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„Familienstruktur“ und Kindeswohl – der Irrtum der Ideologen

Freitag 31. Juli 2009 von Institut fĂĽr Demographie, Allgemeinwohl und Familie e. V.


Institut fĂĽr Demographie, Allgemeinwohl und Familie e. V.

„Familienstruktur“ und Kindeswohl – der Irrtum der Ideologen

Manche Politiker und Publizisten halten die Ansicht, dass Kinder möglichst mit ihrer leiblichen Mutter und ihrem leiblichen Vater aufwachsen sollten, für „mittelalterlich“. Sie entspringe einem „antiquierten Familienbild“ und nicht etwa der Sorge um das Kindeswohl. Schließlich sei für das Wohlergehen und die Entwicklung von Kindern nicht die Struktur der Familie, sondern die Qualität der innerfamilialen Beziehungen“ entscheidend (1).

Die Schlüsselrolle der Beziehungsqualität in der Familie für das Wohlergehen von Kindern ist evident. Dass das Aufwachsen in einer „klassischen“ Familie mit beiden leiblichen (verheirateten) Eltern allein keine glückliche Kindheit garantiert, ist ebenso offensichtlich. Unbestreitbar ist auch, dass viele Alleinerziehende, Stief- und Adoptiveltern alles in ihren Kräften stehende für das Wohl der Kinder in ihrer Obhut tun. Es ist jedoch voreilig, deshalb die „Struktur“ von Familien als für das Kindeswohl unerheblich zu erklären: Denn sie prägt ihrerseits die Qualität der Beziehungen von Kindern zu ihren Eltern, insbesondere zu ihrem Vater. So zeigen Untersuchungen, dass Jugendliche und junge Erwachsene, die mit einem Stiefvater bzw. Partner der Mutter zusammenleben, viel seltener eine sehr positive Beziehung zu diesem Vater haben und sich von ihm unterstützt sehen als diejenigen, die mit ihrem leiblichen Vater in einer Kernfamilie aufwachsen (2). Häufiger als in Kernfamilien mit beiden leiblichen Elternteilen aufwachsende Kinder fühlen sich Kinder von ihrem (sozialen) Vater in Stieffamilien bestraft. Sie erleben mehr Stress und beurteilen das Klima in ihrer Familie tendenziell schlechter als Kinder aus Kernfamilien (3). Dass sie – nach Erkenntnissen des Robert-Koch-Instituts – signifikant häufiger als Kinder aus Kernfamilien psychische Auffälligkeiten aufweisen, wird so verständlich. Erstaunlich ist allerdings, dass dies auch für Kinder aus Stief- bzw. Patchworkfamilien mit einem guten familiären Zusammenhalt gilt: Auch dieser Zusammenhalt (Zeit für Sorgen und Nöte der Kinder, gemeinsame Unternehmungen etc.) kann die nachteiligen Folgen der Trennung und des Fehlens eines leiblichen Elternteils (meistens des Vaters) nicht vollständig kompensieren (4).

FĂĽr das Wohl von Kindern ist also nicht nur die „Qualität der innerfamilialen Beziehungen“ bedeutsam, sondern auch die „Struktur“ der Familie: Das Aufwachsen mit beiden leiblichen Eltern dient – nicht in jedem Einzelfall, aber in der Regel – der psychischen Gesundheit von Kindern. Mit beiden biologischen Eltern aufwachsende Kinder sind nicht nur psychisch stabiler, sondern auch in der Schule erfolgreicher: Sie mĂĽssen in der Schule seltener eine Klasse wiederholen, besuchen seltener Haupt- oder Sonderschulen und erreichen häufiger einen höheren Schulabschluss als Kinder von Alleinerziehenden und aus Patchworkfamilien. Dem „Kinderpanel“ des Deutschen Jugendinstituts (DJI) zufolge wirkt sich die „Struktur“ der Familie sogar auf die Schulnoten aus: In Deutsch und Mathematik erzielen „Kernfamilienkinder“ bessere Ergebnisse als Kinder aus Stief- bzw. Patchworkfamilien (5). Besonders Jungen aus Eineltern- und Stieffamilien scheinen häufiger Probleme in der Schule zu haben: Nach Erkenntnissen aus dem DJI-Familiensurvey besuchen sie deutlich seltener das Gymnasium und mĂĽssen mehr als doppelt so oft (!) eine Klasse wiederholen wie mit ihrem leiblichen Vater aufwachsende Jungen (6).

International ist bekannt, dass ohne ihren leiblichen Vater aufwachsende junge Männer nicht nur häufiger Schulprobleme haben, sondern auch überdurchschnittlich oft delinquent oder sogar gewalttätig werden. Forscher kommen zu dem Schluss, dass die Präsenz bzw. Ab-wesenheit des leiblichen Vaters noch prägender für die Entwicklung von Jungen ist als die Qualität der Beziehung zum vorhandenen Vater (7).

