Am 4. Oktober d. J. fand in der Lutherkirche Chemnitz eine Versammlung der Sächsischen Bekenntnis-Initiative (SBI) statt. Ich hatte mich entschlossen, an ihr teilzunehmen. Deswegen reiste ich von Heidelberg nach Chemnitz. Warum? – Antwort: Weil ich auf Grund verschiedener Berichte den Eindruck gewonnen hatte, dass in Sachsen etwas Besonderes los sei. Der Fall Lutz Scheufler gab mir besonders zu denken. Sein Verhalten erscheint mir vorbildlich. In Sachsen hat sich eine Art innerkirchlicher Opposition gebildet, die sich auf Schrift und Bekenntnis beruft. Auch in anderen Landeskirchen ist das mehr oder weniger der Fall. Aber wie mir scheint, ist man in Sachsen vornedran.
Thema der Versammlung: „Am Ende des Gesprächs – Was nun?“ Seit nunmehr zwei Jahren befinden sich SBI und Kirchenleitung in einem „Gesprächsprozess“. Worüber wurde miteinander gesprochen? – Über Verlautbarungen und Beschlüsse, die nach Meinung der SBI eindeutig schrift- und bekenntniswidrig sind. Wer seine Bibel kennt, kann ihnen darin nur zustimmen. Der „Gesprächsprozess“ ist nunmehr an sein Ende gelangt. Und es stellt sich unweigerlich die Frage: „Was nun?“
Im Klartext: Ist eine Weggemeinschaft zwischen SBI und Kirchenleitung noch möglich? Wollen nicht beide Unvereinbares? Wenn die einen nach links wollen und die anderen nach rechts, was bleibt dann anderes übrig als Trennung? Diese Frage stand im Raum, blieb aber stumm. Nur einmal hörte ich das Wort „Trennung“ aussprechen. Ein Vertreter der Kirchenleitung sagte: „Eine Trennung würde wenig bringen.“ Das ist jedoch fraglich. Ist sie nicht unvermeidlich?
Nun zum Programm des Treffens. Angekündigt wurden ein Referat von Hartmut Steeb, dem Generalsekretär der Deutschen Evangelischen Allianz. Titel: „Zeit zum Aufstehen – wohin die Reise gehen muss“ – zur Situation in Deutschland und Auswirkungen auf Sachsen. Steeb wies daraufhin, dass Deutschland, einst das Land der Reformation und der Erweckung, heute Missionsland sei, und die Kirche entschlossen bei ihrem Auftrag bleiben müsse. Ihr Auftrag ist es, die Versöhnungsbotschaft an alle Menschen auszurichten. Was mir besonders zu denken gab: Steeb zitierte die Aussage der Apostel: „Wir können es ja nicht lassen, von dem zu reden, was wir gesehen und gehört haben“ (Apg 4,20). Er merkte dazu an: „ Das Problem ist, dass wir es können.“ In der Tat ist das ein „Problem“, anders gesagt: eine geistliche Schwäche. Denken wir an Paulus! Er schreibt: „Wehe mir, wenn ich das Evangelium nicht predige!“ (1 Kor 9,16) Der Apostel spricht in diesem Zusammenhang von einer Nötigung. Er kann nicht anders.
Wir müssen beten, dass es uns nicht anders gehe. Müssen um die „Kraft aus der Höhe“ bitten, dass wir in Stand gesetzt werden, das Evangelium zu verkündigen, nämlich dass Christus, der Sohn Gottes, für alle Menschen am Kreuz gestorben ist, damit sie zu Gott in das ewige Leben kommen. Was für alle geschehen ist, muss allen bekanntgegeben werden. Das ist ein göttliches Werk. Darum muss gebeten werden. Steeb wies darauf hin, dass die erste Christenheit sozusagen eine einzige Gebetsbewegung war. Ohne Gebet geht es nicht, kann die Botschaft, die wir der Welt schulden, nicht ausgerichtet werden.
Der zweite umfangreiche Redebeitrag kam von Martin Reakes-Williams, dem Pfarrer der anglikanischen Gemeinde in Leipzig. Er bekundete die Ansicht, dass die anglikanische Kirche „evangeliumstauglich“ werden müsse. Nicht nur sie! Dazu sei es notwendig, dass außer dem akademischen Weg der Ausbildung andere Möglichkeiten der Zurüstung zum geistlichen Amt ins Auge gefasst werden. Besonders ist mir seine Erinnerung an den Propheten Elia im Gedächtnis geblieben. Der Prophet distanzierte sich von Israel, dem Gottesvolk, das nicht entschlossen Gottesvolk sein wollte, sondern „auf beiden Seiten“ hinkte, Verehrung des Herrn mit dem Kult des Baal zu verbinden suchte, ein untauglicher Versuch. Obadja blieb im Lande und versorgte hundert Propheten des Herrn. So sorgte er zu seinem Teil dafür, dass das Wort des Herrn in Israel auch in Zukunft verkündet werde. Reakes-Williams hob in seiner Rede hervor: Was Gott damals gesagt hat, das sagt er auch heute. Sein Wort unterliegt nicht dem Wandel der Zeiten. Gott bleibt sich treu.
