Eindrücke einer Reise nach Siebenbürgen
Mittwoch 18. März 2015 von Johann Hesse
Rumänienreise vom 1.2. – 8.2.2015
Im vergangenen Jahr nahmen Dekan Dr. Wolfgang Wünsch aus Petersdorf (Petresti) sowie Pfarrer Johannes Halmen aus Schäßburg in Siebenbürgen Kontakt mit Pastor Cochlovius auf und traten später dem Gemeindehilfsbund als Mitglied bzw. Freund bei. Es folgte eine Einladung nach Rumänien, um die dortigen evangelischen Gemeinden geistlich zu unterstützen. Der Bruderrat des Gemeindehilfsbundes fasste den Entschluss, den Geschäftsführer für eine Verkündigungswoche in der Evangelischen Kirche Augsburgischen Bekenntnisses (A.B.) in Rumänien zu entsenden, und so flog ich am Sonntag, den 1.2.2015 von Bremen über München nach Hermannstadt (Sibiu), wo ich bei leichtem Schneefall landete. Wolfgang und Britta Wünsch nahmen mich in Empfang, und auf der einzigen Autobahn Rumäniens fuhren wir von Hermannstadt nach Petersdorf, wo ich im Petersdorfer Pfarrhaus herzlich aufgenommen wurde.
Da die Siebenbürger am 2. Februar den Marientag begehen, feierten wir am Montag in der Winterkirche im Gewölbekeller des Pfarrhauses einen Abendmahlsgottesdienst. Nach dem Gottesdienst zeigte mir Bruder Wünsch die evangelische Kirche von Petersdorf. Anschließend gingen wir durch eine Zigeunersiedlung zur verfallenen Kirchenburg, deren Turm- und Ringmaueranlage noch erhalten ist und heute als evangelischer Friedhof genutzt wird und von dort zur orthodoxen Kirche. Am Nachmittag hielt ich einen Vortrag zum Thema „Warum und wozu glauben?“, der ins Rumänische übersetzt wurde.
Am Dienstag, den 3. Februar stand die Pfarrkonferenz des Dekanats Mühlbach (Sebes) auf dem Programm. Nach dem feierlichen Abendmahlsgottesdienst versammelten sich die fünf anwesenden Pfarrer unter der Leitung des Dekans im Dekanatsbüro, wo ich zunächst mit Blick auf Jesaja 6 über „Heiligung und Rechtfertigung“ sprach. Später folgte eine Auslegung über Johannes 14,6. Nach einer kleinen Führung durch die ehrwürdige Stadtkirche wurde ich am Nachmittag von Pfarrer Johannes Halmen abgeholt, und wir fuhren an Hermannstadt vorbei in das östlich gelegene Schäßburg (Sighisoara). Besonders schön war der Blick auf Hermannstadt und die Karpaten, die sich im Hintergrund majestätisch und mit schneebedeckten Kuppen aus der Ebene erhoben. In Schäßburg bezog ich ein Gästezimmer des Stadtpfarramtes mitten in der malerischen Altstadt, deren Panorama vom mächtigen Stundturm und dem sogenannten Schulberg geprägt ist. Auf Grund seiner mittelalterlichen Ringmauer, den Wehrgängen und den neun noch erhaltenen Stadttürmen wird Schäßburg auch das Siebenbürger Rothenburg genannt.
Am nächsten Tag, Mittwoch, den 4. Februar fuhren wir durch das ungarisch besiedelte Szekler Land nach Sächsisch Regen (Reghin). Dort war Stadtpfarrer Johann Zey Gastgeber der Pfarrkonferenz. In der Stadtkirche von Sächsisch Regen predigte ich, wie auch schon in Mühlbach, über das Gleichnis vom Sämann, und wieder folgten zwei Vorträge, diesmal über die Themen „Autorität der Schrift“ und „Berufen zu einer lebendigen Hoffnung“. Auf der Rückfahrt sahen wir Zigeuner, die Brennholz eingesammelt hatten, und dies entweder nach Hause trugen oder mit Pferd und Wagen nach Hause fuhren. Ein Bild, das ich in den kommenden Tagen noch oft sehen sollte.
