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Wahre und falsche Kirche. Biblisch-reformatorische Maßstäbe zur Beurteilung der kirchlichen Lage

Sonntag 29. März 2015 von Dr. Joachim Cochlovius


Dr. Joachim Cochlovius

Im Vorfeld der beiden Kongresse des Gemeindehilfsbundes zum Thema „Die Gemeinde in der Zerreißprobe zwischen Nachfolge und Verweltlichung“ wählte eine Tageszeitung für ihre Ankündigung die Schlagzeile „Zerreißprobe zwischen Anpassung und Christsein“. Offensichtlich konnte sie mit den Begriffen „Nachfolge“ und „Verweltlichung“ nichts anfangen. Zunächst war ich ärgerlich, dass unser Titel nicht übernommen wurde. Aber dann fiel mir auf, dass die Zeitung eine biblische Wahrheit ausgesprochen hat. Christsein ist in der Tat das Gegenteil von Anpassung. „Stellt euch nicht dieser Welt gleich“ (Röm 12,2), sagt Paulus. Christen sind berufen, die wahre „Alternative Liste“ zu sein. „Alter-nativ“ – das heißt ja „anders geboren“, nämlich von oben, aus Gott durch den Heiligen Geist. Sie sind berufen, wahre Kirche zu sein.Nach dieser wahren Kirche wollen wir fragen. Die täglichen Schlagzeilen zum Thema Kirche lassen uns schnell vergessen, dass es noch eine ganz andere Wirklichkeit der Kirche gibt. „Was die Kirche mit ihren Milliarden macht“; „Wird die Volkskirche bald zur Frauen-Kirche?“; „Die evangelische Kirche braucht dringend eine Reform“ (Titel aus Idea-Spektrum vom 11. März 2015). In solchen Berichten geht es um die Institution Kirche. Da hören wir, was Synoden beschlossen haben, was Bischöfe für Meinungen haben, was Kirchenleitungen für Veröffentlichungen herausgeben, was Pfarrer predigen oder nicht predigen. Aber Kirche hat noch eine andere, tiefere Dimension, und die möchte ich gern aufzeigen.

Das Wichtigste vorweg: Sie ist eine Stiftung Gottes für die Ewigkeit. Es gibt Kirche, seit es Menschen gibt, und es wird sie geben, solange es Menschen gibt. „Kirche“ kommt bekanntlich von „Kyrios“, „Herr“. „Kirche“ ist eine Gemeinschaft von Menschen, die der Kyrios, der Herr, sich zum Gegenüber bestimmt hat. Er tat dies schon z.Zt. des Alten Testaments. Er war der mitwandernde Fels, der Israel durch die Wüstenzeit begleitete (1 Kor 10,4). Er ist der präexistente Gottessohn, das ewige Wort Gottes (Joh 1,1). Alles ist durch ihn geworden. Und er wird das Lamm sein, das auf dem Thron Gottes im Neuen Jerusalem regieren wird von Ewigkeit zu Ewigkeit.

Ich möchte in meinem 1. Teil diese große Kyrios-Gemeinde einmal in den Blick nehmen, und ich erweitere dafür bewusst den herkömmlichen Begriff von Kirche. Ich werde auf vier Gestaltwerdungen, vier Manifestationen der Kirche blicken. Denn Christus, der Kyrios sammelt sich seine Leute in allen Epochen der Menschheits- und Heilsgeschichte. „Sammle, großer Menschenhirt, alles was sich hat verirrt, erbarm dich, Herr!“ („Sonne der Gerechtigkeit“, 3. Strophe). Wenn wir diese umfassende Kyrios-Gemeinde in den Blick nehmen, kommen wir der wahren Kirche auf die Spur und können sie besser unterscheiden von der falschen Kirch

