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Die deutsche Familienpolitik und das Erbe des Totalitarismus

Vereinbarung von Beruf und Familie, Steigerung der Geburtenrate, gleiche Bildungschancen der Kinder – dafür brauchen wir Krippen und Ganztagsbetreuung. So tönt es in der medialen Öffentlichkeit unisono über alle Parteigrenzen hinweg. Was jedoch bedeutet Fremdbetreuung für unter dreijährige, kleine Kinder? Sie kommen mit einer Riesensehnsucht nach spürbarer Liebe, mit den instinktiven Grundbedürfnissen Stillen und Bindung, zur Welt. Solange die Menschheit besteht, ist Bindungssicherung ihr innerstes Programm. Sie sind emotional einfach noch nicht reif genug, um eine längere Trennung von ihrer Primärbindungsperson, meist der Mutter, zu verkraften. Trennung heißt für sie extremer Stress, den man ihnen äußerlich nicht immer anmerkt.

Die von 2007 bis 2012 laufende Wiener Krippenstudie erhärtete das durch Messungen des Stresshormons Cortisol im Speichel. Auch sicher an ihre Erzieherin gebundene Kinder blieben davon nicht verschont, so ein erstaunliches Ergebnis dieser Studie. Die veränderten Cortisolwerte bewirken nicht nur die sichtbar hohe Infektanfälligkeit der Krippenkinder, sondern sie können auch erstes Lernen behindern. Frühkindliche Bildung sei unmittelbar an das Glück im sicheren familiären Bindungszusammenhang gekoppelt, folgert die Familientherapeutin Erika Butzmann aus den Ergebnissen der Hirnforschung.

Dauerhaft veränderte Cortisolwerte in der frühen Kindheit können die Stressregulationsfähigkeit lebenslang beeinträchtigen, so die Ergebnisse der amerikanischen Langzeitstudie des National Institute of Child Health and Human Development der USA (NICHD). Sie ergab ferner: Je eher und je länger Kleinkinder in Einrichtungen betreut wurden, desto stärker zeigten sie später dissoziales Verhalten. Ein Viertel der ganztags betreuten Kleinkinder zeigten bereits im Alter von vier Jahren ein Verhalten im klinischen Risikobereich. Bei den Fünfzehnjährigen zeigten sich signifikante Auffälligkeiten in puncto Alkohol, Drogen und Diebstahl. Dieser Effekt trat nach jeder, auch nach hochqualitativer Gruppenbetreuung ein, sowie unabhängig vom Familienhintergrund.

Bei hochqualitativer Krippenbetreuung zeigten die NICHD-Probanden im kognitiven Bereich moderat bessere Ergebnisse als bei mangelnder Kita-Betreuung. Das war bis zur Zwölfjährigkeit nachweisbar, danach nicht mehr.

Die Studie ergab weiter: Krippenbesuch wirkt bei vernachlässigendem Familienhintergrund nicht kompensierend, sondern additiv. Das heißt, eine Krippe nützt diesen Kindern wenig, sondern ihre Risiken, die sie durch mütterliche Distanz bereits haben,  steigen. Es müssten also andere Wege beschritten werden. In diesem Zusammenhang verweist der kanadische Neurobiologe Michael Meaney, der 2014 den hochdotierten Klaus J. Jacobs Research Price bekommen hat, auf Versuche mit Ratten, deren Ergebnisse auch auf den Menschen anwendbar seien: je intensiver die mütterliche Brutpflege, desto…weniger empfindlich reagieren die Kinder im späteren Leben auf Stress. Und umgekehrt…“. Gerade bei schwierigen sozialen Verhältnissen seien jene Hilfen am effektivsten, „die vor allem den Eltern helfen, mehr Verständnis, Geduld und Umsicht bei der Erziehung ihrer Kinder walten zu lassen.“ (1)

Eine verschlechterte Stressregulationsfähigkeit als Folge unsicherer früher Bindung ist als Risiko für alle seelischen und psychosomatischen Erkrankungen sowie Herzkrankheit und Diabetes einzustufen. Zu diesem Ergebnis kam der amerikanische Hirnforscher Allan Schore 2011.(2) Unsichere Bindung ist jenseits von klinischen Härtefällen ebenso für mangelnde Beziehungsfähigkeit, Anstrengungs- und Lernbereitschaft, Sprachfähigkeit, Konzentration, Motivation sowie Beharrlichkeit im späteren Leben verantwortlich.