Für Donnerstag, den 5. Februar stand ein Ausflug nach Kronstadt (Brasov) im Burzenland an. Vorher aber durfte ich die Mitarbeiterandacht im „Haus des Lichts“ halten, einer Einrichtung für behinderte Kinder in Weißkirch (Albesti), die in einem früheren evangelischen Pfarrhaus untergebracht ist. Die Ehefrau von Pfarrer Türk-König führte mich durch die renovierten Therapie-, Aufenthalts-, Werk- und Büroräume, und ich traf Mitarbeiter sowie Kinder, die hier zur Tagespflege kommen. Mehr Informationen kann man bekommen unter www.kinderhilfe-schaessburg.de.
Anschließend fuhren Johannes Halmen, Pfarrer Siegmar Schmidt und ich in östlicher Richtung ins Burzenland nach Kronstadt. Das Burzenland ist eine fruchtbare Ebene, die zum Süden und Osten hin von den hoch aufsteigenden Karpaten abgeschlossen wird. In Kronstadt besichtigten wir die Schwarze Kirche, die größte gotische Hallenkirche östlich von Wien. Eine Besonderheit dieser Kirche ist die größte Sammlung orientalischer Gebetsteppiche Europas außerhalb der Türkei, die Kronstädter Kaufleute aus dem Orient mitbrachten. Die vom Deutschen Ritterorden als Corona gegründete Stadt liegt nur rund 700 km von Istanbul entfernt. Die wehrhafte Stadtmauer und ihre Türme sind stille Zeugen der geographischen Lage am Rande des damaligen osmanischen Machtbereichs. Kronstadt war neben Hermannstadt das geistige, kulturelle und wirtschaftliche Zentrum Siebenbürgens. Heute ist es eine Großstadt mit 250.000 Einwohnern.
Kronstadt ist auch deshalb von großer Bedeutung für Siebenbürgen, weil hier der Siebenbürger Johannes Honterus (1498-1549) wirkte, der mit Martin Luther im Briefkontakt stand und maßgeblich an der Einführung der Reformation in Siebenbürgen beteiligt war. Diese setzte sich in den Jahren 1542-1550 durch. Das Honterusdenkmal an der Schwarzen Kirche in Kronstadt erinnert an das von Honterus verfasste Reformationsbüchlein sowie die von ihm eingeführte Schulordnung. Siebenbürgen bietet ausreichend Anschauungsmaterial für den unauflöslichen Zusammenhang zwischen Evangeliumsverkündigung und Bildung. Typischerweise findet man in Siebenbürger Städten und Ortschaften das evangelische Schulhaus in unmittelbarer Nachbarschaft zur Kirche. Leider stehen diese Schulen heute nicht selten leer oder werden anderweitig genutzt, weil es kaum noch sächsische Kinder gibt, die hier zur Schule gehen könnten.
Am Freitag, den 6. Januar fuhren wir zu einem christlich geführten Altenpflegeheim, dem Lukas-Spital in Lasseln (Laslea). Auf die Andacht, die für die mehrheitlich rumänisch sprechenden Bewohner übersetzt wurde, folgte eine aufschlussreiche Begegnung mit dem orthodoxen Arzt Dr. Petru Oprean. Von Johannes Halmen übersetzt, äußerte er sein Unverständnis darüber, dass einige EU-Staaten den Gottesbezug im Verfassungsvertrag von Maastricht verhindert hätten. Für die mehrheitlich religiös gebundenen Rumänen sei dies eine traumatische Erfahrung gewesen. Habe man unter dem Kommunismus noch geglaubt, auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs befände sich das Paradies und man selbst sei in der Hölle des Kommunismus gefangen, habe sich diese Vorstellung als ein Irrtum erwiesen. Der Kommunismus habe eine „Welt ohne Gott“ gewollt, aber der Materialismus des Westens wolle offenbar nichts anderes. Ãœber Europa und in Bezug den Islam sagte er: „Europa darf sich des Kreuzes Christi nicht schämen.“
Anschließend besuchten wir eine alte Siebenbürger Sächsin auf der Hospizstation des Lukas-Spitals. Bruder Halmen sagte beim Eintreten: „Hier ist die Wand zwischen Zeit und Ewigkeit sehr dünn“. Ich trat mit an das Bett der alten Frau, einer treuen Beterin, und Johannes Halmen wandte sich ihr liebevoll zu und redete mir ihr, obwohl sie keine Antwort gab. Schließlich nahm er kniend ihre Hände, betete mit ihr und segnete sie im Namen des Dreieinigen Gottes. Ein schlichter und doch sehr ergreifender Moment; ein seelsorgerlicher Liebesdienst kurz vor dem Tor der Ewigkeit.
