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Wer ist Gott und wie können wir von ihm reden?

Unsere Fragestellung, wie wir richtig oder sogar besser als es etwa in der Kirche heute geschieht, von Gott reden können hat mich an die Katechisierungsszene im Faust erinnert. Faust beantwortet die Frage Gretchens: „Wie hältst du’s mit der Religion?“ mit einer Kette von Gegenfragen: „Wer darf ihn nennen und wer bekennen: Ich glaub‘ ihn? Wer empfinden und unterwinden zu sagen: Ich glaub‘ ihn nicht? … Nenn‘ es dann, wie du willst, nenn’s Glück! Herz! Liebe! Gott! Ich habe keinen Namen dafür. Gefühl ist alles; Name ist Schall und Rauch, umnebelnd Himmelsglut.“ (Faust I, Z. 3432 – 3458) Wenn auch Fausts Antworten fragwürdig bleiben, seine Fragen müssen wir ernst nehmen und sie bewegen uns unverändert bis heute.

Diese Gottesfrage oder das Gottesproblem oder die Gottesnot, kurz und allgemein gesagt: „Die Sache mit Gott“ (H. Zahrnt) halte ich nicht nur für eine Frage der Übersetzung, bzw. der richtigen, besseren moderneren Gottesbilder oder Gottesvorstellungen, also ein Sprachproblem, vielmehr handelt es sich dabei um ein, nein um das theologische Sachproblem schlechthin, mit dem alle Zeiten und alle Theologien zu kämpfen und sich daran abzuarbeiten hatten und haben.

Handelte es sich nur um eine Übersetzungsfrage, so wäre die Antwort relativ einfach, denn das würde ja heißen: Wir – oder wenigstens einige wegweisende Theologen oder die Bibel oder die Systematische Theologie – wissen, wer Gott ist, kennen ihn gewissermaßen gut und vermögen richtige, zutreffende Aussagen über ihn, sein Wesen und Walten in der Welt zu machen. Nur werden diese leider in der Gegenwart nicht mehr verstanden, weil sie eine veraltete Sprache sprechen oder alte, unbrauchbar und unverständlich gewordene Bilder verwenden. Sie müßten also nur für den an sich Bekannten neue, bessere, adäquatere Bilder finden oder erfinden und verwenden, damit man ihn den heutigen Menschen wieder besser vermitteln und nahe bringen könne.

Aber so einfach liegen die Dinge leider nicht, und das hängt nicht nur etwa an unserer Unzulänglichkeit als Theologen oder Christen, sondern es liegt an Gott selbst. Es mag Zeiten gegeben haben, da schien er den Menschen ganz nahe zu sein und hörbar zu ihnen zu sprechen und sich zu offenbaren. Aber heute sieht es anders aus: Da haben wir den Eindruck, daß Gott sich entzieht, verbirgt und schweigt. Wir leben offenbar in einer Zeit der „Gottesfinsternis“ (M. Buber). Gott scheint uns ganz fern zu sein. Er hat uns verlassen (oder haben wir ihn verlassen?); jedenfalls finden wir keinen Zugang mehr zu ihm. Der nur methodische Atheismus der Naturwissenschaften droht sich auszuweiten zu einem weltanschaulichen Atheismus. Wir erleben und erleiden den „Tod Gottes“ (F. Nietzsche). Der „tolle Mensch“ behauptet sogar, wir hätten ihn getötet. Damit sind wir jedoch dem Nihilismus ausgeliefert, in dem alle Orientierung und Werte zusammenbrechen, aller Sinn des Lebens verloren geht, die Sonne gleichsam erlischt und wir in der Finsternis und Kälte, die sich ausbreiten, erstarren und umkommen. Denn wir brauchen Gott.

Aber selbst, wenn es nicht zum Atheismus kommt, verhält sich die Sache mit Gott nicht so einfach, wie manche Christen meinen, die so leichthin ihn als „guten Gott“ anreden.

Das weiß und sagt die Heilige Schrift selbst: Gott ist für uns unsichtbar. Um ihn herrscht schrecklicher Glanz, der uns blendet. Kein Mensch wird leben, der ihn sieht. Er wohnt in einem Licht, da niemand zukommen kann, den kein Mensch je gesehen hat noch sehen kann. Das bezeugt auch das Johannesevangelium: „Niemand hat Gott je gesehehn“ (Joh 1,18).

