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Ärzteverbände gegen Zulassung von ärztlich assistiertem Suizid

IMABE-Geschäftsführerin kritisiert: Suizidgesetz schützt Ärzte, nicht aber Patienten

Die Lehrstuhlinhaber für Palliativmedizin in Deutschland haben sich geschlossen gegen den ärztlich assistierten Suizid ausgesprochen. In einer Stellungnahme bekräftigten sie, dass eine solche Beihilfe keine ärztliche Aufgabe sei, berichtet das Deutsche Ärzteblatt [1]. Eine Gesetzesänderung zur Ermöglichung eines ärztlich assistierten Suizids sei keine adäquate Antwort auf Leiden. Die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin unterstützt den Appell. Damit stellen sich die Palliativmediziner u. a. offen gegen ihren in Lausanne und früher in München tätigen Kollegen, Gian Domenico Borasio.

Dieser hatte einen Gesetzesentwurf vorgelegt, wonach es Ärzten erlaubt sein sollte, Suizidwilligen bei der Selbsttötung Beihilfe zu leisten. Auch die Österreichische Palliativgesellschaft hat gemeinsam mit dem Dachverband Hospiz, der Caritas, dem Roten Kreuz und der Vinzenzgruppe in einer an die Enquete „Sterben in Würde“ gerichteten Stellungnahme gefordert, dass Palliativbetreuung flächendeckend ausgebaut werden müsse. Tötung auf Verlangen oder Beihilfe zur Selbsttötung lehnen sie entschieden ab (vgl. Tiroler Tageszeitung, online, 9. 10. 2014 [2]).

„Positiv ist, dass man sich nun öffentlich mit tabuisierten Themen wie Krankheit, Sterben, Tod auseinandersetzt. Es wird auch ein Bedarf an Weiterbildung für Ärzte und Pfleger in der Begleitung und Behandlung Schwerkranker deutlich“, sagt Ethikerin Susanne Kummer. „Die Antwort auf einen therapeutischen Übereifer, der nicht Leben, sondern Sterben verlängert, kann aber nicht darin bestehen, die Tötung oder Hilfe zur Selbsttötung der Leidenden als individuelles Recht einzufordern“, betont die IMABE-Geschäftsführerin. Es wäre fatal, wenn Selbstmord zu einem logischen Akt der Selbstbestimmung umdefiniert würde. „Eine menschliche Medizin zeige sich in der „professionellen Kompetenz, Therapien zurückzufahren, wo keine Aussicht auf Heilung besteht“, „Therapieziele zum Wohle des Patienten ändern zu können“, die „Schmerzlinderung zu verbessern, dem Sterbenden als Mitmenschen beizustehen und ihn nicht alleine zu lassen“, so Kummer.

Ein Blick auf den US-Bundesstaat Oregon, wo es Ärzten seit 1997 erlaubt ist, Beihilfe zum Suizid zu leisten, beunruhige zutiefst, erklärt Kummer. So habe sich die Zahl der Patienten, die sich seit 1998 mit ärztlicher Unterstützung das Leben nahmen, laut aktuellem Death with Dignity Act-Report [3] bis 2013 verfünffacht (16 auf 75), 2 von 1.000 Todesfällen gingen im 3,9 Millionen Einwohner zählenden Oregon bereits auf ärztlich-assistierten Suizid zurück. Als Hauptgrund geben die Betroffenen nicht, wie man meinen würde, unerträgliche Schmerzen an. Für 93 Prozent lag der Wunsch nach Suizid in der Angst vor einem „Verlust von Autonomie“ und damit die Sorge, eine Last für andere zu werden; 89 Prozent sagten, sie seien „weniger in der Lage, an Aktivitäten teilzuhaben, die dem Leben Freude geben“; 73 Prozent fürchteten einen „Verlust an Würde“.

Auch die Haltung der Ärzte veränderte sich: Von zwei Krebspatienten, die nur über die staatliche Armen-Krankenversicherung Medicaid verfügten, wird berichtet, dass ihnen per amtlichem Schreiben die zu teure Chemotherapie verweigert, gleichzeitig aber angeboten wurde, einen assistierten Suizid als Alternative zu bezahlen. Beide wollten aber leben und behandelt werden. Erst als der Fall von Randy Stroup an die Öffentlichkeit kam, wurde ihm eine Chemotherapie zugestanden (vgl. Daily Telegraph, online, 20. 2. 2009 [4]). In rund 17 Prozent der Fälle stellten die Ärzte entgegen der gesetzlichen Kriterien auch bei chronischen Erkrankungen ohne infauste Prognose Bewilligungen für eine Beihilfe zur Selbsttötung aus.

„Entgegen aller Beteuerungen der Suizid-Befürworter zeigt das Beispiel Orgeon klar: Eine Legalisierung der medizinisch assistierten Selbsttötung untergräbt das Vertrauensverhältnis zwischen Ärzten und Patienten. Das Gesetz schützt vielleicht die Ärzte, sicher aber nicht die vulnerable Gruppe der Patienten und seelisch Verzweifelten. Und es schafft neue Graubereiche statt Transparenz“, betont Ethikerin Kummer.

Auch in der Schweiz ist die Zahl der Menschen, die über Organisationen wie Exit oder Dignitas Beihilfe zum Suizid in Anspruch nehmen, in den letzten 10 Jahren kontinuierlich angestiegen (vgl. Imabe 2014: Schweiz: Exit will assistierten Suizid auch lebensmüden Gesunden anbieten [5]): im Jahr 2012 waren es 508 Schweizer und 172 Ausländer. Auch in den Niederlanden ist die Hilfe zur Selbsttötung erlaubt, sie wird meist von Hausärzten ausgeführt. Die Zahl der assistieren Suizide und der Fälle von „Tötung auf Verlangen“ ist laut dem aktuellen Jahresbericht der Regionalen Prüfungskommissionen Regionale Toetsingcommissies Euthanasie um 15 Prozent gegenüber 2012 gestiegen und betrug knapp 5.000 Fälle (vgl. NiederlandeNet, online, 30. 9. 2014 [6]). Das sind 13 Todesfälle pro Tag. Laut einer im Fachjournal Lancet publizierten Studie [7] werden 23 Prozent aller Euthanasie-Todesfälle aber erst gar nicht gemeldet – obwohl das niederländische Gesetz dies vorschreibt. In Belgien starben 2012 1.816 Personen durch Beihilfe zur Selbsttötung oder Euthanasie (vgl. Imabe Juni 2014: Österreich: Bürgerinitiative gegen Euthanasie gestartet [8]). Großes Aufsehen erregte zuletzt der Fall eines 52-jährigen Sexualstraftäters. Ihm wurde Beihilfe zum Suizid wegen „unerträglicher psychischer Qualen“ gewährt.

Quelle: www.imabe.org  [9] (Oktober 2014)