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Stellungnahme zur Erklärung des Weltärztebundes vom Oktober 2013

In einer Presseerklärung der Deutschen Bundesärztekammer vom 22.10.2013 heißt es, dass die Erklärung des Weltärztebundes wesentlich von der Bundesärztekammer mit erarbeitet wurde. So ist es doppelt angezeigt, dass das DIJG (Deutsches Institut für Jugend und Gesellschaft, Reichelsheim, www.dijg.de [1]) die folgende Stellungnahme von NARTH (National Association for Research and Therapy of Homosexuality, Encino, Kalifornien, U.S.A.) veröffentlicht. Das DIJG teilt die Position der NARTH-Stellungnahme. NARTH ist eine „multidisziplinäre professionelle und wissenschaftliche Organisation“. Ihr Ziel ist „die Unterstützung von Personen, die ungewünschte homosexuelle Empfindungen haben.“1

Die „National Association for Research and Therapy of Homosexuality“ (NARTH) ist zutiefst bestürzt über die neue Erklärung des Weltärztebundes. Denn es geht in der Erklärung weniger um das Nachdenken über menschliche Sexualität; vielmehr ist sie ein eindeutiger Vorstoß, sämtliche therapeutischen Maßnahmen zu diskreditieren, zu verunglimpfen, mit denen Klienten, die sich eine Abnahme ihrer homosexuellen Anziehung und ihres homosexuellen Verhaltens wünschen, angemessen unterstützt werden können. NARTH ist der Auffassung, dass es der Erklärung des Weltärztebundes an vielen Stellen an wissenschaftlicher Lauterkeit mangelt; einige Schlussfolgerungen sind nicht mehr als reine Spekulationen, und an vielen Stellen ist der wissenschaftliche Zusammenhang nicht hinreichend hergestellt. Aufgrund dieser gravierenden Defizite hält NARTH es für erforderlich, der Öffentlichkeit Informationen zu liefern, die in der Erklärung des Weltärztebundes unverantwortlicherweise fehlen.

In der Erklärung des Weltärztebundes heißt es ausdrücklich, bei der Homosexualität gebe es „keinerlei intrinsisch mit ihr verbundene gesundheitsschädigende Auswirkungen.“ Das entspricht wohl kaum der Realität: In einer aktuellen, umfassenden Studie (2012) wurde festgestellt, dass bei analem Sex pro sexuellem Akt eine 1,4%ige Wahrscheinlichkeit und pro Partner eine 40,4%ige Wahrscheinlichkeit besteht, sich mit HIV zu infizieren. Die Autoren der Studie befinden: „Die 1,4%ige Wahrscheinlichkeit pro sexuellem Akt ist ungefähr 18 Mal höher als die bei vaginalem Sex.“2 Obwohl homosexuelle Männer nur 2-4% der Allgemeinbevölkerung ausmachen, entfielen 61% aller HIV/AIDS-Neuinfektionen in den Vereinigten Staaten (2009) auf Männer, die Sex mit Männern haben.3 Solche Statistiken mögen in geringem Grad durch Stigmatisierung und Diskriminierung beeinflusst sein, letztlich spiegeln sie aber doch die biologische Realität wider.

NARTH ist irritiert darüber, dass der Weltärztebund diese drastischen gesundheitlichen Auswirkungen offensichtlich nicht als ein intrinsisches und gesundheitsschädigendes Risiko des männlichen homosexuellen Sexualverhaltens in Erwägung zieht.

Stigmatisierung und Diskriminierung von homosexuell lebenden Männern und Frauen sind wichtige Themen, mit denen sich Therapeuten und Ärzte befassen sollten. Die Verbindung zwischen empfundener Diskriminierung und psychischen, gesundheitlichen Problemen ist real, allerdings von geringem Ausmaß.4 Es gibt hier noch sehr viel zu untersuchen; weitere einflussnehmende Faktoren, die unsere jetzige Sicht möglicherweise in Frage stellen, sind zu identifizieren. Ein Beispiel: In den Theorien über einen Zusammenhang zwischen empfundener Diskriminierung und dem Gesundheitszustand wurden das Fehlen oder Vorhandensein eines unterstützenden sozialen Umfeldes oder das Fehlen oder Vorhandensein einer Zugehörigkeit zu einer Gruppe als beeinflussende Faktoren favorisiert. Die Forschung fand jedoch, dass diese Faktoren keine bedeutsame Rolle spielen. Auch Erklärungs-Konstrukte wie „verinnerlichte Homophobie“ könnten rasch an Brauchbarkeit verlieren.5 Die Forschung weist darauf hin, dass Häufigkeit und Art der psychischen Probleme bei homosexuell lebenden Personen dieselben bleiben, unabhängig davon, ob diese in einem toleranten, akzeptierenden Umfeld leben oder in einem intoleranten.6 Das alles zeigt, dass unser jetziges Wissen über einen möglichen Zusammenhang zwischen Stigmatisierung und seelischer Erkrankung alles andere als erschöpfend ist.

