wegweisenden Textes ausgeblendet: die generative Dimension des biblischen Geschlechter-Ethos, die alle Zukunfts-Generationen übergreift, wie auch der kulturschöpferische Gestaltungsauftrag an das Miteinander von Mann und Frau („. . . seid fruchtbar und mehret euch und machet euch die Erde untertan!“ s. Gen. 1,26 – 28).

Der willkürlich selektive Umgang mit dem markanten Text und seinem ganzheitlichen Skopus! Dies signalisiert exegetisch und systematisch-theologisch eine Zentralproblematik: eine schmalspurige Pseudo-Bibelbindung, wie sie zur Zeit der großen theologiewissenschaftlichen Arbeit im 20. Jahrhunderts auf Bischofsebene undenkbar war.

(2) Auffällig ist weiter: im selben Absatz führt er für die Ehe ein ethisches Kriterium ein, das anno 2010 im Kommentar zum EKD-Pfarrdienstgesetz auftaucht (§ 39): „In der Ehe leben Menschen in Verlässlichkeit, Verbindlichkeit und Verantwortung miteinander.“ Dies wurde bereits im Ansatz konzipiert als Plädoyer für homophil Praktizierende in eingeschlechtlichen Lebenspartnerschaften; hier aber wird dies vorab als normative Autorität für „die Ehe“ in Anspruch genommen. Indem dieser – in sich auch unzureichende – Kriterienkatalog jetzt der Realität „Ehe“ unterlegt wird, kann Ralf Meister nun die vermeintlich realistische Vorstellung einer „Analogie“, einer Fast-Parallele, zwischen den anthropologisch sehr unterschiedlichen Beziehungsstrukturen suggerieren.

Mit dieser Argumentation liegt eine tendenziöse Mogel-Logik vor, die eine ethische Täuschung und eine folgenreiche Selbsttäuschung bewirkt. Fazit: Auf diese Weise wird allenfalls ein Ehe-Surrogat konstruiert, mit dem man sich de facto belügt. Seelsorgerisch hilf- und segensreich hingegen wäre für die Betroffenen alleine der Aufbau von echten, nicht-sexualisierten Freundschaften (Philia).

(3) Im nächsten Absatz heißt es auffällig generalisierend im Sinn eines soziologischen Fakts: „Menschen leben auch in anderen Beziehungsformen.“ Dem folgt sofort der Hinweis auf die seit 2001 eingeführte Rechtsform einer Eingetragenen Lebenspartnerschaft. Erneut bemüht Bischof Meister hier den Gedanken einer vermeintlichen Analogie zur Institution Ehe, wieder unter Ausblendung der anthropologischen Differenz zwischen eingeschlechtlicher Beziehung (Beziehungs-Struktur) einerseits und geschöpflich hetero-erotischer Binnen-Struktur in der Ehe andererseits: „Auch“ [!] diese Rechtsform stelle „eine Gemeinschaft in Verlässlichkeit, Verbindlichkeit und Verantwortung dar.“ Der Zugriff auf juristische Beschreibung ermöglicht hier eine Ver-Oberflächlichung der Realitäts-Beschreibung.

Exkurs: Das genuin biblisch-christliche Kriterium monogamer Treue taucht bei Ralf Meister in dieser Argumentation erst gar nicht auf. Vielleicht weiß er ja davon, dass in homosexuell-erotischen Beziehungsstrukturen Forderung nach ganzheitlich-monogamer Treue-Bindung, insbesondere bei Männern, aufgrund der inneren Psychodynamik eine Überforderung wäre. Renommierte Lobby-Vertreter wie Volker Beck MdB und andere unterscheiden deshalb stets programmatisch zwischen „sozialer Treue“ und „sexueller Treue“ – mit allen Praxis-Folgen. Mit Berufung auf die vermeintlich analoge Rechtsform und seine „analoge“ Kriterien-Trias folgert Bischof Meister noch v o r seiner theologischen Reflexion: „Als Kirche [!] begrüßen wir daher, wenn in gleichgeschlechtlicher Beziehung lebende Menschen eine eingetragene Lebenspartnerschaft eingehen und diese unter Gottes Wort und Segen stellen.“