Dem Vortrag von Reakes-Williams folgte die „Infostunde“, in welcher vieles über den zu Ende gegangenen „Gesprächsprozess“ zu hören war. Dieser wurde zum Teil „erlitten“ (Pfr. Dr. Carsten Renzing), da die Uneinigkeit kaum zu überwinden ist. Es wurde dennoch um den Weg der Landeskirche gerungen. Vom Vertreter der Kirchenleitung wurde begrüßt, dass der „Gesprächsprozess“ ein intensives Bemühen um das rechte Verständnis der Schrift mit sich gebracht hätte. Offenkundig war ihm das Dennoch-beieinander-bleiben ein Herzensanliegen. Er äußerte die schon erwähnte Meinung: „Eine Trennung würde wenig bringen.“ Nichtsdestoweniger wurde deutlich, dass Kirchenleitung und SBI (samt allen durch sie vertretenen Christen) in verschiedene Richtungen streben, dass sie auseinanderstreben. Schlicht gesagt: Man ist in Wahrheit nicht beieinander. Die bibel- und bekenntnisorientierten Glieder der Landeskirche sind mit den Beschlüssen und Verlautbarungen der Kirchenleitung nicht einverstanden, können es auch nicht. Sie erwarten von den Vertretern der Landeskirche die Treue gegenüber Schrift und Bekenntnis – und vermissen sie.
Was will im Unterschied zur SBI die Kirchenleitung? – Allem Anschein nach geht es ihr darum, mit der Welt, die sich gewandelt hat, z. B. was die Einstellung zur Homosexualität betrifft, sich sozusagen zu arrangieren. Das führte zur Öffnung der Pfarrhäuser für eingetragene gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften. Die Spaltung war unvermeidlich. Wer immer etwas Schrift- und Bekenntniswidriges lehrt oder beschließt, richtet Spaltung an – und verliert den Anspruch auf Gefolgschaft, mag er auch von noch so vielen Gliedern der Landeskirche gewählt worden sein. Die Spaltung kann nur beseitigt werden, wenn die Kirchenleitung die anstößigen Beschlüsse zurücknimmt. Sie hat ja gesehen, was sie durch sie bewirkt hat.
Im Grunde genommen geht es zwischen SBI und Kirchenleitung um das Verständnis der Bibel. Was haben wir an der Bibel? Gottes Wort oder ein hervorragendes Dokument der Religionsgeschichte? Was halten wir von Aussagen des berufenen Apostels Paulus zum Thema Homosexualität? – „Zeitlich bedingt und überholt“? – Oder das bleibend gültige Wort Gottes durch seinen berufenen Boten? – Da gibt es kein Sowohl-als-auch.
Wir sollten uns – darin den Reformatoren folgend – klar machen, dass die Briefe des Apostels an uns nicht weniger gerichtet sind als an die Christen in Galatien, Korinth und Rom. Abschließend möchte ich zu der „Infostunde“ sagen: Es steht eine schwerwiegende Entscheidung an. Da bedarf es der Klarsicht und des Beistandes des Heiligen Geistes. Beieinander bleiben ja, aber nicht um jeden Preis. Es gibt auch Trennungen um Christi und des Evangeliums willen (Joh 7,43; 9,16).
In seiner Predigt am Abend dieses Tages hielt uns Theo Lehmann vor, dass Christus niemals bereit war, Menschen „Honig ums Maul zu schmieren“. Dies führte er in einer Betrachtung des Verhaltens Christi in Joh. 6 aus. Christus fordert den Glauben an sich. Viele empfinden dies als eine „harte“ Rede. „Wer kann sie hören?“ (Joh 6,60) Und sie wenden sich ab und folgen ihm nicht mehr. Dennoch macht Christus keine Konzessionen. Bemüht sich nicht, sie zu halten, indem er etwas redet, was ihnen gefallen könnte. Nicht anders sein Bote Paulus, der von sich sagte: „Wenn ich noch Menschen zu Gefallen redete, wäre ich Christi Diener nicht“ (Gal 1,10). Theo Lehmann zeigte dies an dem Verhalten des Paulus gegenüber dem Statthalter Felix, der den gefangenen Apostel kommen ließ, um sich über den christlichen Glauben unterrichten zu lassen. Eine missionarische Chance, die es zu nutzen gilt. Aber nicht mit Hilfe von Schmeicheleien. Und so spricht denn Paulus zu Felix in Gegenwart von dessen Frau Drusilla, einer „notorischen“ Ehebrecherin, von Gerechtigkeit, Enthaltsamkeit und dem zukünftigen Gericht (Apg 24,25). Die Folge dieser Predigt war nicht die Bekehrung des Felix und seiner Frau, sondern Erschrecken – und der Aufschub. „Zu gelegener Zeit will ich dich wieder rufen lassen.“ Aber wird noch einmal eine „gelegene Zeit“ kommen?