Am Nachmittag fuhren wir nach Birthälm (Biertan). Hier befand sich von 1572 bis 1867 der Sitz der evangelischen Bischöfe Siebenbürgens (heute Hermannstadt). Die kleine Ortschaft wird von der mächtigen Kirchenburg mit ihren drei Ringmauern und sechs Wehrtürmen dominiert. Die Evangelische Kirche Rumäniens A.B. hat bis heute 160 Kirchenburgen. Darum kann ein Siebenbürger Pfarrer im Gegensatz zu seinen Amtsbrüdern in Deutschland mit einem freundlichen Augenzwinkern sagen: „Ich bin Herr auf 17 Burgen“, so Pfarrer Siegmar Schmidt aus Reps (Rupea).
Die Kirchenburgen entstanden mit den ersten Einfällen der Osmanen im Jahr 1395 und verloren erst Ende des 17. Jahrhundert ihre Bedeutung. Da die Bauern und Bürger den brutalen Überfällen der Türken und Tartaren schutzlos ausgeliefert waren, bauten sie um ihre Kirchen Mauern und Türme mit Wehrgängen und Schießscharten. Hier hinein konnten sich die Siebenbürger flüchten, um Leib und Leben und Hab und Gut zu schützen (Fliehburg). Im „Speckturm“ bewahrte man Wurst und Schinken auf, und in großen Fruchttruhen lagerte man Saatgut für den Fall, dass die Felder verheert wurden. Johannes Halmen sagte in Sichtweite der Wehranlagen Kronstadts, dass der Islam tatsächlich auch zu Siebenbürgen gehöre, denn immerhin habe man den Osmanen ja die Kirchenburgen zu verdanken. Mir fiel in verschiedenen Gesprächen auf, dass manch Siebenbürger Sachse eine aus geschichtlicher Erfahrung gewachsene kritische Distanz zum Islam hat. Was in Deutschland geschieht, wird aufmerksam verfolgt, aber eben auch kritisch hinterfragt. Die zunehmende Ausbreitung des Islams in Europa zwingt heute bereits Synagogen dazu, sich mit ausgefeilten Sicherheitssystemen, Videoüberwachung, Schleusen oder Metalldetektoren zu schützen. Wer die Kirchenburgen Siebenbürgens gesehen hat, den beschleicht eine Ahnung, dass auch wir in vielleicht nicht allzu ferner Zukunft Kirchengebäude oder Gottesdienste mit hohem Sicherheitsaufwand schützen müssen.