Insbesondere ist es schlimm, dass der Weltärztebund unterstellt, therapeutische Maßnahmen zur Abnahme ungewünschter homosexueller Empfindungen und Verhaltensweisen seien für die Klienten eine Form von Stigmatisierung und Diskriminierung, die ihnen schade. NARTH fordert den Weltärztebund auf, klare empirische Beweise für diese Hypothese vorzulegen sowie eine genaue Liste derjenigen Verfahren, die von mit NARTH verbundenen Therapeuten angewandt werden und die angeblich die seelischen Probleme der Klienten verschlimmern sollen. Da es keine Studie gibt, die unterscheidet zwischen psychischen Problemen, die ein Klient schon vor der Therapie hatte, und solchen, die er möglicherweise durch die Therapie erhalten hat, ist NARTH der Auffassung, dass die Erklärung des Weltärztebundes sich hier auf Strohmann-Argumente stützt. Ganz sicher kann sie sich nicht auf den „Task Force Report“ des Amerikanischen Psychologenverbandes (APA) stützen, der 2009 ehrlicherweise zugibt: „Wir können keine Aussage machen zur Frage, wie wahrscheinlich es ist, dass Reorientierungstherapien / Reorientierungsbemühungen Schaden anrichten.“7

Die Abneigung des Weltärztebundes gegenüber bestimmten Formen psychologischer Hilfe und deren theoretischen und ethisch-moralischen Voraussetzungen hat keine wissenschaftliche Grundlage und darf nicht dafür herhalten, Ärzten und Therapeuten mit „Sanktionen und Strafen“ zu drohen. Klare und reproduzierbare empirische Beweise zur Rechtfertigung dieser Abneigung gibt es nicht.

Ebensowenig kann der Weltärztebund seine unbegründete Behauptung beweisen, Therapien mit dem Ziel der Veränderung der sexuellen Orientierung seien mit psychischen Schäden für die Klienten verbunden. Jede Diskussion über angebliche Schäden muss im größeren Zusammenhang von Therapien insgesamt gesehen werden. Umfangreiche wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass es 5-10% aller erwachsenen Klienten nach einer Therapie psychisch schlechter geht als vorher. Höhere Verschlechterungswerte, manchmal bis zu 20%, werden für Kinder und Jugendliche in der Adoleszenz ermittelt. Diese Werte gelten für alle Formen von Psychotherapie.8 Um zu behaupten, dass professionell durchgeführte Reorientierungstherapien spezifisch schädlich seien, müssten also Verschlechterungsraten deutlich über 10% bei Erwachsenen und über 20% bei Jugendlichen nachgewiesen sein. NARTH geht davon aus, dass der Weltärztebund weiß: Die Häufigkeitsraten bezüglich Erfolg oder Schäden bei Reorientierungstherapien sind derzeit nicht bekannt. Es liegt daher der Schluss nahe, dass der Angriff seitens des Weltärztebundes auf diese therapeutischen Maßnahmen ideologisch und nicht wissenschaftlich begründet ist.

Es gibt ein weiteres Strohmann-Argument in der Erklärung des Weltärztebundes, wie auch in anderen Erklärungen von Aktivisten, nämlich, dass die mit NARTH verbundenen Therapeuten die Homosexualität „heilen” wollten [„cure“]. In Wirklichkeit wissen die meisten Therapeuten, dass Veränderung sich immer auf einem Kontinuum bewegt – wie das auch bei fast jedem anderen psychischen Phänomen oder Verhaltensproblem, das Menschen veranlassen mag, psychologische Hilfe zu suchen, der Fall ist.

Der Versuch des Weltärztebundes, Therapien zur Abnahme ungewünschter homosexueller Empfindungen und Verhaltensweisen ausschalten zu wollen, weil Homosexualität nicht mehr als psychische Erkrankung gilt, geht völlig an dem vorbei, was Bandbreite und Aufgabenbereich einer psychotherapeutischen Praxis ausmachen. Es gibt zahllose Beispiele für Therapieziele, die gutgeheißen werden, obwohl die jeweiligen Probleme nicht als Erkrankung gelten. Dazu gehören verschiedene Beziehungsprobleme, normale Trauerreaktionen oder ungeplante Schwangerschaft.