Doch das „Nicht-sehen“ gilt in einem umfassenden Sinn: Es heißt auch: Wir können ihn nicht fassen, nicht begreifen, nicht verstehen, uns nicht auf eine Ebene stellen mit ihm. Er bleibt für uns der wesenhaft Verborgene, ein abgründiges Geheimnis und unlösbares Rätsel. Wir sind von ihm getrennt und geschieden wie Himmel und Erde, wie Schöpfer und Geschöpf, oder eben wie Gott und Mensch.

Für diese Verborgenheit Gottes, sein unsichtbares Wesen, dem die Bildlosigkeit im Kultus entspricht, hatte Israel ein besonders feines Gespür und wahrte es gerade auch im Gottesdienst des Tempels. Dies Wissen um die Jenseitigkeit und Transzendenz Gottes ist im Laufe der Geschichte des alten Gottesvolkes sogar noch gewachsen. Das drückte sich etwa auch darin aus, daß die Nicht-Darstellbarkeit Gottes ausgeweitet wurde zur Unnennbarkeit und sogar der Name Gottes, Jahwe, tabuisiert wurde bis zum heutigen Tag.

Ein besonders konsequentes Beispiel dafür scheint mir der Text von Hermann Broch zu sein (siehe Beilage!). Hier geschieht allerdings das, was ich als grundsätzliche Gefahr einer einseitigen Betonung der Transzendenz Gottes ansehe: Gott verschwindet gleichsam in der Verborgenheit einer für uns nicht mehr zugänglichen Transzendenz und macht dabei letztlich seine Offenbarung rückgängig. Er wird so sehr zum fernen, unnahbaren Gott, daß mit ihm überhaupt keine Gemeinschaft mehr möglich ist. Etwas in dieser Richtung kann man ja auch bei dem Allah des Islam beobachten.

Bei dem Versuch, Gott zu finden, bedroht uns aber auch die entgegengesetzte Gefahr: Daß wir meinen, ihn in der Immanenz der Welt zu finden und dort erkennen zu können. Wir schießen dabei leicht über das Ziel hinaus. Es genügt uns oft nicht mehr zu sagen: Gott ist wie die Sonne, sondern wir behaupten dann (wie etwa Echnaton) Gott ist die Sonne; wir setzen also Gott mit einem Teil der Welt – oder auch mit der ganzen Welt – gleich. Das läuft auf den sog. Pantheismus hinaus, auf den Satz von Spinoza: Deus sive natura (Gott oder die Natur). Das würde heißen: Alles Irdische, Weltliche ist göttlich. Dann aber wäre Gott von der Welt nicht mehr zu unterscheiden, er würde gleichsam in der Welt versinken und verschwinden. Doch was wäre das für ein Gott? Liefe das nicht auch auf einen nur schlecht getarnten Atheismus hinaus?

So oder so gesehen gilt von unserem Verhältnis zu Gott das, was der Erdgeist zu Faust sagt: „Du gleichst dem Geist, den du begreifst, nicht mir!“ Gott ist der „ganz Andere“. Darum können wir im Grunde überhaupt nicht mehr von ihm reden. Von daher ist es sehr verständlich, wenn K. Barth von sich erzählt, daß er als Pfarrer von Safenwil darunter gelitten hat, daß er jeden Sonntag von Gott predigen sollte und sich selbst die Frage stellen mußte: „Was tust du da? Wie kannst du es wagen, als Mensch, mit menschlichen Worten von Gott zu reden und ihn zu verkünden?“

Aber nun hat sich doch Gott offenbart in der Geschichte mit Israel und mit Jesus Christus und uns befohlen, von ihm zu reden. Damit hat sich auch K. Barth getröstet und es trotz allem weiter versucht, und ist darüber zu einem der bedeutendsten Theologen des 20.Jahrhunderts geworden.