(4) Bischof Meister sieht, dass dies als Argumentationsbasis zu schmalspurig, ja theologisch leer wäre. Deshalb folgt (N.B. erst jetzt) die für ihn maßgebliche, gültige hermeneutische Zentralüberlegung; diese löst sich jetzt aber endgültig von der anthropologisch bipolaren Beziehungsstruktur und dem biblisch bezeugten Segnungshandeln Gottes (Gen 1, 26 – 28): „Das Angebot von Segnungen liegt begründet in unserem Gesamtverständnis der Heiligen Schrift: Leben aus der Freiheit Christi bedeutet Freiheit zur Verantwortung und zur Verbindlichkeit. Das gilt auch für das Leben in Beziehungen. Sie sind ein Abbild der Treue des göttlichen Liebesbundes mit dem Menschen.“ Die Flucht in die Abstraktion eines „Gesamtverständnisses“ der Heiligen Schrift, sein Rekurs auf ein „Leben aus der Freiheit Christi“ ohne konkrete Anbindung an biblisches Gebotsethos, das abgehobene Ausweichen auf generell personale Beziehungen, welcher Art auch immer, und die Selbstermächtigung, dass freie „Angebote“ von Segnungen gemacht werden können – all dies wird gemeinsam bemüht und aufgeboten, um der claritas scripturae auszuweichen bzw. diese getrost hinter sich zu lassen! Man fragt sich schon: Wo sind da die einst hoch gebildeten Theologen im Landeskirchenamt geblieben, die dem Bischof hilfreich hätten zur Seite stehen können, um ihn vor solchem Blendwerk und solchen Blamagen zu bewahren?

Es geht „weiter im Text“, siehe dort Teil I, Seite 5, rechte Spalte Mitte:

(5) Bischof Meister betont: „Uns ist bewusst, dass es in unserer Kirche kritische Anfragen an die Segnung von Menschen in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften gibt.“ Denn: an keiner Stelle der Bibel wird homosexuelle Praxis „als dem Willen Gottes entsprechend bezeichnet“; dem entspreche Jesu Rückgriff auf die schöpfungstheologischen Aussagen von Gen. 1 und 2. R. Meister formuliert nun als Einwand dagegen: „Wir gehen davon aus, dass Homosexualität in der Bibel kein eigenständiges Thema ist und die biblischen Schriften sowie eine in Treue gestaltete gleichgeschlechtliche Partnerschaft gar nicht im Blick hatten.“ –

Als Ausgangspunkt ist dies richtig; niemand bestreitet dies. Spezialthemen sind generell in ihre ethischen Sach-Zusammenhänge eingebettet. Dass es aber jenes Sehnsuchts-Konstrukt, d.h. die Vorstellung von „in Treue gestalteten gleichgeschlechtlichen Partnerschaften“, biblisch und bis heute gar nicht schlüssig geben kann, liegt in der Logik der Sache selbst, sofern homosexuelle Praktiken tatsächlich dem Willen Gottes klar widersprechen. Die rein historischen Hinweise von Ralf Meister können als solche somit kein valider Einwand gegenüber Kritikern sein, die sich aus Gründen ihres Grundvertrauens in die Gültigkeit klarer Weisung der Heiligen Schrift (Thora!) – sowie aus weiteren, höchst lebensnahen Gründen und bis heute weltweit und ökumenisch – gebunden sehen.

Ralf Meister fährt fort: „Die kritischen Schriftworte zu homosexueller Praxis stehen für uns im größeren Zusammenhang der Verkündigung Jesu Christi, die die Liebe Gottes zu allen Menschen und die Verantwortung füreinander in den Mittelpunkt stellt (Mk 12,28 – 34; Gal 6,2). In der Gemeinde Jesu Christi sind Unterschiede von Herkunft, Geschlecht und sexueller Orientierung aufgehoben (vgl. Gal 3,28).“ Kommentar: So richtig und wichtig der erste der beiden Sätze ist (sofern man denn „Liebe“ und den Willen Gottes für das, was „Verantwortung“ meint, recht versteht), so verfehlt und Sinn-entstellend ist die Zitierung und Deutung von Gal 3,28 im zweiten Satz. Was genau zum rechten Verständnis von L i e b e und „Liebe G o t t e s“ zu sagen ist, ist zum Beispiel hilfreich gerade dem 1. Johannesbrief zu entnehmen (s. insb. Kap. 1,5-10; 2,3-6; 5,2 f.). Eindeutig verfehlt ist bereits die o.g. Auslegung von Gal. 3,28: Es geht für Paulus hier im Zusammenhang wie auch in der Konkretion unverkennbar um Gottes heilsgeschichtliches Handeln und gemeindliche Tauf-Paränese im Blick auf die qualitativ neue geschwisterliche Gemeinschaft in Jesus Christus und somit um die ganzheitliche Wertschätzung jeder Person, nicht aber um lebensfremde, schwärmerische Auflösung von leiblich-ethischen Realitäten im Gemeindealltag. Erst recht geht es für Paulus da nicht etwa um das Spezialthema „sexuelle Orientierungen“, wie Ralf Meister die Worte „weder Mann noch Frau“ applizierend auslegt. So wie oben begegnet uns in der Auslegung auch hier eine Kontext-vergessende, nur scheinbare Bibel-Bindung.