Welche Folgen das langfristig für unser Land und ganz handgreiflich für den Wirtschaftsstandort Deutschland haben kann, bleibt zu fragen. Was wird uns der massive Angriff auf die frühe Bindung kosten? Schon jetzt haben wir laut Stressreport von 2012 bundesweit 56 Mio. Arbeitsunfähigkeitstage wegen psychischer Erkrankungen pro Jahr, was einen Ausfall von 10,3 Mrd. € an Wertschöpfung ausmacht. Das ist nicht allein dem steigenden Druck in der Arbeitswelt geschuldet, sondern auch einem Unvermögen, Stress „unter die Füße“ zu bekommen.

Sehen wir in die in puncto Ganztagsbetreuung hochgelobten Vorzeigeländer bzw. -regionen: Im Osten Deutschlands haben wir laut der Zeitschrift „Psychologie heute“ (2007) doppelt so viel Angststörungen wie im Westen. Laut Pressemeldungen waren 2012 ca. 25 % der Kinder in Sachsen in psychologischer Betreuung und 23 % der Schulanfänger in Thüringen sprachgestört. Die Bundesländer mit den üppigsten Krippen- und Ganztagsangeboten haben die höchsten Schulabbrecherraten: Sachsen-Anhalt mit 11,1 %, Mecklenburg-Vorpommern mit 10,8 %, im Vergleich zu Bayern mit 4,6 % und Baden-Württemberg mit 4,9 %.(3) In Schweden gab es 2013 laut Spiegel-online einen Pisa-Absturz. Laut Statistik ist dort von 1985 bis 2005 die Anzahl von Depressionen bei jungen Frauen um 1000 % und bei jungen Männern um 100-400 % gestiegen. Laut Focus-Online von 2011 liegt in Frankreich der Anteil an Depressionen bei 30 % der Bevölkerung.

Trotz dieser sich erhärtenden Fakten werden uns Krippen als Königsweg für die Lösung aller unserer sozialen Probleme präsentiert. Der kleinste Zweifel wird vom Tisch gewischt. Wer diesen noch hegt, ist von vorgestern und rückwärtsgewandt. Er stellt sich der „Moderne“ in den Weg. Die traditionelle Familie habe ausgedient. Die Familienpolitik müsse „modern“ sein, um zeitgemäße Bedingungen für die „moderne“ Familie zu schaffen. „Modern“ also als Gütesiegel?

Im Jahre 2007 schrieb man mir aus dem Familienministerium Folgendes:

„Gerade junge Frauen wollen heute ganz selbstverständlich, was für Männer schon immer möglich war, nämlich ihre berufliche Qualifikation nutzen, finanziell unabhängig bleiben und trotzdem nicht auf Familie verzichten … Kindertagesstätten bieten ein komplementäres – und bei problembelasteten Familien ein kompensatorisches – Angebot zur Erziehung und Bildung in der Familie.“

Was unter Ursula von der Leyen (CDU) im selben Jahr mit dem Kinderförderungsgesetz – dem Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz ab der Einjährigkeit – angebahnt wurde, drückt die derzeitige Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) jetzt mit Volldampf durch. Geld spielt keine Rolle. Es werden 100 Mio. € pro Jahr für den weiteren Ausbau des Betreuungssystems bereitgestellt.(4)

Aber ist der dahinter stehende Grundgedanke wirklich so neu? In einer Säuglingsfibel aus der DDR von 1972 heißt es:

„Für die volle Durchsetzung der Gleichberechtigung der Frau haben unsere Kindereinrichtungen einen wesentlichen Beitrag zu liefern, weil sie der Mutter weitgehend die Ausübung ihres Berufes, ihre berufliche und kulturelle Qualifizierung und ihre Teilnahme am gesellschaftlichen Leben ermöglichen. Die Tages- und Wochenkrippen für Kinder der ersten drei Lebensjahre dienen nicht allein der Entlastung unserer Mütter, sondern stellen eine wertvolle und wirksame Ergänzung der Familienerziehung dar.“

Das entsprach der Ideologie des Marxismus-Leninismus. Wie weit entfernt das von der heute propagierten Familienpolitik durch von der Leyen, Schwesig und vielen anderen ist, mag der Leser selbst entscheiden.