Mit Bedacht hatte Theo Lehmann über das kompromisslose Sprechen Christi und seines Boten an diesem Abend gesprochen. Das kam deutlich zum Ausdruck, als er sagte: „Ich sehne mich nach Bischöfen, die entschlossen und rückhaltlos zur biblischen Wahrheit stehen.“ – Der Predigt folgte wie in allen Gottesdiensten der evangelisch-lutherischen Kirche Sachsens das Heilige Abendmahl.
Soviel zu der dritten Versammlung der SBI. Demnächst soll ein Abschlussbericht über den „Gesprächsprozess“ verfasst und im Frühjahr der Synode vorgelegt werden. Wir dürfen gespannt sein, was sich in der sächsischen Landeskirche noch tun wird. Sachsen ist Lutherland. Und ich frage mich im Stillen, ob es in Folge dessen – man erlaube mir den scherzhaften Ausdruck – dort mehr luthert als anderswo. Aber Spaß beiseite: Was haben wir nötiger als die Erinnerung an den Reformator und sein entschlossenes Festhalten am geschriebenen Wort Gottes? Dies war ihm wichtiger als die Wahrung einer Einheit, die nur dem Scheine nach bestand. Abschließen möchte ich meinen Bericht mit der Parole des Reformators: „ Das Wort sie sollen lassen stan!“
Weiterführende Gedanken
Pfarrer Falk Klemm hat im Chemnitzer Appell darauf hingewiesen, dass durch die Verlautbarungen und Beschlüsse der Kirchenleitung „aktive Glieder und Mitarbeiter frustriert und in ihrem Glauben verunsichert wurden“. Das gilt es gehörig zu bedenken. Eine Kirchenleitung verunsichert Christen in ihrem Glauben! „Die Auswirkungen sind in unseren Kirchgemeinden und Werken schmerzlich spürbar“- heißt es des Weiteren. Die SBI ist darauf aus, im Glauben zu bestärken, die Kirchenleitung hingegen nimmt um ihres Kurses willen, eines Kurses der Anpassung an den Zeitgeist, Glaubensverunsicherung in Kauf. Sie wurde durch den Chemnitzer Appell dazu aufgefordert, ihren Kurs zu korrigieren und sich um eine entschieden größere Nähe zur Schrift und den Bekenntnissen zu bemühen.
Aber wie gilt es sich zu verhalten, wenn die Kirchenleitung dieser durchaus berechtigten Forderung nicht entspricht, sondern ihren Kurs beibehält? Vielleicht ist ihr nicht deutlich genug erklärt worden, dass die SBI samt allen Glaubenden, die durch sie vertreten werden, sich genötigt sähe, sich von der Kirchenleitung zu trennen und einen von ihr unabhängigen Weg zu beschreiten, wenn die Kirchenleitung nicht bereit wäre, ihre eindeutig schrift- und bekenntniswidrigen Beschlüsse und Verlautbarungen zurückzunehmen. Wie gesagt, das geschähe nicht zum ersten Male in der Geschichte der Kirche. Wir bedürfen der Erinnerung an die Reformation und den Kirchenkampf. Was sich zur Zeit ereignet, ist ein Kirchenkampf. Es sei an dieser Stelle an das Wort des ehemaligen EKD-Ratsvorsitzenden Hermann Dietzfelbinger erinnert. „Wenn nicht alles täuscht, so stehen wir heute in einem Glaubenskampf, einem Kirchenkampf, gegenüber dem der Kirchenkampf des Dritten Reiches ein Vorhutgefecht war. Das Unheimliche daran ist, dass dieser heutige Kampf vielfach kaum erkannt, zu allermeist verharmlost wird und unter Tarnworten wie ‚Pluralismus‘ voranschreitet.“ Das sagte er 1971 in einem Rechenschaftsbericht vor der EKD-Synode.