1.       Vier Manifestationen der Kirche in Zeit und Ewigkeit

1.1       Kirche manifestiert sich zu allererst in Gott selbst

Im Augsburger Bekenntnis heißt es in Art. VII, dass die eine heilige Kirche allezeit bleiben wird. Ich meine, dass wir diese Aussage auch auf die Zeit vor Pfingsten beziehen dürfen, aber wir müssen natürlich die ganz unterschiedliche Gestalt bedenken, in der die Kirche vor und nach Pfingsten in Erscheinung tritt. Fragen wir zunächst nach dem Grund, warum es überhaupt die Kirche gibt. Wir glauben an einen Dreieinigen Gott, der als Vater, Sohn und Heiliger Geist in unvorstellbar inniger Liebe miteinander verbunden ist und der als Schöpfer, Erlöser und Vollender seiner Schöpfung unablässig tätig ist. Dieser Gott bleibt nicht bei sich. Er will seine Liebe seiner Schöpfung zuwenden, und vor allem, er will die Menschen als sein Gegenüber, und zwar „auf Augenhöhe“, Geschöpfe, die „wenig niedriger gemacht (sind) als Gott“ (Ps 8,6). Nach dem Theologen Peter Brunner liegt in diesem Wunsch Gottes sogar die eigentliche Ursache für das gesamte Schöpfungshandeln. Gott will, so Brunner, „dass dieser Bund der Liebe und damit das Wesen der Kirche in Raum und Zeit wirklich werde“ („Vom Wesen der Kirche“, 1962).

Gott sucht unsere Nähe, weil er uns sich selbst ähnlich machen will. Aus diesem Grund hat er Adam und Eva nach dem Fall im Paradies gesucht, suchte die Nähe Israels in der Stiftshütte, sucht jetzt als der Mensch gewordene Gottessohn die Nähe aller Menschen, und aus diesem Grund wird er auch im Neuen Jerusalem unter der neuen Menschheit wohnen. Man könnte sagen: während wir Menschen in den Himmel wollen, will Gott zu uns auf die Erde. Vater Bodelschwingh hat einmal für diese Sehnsucht Gottes ein wunderschönes Bild gebraucht. In einer Auslegung zu Mal 3,3, wo von Gott die Rede ist, wie er das Silber schmilzt, bis es rein ist, sagt Bodelschwingh, dass Gott unablässig aus der Kirche die Schlacken ausschmilzt, solange, bis er in ihr sein eigenes Antlitz erblickt. „Unter diesem Bilde wird die Läuterungs- und Reinigungsarbeit unseres himmlischen Schmelzers dargestellt, die er mit so viel Treue und Sorgfalt an unserer Seele vornimmt“.

Weil Gott ein redender Gott ist, sucht er die Menschen durch sein Reden. „So er spricht, so geschieht‘s“ (Ps 33,9). Die Kirche existiert, weil der lebendige Gott zu ihr spricht. Im Augsburger Bekenntnis ist deswegen dem Kirchenartikel der Artikel vom Predigtamt vorgeschaltet. Berühmt ist die Definition Luthers in den Schmalkaldischen Artikeln von 1537: „Denn es weiß, Gott Lob, ein Kind von 7 Jahren, was die Kirche sei. Nämlich, die heiligen Gläubigen und die Schäflein, die ihres Hirten Stimme hören“. Das griechische Wort für Kirche, das im N.T. verwendet wird, lautet ekklesia. Wörtlich übersetzt bedeutet es: die Herausgerufene.

Überall, in den Bekenntnisschriften und in der Heiligen Schrift, stoßen wir im Zusammenhang der Kirche auf das Rufen Gottes und das Hören des Menschen. Alle Manifestationen der Kirche gehen zurück auf die Sehnsucht Gottes nach Gemeinschaft mit dem Menschen.

1.2       Die Kirche als „Wolke der Zeugen“ (Hebr. 12,1)

Als Christen sind wir umgeben von einer unsichtbaren großen Schar von Zeugen. Quer durch die ganze Menschheitsgeschichte hat Gott Menschen gesucht und gefunden, schon lange vor der Menschwerdung des Gottessohns. Nach Hebr. 11 sind das unsere Glaubensväter und –mütter. Dabei ist jedem klar, dass sie nicht in unserem Sinn an Jesus Christus als ihren Herrn und Heiland glauben konnten. Ihr Glaube bestand vielmehr in einer demütigen Gesinnung vor Gott. Schon bei Micha heißt es „Es ist dir gesagt, o Mensch, was gut ist: Gottes Wort halten, Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott“ (Mi 6,8). Im N.T. heißt es „Den Demütigen gibt Gott Gnade“ (1 Petr 5,5; Jak 4,6). Was ist Demut? Ein demütiger Mensch weiß, dass er vor Gott ein Sünder ist und ganz und gar auf Gottes Gnade und Vergebung angewiesen ist.