Lenin sagte bereits 1918 auf dem 1. Gesamtrussischen Arbeiterinnenkongress: „Die Regierung der proletarischen Diktatur bietet … alles auf, um die rückständige Auffassung der Männer und Frauen zu überwinden … Eine Selbstverständlichkeit ist die volle Gleichberechtigung von Mann und Frau in der Gesetzgebung … Wir gliedern die Frauen in die soziale Wirtschaft, Verwaltung, Gesetzgebung und Regierung ein … Wir gründen Gemeinschaftsküchen und öffentliche Speisehäuser, Wasch- und Reparaturanstalten, Krippen, Kindergärten, Kinderheime, Erziehungsinstitute verschiedener Art … Dadurch wird die Frau von der alten Haussklaverei und jeder Abhängigkeit vom Mann erlöst … Die Kinder erhalten günstigere Entwicklungsmöglichkeiten als daheim.“

Und sein Vordenker Karl Marx schreibt 1848 im „Manifest der Kommunistischen Partei“ zur Errichtung der Diktatur des Proletariats: „Aufhebung der Familie! … Aber, ihr sagt, wir heben die trautesten Verhältnisse auf, indem wir an die Stelle der häuslichen Erziehung die gesellschaftliche setzen …“

Das war übrigens genau die Zeit, in welcher heute das traditionelle Familienmodell und die überkommene Mutterrolle als nicht mehr zeitgemäß verortet werden.

Wer jedoch die Marxschen Ideen zur Moderne zählt, der möge seinen Blick in die Antike, nach Sparta, richten. Bis heute steht es sprichwörtlich für Härte gegen sich und andere. Friedrich Schiller, seines Zeichens auch Historiker, beschrieb Sparta in der „Gesetzgebung des Lykurgus“ als perfekt totalitäres System mit den Symptomen: Beseitigung privaten Eigentums, Auflösung familiärer Bindungen, Gleichmacherei sowie Gleichschaltung jeder menschlichen Regung:

„Diesem künstlichen Triebe wurden die natürlichsten, schönsten Gefühle der Menschheit zum Opfer gebracht….In Sparta gab es keine eheliche Liebe, keine Mutterliebe, keine kindliche Liebe, keine Freundschaft…“ und weiter: „Sobald das Kind geboren war, gehörte es dem Staat – Vater und Mutter hatten es verloren. Es wurde von den Ältesten besichtigt; wenn es stark und wohl gebildet war, übergab man es einer Wärterin; war es schwächlich und mißgestaltet, so warf man es in einen Abgrund an dem Berge Taygetus.(5) Die spartanischen Wärterinnen wurden wegen der harten Erziehung, die sie den Kindern gaben, in ganz Griechenland berühmt…Sobald ein Knabe das siebente Jahr erreicht hatte, wurde er…mit Kindern seines Alters gemeinschaftlich erzogen, ernährt und unterrichtet.“

Wer so groß wurde, war zu allem fähig. Die Bluttaten im Namen Spartas sprachen Bände. „Die Erziehung war ein wichtiges Werk des Staats, und der Staat ein fortdauerndes Werk dieser Erziehung.“ So lautet Schillers Kernthese.

Es gibt also nichts Neues unter der Sonne. „Vater“ Staat greift nach den Kindern, um selbst die Erziehung zu übernehmen, deren Inhalte er bestimmt. Das scheint totalitären Entwicklungen zu jeder Zeit wesensimmanent zu sein: Wir finden diesen Ansatz nicht nur in linken Systemen, sondern auch im National-Sozialismus. In der schwärzesten Zeit Deutschlands wurde zwar die Geburtenrate per Mutterkreuz gefördert, aber die empathische Mütterlichkeit als Affenliebe gebrandmarkt. Härte statt Liebe, so hieß die Maxime der Ärztin Johanna Haarer (6)  [1]um kalte Hartherzigkeit zu erzeugen. Nichts steht der Machtergreifung und dem Erhalt eines totalitären Systems mehr im Weg als eine sichere Bindung – als die Liebe zwischen Eltern und Kindern, wodurch sie zu seelisch stabilen Persönlichkeiten mit Herzensbildung heranwachsen können. Die Bindung muss daher – je früher, umso wirksamer – gestört werden, denn instabile Persönlichkeiten mit sog. unsicheren Bindungsmustern sind umso leichter zu manipulieren.