Bei dieser Rede von Gott verwendet die Bibel immer wieder Bilder, Vergleiche und Gleichnisse, und auf diese Weise sollen/dürfen wir es auch versuchen, in Bildern von Gott zu reden. Nur sind wir damit keineswegs alle Probleme los! Die Bilder bleiben problematisch. Manche sind völlig ungeeignet und werden deshalb verwehrt und verboten, weil sie etwas Falsches über Gott aussagen (z.B. das Stierbild!). Außerdem gibt es im Alten Testament das Bilderverbot, das ausdrücklich die Anfertigung von Gottesbildern untersagt, weil in ihnen Gott verdinglicht und verweltlicht würde. Bei der Bilderrede von Gott stellt sich zudem ein grundsätzliches Problem ein: Alle Bilder für Gott sind ja aus dieser unserer irdischen Welt genommen. Sie vermögen es deshalb nicht, Gott wirklich angemessen zur Sprache zu bringen oder wiederzugeben. Sie passen vielleicht in einer Hinsicht (beim Gleichnis nennen wir das den springenden Punkt, das tertium comparationis), und erfassen trotzdem Gott in vieler Hinsicht nicht. Man darf die Bilder darum nicht pressen, sonst wird alles falsch. Wir stehen hier vor einem letztlich unlösbaren Dilemma. Ich habe versucht, es in den folgenden dialektischen Doppelsatz zu fassen:

  1. Mit Bildern können wir nicht von Gott reden.
  1. Ohne Bilder können wir nicht von Gott reden.

Das heißt: Wenn wir in Bildern von ihm reden, geraten wir immer wieder in die Gefahr, Gott durch unsere Bilder zu verfehlen, zu verfälschen und zu verdunkeln. Wir landen dann bei den falschen Göttern. Deshalb ist die Kritik an allen Gottesbildern um Gottes willen notwendig und berechtigt. Wenn wir aber die Bildrede wegen dieser Gefahr verbieten und vermeiden wollen, dann bleibt uns nur noch das mystische Schweigen übrig. Wir haben dann nichts mehr zu sagen, es fehlen uns die Worte. Deshalb läßt sich auch der paradoxe Gegensatz von Bildrede und Bilderverbot/Bildersturm in der Religions- und Kirchengeschichte nicht lösen oder überwinden. Ich halte ihn für eine geradezu notwendige, jedenfalls unumgängliche Aporie. Die bleibt natürlich auch bestehen, wenn wir andere, neue Bilder für unser Reden von Gott suchen und verwenden.

Es scheint mir mit dieser unlösbaren Frage von Bildrede und Bildlosigkeit genauso zu gehen wie mit dem Gegensatz von Theismus und Atheismus: Angesichts der Ungerechtigkeiten der Welt läßt sich der Glaube an einen gerechten und guten Gott nicht halten. Daran scheitert jeder direkte Theismus. Angesichts der Auflösung unseres Wesens und der Welt durch den Atheismus ist der Gottesglaube aber unentbehrlich für uns. Deshalb kann der Atheismus nicht das letzte Wort haben, denn er ist für uns unerträglich.

Für mich drängt sich angesichts dieses logisch unlösbaren Dilemmas der Blick auf die Gottesoffenbarung in Jesus Christus auf. Er bietet mir die notwendige Antwort, so, wie es Joh 1,19 in der Fortsetzung heißt: “ … der Eingeborene, der Gott ist und in des Vaters Schoß ist, der hat ihn uns verkündigt.“ Er hat Gott völlig vertraut, ihn geliebt, ihm gehorcht, und ihn uns als seinen „himmlischen Vater“ nahegebracht. Durch ihn und um seinetwillen dürfen wir ebenfalls Gott vertrauen und ihn lieben. Ich halte es mit H. Zahrnt, der das auf die treffende Formel gebracht hat: „Ich glaube Jesus seinen Gott.“ Ich weiß selber keine bessere Antwort auf die Frage nach Gott, dem verborgenen Gott: Ich glaube, so wie Jesus, so ist Gott, trotz allem!