In diesem Sinn war Abel ein gläubiger Mensch. Er brachte Gott ein blutiges Opfer „von den Erstlingen seiner Herde. Und der Herr sah gnädig an Abel und sein Opfer“ (1 Mose 4,4). Ob sich seine Eltern in ihrem weiteren Leben noch demütigten, wissen wir nicht. Aber Abel war demütig. Die Wolke der Zeugen, die wahre Kirche beginnt mit ihm. Man könnte auch sagen, dass eine Segenslinie durch die Zeiten beginnt. Seth – Lamech – Noah – Hiob – Sem – Abraham – Isaak – Jakob – Josef – Mose – Josua – Rahab – die Richter – Hanna – Samuel – David – die Propheten – Maria – die Jünger – Johannes der Täufer, und viele andere. Sie alle waren auf ihre Weise demütig vor Gott. Sie alle brachten Gott blutige Opfer dar, weil sie Vergebung ihrer Sünden suchten.

Paulus spricht in Röm 2 von Juden und Heiden, die geduldig mit guten Taten nach unvergänglichem Leben trachten und von Gott Herrlichkeit, Ehre und Frieden empfangen werden. Manche Ausleger halten diese Aussagen für rein hypothetisch, weil es solche Menschen gar nicht geben könne, weil ja alle unter der Sünde stehen (Röm 3,9). Aber man kann offensichtlich unter der Sünde stehen und trotzdem demütig sein und mit guten Taten nach dem ewigen Leben trachten. Jesus kennt in Mt 25 solche Menschen. Es sind diejenigen, die in der letzten Bedrängniszeit den verfolgten auf den Messias wartenden Juden beistehen werden. Jesus nennt sie „Gesegnete meines Vaters“, und er verspricht ihnen Anteil am Reich Gottes (Mt 25,34). Zweifellos: die Wolke der Zeugen ist groß. Sie alle stehen im Buch des Lebens, das Christus am Ende unserer Zeit auf dem Richterthron öffnen wird, und sie alle werden von ihm das Leben empfangen. Sie alle gehören zur Kyrios-Gemeinde, zur Kirche des Herrn. Nicht weil sie es mit ihren Taten verdient hätten, sondern weil er ihnen gnädig sein will. Ich zögere nicht, sie „Kirche“ zu nennen, denn sie gehören dem Kyrios, dem Herrn.

Neben der wahren Kirche, die es von Abel an gibt, gibt es seit Kain auch die falsche Kirche. Das sind die Menschen, die in ihrem Herzen hochmütig sind und Gott nicht die Ehre geben. Paulus sagt von ihnen, dass sie sich, obwohl sie ein Wissen von Gott haben, nichtigen Dingen zuwenden und damit ihr eigenes Herz verfinstern (Röm. 1,21). Sie bauen sich durch die Zeiten hindurch ihre eigenen Götter- und Götzenwelten und müssen deswegen immer wieder aufs Neue erfahren, dass Gott sie an die Begierden ihrer finsteren Herzen und an ihre nichtige Gesinnung dahingibt, das Gericht Gottes nach den Werken vor Augen. Ein trauriges Los!

1.3       Die Kirche als geistlicher Leib Christi

Zu Pfingsten geschieht etwas Unerhörtes. Am Fest der Darbringung der Erstlingsfrüchte wird eine Erstlingsschar aus Israel mit dem Heiligen Geist erfüllt. Ein blutiges Opfer brauchen sie nicht darzubringen, denn Christus hat sie durch seinen blutigen Opfertod mit Gott versöhnt und in seine Wirklichkeit versetzt. Das Wunder der Kirche Jesu Christi als Gemeinschaft geistlich neugeborener Menschen beginnt. Paulus wird wenige Jahre später in seiner Verkündigung dieses Wunder als „Leib Christi“ beschreiben.

Das Pfingstgeschehen ist voller Symbolik. Die auserwählten Erstlinge beginnen Gott in einer neuen Sprache zu loben. Etliche Umherstehende hören nur ein unverständliches Lallen, aber andere können die Sprache verstehen. Ein Sprach- und Hörwunder zugleich! Was geschieht hier eigentlich? Hier wird die eigentliche und letzte Bestimmung der Gemeinde Jesu vorweggenommen, nämlich Gott zu loben in Ewigkeit. Alle, die den Heiligen Geist haben, werden bei Christi Wiederkunft in eine neue Leiblichkeit hinein verwandelt. Sie dürfen dann ihr himmlisches Bürgerrecht einlösen, das ihnen Christus erworben hat (Phil 3,20f). Und sie werden Gott in einer neuen Sprache für seine Taten loben. Das ist unsere ewige Bestimmung als Leib Christi!

