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Bleib in seiner Gnade! Ansprache über Apg 2,42

„Sie blieben beständig in der Lehre der Apostel, in der Gemeinschaft, im Brotbrechen und im Gebet“.

Gnade und Segen

Was ist eigentlich Gnade, und was ist Segen? Gibt es da Unterschiede? Hören wir einmal, wie Paulus den Menschen in Lystra den Segen Gottes erklärt hat. „Viel Gutes: Regen, fruchtbare Zeiten, Nahrung, Freude“ hat Gott ihnen geschenkt (Apg 14,17). Das ist Segen. Man muss nicht fromm sein, um Gottes Segen zu empfangen. Gott ist in seiner unbeschreiblichen Liebe so großzügig, dass er allen, Frommen und Nichtfrommen, diesen natürlichen Segen austeilt. „Er lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte“ (Mt 5,45). Wir können uns an dieser Stelle erinnern an die beiden großen Segnungsakte, die Gott bei der Erschaffung des ersten Menschenpaares der Menschheit hat zuteil werden lassen. Er hat sie mit Fruchtbarkeit gesegnet, d.h. sie in die Lage versetzt, Menschen das Leben zu schenken. Und er hat ihnen die Herrschaft über die belebte und unbelebte Erde übertragen und ihnen damit einen Anteil an seiner eigenen königlichen Würde zugeeignet. Zwei gewaltige Segnungsakte. Für alle, für jeden.

Was ist nun dem gegenüber Gnade? Man könnte sagen, Gnade ist ein spezifischer, geistlicher Segen. Gnade ist die besondere Zuwendung Gottes zu denen, die ein demütiges Herz haben, die „geistlich arm sind“, um mit der Bergpredigt zu sprechen (Mt 5,3). Geistlich arm sind diejenigen, die nicht auf ihren eigenen Geist vertrauen, nicht auf ihre Erfahrung und ihren Verstand, sondern die in allen Dingen wissen, dass sie ihr Leben nicht meistern können ohne die Hilfe des Heiligen Geistes. Worin besteht Gnade, worin äußert sie sich? Da ist an erster Stelle die Vergebung der Sünden zu nennen, und dann natürlich das Geschenk des Heiligen Geistes, das Wachsen im Glauben, in der Hoffnung und in der Liebe, das Brauchbarwerden für Gott. Wie komme ich an die Gnade heran? Wie schon gesagt, wir brauchen dazu ein demütiges Herz. „Den Demütigen gibt Gott Gnade“ (Mi 6,8; 1 Petr 5,5; Jak 4,6). Wir können also festhalten, dass es einen deutlichen Unterschied gibt zwischen Segen und Gnade. Der Segen ist für alle da, die Gnade nur für die Demütigen.

Nun ist es klar, dass man nur dann in der Gnade bleiben kann, wenn man in ihr lebt. Deshalb spreche ich zunächst über das Leben in der Gnade und dann über das Bleiben in der Gnade. Schließlich beleuchte ich noch die Frage, ob und wodurch ein Mensch wieder aus der Gnade fallen kann.

1  Das Leben in der Gnade

Gnade ist geistlicher Segen. Am umfassendsten werden wir von Paulus über die Vielfalt der geistlichen Segnungen aufgeklärt im gewaltigen Lobpreis im 1. Kapitel des Epheserbriefs. Es lohnt sich, immer wieder diesen Abschnitt zu studieren, der ja übrigens im griechischen Urtext aus einem einzigen Satz besteht (Eph 1,3-14). Wir beschränken uns hier auf Eph 1,3 „Gelobt sei Gott, der Vater unsres Herrn Jesus Christus, der uns gesegnet hat mit allem geistlichen Segen in der himmlischen Wirklichkeit durch Christus“. Wer Christus hat, lebt in einer doppelten Wirklichkeit. Er lebt in dieser Welt, aber er lebt gleichzeitig auch in der himmlischen Wirklichkeit Gottes, die Christus ihm eröffnet. Und in dieser Wirklichkeit strömt ihm Gnade über Gnade zu. Ich nenne vier wichtige Gnadenströme, die uns zufließen.

1.1 Wir leben durch die Gnade in den Dimensionen des Glaubens und der Liebe. Man kann sagen, im Kreuzeszeichen. Der Glaube beseelt uns, Gottes Ehre zu suchen, Gottes Wort immer besser kennenlernen zu wollen, seine Verheißungen zu studieren und unser Leben an ihnen auszurichten. Die Liebe gibt uns den Willen, die Phantasie und die Kraft, anderen beizustehen und das jeweils Beste für sie zu suchen und ihnen zu geben.