Jesus Christus ist also schlechterdings unentbehrlich für unsere menschliche, d.h. christliche Gotteserkenntnis. Denn ohne Jesus würde Gott für uns in der unerreichbaren, unzugänglichen Transzendenz verschwinden (vgl. H. Broch!), oder in der Immanenz dieser Welt versinken (wobei dann Gott und Welt gleichgesetzt werden: Pantheismus). In beiden Fällen würden wir Gott letztlich verlieren und blieben mit uns und dieser Welt allein. Die ist jedoch selber zwiespältig und rätselhaft, bietet uns keine letzte Heimat (J. Monod: Wir sind Zigeuner am Rande des Weltalls). Die christliche Gotteserkenntnis vermeidet beide Gefahren, weil wir in Christus der „immanenten Transzendenz“ oder der „transzendenten Immanenz“ begegnen.

Wir erkennen also Gott nur „im Angesichte Jesu Christi“. Eine unvermittelte, direkte Gotteserkenntnis, die für uns verständlich und heilsam wäre, vermag ich nirgends zu erkennen. Und das Gleiche gilt für die Frage nach dem Gottesbild: Jesus Christus ist das „Ebenbild des unsichtbaren Gottes“. In ihm hat er sich gezeigt und abgebildet. Darum ist Jesus das einzige legitime, weil wirklich stimmige, aussagekräftige Gottesbild. Alle anderen Bilder und Vergleiche müssen sich daran messen und korrigieren lassen.

Das gilt es bei allen unseren Versuchen, zeitgemäße – was immer das heißen soll  – Gottesbilder zu finden, zu beachten.

Pfarrer und Studiendirektor i. R. Hanns Leiner, Augsburg, 10.3.2010

Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung des Verfassers.

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ANLAGE:

Aus Hermann Broch, Die Schuldlosen

Es genügt nicht, daß du dir kein Bild von Mir meißelst;  du denkst trotzdem in Bildern, auch wenn du Meiner gedenkst. Es genügt nicht, daß du dich scheust Meinen Namen zu nennen: dein Denken ist Sprache, ein Nennen deine schweigende Scheu. Es genügt nicht, daß du an keine Götter neben Mir glaubst: dein Glauben vermag bloß Götzen zu formen, stellt Mich in eine Reihe mit ihnen, wird dir bloß von ihnen anbefohlen, nimmer von Mir.

Ich bin, und Ich bin nicht, da Ich bin. Deinem Glauben bin Ich entrückt; Mein Antlitz ist Nicht-Antlitz, Meine Sprache Nicht-Sprache. und dies wußten Meine Propheten: Anmaßung ist jegliche Aussage über Mein Sein oder Nicht-Sein, und die Frechheit des Leugners wie die Unterwerfung des Gläubigen sind gleicherweis angemaßtes Wissen; jener flieht die Prophetenrede, und dieser mißversteht sie, jener lehnt sich gegen Mich auf, dieser wird sich mir anbiedern mit bequemer Verehrung, und darum verwerfe Ich jenen, während dieser Mein Zürnen entfacht – eifervoll bin Ich gegen die Zutraulichen.

Ich bin der Ich nicht bin. Ein brennender Dornbusch und bin es nicht.

Aber denen, welche fragen Wen sollen wir verehren? Wer ist an unserer Spitze? denen haben Meine Propheten geantwortet:

Verehret! Verehret das Unbekannte, das außerhalb ist, außerhalb eures Lagers; dort steht Mein leerer Thron unerreichbar im leeren Nicht-Raum, in leerer Nicht-Stummheit, grenzenlos.

Schütze deine Erkenntnis!

Versuche nicht dich zu nähern. Willst du den Abstand verkleinern, so vergrößere ihn freiwillig, und freiwillig verkrieche dich.

In Zerknirschung, in die Annäherungslosigkeit deines Selbst; dort allein bist du ebenbildhaft. So haben es, als die Zeit reif war, Meine Propheten gelehrt, und widerspenstig, lediglich um ihrer Auserwähltheit willen und dennoch auserwählt, haben einige aus dem Volke es verstanden und sich daran gehalten.

Lausche ins Unbekannte, lausche den Zeichen der neuen Reife, daß du da seist, wenn sie anbricht für dein Erkennen.

Dahin richte deine Frömmigkeit, dein Beten.

Mir jedoch gelte kein Gebet: Ich höre es nicht: sei fromm um Meinetwillen, selbst ohne Zugang zu Mir; das sei dein Anstand, die stolze Demut, die dich zum Menschen macht. Und siehe, das genügt.