Die sächsische Kirchenleitung muss sich vollkommen darüber im Klaren sein, worauf sie es ankommen lässt, wenn sie ihren Kurs der Anpassung beibehält. Es gibt einen Punkt, wo es heißt: „Bis hierher und nicht weiter!“ Wir werden auch gut daran tun, uns zu erinnern, was Paulus im ersten Kapitel des Galaterbriefes geschrieben hat: „Wenn jemand euch ein Evangelium predigt, anders als ihr es empfangen habt, der sei verflucht“ (Gal 1,9). Das ist ein deutliches, ein hartes Wort, aber ein notwendiges. Zwischen denen, die dem Evangelium Gottes von Jesus Christus, seinem eingeborenen Sohn, der sich zu unserer Rettung dahingegeben hat, glauben und denen, die es nicht glauben oder fälschen, kann es keine Kirchengemeinschaft geben. Das hat der Apostel an dieser Stelle ein für alle Mal mit aller Deutlichkeit ausgesprochen. Überhaupt sollten wir uns angesichts der verunsichernd wirkenden Situation darüber klar werden, was wir insbesondere an den Briefen des Paulus haben. Waren sie doch von überragender Bedeutung für die Reformation. Und Reformation ist heute nicht weniger notwendig als damals. Haben wir es doch weithin mit einer Kirche der Deformation zu tun.
Da wagt es ein Landesbischof vor einer Versammlung gläubiger Christen zu behaupten, die Bibel sei ein „ganz normales Stück Literatur“ und damit müssten wir „ernst machen“ (Aufbruch, September 2014, S.2). Womit wir ernst machen müssen, ist etwas ganz anderes, nämlich mit der Heiligkeit der Schrift und den Bekenntnissen der Reformation. Da heißt es z. B. in Art. 28 des Augsburger Bekenntnisses: Wenn die Bischöfe etwas gegen die Heilige Schrift oder das Evangelium lehren, anordnen, sollen wir ihnen nicht folgen. Wie sieht dieses Nicht-Folgen aus? –
Da trifft es sich gut, dass wir in dieser Frage nicht allein auf unsere Überlegungen angewiesen sind. In den USA und in Finnland ist etwas geschehen, was uns als Vorbild und Ermutigung dienen kann. Ich zitiere aus dem Bericht in ideaSpektrum 34/35.2014: „Aus Protest gegen die Entscheidungen der Evangelisch-Lutherischen Kirche Amerikas (ELCA), ihren Pfarrern gleichgeschlechtliche Partnerschaften zuzugestehen und Homosexuelle zu segnen, trennten sie (gemeint: bekennende evangelische Christen) sich von ihrer Kirche, riefen die Nordamerikanische Lutherische Kirche aus und wählten Paull Spring…zum Bischof.“
Warum nicht auch in Deutschland, – dem Land der Reformation? Ich empfehle, sich über dieses Geschehen anhand des genannten Artikels zu informieren. Er trägt die Überschrift: „USA: Eine erfolgreiche Spaltung“. Ich hätte ihn stattdessen mit den Worten überschrieben: „Gesegnete Trennung“. Aber nicht nur in den USA, sondern auch in Europa, nämlich in Finnland hat sich etwas derselben Art zugetragen. Dort wurde ein „Evangelisch-lutherisches Missionsbistum“ gegründet, eine von der Staatskirche unabhängige, an Schrift und Bekenntnis gebundene Kirche. Die Gründung erfolgte am 16. März 2013. Der Bischof dieser Kirche heißt Risto Soramies. Er wird, – so Gott will -, auf dem Kongress des Gemeindehilfsbundes „Die Gemeinde in der Zerreißprobe zwischen Nachfolge und Verweltlichung“ in Zavelstein am 27.-29. März 2015 sprechen. Da kann ich nur sagen, und das sage ich insbesondere allen von der Sächsischen Bekenntnis-Initiative: „Kommet zuhauf!“ und lasst euch ermutigen, lasst euch den neuen, von Gott gewiesenen Weg beschreiben, betrachtet einen solchen Mann, einen wahren Bischof, als einen von Gott geschenkten Lehrer. Wir bedürfen des Gespräches mit solchen Kirchenvertretern wie dem Bischof des „Evangelisch-lutherischen Missionsbistums in Finnland“. Das sind die rechten Gesprächspartner, denen es nicht um die Anpassung an den Zeitgeist geht, sondern um den von Gott gebotenen Weg (vgl. Aufbruch, Informationen des Gemeindehilfsbundes, September 2014, S.9 [1]).
Pfarrer Thomas Bölling, Heidelberg
9.10.2014
www.bekenntnisinitiative.de [2]