Den Samstagvormittag nutzte ich, um mir Schäßburg etwas genauer anzuschauen. Ich erstieg den Stundturm und studierte die Namen auf dem evangelischen Friedhof auf dem Schulberg. In der Einkaufsstraße wollte ich einer bettelnden Zigeunerin mit Baby im Arm ein paar Ley geben. Das hatte zur Folge, dass ich von zwei hartnäckigen Zigeunerjungs begleitet wurde, die ich nur mit Mühe wieder abschütteln konnte. Später erfuhr ich, dass man sein Portemonnaie niemals vor den Zigeunern zeigen und öffnen sollte, sondern sich das Geld vorher in der Tasche zurechtlegt. Es gibt in Rumänien zwar sehr reiche Zigeuner, aber meistens herrscht bittere Armut, die einen doch ziemlich mitnimmt. Überhaupt ist das Land durch die Jahrzehnte kommunistischer Misswirtschaft immer noch sehr gezeichnet, und der Unterschied zwischen Deutschland und Rumänien ist auf Schritt und Tritt spürbar. Das macht einerseits dankbar für den Lebensstil, den wir hier führen dürfen, zum anderen zwingt es einen dazu, den eigenen Lebensstil und Lebensstandard zu hinterfragen. Im Gleichnis vom vierfachen Ackerfeld warnt Jesus: „Was aber unter die Dornen fiel, sind die, die es hören und gehen hin und ersticken unter den Sorgen, dem Reichtum und den Freuden des Lebens“ (Lk 8,14). Die Deutschen leben in einem weltweit einmaligen Wohlstand, aber das Wort Gottes erstickt in den Herzen und der Glaube verdampft.
Am Samstagnachmittag fuhr ich mit dem Kirchenmusiker Theo Halmen nach Arkeden (Archita). Allein die Anreise kann als abenteuerlich bezeichnet werden, da der Ort nur über eine miserable Schlaglochstrecke erreichbar ist. Theo Halmen meinte dazu, dass der Kommunismus Verkehrs- und Kommunikationsnetze bewusst verkommen ließ. Die Siebenbürger Sachsen waren und sind bis heute in sogenannten Nachbarschaften organisiert. Brannte eine Scheune ab, dann wurde die gesamte Nachbarschaft herbeigerufen, um das Feuer zu löschen, und später baute man die Scheune gemeinsam wieder auf. Auch die Feldwege wurden früher regelmäßig durch die Nachbarschaften in Stand gesetzt. Auf den jährlich stattfindenden Nachbarschaftsversammlungen werden bis heute Strafen verhängt, wenn man z. B. bei der Beerdigung eines Nachbarschaftsmitgliedes nicht anwesend war.
Der kleine Ort Arkeden wird von einer stattlichen Kirchenburg mit einer äußeren und einer inneren Ringmauer samt Türmen dominiert. Das alte Pfarrhaus außerhalb der Ringmauer wird zur Zeit von Mitarbeitern des CVJM Rumänien und ungarisch sprechenden Roma-Jugendlichen unter Leitung von Benjamin Schaser renoviert (www.domushilfe.de). Benjamin Schaser, seine Frau und weitere Mitarbeiter bezeugen jungen Menschen, die meist in Waisenhäusern aufgewachsen sind, sowie Romas in Romasiedlungen in der Umgebung von Keresztúr das Evangelium in Wort und Tat. Das Pfarrhaus und die Kirchenburg, die zum Pfarrbezirk von Johannes Halmen gehören, sollen ein Ort der Begegnung werden, an dem junge Menschen das Wort Gottes und christliche Gemeinschaft kennenlernen. Ich war eingeladen worden, die Predigt im regelmäßig stattfindenden Gottesdienst am Samstagnachmittag zu halten. Der Gottesdienst fand auf deutsch und ungarisch statt. Im Anschluss gab es an der langen Tafel eine von der rumänischen Köchin gekochte kräftige Suppe. Auf der Rückfahrt gab es noch eine Begegnung der besonderen Art, als im Scheinwerferlicht zwei mächtige Hirsche auftauchten und direkt vor uns die Schlaglochstraße querten. Die Begegnungen in Arkeden und die Eindrücke über die geistliche und zugleich ganz praktische Arbeit, die dort geschieht, haben mich sehr beeindruckt und gefreut.
