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Samenzellen vom netten Mann

Mittwoch 4. Februar 2015 von Birgit Kelle


Birgit Kelle

Wie haben wir eigentlich jemals Familien gegrĂŒndet, ohne staatliche Grundausbildung in der Schule? Und seit wann ist es egal, „wer mit wem wie genau verwandt ist“? Es muss wohl sexueller Notstand ausgebrochen sein in unserem Land, anders ist es nicht zu erklĂ€ren, warum gerade ein Bundesland nach dem anderen sich aufmacht, den Sexualkundeunterricht zu revolutionieren. Baden-WĂŒrttemberg ist immer noch mit seinem sexuell vielfĂ€ltigen Lehrplan beschĂ€ftigt. Niedersachsen macht gerade NĂ€gel mit Köpfen. Jetzt kommt Schleswig-Holstein mit dazu. Wie haben wir uns bloß all die Jahre fortgepflanzt, ohne staatliche Grundausbildung und mit nur einer peripheren UnterstĂŒtzung von Dr. Sommer, der „Bravo“ und abgegriffenen Pornoheftchen?Wir hatten keinen fĂ€cherĂŒbergreifenden Unterricht, um ĂŒber die Ausstattung eines Puffs zu diskutieren oder ĂŒber die beste Auswahl von Sexspielzeug und noch nicht mal das Internet. Deswegen laufen da draußen vermutlich auf den Straßen haufenweise Menschen herum, die immer noch glauben, Fortpflanzung sei was zwischen MĂ€nnern und Frauen. Familie irgendwas mit Vater und Mutter und Verwandtschaft etwas NatĂŒrliches. Gut, dass man in Schleswig-Holstein nun also durchgreift, und schon GrundschĂŒler demnĂ€chst ordentlich vorbereitet werden auf Leihmutterschaft, Samenspende, Polygamie und Regenbogenfamilien. Denn die scheinen der neue Normalfall zu sein in Deutschland, wenn man sich die ersten EntwĂŒrfe durchliest, die fĂŒr den Unterricht zur sexuellen Vielfalt in Schleswig-Holstein erstellt wurden: „Ab und zu gibt es auch Mama und Papa.“ Ja ab und zu, genau – nĂ€mlich bei fast allen in Deutschland. Drei Viertel aller Kinder leben sogar bei Mama und Papa und fast der komplette Rest hat in der Regel Mama und Papa, auch wenn die vielleicht nicht mehr verheiratet sind. Oh ja, es gibt Mama und Papa „hin und wieder“.

Soll mein kleiner Kerl ĂŒberlegen, ob er wohl schwul ist?

„Methodenschatz fĂŒr Grundschulen zu Lebens- und Liebesweisen“ heißt das Papier fĂŒr den Grundschulunterricht, und es sind tatsĂ€chlich echte SchĂ€tzchen darin enthalten. Im Diktat fĂŒr die 3. und 4. Klasse, also fĂŒr Kinder zwischen 8 und 10 Jahren, heißt es: „Marian erklĂ€rt: Meine Mama Loris kommt aus DĂ€nemark und hat dort Samenzellen von einem netten Mann bekommen. Dann bin ich in ihrem Bauch gewachsen. In Deutschland hat mich dann meine Mama Dani adoptiert.“ Das ist ja schön liebe Marian, wir wollen hoffen, dass der nette Mann gut bezahlt wurde fĂŒr seine Samenzellen und die Leihmama Loris auch, dafĂŒr dass du in ihrem Bauch wachsen durftest. Das ist in Deutschland zwar strafrechtlich verboten, aber mit dieser Information wollen wir GrundschĂŒler nicht belasten. Weiter heißt es im Diktat: „Dilan berichtet: ZusĂ€tzlich zu meinen Eltern gibt es in meiner Familie noch Robin und Noa. Robin ist die Liebste meines Papas und Noa ist die beste Freundin meiner Mama.“ Das ist wirklich sehr modern, dass auch GrundschĂŒlern das Konzept einer offenen Ehe erklĂ€rt wird und endlich werden die Geliebte von Papa und die Gespielin von Mama nicht mehr aus dem Familienalbum ausgegrenzt.

Da fĂ€llt mir spontan eine Geschichte aus dem Hause Kelle ein. Unser damals VierjĂ€hriger hatte im Kindergarten zwei Lieblingsspielkameraden: Lisa und Yannick. Eines Tages machte Lisa ihm im Wohnzimmer dann einen Heiratsantrag. Der arme Kerl wusste nicht genau, wie er aus der Nummer wieder raus kommt und sagte: „Frag doch mal Yannick.“ Dieser hatte dann die rettende Idee: „Wir können ja zu dritt heiraten.“ Ich habe damals den Fehler begangen, Yannick zu sagen, dass das nicht geht, aber sie waren ja damals auch erst vier. Bis sie erwachsen sind, ist das sicher Unterrichtsstoff, zumindest in Schleswig-Holstein. Das Ganze gibt es anschließend auch noch als LĂŒckentext, wo man dann noch mal ĂŒbend zuordnen kann, zu wem die Familie mit den drei Mamas, zwei Papas und dem Opa gehört und wie das heißt, wenn Papa jetzt eine Mama ist, wie bei Kay aus dem Diktat. Im Konzentrationsspiel wiederum sollen verschiedene Möglichkeiten erörtert werden, wie man eine richtige Regenbogenfamilie wird. Also zum Beispiel so: „Joy lebt bei ihrem Papa. Dieser war frĂŒher eine Frau, wurde zu dieser Zeit schwanger und hat das Kind bekommen.“ Oder auch die Geschichte von Helge, der mit Mami und Mama zusammenlebt: „Mami hat sowohl weibliche also auch mĂ€nnliche Geschlechtsmerkmale und so konnte sie mit Mama ein Kind zeugen.“