In der angelsächsischen Literatur wird Derartiges heute als „revisionistische Exegese“ bezeichnet. Sie ist kirchen- und zeitgeschichtlich anti-ökumenisch. Im Blick auf die konkreten kirchenleitenden Motive und Ziele verbindet sich gutwillige, aber inkompetente Gefälligkeitsabsicht mit einem eigenmächtigem Zugriff auf die Texte – fernab von einer Hermeneutik freier, vorurteilsloser Hörbereitschaft. Man sagt sich: Kein Wunder, bei einem solchen Verfahren hat dann auch das weitere paulinische Zeugnis mit all seiner Klarheit kein ernstzunehmendes Gewicht mehr.

(6) Die weiteren Teile der Einführung (II. und III., Seite 6f.) machen – trotz der Hinweise auf einige Unterschiede zwischen „Segnungs-Gottesdienst“ und „Trau-Gottesdienst“ in manchen Aspekten – keinen Hehl daraus, dass das gottesdienstliche Formular, das hier vorgelegt wird, mit allen seinen Anregungen sich maßgeblich („in weiten Zügen“) an der Trauung orientiert. Selbst Martin Luthers Traubüchlein kommt mit seinen drei konstitutiven Elementen ehrend zu Wort, an dem man sich auch hier zu orientieren habe: „Gottes Wort, Gebet und Segen“. Martin Luther würde sich, wenn er erfahren hätte, wie hier allein schon mit der Kategorie „Gottes Wort“ umgegangen wird, im Grabe umdrehen. Und wenn er heute die Gelegenheit dazu hätte, würde er mit der reformatorischen Botschaft neu – in Gesetz und Evangelium – dem lieblichen Schwärmertum den Kampf ansagen, wenn zu lesen ist: „Beiden Handlungen gemeinsam ist die vertrauensvolle Erwartung, dass Gott Menschen segnet, wo sie in Liebe und Verantwortung verlässlich miteinander leben wollen.“ Wüssten sie nur, was Liebe ist!

(7) Summa und zusammenfassende Kritik: Was an der ganzen einführenden Darlegung des Bischofs für theologische Laien noch als eine anspruchsvolle theologische Reflexion erscheinen mag, ist aus der Sicht wissenschaftlich-theologischer Arbeit, wie sie mit hohen Verdiensten im 20. Jahrhundert geleistet wurde, nur noch der beschämende Versuch eines Bischofs, die eigene „Goodwill“- und Gefälligkeits-Hermeneutik mit theologischer Sprachgestalt zu rechtfertigen wie auch zu überdecken. Das Motiv, das da zentral am Werk ist, klingt immerhin beiläufig, aber klar gleich am Anfang an: derartige öffentliche Gottesdienste der Segnung würden, so wörtlich, „von vielen Paaren gewünscht“. H i e r, an dieser Stelle, dürfte eine Spur für tiefere Wahrheitsfindung liegen, aber auch nur eine schmale und noch undeutliche Spur! Ob es in der Tat „viele“ Menschen sind, die sich damit ihren Wünschen an Pfarrerinnen und Pfarrer gewandt haben, mag einer genaueren Nachforschung überlassen bleiben.

Dass aber bei einer bestimmten Anzahl von schätzenswerten betroffenen Menschen echte Wünsche und große Sehnsüchte nach Liebe, Zuwendung, Bestätigung, Aufmerksamkeit, Anerkennung, Bejahung, tiefer Wertschätzung, Achtung, Beachtung, Freundschaft u.dgl.m. vorhanden sind, also glaubwürdig eine Rolle spielen, darf gewiss angenommen werden. Dies erst sind die Signale für die Seelsorge-Not! Um derartige Wünsche aber tiefer zu verstehen und mit ihnen auf eine wahrhaft liebevolle, kompetente und hilfreiche Weise umgehen zu können, dazu bedarf es einer ausgemachten Seelsorge-Kompetenz, die jeweils die betroffenen Menschen ganzheitlich von ihrer frühen Lebensgeschichte her zu verstehen weiß. Mit Erfüllung von allzu menschlichen und schönen Wunschvorstellungen ist betroffenen Personen in Wahrheit nicht gedient, im Gegenteil: so wird duftende Salbe auf tiefste Wunden gelegt, o h n e dass den Betroffenen in der Tiefe der verunsicherten Geschlechtsidentität real geholfen wird. Was die Landeskirche Hannover da auf den Weg gebracht hat, zeigt nur hohe Auslegungswillkür und das Seelsorge-Versagen an der tieferen Not von Betroffenen.

Langfristig bewirkt das nur Gottes Gericht über diese Art von häretisch-sektiererischer Kirche.

Rolf-Alexander Thieke, Pfr. und Rell. i.R.; am Israelsonntag 2015