Christus als das geistliche Haupt seiner Kirche kümmert sich als der gute Hirte um seine Glieder. Er gibt uns, seinem geistlichen Leib, in göttlicher Fürsorge Leiter und Aufgaben. Die Leiter sollen die Gemeinde zur vollen Christuserkenntnis führen und zur praktischen Nächstenliebe anleiten (Eph 4,12-14). Die Paulusbriefe sind ein einziges Zeugnis dafür, wieviel Mühe sich der Apostel damit gemacht hat. Die Aufgaben und Herausforderungen sind gewaltig, die Christus seiner Gemeinde gibt. Christi Glieder sollen als „Kinder des Lichts“ leben, weil sie „Licht im Herrn“ sind. (Eph 5,8) Sie sollen sich nicht der Welt gleichstellen, sondern ihre Gesinnung so ändern, dass sie Gottes Willen erkennen und tun (Röm 12,1f )

Man kann hier durchaus von „Entweltlichung“ sprechen, so wie es der vorige Papst getan hat. Man kann es auch so sagen: die Gemeinde Jesu ist berufen, im Kreuzeszeichen zu leben, in der vertikalen Bewegung des Glaubens, der die Ehre Gottes sucht, und in der horizontalen Bewegung der Liebe, die das Beste des anderen sucht. Alle Briefe des Apostels Paulus sind übrigens so aufgebaut, erst kommt die Glaubensstärkung, dann die Ermahnung zur Liebe.

Dicht neben der wahren Kirche, die auf die Stimme ihres Hirten hört und aus Glaube und Liebe lebt, steht die falsche Kirche, die dem Anschein nach christlich ist, aber nach der Melodie der Welt lebt, keine Entweltlichung will, sondern Weltanpassung. Schon Jesus hat diese doppelte Wirklichkeit im Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen beschrieben (Mt 13,24-30). Im Gleichnis ist es der Feind, der den Unkrautsamen gesät hat. In der Realität ist es Satan, der unablässig durch falsche Lehre und Weltanpassung die Verweltlichung in die wahre Kirche hineinträgt. Oft geht das schneller als wir denken können. Können wir uns schützen? Der Apostel antwortet auf diese Frage in Eph. 6: Indem wir Christus anziehen, die Komplettrüstung Gottes, und insbesondere das Wort Gottes als Abwehrschwert gebrauchen. Und nicht zu vergessen das 7. Rüstungsteil, das Gebet. Schutz ist also nicht nur möglich, sondern er ist auch effektiv.

1.4     Die Kirche als priesterliche Dienstgemeinde auf der neuen Erde

Ich riskiere noch einen kurzen Blick in den heilsgeschichtlichen Äon nach Christi Wiederkunft. Auf der verheißenen neuen Erde wird es, wenn ich die Johannesoffenbarung richtig verstehe, noch eine weitere Manifestation der Kirche geben. Der Prophet Daniel gibt für diese Annahme einige Anhaltspunkte. In Dan 12,3 heißt es „Die da lehren, werden leuchten wie des Himmels Glanz, und die viele zur Gerechtigkeit weisen, wie die Sterne immer und ewiglich“. In Dan 7,27 heißt es „Das Reich und die Macht und die Gewalt über die Königreiche unter dem ganzen Himmel wird dem Volk der Heiligen des Höchsten gegeben werden, dessen Reich ewig ist, und alle Mächte werden ihm dienen und gehorchen“. Da Daniel ein Israelprophet ist, können wir davon ausgehen, dass es sich hier um Israelverheißungen handelt. Es wird dann also eine wie auch immer geartete Herrschaft Israels über die Völker geben.

Wir wissen aus der Sinaiverheißung in 2 Mose 19,5f., dass Gott Israel berufen hat, ein heiliges und königliches Priestervolk zu sein. Die zitierten Danielstellen scheinen die Erfüllung dieser Verheißung anzudeuten. Wenn Israel im wiederkommenden Christus seinen Messias entdeckt und Christus seine Gerichtsakte vollzogen hat, wird es einen neuen Himmel und eine neue Erde geben, wo er im Neuen Jerusalem auf ewig herrschen wird. Das neue Volk Israel wird ihm dienen und die Völker unterweisen. Eine falsche Kirche gibt es dann nicht mehr, denn Satan ist überwunden. Kein Feind wird dann noch Unkraut säen.