Am Sonntag, den 8. Februar war ich bei Theo Halmen zum Frühstück eingeladen. Danach feierten wir zusammen mit weiteren sieben Gläubigen einen Gottesdienst mit Abendmahl im Pfarrhaus des Städtchens Marienburg. Nach einem Mittagessen mit Johannes Halmen und seiner Frau fuhren wir zu einem weiteren Abendmahlsgottesdienst mit zehn Gläubigen. Anschließend fuhr mich Johannes Halmen nach Hermannstadt. Dort besichtigten wir den großzügig angelegten und unter der Regie des früheren Bürgermeisters von Hermannstadt und jetzigen Präsidenten Rumäniens Klaus Johannis prächtig renovierten Marktplatz. Mit dem kurzen Rundgang über den Kleinen Ring zur Stadtpfarrkirche, dann am Brukenthal-Palais vorbei über den Großen Ring, wurde mir klar, dass Hermannstadt eine besondere Perle ist.
Zur Geschichte
Es beeindruckte mich, wie gut meine Gastgeber die Geschichte Siebenbürgens kannten. Sie meinten, dass die Kenntnis der eigenen Geschichte und Identität für das Überleben der Siebenbürger Sachsen im Lauf der Geschichte, unter wechselnden Herrschern und umgeben von anderen Volksgruppen, immer von hoher Bedeutung gewesen sei. Ab ca. 900 n. Chr. eroberten die Ungarn das Karpatenbecken. Ab 1147 übernahm der ungarische König die Region und holte Siedler ins Land, um das Land urbar zu machen und gegen Feinde zu verteidigen. Die Siedler stammten aus der Rhein-Mosel-Region, dem Elsass, Flandern und der Wallonie. Die Siebenbürger Sachsen sind demnach eigentlich keine Sachsen. Der Name ist ein reiner Kanzleibegriff. 1224 erhielten die Siedler unter König Andreas von Ungarn den Goldenen Freibrief, der ihnen weitreichende Rechte auf dem sogenannten Königsboden einräumte. Später folgten weitere Siedlergruppen u. a. in der Zeit der Gegenreformation, weil im evangelischen Siebenbürgen Glaubensfreiheit galt. Nach der Schlacht von Mohacs im Jahr 1526, in der Ungarn durch Süleyman I. vernichtend geschlagen wurde, war Siebenbürgen für rund 200 Jahre ein tributpflichtiger Vasallenstaat des Osmanischen Reiches. Wie schon vor 1526 kam es in dieser Zeit immer wieder zu Plünderungszügen. Die türkischen „Renner und Brenner“ brachten Verwüstung, Plünderung, Menschenraub, Vergewaltigung und Mord. Insbesondere aus dieser Zeit stammen die Kirchenburgen. Erst nach der Niederlage der Osmanen vor Wien im Jahr 1683 und nach Abschluss des Vertrages von Sathmar 1711 kam Siebenbürgen unter habsburgische Kontrolle. Ab 1733 unter Karl VI. und Maria Theresia wurden protestantische Österreicher (die sog. „Kryptoprotestanten“) nach Siebenbürgen deportiert, wo sie Siebenbürger Landler genannt wurden. Ab 1867 gehörte Siebenbürgen zum ungarischen Teil der Doppelmonarchie Österreich-Ungarn. Nach der Niederlage Österreich-Ungarns im Ersten Weltkrieg wurde Siebenbürgen Rumänien zugesprochen, was 1920 im Vertrag von Trianon bestätigt wurde. Im Januar und Februar 1945 kam es zur Deportation von rund 30.000 Siebenbürgern nach Russland. Der 70. Jahrestag dieser Deportation, in deren Verlauf rund 3.000 Menschen den Tod fanden, wurde während meines Aufenthalts mehrfach thematisiert.
Um 1930 lebten ca. 300.000 Siebenbürger Sachsen in Siebenbürgen (10 % der Gesamtbevölkerung Siebenbürgens). Nach der Deportation 1945 und unter kommunistischer Herrschaft gab es eine beständige Auswanderung von Siebenbürgern nach Westdeutschland, so dass man im Jahr 1989 noch 115.000 Siebenbürger Sachsen in Siebenbürgen zählte. Nach der Wende verließen binnen zwei Jahren erneut 90.000 Siebenbürger das Land. Heute ist die Zahl auf unter 20.000 Siebenbürger Sachsen in Siebenbürgen gesunken. Immer wieder wurde dieser Umstand und das damit verbundene Trauma von den zurückgebliebenen Siebenbürgern in Gesprächen erwähnt.