1.2 Wir leben durch die Gnade in einer großen und wachsenden Dankbarkeit. In seinem persönlichsten Kapitel, das wir von Paulus haben, 1 Kor 9, gibt der Apostel uns einen Einblick in die tiefsten Beweggründe für seinen aufopferungsvollen Dienst. Er spricht dort von einer heiligen Notwendigkeit, die ihm auferlegt wurde. Er kann gar nicht anders, als sein ganzes Leben aus Dankbarkeit für Gottes Handeln an ihm nun Gott hinzugeben. Dass ausgerechnet er, der die Gemeinde Jesu bis aufs Blut verfolgt hat, nun das Evangelium in die heidnische Welt tragen soll, das macht ihn unendlich dankbar. Das ist letztlich auch in unserem Leben der stärkste Antrieb für unseren Einsatz für Gottes Reich, die Dankbarkeit für sein Eingreifen in unser Leben. Wohl dem, der diese Dankbarkeit nie verliert!

1.3 Wir leben durch die Gnade in einer tiefen Freude. Im Philipperbrief wird Paulus nicht müde, die Gemeinde zur Freude aufzurufen. Kann man Freude anordnen? Ja, man kann. Denn die Lebensmelodie der Freude ist in uns hineingelegt. Wer den größten Schatz gefunden hat, den es in dieser Welt zu finden gibt, der freut sich unbändig. Und er kann das, was ihn bisher faszinierte und umstrickte, loslassen, so wie der Mensch im Gleichnis, der alles verkaufte, nur um den Acker mit dem großen Schatz zu bekommen.

1.4 Wir leben durch die Gnade in einer dauernden Gebetsverbindung mit dem Dreieinigen Gott. Wir wissen uns umsorgt von einem guten Hirten. Wir lernen, unsere Sorgen abzugeben. Wir lernen unsere Berufung zum geistlichen Priesterdienst kennen und schätzen (1 Petr 2,9) und beginnen mit treuer Fürbitte. Wir erflehen die Barmherzigkeit Gottes für Menschen in Nöten, wir tragen die Nöte zum Altar Gottes.

Das sind geistliche Segnungen, deren Wert nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Und im Grunde machen sie das Leben als Christ aus. Wer diese vierfache Gnade täglich erfährt, wird verändert und umgeprägt zum Ebenbild Gottes. Er wird ein froher und von Gottes Liebe getragener Mensch. Aber die Gnade Gottes ist ein Schatz, der bewahrt werden muss. Wer mit ihm unachtsam umgeht, der kann ihn wieder verlieren. Die Gnade will festgehalten werden, oder anders ausgedrückt, wir müssen in ihr bleiben. Wer die himmlische Wirklichkeit, die ihm Christus eröffnet, wieder vernachlässigt oder verlässt und die Welt wieder liebgewinnt wie Demas (2 Tim 4,10), der verliert diese Segnungen. Wir müssen da auf der Hut sein. Die erste Gemeinde in Jerusalem macht uns vor, wie man als Christ in der Gnade bleibt.

2  Das Bleiben in der Gnade

Wer eine Freundschaft nicht pflegt, wird erleben, dass sie eines Tages nicht mehr trägt. Wer einen Rettungsring loslässt, der ihn über Wasser hält, wird bald untergehen. Wer in einem Stellungskrieg den schützenden Graben verlässt, gerät in Lebensgefahr. Im letzten Buch der Bibel ermahnt der erhöhte Herr die Gemeinde in Sardes, festzuhalten, was sie empfangen und gehört hat (Offb 3,3). So ist es auch mit der Gnade. Wir müssen sie festhalten, täglich, und in ihr bleiben. Wie haben das die ersten Christen in Jerusalem gemacht?

2.1       Sie haben strikt an der apostolischen Lehre festgehalten. In Eph 2,20 heisst es, dass die Gemeinde auf dem Grund aufgebaut ist, den die Apostel und Propheten gelegt haben. Das heißt nichts anderes, als dass die Lehre der Apostel verbindlich ist für die Gemeinde Jesu. Lehrinhalte und Lebensformen, die nicht mit der Lehre der Apostel übereinstimmen, müssen abgelehnt und verworfen werden. Da liegt heute vieles im Argen. Leitende Persönlichkeiten in der evangelischen Kirche erklären, dass Josef der leibliche Vater Jesu gewesen sei und dass man auch in anderen Religionen Zugang zur Wahrheit habe. Synoden erklären, dass die schwangere Frau die letzte Verfügung über Leben und Tod ihres ungeborenen Kindes habe und dass auch gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften gesegnet werden können. Das hat alles mit der Lehre der Apostel nichts mehr zu tun. So bleibt man nicht in der Gnade, sondern verliert sie.