2. Vier Kennzeichen der wahren Kirche nach dem Epheserbrief und den altkirchlichen Bekenntnissen

Kehren wir zurück in die Gegenwart. Wie sieht der Kampf zwischen der wahren und der falschen Kirche heute bei uns aus? Woran können wir die wahre Kirche erkennen? Das ist das Thema meines 2. Teils. Die Unterscheidung zwischen wahrer und falscher Kirche ist nicht einfach. Das hat schon Martin Luther in seiner Schrift „Von den Konzilien und Kirchen“ (1539) unterstrichen. „Da nun der Teufel sah, dass Gott eine solche heilige Kirche baute, feierte er nicht und baute seine Kapelle dabei, größer denn Gottes Kirche ist“. D.h. die beiden Kirchentümer sehen sich zum Verwechseln ähnlich, sie durchdringen sich gegenseitig, man kann sich leicht irren und verführt werden. Wir brauchen also verlässliche Maßstäbe. In der eben genannten Schrift nennt Luther im Anschluss an die Schmalkaldischen Artikel von 1537 sieben Kennzeichen der wahren Kirche: sie hat Gottes Wort, die Taufe, das Abendmahl, sie hat die Vollmacht, Sünden zu bestrafen und zu vergeben (die sog. Schlüsselgewalt), sie hat die von Christus eingesetzten Leitungsämter, sie hat das Gebet und sie muss um des Glaubens willen Verfolgung erleiden. Wer diese Attribute sieht, so Luther, kann sich dessen gewiss sein, dass er die wahre Kirche vor sich hat.

Aber das Problem ist: einzelne Kennzeichen können auch von der falschen Kirche gebraucht werden. Ergänzend zu diesen Kriterien möchte ich deswegen vier weitere Kennzeichen der wahren Kirche anführen, wie sie im Epheserbrief und im Nicäno-Konstantinopolitanum (381 n. Chr.) als konstitutiv formuliert worden sind. Ich meine die Einheit, die Heiligkeit, die Allgemeinheit und die Apostolizität der Kirche. Von Anfang an sahen die Christen in diesen vier Kennzeichen die wahre Kirche verbürgt. Im Folgenden möchte ich zeigen, wie aktuell sie sind und wie hilfreich sie sind für die Unterscheidung von wahrer und falscher Kirche.

2.1       Die Kirche Jesu Christi ist „eine“.

Trotz und inmitten aller konfessionellen Spaltungen und Spannungen gibt es nur eine einzige Kirche Jesu Christi. Im Bekenntnis von 381 n. Chr. heißt es „Wir glauben eine, heilige, allgemeine und apostolische Kirche“. Bedenkt man die Tatsache, dass wir weit weltweit über 3000 christliche Denominationen haben, dann ist das eine kühne Aussage. Im letzten Jahr habe ich zusammen mit meiner Frau einen serbisch-orthodoxen Gottesdienst in Kevelaer erlebt – wirklich eine fremde Welt! Und doch: „eine Kirche“. Wir erleben eine unüberschaubare Vielfalt – aber wir glauben „eine Kirche“. Worauf gründet sich dieser Glaube? Der Epheserbrief gibt uns Antwort. Kein neutestamentlicher Text lotet das Geheimnis der wahren Kirche Jesu Christi so tief aus wie dieser Brief.

In Eph 4,3-6 werden sieben vom Dreieinigen Gott gewirkte Tatsachen aufgezählt, die die Einheit der Kirche begründen. Gott hat anscheinend die Zentrifugalkräfte vorausgesehen, die an der Einheit des Leibes Christi zerren. Deswegen schweißt er die Kirche Jesu Christi siebenfach zusammen, nämlich 1.) indem der Heilige Geist die Christen zu einem geistlichen Leib unter dem Haupt Christi zusammenfügt, 2.) indem er ihnen sich selbst, den einen Geist, schenkt, ohne den sie gar nicht an Jesus Christus als ihren persönlichen Herrn und Heiland glauben könnten, und indem er 3.) ihnen die eine Hoffnung gibt, nämlich auf ihr himmlisches Erbe, die Verwandlung und Umkleidung mit einem Herrlichkeitsleib bei Jesu Wiederkunft. 4.) Indem Jesus Christus, der eine Herr, sie 5.) zu einem Glauben führt und in ihm erhält, und 6.) diesen einen Glauben in der einen Taufe besiegelt. Und schließlich 7.) indem der eine Gott und Vater, der in seiner Allmacht alles wirkt und über allem steht, ihre Einheit erhält. Massiver kann die Einheit der Kirche Jesu Christi nicht begründet und fester nicht zusammengehalten werden.

