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Leitbild Staat – Feindbild Familie

Eine regierungsnahe Stiftung will die „verantwortete Elternschaft“ überwinden

Haben die Normalbürger ein falsches Bild von Kindern? Diesen Eindruck erweckt die Studie einer parteinahen Stiftung zu Familienleitbildern, die nach Auffassung der Autoren gründlich modernisiert werden müssen. Emanzipieren müssten sie sich besonders vom Leitbild der „guten Mutter“, die sich eigenhändig um ihr Kind kümmert, ihm dafür viel Zeit und Aufmerksamkeit schenkt. Sie bezweifeln, dass eine solche elterliche Förderung „der späteren Entwicklung des Kindes tatsächlich zuträglich“ ist. Denn Kinder seien „vielfach robuster und selbständiger als die gängigen Leitbilder dies unterstellten, die in der „Idee“ von der „Verletzlichkeit und Schutzbedürf­tigkeit der Kinder“ befangen seien (1).

Solche Forderungen nach einem Wandel der „Leitbilder“ von Kindheit und Familie sind nicht neu: Schon um die Jahrtausendwende wandte sich die OECD in ihren Berichten zur Kinderbetreuung gegen einen vermeintlich antiquierten „Maternalismus“: Dessen Sichtweise auf Kleinkinder als „schutzbedürftige Wesen“ verkenne ihre Fähigkeit, sich „Beziehungen und ein Netzwerk zur eigenen Unterstützung“ zu schaffen. Kinder seien von klein auf nicht als „intellektuell oder sozial unvollständig zu betrachten“, sondern als Individuen, die ihre Interessen selber wahrnehmen könnten (2). Damit soll den Eltern von angeblichen Sachverständigen beigebracht werden, dass sie sich um ihre Kinder weniger zu kümmern und weniger Sorgen zu machen bräuchten.

Für das autonome Kind gibt es prominente Vorbilder in Film und Literatur – von Pippi Langstrumpf bis zu Kevin, der bekanntlich sogar in der Großstadt New York ganz gut alleine zu Recht kommt. Fiktion und Realität sind aber zweierlei. In den populären Filmen geht es um die anarchische Freiheit von Kindern, die die Welt der Erwachsenen auf den Kopf stellen (3). Das neue „Leitbild“ der Kindheit ist weniger romantisch, im Fachjargon heißt es „Institutionenkindheit“: Von klein auf sollen Kinder in Krippen, Ganztagskindergärten- und Schulen aufwachsen (4). Zu viel Engagement von Eltern ist in diesem System hinderlich. Proteste von Eltern gegen bestimmte Formen der Sexualerziehung in öffentlichen Einrichtungen sind in diesem Sinn ein Beispiel für Sand, den Eltern ins Getriebe streuen, wenn sie auf ihrem Erziehungsrecht (Art. 6 GG) beharren (5). Konsequente Advokaten des Systemwechsels fordern deshalb die Elternrechte einzuschränken, zugunsten eines Rechts der Kinder auf eine „bestmögliche“ Erziehung und „Teilhabe an allen Entscheidungen, die sie selbst betreffen“ (6). Sie wissen natürlich, dass Kinder keine kleinen Kevins sind, die unabhängig von Erwachsenen über ihre Angelegenheiten „selbst“ entscheiden. Wenn die Eltern nicht entscheiden, dann tun dies dies die Bürokraten, die die „Curricula“ entwickeln und beschließen, und die staatlichen Betreuer. Genau das ist gewollt – das Aufwachsen von Kindern in „öffentlicher Verantwortung“.

Diese „Entfamilisierung“ der Kinder wird im Tone wohlmeinender Fürsorge für Familien begründet: Eltern sollen „entlastet“, Kinder besser „gefördert“ werden. Die „Angebote“ öffentlicher Betreuung sollen die familiäre Erziehung nicht ersetzen, sondern ergänzen. Zumindest in regierungsoffiziellen Dokumenten wurde auf diese Sprachregelungen bisher geachtet, um nicht mit der Verfassungszusage des Elternrechts in Konflikt zu kommen. Die „Leitbildstudie“, immerhin indirekt von einer Regierungspartei veröffentlicht, schlägt hier einen neuen Ton an: Sie kritisieren das „Leitbild der verantworteten Elternschaft“, das sie für die „Überforderung“ der Eltern durch hypertrophe Ansprüche an Elternschaft verantwortlich machen. Angeblich fordert diese Norm von Eltern, dass sich Kinder „optimal entwickeln“ (7). Das ist eine absurde Unterstellung, denn eine „optimale“ Kindesentwicklung kann niemand garantieren – weder die Eltern noch der Staat. „Verantwortete Elternschaft“ bedeutet schlicht und einfach: Eltern müssen, im Rahmen ihrer Kräfte, für ihre Kinder sorgen. Davon geht unsere Rechtsordnung aus und verlangt deshalb von Eltern Unterhalt für ihre Kinder. Die Alternative dazu wäre, dass Kinder nach ihrer Geburt in staatlichen Heimen abgegeben und dort aus öffentlichen Mittel aufgezogen würden. Der Staat würde dann alle Kosten von Kindern übernehmen. Transferleistungen an Eltern wie das Kindergeld wären dann überflüssig. Öffentliche Mittel für Kinder würden allein in die „Betreuungsinfrastruktur“ fließen (8). Damit wäre das „Leitbild verantworteter Elternschaft“ tatsächlich überwunden. Solche Konsequenzen zieht diese Studie verständlicherweise nicht, sie liegen aber in der Logik des Denkens, das dem Staat alles, den Eltern nichts zutraut. Die Eltern sollen weiter zahlen für die Kinder, über deren Erziehung aber Vater Staat bestimmen. Ein solches System soll Lust auf Kinder wecken – Fragezeichen sind angebracht.