Die Erfahrungen der mit NARTH verbundenen Therapeuten zeigen, dass die allermeisten Klienten therapeutische Hilfe aufgrund ihrer moralisch-ethischen und religiösen Motive suchen, nicht, weil sie homosexuelle Empfindungen und Verhaltensweisen für eine Krankheit oder Psychopathologie halten. Viele Klienten suchen psychologische Hilfe, weil sie tiefgehende religiöse und moralische Überzeugungen haben – etwa weil sie Ehescheidung oder Abtreibung ablehnen. Bei der Bearbeitung dieser Themen in der Therapie erleben sie möglicherweise erheblichen inneren und emotionalen Stress. Die selektive Aufmerksamkeit, die der Weltärztebund in diesem Zusammenhang nur den Reorientierungstherapien widmet, legt wiederum den Schluss nahe, dass es in der Erklärung primär um ideologisierte Ziele geht, nicht um Wissenschaft.

Nach Ansicht von NARTH sind die Empfehlungen des Weltärztebundes eine nicht zu akzeptierende Förderung von gesetzlichen oder anderen Vorhaben, mit denen Intoleranz und Diskriminierung gegen jene sexuellen Minderheiten geschürt werden, die freiwillig psychologische Hilfen zur Abnahme ungewünschter sexueller Empfindungen und damit verbundener Verhaltensweisen oder Identitäten suchen. Das betrifft auch Jugendliche, die freiwillig und mit Zustimmung ihrer Eltern solche Hilfsangebote suchen.

Gesetzliche oder andere Maßnahmen, die Intoleranz und Diskriminierung gegen Ärzte, Psychotherapeuten, Pädagogen und Wissenschaftler fördern, sind ebenso inakzeptabel. Der Weltärztebund will diese Berufsgruppen daran hindern, denjenigen zur Seite zu stehen, deren Anliegen aus Sicht des Weltärztebundes unerwünscht ist. Es geht um betroffene Personen, die nach angemessener Aufklärung und aus freien Stücken Hilfe suchen, um die mit ihrer Sexualität verbundenen Probleme zu lösen, zu verringern oder anders zu bewältigen.

Von Organisationen befürwortete Intoleranz und Diskriminierung, wie sie der Weltärztebund empfiehlt, wäre – wenn sie in irgendeiner nationalen oder internationalen Gesetzgebung verankert würde – eine Verletzung der Menschenrechte wie sie in der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ (AEMR)9 und der „UN-Kinderrechtskonvention“ (UN-KRK, englisch CRC)10 niedergelegt sind.

Darin sind unter anderem die folgenden Rechte für Erwachsenen und Kinder festgelegt:

Das Recht auf:

  1. volle Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit: AEMR Art. 26, vgl. CRC Art. 18.
  2. ärztliche Versorgung und notwendige soziale Leistungen: AEMR Art. 25, vgl. CRC Art. 3.
  3. Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit: AEMR Art. 18, vgl. CRC Art. 14.
  4. Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung; dieses Recht schließt die Freiheit ein, Meinungen ungehindert anzuhängen sowie über Medien jeder Art und ohne Rücksicht auf Grenzen Informationen und Gedankengut zu suchen, zu empfangen und zu verbreiten: AEMR Art. 19, vgl. CRC Art. 12, 13 und 17.
  5. den rechtlichen Schutz vor willkürlichen Eingriffen in sein Privatleben, seine Familie, seine Wohnung und seinen Schriftverkehr oder Beeinträchtigungen seiner Ehre und seines Rufes: AEMR Art. 12, vgl. CRC Art. 4 und 5.

Dies sind nur einige der Bedenken, die NARTH bezüglich der Erklärung des Weltärztebundes hat. Sie sollten ausreichen, um aufzuzeigen, wie zutiefst mangelhaft und irreführend psychologische Hilfen zur Veränderung einer sexuellen Orientierung in der Erklärung des Weltärztebundes dargestellt sind. Weitere maßgebliche Informationen sind auf der NARTH-Website [2] und in der aktuellen Ausgabe des „Journal of Human Sexuality“ zu finden.11

NARTH ist der Auffassung: Angesichts der immer noch begrenzten wissenschaftlichen Daten über Reorientierungstherapien sollte das für professionelle Organisationen angemessene Vorgehen darin bestehen, zu weiterer und ideologiefreier Forschung zu ermutigen.