Zur kirchlichen Situation
Die Evangelische Kirche A.B. in Rumänien ist aufgeteilt in fünf Kirchenbezirke, die nicht nur Siebenbürgen, sondern Kirchengemeinden in ganz Rumänien inkl. der Hauptstadt Bukarest abdecken. In den fünf Kirchenbezirken Hermannstadt, Mediasch, Kronstadt, Mühlbach, Schäßburg gibt es 254 Kirchengemeinden, die von 40 Pfarrern betreut werden. Die Zahl der Kirchenglieder beträgt 12.000 bis 13.000. Der Landesbischof hat seinen Sitz in Hermannstadt und heißt zur Zeit Reinhardt Guib. In Hermannstadt findet die theologische Ausbildung zukünftiger Pfarrer statt.
Die Auswanderung der Siebenbürger hat dramatische Auswirkungen auf das kirchliche Leben. Die Kirchengemeinden sind stark geschrumpft, die Gemeinden überaltern, und es fehlt an haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitern. Die Kirchengemeinden der evangelischen Kirche müssen sich für die Rumänen und damit für die rumänische Sprache öffnen, schon deshalb, weil es vermehrt Mischehen zwischen Siebenbürger Sachsen und Rumänen gibt. Die theologische Ausrichtung der Kirche ist im Vergleich zu den Gliedkirchen der EKD weniger liberal. Themen wie die Segnung von gleichgeschlechtlichen Paaren oder das Zusammenleben von Amtsträgern in Eingetragenen Partnerschaften sind nicht von Bedeutung. Allerdings hat die historisch-kritische Theologie auch in die theologische Ausbildung der Pfarrerschaft Einzug gehalten. Über die Schiene der Weiterbildung und anderer Kontakte zwischen der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien und den Gliedkirchen der EKD gelangen liberale oder feministische Einflüsse nach Rumänien. Ich konnte erfreut feststellen, dass ein solches Eindringen historisch-kritischer und liberal-zeitgeistiger Einflüsse von einigen Pfarrern entschieden abgelehnt wird. Ein dezidiert konservativ-reformatorisch ausgerichteter Bischofskandidat hätte allerdings unter den heutigen Mehrheitsverhältnissen in der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien leider keine Aussicht auf Erfolg.
Am Tag vor meiner Abreise und nach dem Besuch in Arkeden kam mir ein Bild aus dem Propheten Jesaja in den Sinn, das ich am nächsten Morgen meinen Gastgebern beim Frühstück mitteilte. Ich las ihnen eine Zusage Gottes an das wieder und wieder verheerte und von Menschen verlassene Land Israel vor: „…wie bei einer Eiche und Linde, von denen beim Fällen noch ein Stumpf bleibt. Ein heiliger Same wird solcher Stumpf sein.“ (Jes 6,13). Durch die Umstände seiner besonderen Geschichte ist Siebenbürgen und seine Evangelische Kirche heute ein weitgehend „verlassenes Land“. Aber unserem Herrn und Gott, dem kein Ding unmöglich ist, wird auch hier einen heiligen Samen aufgehen und wachsen lassen können. Wenn in dieser Kirche treue Christusnachfolger das Evangelium verkünden, die Menschen Rumäniens – ob Sachsen, Rumänen, Ungarn oder Zigeuner – zum Glauben an Jesus Christus einladen und auf dem Weg des Glaubens stärken, wird auch aus dieser Kirche ein neuer Stamm emporwachsen.
Johann Hesse, Geschäftsführer des Gemeindehilfsbundes, im Februar 2015
Dieser Beitrag wurde erstellt am Mittwoch 18. März 2015 um 9:19 und abgelegt unter Christentum weltweit, Kirche.