Aber man kann gegen diese sieben göttlichen Stiftungen leben und predigen, und es wurde in der Geschichte der Christenheit immer wieder gemacht, bis heute. Mit anderen Worten: Falsche Kirche breitet sich dort aus, wo gegen diese sieben göttlichen Stiftungen gelebt und gepredigt wird. Aber, und das sollte jedem klar sein, damit verlässt man dann die „eine Kirche“. Die eine Kirche Christi hat einen Herrn lässt diesen Herrn wirklich Herr sein. Wo jedoch das Herrsein Christi unterlaufen wird und man anderen Herren folgt, ist man nicht mehr in der Kirche Jesu Christi. Ein Beispiel aus der jüngeren Geschichte der evangelischen Kirche: Die sog. Rosenheimer Erklärung der bayrischen Landessynode setzte 1991 das Selbstbestimmungsrecht der schwangeren Frau als letzte Instanz in der Entscheidung über Leben und Tod des ungeborenen Menschen ein. Nicht mehr Christus und sein Wort haben nach dieser Erklärung die letzte Autorität, sondern der selbstbestimmte Mensch ist nun der Herr, der das Sagen hat. Eine ganz verhängnisvolle kirchliche Entscheidung, die übrigens bis heute trotz zahlreicher Proteste nicht zurückgenommen worden ist!

2.2       Die Kirche Jesu Christi ist „heilig“

Evangelische Christen haben mit dem Begriff der Heiligkeit ihre Schwierigkeiten. Zu vehement hat die Reformation mit den Heiligengeschichten und der Heiligenfrömmigkeit aufgeräumt. Hinzu kommt, dass Heiligkeit oft als moralische Perfektion missverstanden wird. Wir brauchen an dieser Stelle eine biblische Begriffshygiene. Mit moralischer Vollkommenheit hat „Heiligkeit“ nichts zu tun. Sonst hätte Paulus die korinthische Gemeinde nicht „Heilige“ genannt. „Heilig“ im apostolischen Sinn ist kein anthropologischer, sondern ein theologischer Begriff. Heilig ist jeder, um mit den Schmalkaldischen Artikeln zu reden, der aus dem Wort Gottes im rechten Glauben lebt (ASm III,12). Freilich soll er jetzt so leben, „wie es sich für die Heiligen gehört“ (Eph 5,3). Zur Heiligkeit gehört also die Heiligung.

Im Wesentlichen nennt der Epheserbrief drei Lebensbereiche, in denen sich die „Heiligen“ bewähren sollen, Bereiche, wo sie „in der Liebe“ und als „Kinder des Lichts“ leben sollen (Eph 5,2.8). Es handelt sich um den Bereich der Geschlechtlichkeit, des Besitzes und der Redeweise. Wer zur Kirche Jesu Christi gehört, soll sich aller Unzucht enthalten, die Habgier überwinden und schändliches Reden ablegen. Es ist interessant zu sehen, wie alle drei Bereiche in Eph 5,19-21 – rhetorisch meisterhaft – in umgekehrter Reihenfolge wiederholt und ins Positive gewendet werden. Schändliche Rede soll ersetzt werden durch geistvolle Worte und Lieder; habgieriges Verhalten soll durch Danksagung ersetzt werden (nämlich für das, was man hat), und die sexuelle Unzucht soll ersetzt werden durch ein Ehe- und Familienleben, das von gegenseitiger Unterordnung und Liebe geprägt ist.

Wer mit den altkirchlichen Bekenntnissen die eine heilige Kirche glaubt, kann nicht mehr in Unzucht leben, der Habgier frönen und schändliche Reden führen. Das Wort Gottes und der Glaube an Christus heiligt ihn und gibt ihm die Kraft zu einem neuen Leben. Wer sich dennoch nicht von seinem alten Lebenswandel trennen will, verlässt die wahre Kirche und gehört zur falschen Kirche. Er kann das Reich Gottes nicht erben, so sagt es Paulus (1 Kor 6,9). Es stimmt nicht, wenn EKD-Verlautbarungen zum Thema der gleichgeschlechtlichen Partnerschaften behaupten, dass es sich bei diesen Fragen nur um Ordnungsfragen handele, die den status confessionis nicht betreffen. Wenn sich Grundbekenntnisse der christlichen Kirche zur Heiligkeit der Kirche bekennen, dann sind solche Fragen wie die, wie jemand seine Geschlechtlichkeit lebt, sehr wohl Bekenntnisfragen, die u.U. über sein ewiges Heil entscheiden.