Die Erklärung des Weltärztebundes verletzt die Rechte und Freiheiten von Therapeuten und Klienten mit ungewünschten homosexuellen Neigungen und Verhaltensweisen, denn sie fordert eine rigorose Orthopraxie, die aber nicht durch eindeutige oder angemessen kontextualisierte empirische Daten abgesichert ist.

Mit dieser Orthopraxie verweigert der Weltärztebund bestimmten moralisch-ethischen, religiösen und theoretischen Auffassungen über Homosexualität jeden Raum. Er beschneidet die Möglichkeiten für Klienten mit ungewünschten homosexuellen Neigungen und Verhaltensweisen, ihre inneren Konflikte und Probleme zu lösen, wie sie es möchten.

Die Erklärung des Weltärztebundes zeugt von einer Rhetorik des massiven Aktivismus und der Einschüchterung und ist einer Organisation, die Professionalität und Wissenschaftlichkeit für sich in Anspruch nimmt, nicht würdig.

Christopher H. Rosik, Ph.D., Präsident von NARTH

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World Medical Association, October 2013: WMA Statement on Natural Variations of Human Sexuality. www.wma.net/en/30publications/10policies/s13/
NARTH-Stellungnahme
im Original: http://www.narth.com/#!world-medical-association—narth/c4c6
Übertragung
ins Deutsche: DIJG

© Januar 2014 DIJG
Quelle: www.dijg.de [1]

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Anmerkungen

1 Zitat siehe: A Twenty Year History Compassionate Service [3] Zugriff am 23. Januar 2014. Die Leiterin des DIJG, Dr. med. Christl R. Vonholdt, ist Mitglied von NARTH.

2 Beyrer, C., Baral, S. D., van Griensven, F., Goodreau, S. M., Chariyalertsak, S., Wirtz, A., and Brookmeyer, R. (2012). Global epidemiology of HIV infection in men who have sex with men. The Lancet. Advance online publication. Abrufbar unter Global epidemiology of HIV infection in men who have sex with men [4] Zugriff am 23. Januar 2014

3 Prejean, J., Song, R., Hernandez, A., Ziebell, A., Green, T., et al., 2011. Estimated HIV incidence in the United States, 2006-2009. PLos ONE, 6, 1-13. Doi: 10.1371/journal.pone.0017502.

Savin-Williams, R. C., Ream, G. L., 2007. Prevalence and stability of sexual orientation components during adolescence and young adulthood. Archives of Sexual Behavior, 36, 385-349. doi:10.10007/s10508-006-9088-5

4 Pascoe, E. A., Richman, L. S., 2009. Perceived discrimination and health: A meta-analytic review. Psychological Bulletin, 135, 531-554. doi: 10.1037/a0016059.

5 Newcomb, M. E., & Mustanski, B., 2011. Moderators of the relationship between internalized homophobia and risky sexual behavior in men who have sex with men: A meta-analysis. Archives of Sexual Behavior, 40, 189-199. doi:10.1007/s10508-009-9573-8

6 Whitehead, N. E., 2010. Homosexuality and Co-Morbidities: Research and Therapeutic Implications. Journal of Human Sexuality, 2, 124-175. Abrufbar unter www.narth.com [2]

7 American Psychological Association, 2009. Report of the APA Task Force on Appropriate Therapeutic Responses to Sexual Orientation Change Efforrts (SOCE). Zitat S. 42. Appropriate Therapeutic Responses to Sexual Orientation [5] [pdf], Zugriff am 23. Januar 2013

8 Lambert, M. J., 2013. The efficacy and effectiveness of psychotherapy. In: Michael J. Lambert (Ed.), Bergin and Garfield’s Handbook of Psychotherapy and Behavior Change, 6th Ed., S. 169-218). – Wiley, Hoboken, NJ. – Lambert, M. J., Ogles, B. M., 2004. The efficacy and effectiveness of psychotherapy. Wiley, New York, NY. – Nelson, P.L., Warren, J.S., Gleave, R. L., Burlingame,G. M., 2013. Youth psychotherapy change trajectories and early warning system accuracy in a managed care setting. Journal of Clinical Psychology, 69, S. 880-895. doi: 10.1002/jclp.21963

9 www.un.org/en/documents/udhr/index.shtml#a11 [6], Zugriff am 23. Januar 2014

10 Übereinkommen über die Rechte des Kindes [7] [pdf], Zugriff am 23. Januar 2014

11 Rosik, C. H., 2013. Countering a One-Sided Representation of Science: NARTH Provides the “Rest of the Story” for Legal Efforts to Challenge Anti-Sexual Orientation Change Efforts (SOCE) Legislation. Journal of Human Sexuality, 5, S. 120-164.