Für die meisten Bundesbürger dürften solche Befunde wenig überraschend sein: Denn sie sind ohnehin davon überzeugt, dass ein Kind Vater und Mutter braucht, um glücklich aufzuwachsen (8). Politiker und Gesellschaftsreformer, die in der Vater-Mutter-Kind-Familie ein überholtes „Konstrukt“ aus vergangenen Zeiten zu erkennen meinen, dürften solche Erkenntnisse aus der empirischen Sozialforschung freilich weiterhin ignorieren.

Anmerkungen

(1) Dies behaupteten jüngst Politiker der Grünen und der Linksparte. Siehe: Die Welt vom 25. Juli 2009, http://www.welt.de/politik/deutschland/article4189980/Familienbild-der-Union-alsrealitaetsfremd-kritisiert.html. Sie stützen sich dabei auf die eine von Justizministerin Zypries vorgestellt Untersuchung zu Kindern in „Regenbogenfamilien“. Hier wird behauptet, dass nicht die „Struktur“, sondern die „Qualität der innerfamilialen Beziehungen“ entscheidend für die Entwicklung von Kindern sei. Dies scheint allerdings weniger ein Ergebnis dieser Untersuchung als vielmehr eine ihr zugrunde liegende Prämisse zu sein. Die Forschung zur Entwicklung von Kindern je nach „Struktur“ der Herkunftsfamilie bleibt außen vor. Vgl.: Marina Rupp (Hrsg.): Die Lebenssituation von Kindern in gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften, Köln 2009, S. 308.

(2) Vgl.: Sabine Sardei-Biermann: Soziale Nahwelt und Lebensverhältnisse in subjektiver Einschätzung, S. 87-130, in: Martina Gille et al.: Jugendliche und junge Erwachsene in Deutschland. Lebensverhältnisse, Werte und gesellschaftliche Beteiligung 12- bis 29-Jähriger, Wiesbaden 2006, S. 92.

(3) Zum Familienklima: Walter Bien et al.: Einführung: Stieffamilien in Deutschland, S. 9-20, in: Walter Bien et al. (Hrsg.): Stieffamilien in Deutschland. Eltern und Kinder zwischen Normalität und Konflikt, Deutsches Jugendinstitut: Familiensurvey Band 10 sowie ebenda: Angela Hartl: Zur Lebenssituation von Stiefkindern, S. 147-175. Zum Erleben von Stress: H. Gerhard Beisenherz: Dauerhafte Armut und Schulleistung, S. 207-238, in: Christian Alt (Hrsg.): Kinderleben – individuelle Entwicklungen in sozialen Kontexten, Band 5: Persönlichkeitsstrukturen und ihre Folgen, Wiesbaden 2008, S. 222-223.

(4) Vgl.: http://www.erziehungstrends.de/Seelische/Gesundheit.

(5) Vgl.: Marco Francesconi: Einfluss der Familienform auf den Schulerfolg von Kindern nicht nachweisbar, S. 165-169, DIW-Wochenbericht, 73. Jahrgang – Nr. 13, 29. März 2006. Francesconi stellt anhand von Daten des „Sozioökonomischen Panels“ fest, dass „Kinder aus nicht traditionellen Elternhäusern weniger häufig das Gymnasium besuchen und seltener einen höheren Bildungsabschluss erreichen. Weiterhin weisen sie eine höhere Arbeitslosenquote auf. Zudem rauchen sie häufiger“ (Ebenda, S. 167). Er führt dies im Folgenden auf die ungünstigere ökonomische Lage dieser Elternhäuser zurückzuführen. Auswertungen des Kinderpanels deuten dagegen darauf hin, dass das Aufwachsen in einer Stieffamilie unabhängig von ökonomischen Bedingungen einen eigenständigen negativen Einfluss auf die Schulleistungen von Kindern hat. Vgl.: H. Gerhard Beisenherz: Dauerhafte Armut und Schulleistung, op. cit., S. 223 und S. 228.

(6) Vgl.: Angela Hartl: Zur Lebenssituation von Stiefkindern, S. 147-176, in: Walter Bien et al.: Stieffamilien in Deutschland, op. cit., S. 161 und S. 165. Siehe Abbildung unten: „Familienstruktur und Schulerfolg von Jungen“.

(7) Vgl.: Helmut Thome/Christoph Birkel: Sozialer Wandel und Gewaltkriminalität. Deutschland, England und Schweden im Vergleich, 1950-2000, Wiesbaden 2007, S. 374-375.

(8) Vgl.: Charlotte Höhn et al. (Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung): Kinderwünsche in Deutschland. Konsequenzen für eine nachhaltige Familienpolitik, Stuttgart 2006 (Hrsg.: Robert Bosch Stiftung), S. 38-39. Siehe hierzu Abbildung unten: „Vater-Mutter-Kind-Familie – Ideal der Mehrheit“.

IDAF 31/32 – 2009

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Freitag 31. Juli 2009 um 12:18 und abgelegt unter Ehe u. Familie, Gesellschaft / Politik.