2.3       Die Kirche Jesu Christi ist „allgemein“

Im Text des Nicäno-Konstantinopolitanum steht an dieser Stelle „…katholikän…ekklesian“, was wörtlich übersetzt etwa „die allgemeine, ganze Kirche“ heißt. Dieses Kennzeichen meint die alle Christen und Einzelgemeinden und alle Zeiten umgreifende Wirklichkeit der Kirche. Wir haben hier eine großartige Glaubensaussage vor uns. Sie entspricht dem Bild von der Christenheit aus Juden und Heiden, das im großen Lobpreis in Eph 1 entworfen wird und das die Kirche als welt- und zeitumschließende Schar der Erwählten beschreibt. Alle im 1. Teil genannten Manifestationen haben in dieser „allgemeinen“ Kirche Platz, die „Wolke der Zeugen“ ebenso wie der „geistliche Leib Christi“ und die „priesterliche Dienstgemeinde auf der neuen Erde“. Eine große Schar erlöster und erretteter Menschen steht da vor uns. Sie verdankt sich der Liebe Gottes zu den Menschen und seiner Sehnsucht, ihnen nahe zu sein und sie zu seinem Bild zu verändern.

Diesem wunderbaren Glauben steht gegenüber die exklusive und feindselige Haltung mancher Kirchen und kirchlicher Gruppen gegenüber Christen, die aus Glaubensgründen bestimmte Regeln und Ordnungen dieser Kirchen und Gruppen ablehnen. Schnell kann hier aus der wahren eine falsche Kirche werden. Beispiele dafür gibt es leider mehr als genug. Die Orthodoxe Kirche in Russland bekämpft und behindert die protestantischen Freikirchen wo sie nur kann. Die Römisch-katholische Kirche erkennt bis heute die evangelische Kirche nicht als Kirche im vollen Sinn des Wortes an, sondern nur als „kirchliche Gemeinschaft“. Die skandinavischen evangelischen Kirchen agieren gegen die freien Missionsdiözesen bzw. Missionsprovinzen. Die Verantwortlichen des Deutschen Evangelischen Kirchentags lassen messiasgläubige jüdische Gruppen nicht zum „Markt der Möglichkeiten“ zu. Evangelische Landeskirchen verwehren Pfarramtskandidaten die Zulassung zum kirchlichen Amt, wenn sie nicht bereit sind, mit homosexuellen Amtsträgern zusammenzuarbeiten, und sie verweigern ordinierten Pfarrern die Bewerbung auf eine neue Pfarrstelle, wenn diese Pfarrer biblisch-theologische Einwände gegen die Frauenordination haben. Das alles sind aktuelle und belegbare Beispiele.

Eine solche Haltung widerspricht dem Bekenntnis zur „allgemeinen“ Kirche Jesu Christi. Christus selber gibt jedem Menschen Platz in seiner Kirche, der die sieben einheitsstiftenden göttlichen Akte annimmt (ein Leib, ein Geist, eine Hoffnung, ein Herr, ein Glaube, eine Taufe, ein Vater), der durch Gottes Wort und den rechten Glauben ein „Heiliger“ ist und nun zur Heiligung berufen ist und der sich auf die Lehre der Apostel gründet. Wer darf sich da anmaßen, Christen, die zur Kirche Jesu Christi gehören, auszugrenzen und zu bedrücken? Wenn die wahre Kirche eine „allgemeine“ Kirche ist, wo Gott die Regeln bestimmt, dann sind solche Gruppen und Kirchen falsche Kirche, die ihre selbstgemachten Regeln wichtiger nehmen als ihre Zugehörigkeit zur allgemeinen Kirche.

2.4       Die Kirche Jesu Christi ist „apostolisch“

Wie gut, dass das Nicäno-Konstantinopolitanum auch dieses Kennzeichen anführt, das ja bekanntlich im Apostolikum fehlt. Denn die eine, heilige und allgemeine Kirche braucht ein verbindliches Glaubens- und Lehrfundament. Der Epheserbrief sieht das deutlich. Die Kirche ist erbaut auf dem Fundament, das die Apostel und die Propheten der Urkirche gelegt haben (Eph 2,20). Die Apostel waren Augenzeugen des Wirkens Jesu und vom Herrn persönlich berufene Gemeindegründer. Die Propheten waren Männer der ersten Gemeinden, die das Wort und die Lehre der Apostel in den Gemeinden ausrichteten.