Wie ist das nun heute in unserer Bundesrepublik, die sich Freiheit, Demokratie und Menschenrechte auf die Fahnen geschrieben hat? Wir haben in unserem Grundgesetz (Art. 6) – gerade auch als Kontrapunkt zur Nazizeit – die Elternrechte an der Erziehung ihrer Kinder fest verankert. Einerseits. Andererseits wird alles dafür getan, dass sich Mütter von kleinen Kindern nicht allzu lange bei ihnen aufhalten: Der finanzielle Druck nimmt zu (u.a. hervorgerufen durch familienungerechte Steuern- und Sozialabgaben). Gleichzeitig haben wir im Schulterschluss von Wirtschaft, Staat und gender-gewandetem Feminismus inzwischen ein Klima, in dem diese inzwischen mit Rund-um-die-Uhr-Krippen liebäugeln und in dem man sich rechtfertigen muss, wenn man als Mutter sein kleines Kind wenigstens 3 Jahre selbst betreuen möchte. Eine Eiszeit für die Mutter-Kind-Bindung!

Noch haben wir in Deutschland eine starke Wirtschaftskraft. Noch wird sie getragen von einer zahlenmäßig starken, mehrheitlich relativ bindungssicheren, motivierten und nervlich leistungsfähigen Generation. Aber bereits jetzt beginnt der Bindungskitt zu bröckeln. Wenn immer mehr Arbeitnehmer nicht mehr belastbar sind, von Beziehungskrise zu Beziehungskrise straucheln, ins Burn-out fallen, süchtig werden oder auch psychosomatisch nicht intakt sind, wer wird dann für die Unternehmen einsatzfähig sein? Wie werden international agierende Unternehmen darauf reagieren? Werden sie den Standort Deutschland verstärkt verlassen, weil die Arbeitskräfte hier nicht nur teuer sind, sondern zunehmend kränker werden.

Wäre es nicht dringend an der Zeit anzuerkennen, welche wirtschafts- und gesellschaftstragende Kraft mehrheitlich stabile Familien mit sicheren Bindungen haben. Bindung ist der Stoff, von dem wir alle leben, und den wir nur dann schmerzhaft bemerken, wenn er fehlt. Bindung braucht Zeit für Gemeinschaft von klein an. Wann wird unsere Familienpolitik geeignete Rahmenbedingungen für die Familienbindung schaffen, statt für kurzsichtige Wirtschaftsinteressen? Wann werden wir anfangen, dem zeitlos Richtigen und Tragfähigen den Vorrang zu geben, und nicht dem scheinbar zeitgemäß Modernen? Werden wir in unserem Land noch genug Herzensstärke aufbringen, um in die frühe Bindung und nicht die frühe Trennung zu investieren?

Fußnoten:

(1) Neue Züricher Zeitung vom 11.12. 2014

(2) Schore, Allan: Gesundheit und Krankheit: Entwicklungspsychologische Entstehungsbedingungen, Vortrag auf der 63. Tagung der Deutschen Gesellschaft für Sozialpädiatrie 2011

(3) Pressemitteilung des Familienbundes der Katholiken 2014, LV Bayern – Länderauswertung auf Basis der Bildungsstatistik

(4) Meldung des Mitteldeutschen Rundfunks vom 4. 12 2014

(5) Altgriechischer Name für einen Gebirgszug nahe Sparta

(6) Haarer, Johanna: Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind, 1934

Hanne Kerstin Götze hat Bibliothekswissenschaften studiert und  ist Mutter von 4 Kindern, langzeitlich in Vollzeit Stillberaterin (Zertifikat AFS), Autorin des Buches „Kinder brauchen Mütter“, Ares Verlag Graz, 2011 und hat zu diesem Thema in div. Medien, u. a. FAZ, etliche Beiträge veröffentlicht.
Der Artikel erschien erstmals auf www.deutscherarbeitgeberverband.de am 8.1.15.
Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung.