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„Das eine Wort Gottes…“

Zur Barmer theologischen Erklärung 1934

Seit der Machtübernahme Hitlers 1933 hatten die „Deutschen Christen“ innerhalb der Evangelischen Kirche des Landes eine erhebliche Macht gewonnen. Im März 1934 ließen sie verlauten: „In Hitler ist die Zeit erfüllt für das deutsche Volk. Denn durch Hitler ist Christus, Gott der Helfer und Erlöser, unter uns mächtig geworden.“ Ganz im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie sahen sie in Rasse, Volkstum und Nation sichtbare göttliche „Lebensordnungen“, die nach ihrem Verständnis auch Grundlage der Kirche sein sollten. Im Widerstand zu dieser Ideologie bildete sich im April 1934 die „Bekennende Kirche“; im Mai des Jahres trafen sich in Barmen (seit 1929 Stadtteil Wuppertals) 139 Kirchenvertreter (darunter 53 Nichttheologen) aus 25 deutschen Landeskirchen (reformierte, lutherische und unierte) zu einer ersten „Bekenntnissynode“.

Die Synode verabschiedete vor achtzig Jahren die „Theologische Erklärung zur gegenwärtigen Lage der Deutschen Evangelischen Kirche (DEK)“, meist kurz nur „Barmer theologische Erklärung“ genannt, um die „Irrtümer“ der Deutschen Christen zu widerlegen, da die theologische Grundlage der Protestanten verlassen und ihre Einheit zerstört wurde. Ihr Text wurde im Wesentlichen verfasst vom reformierten Theologen Karl Barth, der – aus der Schweiz stammend – damals in Deutschland lehrte.

Die eigentliche Erklärung (nach der Einleitung des lutherischen Pastors Hans Asmussens) besteht aus nur sechs knappen Thesen, jeweils eingeleitet von ein oder zwei Bibelworten. Es folgt die These selbst und eine entsprechende Verwerfung. Ein umfassendes Glaubensbekenntnis will die Erklärung also nicht sein, spricht vielmehr konzentriert in die damalige Situation hinein. Auf Betreiben der lutherischen Vertreter der Synode wurde der Begriff „theologische Erklärung“ gewählt, um sie im Rang nicht mit den lutherischen Bekenntnisschriften gleichzustellen. Reformierte – wie Barth damals – haben mit neuen Bekenntnissen weniger Probleme, und so wird die Erklärung heute auch meist nur von reformierten Kirchen als Bekenntnis voll anerkannt.

Die erste These ist die bekannteste, sie legt das Fundament für die weiteren: „Jesus Christus, wie er uns in der Heiligen Schrift bezeugt wird, ist das eine Wort Gottes, das wir zu hören, dem wir im Leben und im Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben.“ Manche wichtige Frage bleibt hier wegen der Knappheit der Formulierung offen (inwieweit ist die Hl. Schrift Wort Gottes?). Barth gelingt es aber, Grundlegendes zur Sprache zu bringen: Christlicher Glaube ist vor allem hörender Glaube; der Christ hört zuerst auf Gott, der das Wort ist, und auf Gottes geschriebenes Wort. Dieses Wort fordert Vertrauen und Gehorsam. Die Verwerfung macht dann klar, dass nichts anderes diesen Gehorsam beanspruchen darf: „Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne und müsse die Kirche als Quelle ihrer Verkündigung außer und neben diesem einen Worte Gottes auch noch andere Ereignisse und Mächte, Gestalten und Wahrheiten als Gottes Offenbarung anerkennen.“ Dies war damals gegen den Nationalsozialismus gerichtet. Heute gibt es namhafte Theologen, die die zeitgenössische Kultur zur Offenbarungsquelle erheben.

Die zweite These hat ebenfalls nichts von ihrer Aktualität verloren. Durch Christus haben wir einerseits „Zuspruch der Vergebung alle unserer Sünden“, doch gleichzeitig ist er auch „Gottes kräftiger Anspruch auf unser ganzes Leben“. Der christliche Glaube kann also nicht nur im privaten Kämmerlein gepflegt werden, er will all unsere Lebensbereiche bestimmten. „Wir verwerfen die falsche Lehre, als gebe es Bereiche unseres Lebens, in denen wir nicht Jesus Christus, sondern anderen Herren zu eigen wären…“, denn wir sind immer zuerst Christus, seiner Herrschaft und Autorität, unterstellt.

Die Thesen 3,4 und 6 beschäftigen sich mit der Kirche. Sie ist „die Kirche der begnadigten Sünder“, in der Christus durch den Geist „gegenwärtig handelt“. Sie ist „mitten in die Welt der Sünde“ hineingestellt und „allein sein [Christi] Eigentum“. Sie lebt „allein von seinem Trost und seiner Weisung“ (3). Die vierte These unterstreicht: „Die verschiedenen Ämter in der Kirche begründen keine Herrschaft der einen über die anderen…“ Daher darf es keine „mit Herrschaftsbefugnissen ausgestattete Führer“ geben. Dies war natürlich gegen das Eindringen des Führerprinzips in die Kirche gerichtet. Bis heute wird damit aber auch Wesentliches des evangelischen Amtsverständnis festgehalten: es kann durchaus eine gegliederte und gestufte Reihe von Ämter geben wie z.B. ‘zuoberst’ ein Bischof oder Superintendent, doch dieser ist anders als in der Kirche Roms nur mit einem meist zeitlich eng begrenzten Dienstauftrag ausgestattet; wie Barmen sehr gut sagt, kann von Herrschaft über andere Glieder der Kirche im eigentlichen Sinne keine Rede sein.

Die sechste These erinnert an den „Auftrag der Kirche“: „an Christi statt“ hat sie „durch Predigt und Sakrament die Botschaft von der freien Gnade Gottes auszurichten an alles Volk“. Sie darf nicht „in den Dienst eigenmächtiger gewählter Wünsche, Ziele und Pläne“ gestellt werden. Auch dies ist heute, angesichts mancher Verwirrung um Auftrag und Zweck der Kirche weiterhin von großer Wichtigkeit.

Schließlich werden in der fünften These Wesen und Grenzen des Staates umrissen. Dieser hat die von Gott gewollte Aufgabe „unter Androhung und Ausübung von Gewalt für Recht und Frieden zu sorgen.“ Die Kirche ist für diese „Wohltat“ dankbar. Der Staat darf jedoch nicht „einzige und totale Ordnung des Lebens werden“. Er darf nicht in den Aufgabenbereich der Kirche eindringen, und diese darf sich nicht „staatliche Aufgaben und staatliche Würde aneignen und damit selbst zu einem Organ des Staates werden.“ Vielen Synodalen ging es sicher in erste Linie um genau diesen Punkt: eine Zurückweisung des Hineindringens des nationalsozialistischen Staates in die Kirche (man denke an Sätze wie „Christus ist zu uns gekommen in Adolf Hitler“).

Manchmal wird behauptet, mit der Erklärung würde die Zwei-Reiche-Lehre verworfen (so auch im Wikipedia-Beitrag zur Erklärung). So pauschal kann dies gewiss nicht behauptet werden, im Gegenteil. Die Lutheraner unter den Synodalen hätten sonst nicht ihre Zustimmung gegeben. Eine zu scharfe Trennung der Bereiche Staat und Kirche wird tatsächlich verworfen; die Kirche soll ja durchaus die Regierenden an ihre Verantwortung erinnern, also unter Umständen auch ermahnen. Aber die unterschiedlichen Verantwortungsbereiche werden doch recht deutlich herausgestellt. So darf nur die Obrigkeit „unter Androhung und Ausübung von Gewalt“ wirken, die Kirche nicht (so implizit). Diese klare Bejahung der Obrigkeit („Wohltat“), aber auch ihre Eingrenzung und Begrenzung des Auftrags (vor allem eben Sicherung von „Recht und Frieden“), die Ablehnung des totalen Staates, hat bis in unsere Tage nichts an Bedeutung verloren.

Holger Lahayne, Litauen
21.7.2014

www.lahayne.lt [1]