So wie ein Haus nicht auf verschiedene Fundamente gebaut wird, so kann die Kirche Jesu Christi nur dann als ein „heiliger Tempel im Herrn“ wachsen, in dem Gott seine Wohnung nimmt, wenn sie sich gründet auf das eine Fundament, das die Apostel gelegt haben (Eph 2,21). Die Jerusalemer Urgemeinde hat das getan. Sie blieb beständig „in der Lehre der Apostel“ (Ag 2,42). Christus hat diese Treue gesegnet. „Der Herr fügte täglich zur Gemeinde hinzu, die gerettet wurden“ (Ag 2,47).

Wenn die Lehre der Apostel verlassen oder verfälscht wird, breitet sich falsche Kirche aus. Dann geht der Segen in Gemeinden und Kirchen zurück. Wenn sich Kirchen und Gemeinden auf das Glaubens- und Lehrfundament der Apostel stellen, blühen sie auf. Es viele Beispiele durch die ganze Kirchengeschichte hindurch. Tiefgreifende geistliche Erweckungen waren immer gekoppelt mit einem neuen Ernstnehmen der apostolischen Lehre. Das konnte man bei Ludwig Harms in der Lüneburger Heide studieren, im Minden-Ravensburger Land, in Adelshofen, wo 1955 durch eine Evangelisation mit Heinrich Kemner eine Erweckung begann, oder im Frankenwald, wo durch den Dienst von Johannes Seitz und den Reichsbrüdern der Grund gelegt wurde für eine langandauernde Erweckung. Auf der anderen Seite haben evangelische Kirchenleitungen und führende Repräsentanten in den letzten Jahrzehnten an wichtigen Nahtstellen die Lehre der Apostel verlassen. Die paulinische Lehre vom Sühnopfertod Jesu wird bestritten, das paulinische Verbot der Ehescheidung bleibt unbeachtet, ebenso die apostolische Ehelehre, das gemeindeleitende Amt wurde entgegen 1 Tim 2 und 1 Kor 14 der Frau übertragen, die Jungfrauengeburt wird öffentlich – gegen das Apostolikum – geleugnet und dem Wort der Apostel, das Paulus ohne Zögern „Gottes Wort“ nannte (1 Thess 2,13), wird die göttliche Autorität aberkannt.

Christen glauben, dass sich die wahre Kirche in ihrem Leben und in ihrer Lehre auf die Apostellehre gründet. Wer die Gültigkeit dieses Fundamentes antastet, macht sich zum Sprecher der falschen Kirche, gleichgültig welches kirchliche Amt er innehat. Nach Art. 28 der Augsburger Konfession ist dann die Gemeinde berechtigt und verpflichtet, solchen Stimmen nicht zu gehorchen.

Fazit

Ich schließe mit einem persönlichen Aufruf.

Lasst uns in Glaubenstreue unserem Herrn nachfolgen bis zum Ziel.

  • Lasst uns die Einheit der Kirche festhalten in Demut, Sanftmut und Geduld und uns einander in Liebe vertragen;
  • lasst uns wandeln als Kinder des Lichts, wie es den Heiligen gebührt, und ablegen alle Unzucht, alle Habgier und alles Schlechtreden;
  • lasst uns Christus loben für seine raum- und zeitübergreifende allgemeine Kirche und uns nicht überheben über Glaubensgeschwister aus anderen Denominationen und Konfessionen, sondern Anteil nehmen an ihrem Freud und Leid;
  • lasst uns gegründet bleiben auf das Fundament des Glaubens und der Lehre, das die Apostel und Propheten gelegt haben, ohne Anpassung an die Welt und Geist der Zeit.

Und zum Schluss: lasst uns beten, dass der Herr uns die Gnade schenkt, dass wir im Leben und Sterben und Auferstehen in der wahren Kirche bleiben.

Vortrag auf den beiden Kongressen des Gemeindehilfsbundes im Geistlichen Rüstzentrum Krelingen (20.-22.3.15) und im Haus Felsengrund in Bad Teinach-Zavelstein (27.-29.3.15). Eine Dokumentation aller Kongressbeiträge ist in Vorbereitung und kann bei der Geschäftsstelle des Gemeindehilfsbundes vorbestellt werden. Dort sind auch CDs der Vorträge erhältlich.

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Sonntag 29. März 2015 um 9:16 und abgelegt unter Gemeinde, Kirche, Seelsorge / Lebenshilfe.