IDAF-Nachrichten, 13/2014 v. 7.7.2014 (www.i-daf.org [1])

(1)   Christine Henry-Huthmacher (Hrsg.): Familienleitbilder in Deutschland. Ihre Wirkung auf Familiengründung und Familienentwicklung, Sankt Augustin 2014, S. 31-32.

(2)   OECD Directorate for Education (Hrsg.): Starting Strong – Early Childhood Education and Care Policy. Länderbericht für Österreich, Paris 2006, S. 13-14. Ausführlicher hierzu:  iDAF-Nachricht der Woche 26-2009, http://altewebsite.i-daf.org/188-0-Woche-26-2009.html [2].

(3)   Treffend bemerkt dazu Norbert Bolz: „Dass Kinder ohne Eltern auskommen müssen, ist eine Grundfigur der Kinderliteratur; das weiß jeder, der Tom Sawyer, Pipi Langstrumpf oder Harry Potter kennen gelernt hat. Aber nur im Roman ist das so abenteuerlich. […]. Dazu passen natürlich auch die psychologischen Ratgeber, die Eltern beibringen, wie man Kindern beibringt, allein zu Hause zu bleiben – ein gewisser Kevin ist hier stilbildend geworden.“ Die Helden der Familie, München 2006, S. 48.

(4)   Selbst für „Tagesrandzeiten“ und die Ferien wird institutionelle Betreuung gefordert, um die „Erwerbsmöglichkeiten“ für Eltern zu verbessern. Vgl.: Stellungnahme der Bundesregierung zum Achten Familienbericht, III-XXIX, in: Zeit für Familie. Familienzeitpolitik als Chance einer nachhaltigen Familienpolitik, Berlin 2012, XI. Zum Begriff der „Institutionenkindheit“: Thomas Rauschenbach: Vorwort, S. 25-27, in: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.): Bericht über die Lebenssituation junger Menschen und die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland (Zwölfter Kinder- und Jugendbericht), Bundestagsdrucksache 15/6014, Berlin 2005, S. 25.

(5)   Eingehender hierzu: iDAF-Nachricht der Woche, 2014/7, http://www.i-daf.org/aktuelles/aktuelles-einzelansicht/archiv/2014/04/06/artikel/vater-staat-oder-elternhaus-wer-soll-die-kinder-erziehen.html [3].

(6)   Vgl. Lore Maria Peschel-Gutzeit: Die Modernisierung der Familie im Lichte der Verfassung, S. 61-68, in: vorgänge Heft 3/2008, S. 67-68.

(7)   Christine Henry-Huthmacher (Hrsg.): Familienleitbilder in Deutschland, a.a.O., S. 23. Die Autoren begründen ihre Argumentation mit Auswüchsen elterlicher Überfürsorge („Helikopter-Eltern), die sie zu Recht als problematisch ansehen. Es ist allerdings kurzschlüssig, solche Übertreibungen kausal auf die Norm „verantworteter Elternschaft“ zurückzuführen. Ebd., S. 28. Hier wären andere Faktoren zu berücksichtigen, nicht zuletzt Ängste um die Zukunft der Kinder. Solche Ängste haben reale Gründe, nicht zuletzt die scharfe Konkurrenz auf den Bildungs- und Arbeitsmärkten. Neue „Leitbilder“ (Welche?) werden diese Sorgen wohl kaum zerstreuen.

(8)   Die Maxime „Betreuungsinfrastruktur statt „Geld“ prägt die familienpolitische Diskussion. In ihren Konsequenzen bleibt sie aber unterbelichtet. Siehe hierzu iDAF-Nachricht der Woche 37-2009, http://altewebsite.i-daf.org/218-0-Woche-37-2009.html [4].

 

csm_13_-_Kinderbetreuung_aus_Sicht_von_Jgl_3887f7d794 [5]