Mal davon abgesehen, dass ein Kind in der Grundschule keine Ahnung hat, was der Unterschied zwischen Geschlechtsmerkmalen und Geschlechtsorganen ist, und selbst fĂŒr Erwachsene die Begriffe transsexuell und intersexuell nicht immer gelĂ€ufig sind, stellt sich die Frage, wofĂŒr genau Kinder in diesem Alter sich ohne Anlass mit diesen Themen beschĂ€ftigen sollen? Unser drittes Kind ist gerade genau in dem Alter. Ich erlaube mir also einschĂ€tzen zu können, was Kinder in diesem Alter geistig verarbeiten können. Und was genau sollen solche Übungen bringen? Soll mein kleiner Kerl ĂŒberlegen, ob er wohl schwul ist, weil er seinen besten Freund echt gern hat und sie sogar im gleichen Bett am Wochenende ĂŒbernachten? Oder vielleicht der Frage nachgehen, ob Mama frĂŒher vielleicht ein Mann war?

Wo die kleinen Kinder herkommen

In dem Diktat steht auch der Satz: „Eigentlich ist es egal, wer mit wem wie genau verwandt ist.“ Gerne wĂŒrde ich diese Behauptung einmal ausdiskutieren lassen zwischen den Machern dieses Papiers und den beiden jungen MĂ€dchen aus dem Raum Hannover, die gerade vor Gericht das Recht erstritten haben, den Namen des Samenspenders zu erfahren, der ihr Vater ist. Sie wollen nĂ€mlich wissen, von wem sie abstammen. Eine Frage, die auch Adoptivkinder in der Regel spĂ€testens in der PubertĂ€t sehr beschĂ€ftigt. Es ist eben nicht egal, es ist offenbar ein tiefes menschliches BedĂŒrfnis, zu wissen, woher und von wem man kommt. Auch dann, wenn man Adoptiveltern hat, die man sehr liebt. Denn der nette Mann mit den Samenzellen ist der eigene Vater.

Wenn Kinder Fragen stellen in diesem Alter, dann wollen sie eine Antwort und dann sollen sie eine kriegen. Wenn es ein Regenbogenkind in der Klasse gibt, dann ist es gut, wenn die Klasse mal darĂŒber redet. DafĂŒr braucht es aber keinen neuen Lehrplan, das schaffen Lehrerinnen auch so, ganz im Rahmen ihrer aktuellen BildungsplĂ€ne. Obwohl wir vier Kinder auf drei Schulen mit unzĂ€hligen Sportvereinen und mit großem Freundeskreis haben, ist meinen Kindern so eine Familie bislang noch nicht begegnet. Deswegen kam das Thema noch nicht auf. Sie kamen noch nicht in die Verlegenheit, jemanden zu diskriminieren, weil sie so jemanden noch nicht kennen.

Unser 9-JĂ€hriger liest gerade ganz angestrengt in dem Buch „Wo die kleinen Kinder herkommen“. Er will aber trotz beilĂ€ufiger Nachfrage darĂŒber nicht sprechen, er denkt noch drĂŒber nach. Aber vor zwei Jahren, also mit sieben, wollte er wissen, was „schwul“ ist. Er hatte das Wort aufgeschnappt und hat einfach nachgefragt. Zu Hause. Ich habe es ihm erklĂ€rt, mit Worten, von denen ich als Mutter denke, dass er sie versteht. Weil ich ihn kenne. Dass es MĂ€nner gibt, die nicht nur andere MĂ€nner lieben – das tut er auch, er hat einen Vater und BrĂŒder und Freunde –, sondern so sehr lieben, dass sie den anderen Mann auch heiraten wollen. Da hat er den Unterschied verstanden. Es ließ ihn staunend mit offenem Mund zurĂŒck.

Mehr wollte er auch nicht wissen. Weder ĂŒber SexualitĂ€t noch ĂŒber rechtliche Möglichkeiten zur Adoption von Kindern in homosexuellen Partnerschaften. Er war nĂ€mlich erst sieben und er musste erst mal darĂŒber nachdenken, wie er das findet.

Quelle: www.theeuropean.de
30.1.15

 

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Mittwoch 4. Februar 2015 um 14:41 und abgelegt unter Ehe u. Familie, Gesellschaft / Politik, Sexualethik.