2.2       Sie haben Gemeinschaft geübt. Der Zusammenhang zeigt, dass damit praktische Nächstenliebe gemeint ist. Paulus wurde nicht müde, für die Kollekte für die Jerusalemer Gemeinde zu sammeln, und er hat sie schließlich unter Lebensgefahr nach Jerusalem gebracht. Wie sieht es mit der Fürsorge füreinander in unseren Gemeinden aus? Sind Menschen da, die überlasteten Müttern beistehen, die sich um verwahrloste Jugendliche kümmern, die Kranke und Straffällige besuchen? Die Frucht des Heiligen Geistes, von der Paulus in Eph 5 schreibt, ist nichts anderes als angewandte Nächstenliebe. Wer sein christliches Leben nur für sich lebt und vor der Not der Mitchristen die Augen, das Herz und das Portemonnaie verschließt, steht in der Gefahr, aus der Gnade zu treten und zu fallen.

2.3       Sie feierten regelmäßig das Herrenmahl. Im Altarsakrament wird uns die Vergebung unserer Schuld zugesprochen, und wir erhalten Gelegenheit, unsere Schuld vor Gott zu bekennen. Ein wunderbarer geistlicher Reinigungsprozess wird damit in Gang gehalten. Unseren Leib reinigen wir täglich, und genauso sollten wir den Herrn täglich um Reinigung von unseren Sünden bitten. Die oftmalige und regelmäßige Teilnahme an seinem Mahl ist die von ihm selbst empfohlene Art und Weise, uns der Vergebung unserer Schuld gewiss zu werden und zu bleiben. Martin Luther hat das gesegnete Brot und den gesegneten Wein so oft wie nur möglich begehrt und empfangen. Wir bleiben in der Gnade, wenn wir in der Vergebung bleiben.

2.4       Sie übten sich in dauernder Fürbitte, Bitte, Gotteslob und Danksagung (vgl. 1 Tim 2,1-7). Die Gemeinde Jesu ist eingesetzt zu einer geistlichen Priesterschaft. Ein Priester holt den Segen Gottes in die Welt herunter und legt ihre Nöte auf seinen Altar. Wer das nicht macht, hat sein priesterliches Amt noch nicht begriffen. Ein Kind, das keinen Gesprächspartner hat, wird krank. Eine Ehe, in der nicht gesprochen wird, stirbt. Ein Christ ohne Gebet verliert die Gnade. Dabei ist ja nicht der wohlgesetzte Wortlaut und die Länge des Gebets entscheidend, sondern die Herzenshaltung. Erwarte ich allein von Gott Segen und Gnade, und ist mir bewusst, dass ich aus mir heraus nichts Gutes tun vollbringen kann – oder nicht? Ein reges Gebetsleben lässt uns nicht nur in der Gnade bleiben, sondern auch in ihr wachsen. Was kann es Besseres geben?

3  Das Fallen aus der Gnade

Wer für seinen Glauben und sein Leben die Lehre der Apostel verwirft, wer sein Leben und seine Güter nicht mit anderen notleidenden Christen teilt, wer das Mahl des Herrn und Sündenbekenntnis und Sündenvergebung meidet und wer das Gebet vergisst, der gerät bald in die Gefahr, aus der Gnade zu fallen. Und das hat ganz gravierende Folgen. Man kann sie am 1. Teil dieser Ansprache festmachen.

3.1       Man verliert die Freude und die Lust an Gottes Wort. Die Liebe zu den anderen Christen erkaltet. Die Liebe zu den Feinden wird unmöglich.

3.2       Die Dankbarkeit geht zurück. Man fängt wieder an nach den Gütern und Vorzügen anderer Menschen zu schielen, anstatt für die Segnungen im eigenen Leben dankbar zu sein.

3.3       Die Freude an Gott und am Leben verkümmert. Man rutscht ab in das Wechselspiel zwischen Selbstmitleid und Selbstbeweihräucherung und findet immer mehr Grund zum Jammern.

3.4       Die Gebetsfreude läßt nach, Gebetserfahrungen bleiben aus. Man versucht wieder allein mit den Sorgen fertig zu werden.

Ohne Gnade wird das Leben öde und schal. Selbst alle möglichen irdischen Segnungen wie Gesundheit, Wohlstand, Anerkennung, Freundschaften oder berufliche Erfolge bringen keinen Glanz mehr ins Leben. Natürlich ist damit noch nicht das ewige Heil verspielt, aber ein solches ausgedorrtes geistliches Leben bietet dem Teufel eine Menge Angriffspunkte für seine Versuche, uns ganz und gar den Glauben zu nehmen. Und wenn dann seine Versuchungen kommen, wird es ganz bitterernst.

Nein, so weit sollten wir es gar nicht erst kommen lassen. Lasst uns fröhlich in der Gnade bleiben, so wie es die ersten Christen uns vorgemacht haben. Die Gnade Gottes hat sie durch viele Benachteiligungen und Verfolgungen hindurch gebracht. Und sie ist auch heute noch der sicherste Hafen, der kostbarste Schatz und die unversiegbare Freudenquelle unseres Lebens.