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Predigt zum Palmsonntag über Hebr. 12,1-3

Freitag 11. April 2014 von Walter Tlach (1913-2004)


Walter Tlach (1913-2004)

Die Vollendung der Treue

“Darum auch wir, weil wir eine solche Wolke von Zeugen um uns haben, lasset uns ablegen alles, was uns beschwert und die Sünde, die uns ständig umstrickt, und lasset uns laufen mit Geduld in dem Kampf, der uns verordnet ist, und aufsehen auf Jesus, den Anfänger und Vollender des Glaubens” (“…der Treue”), “welcher, da er wohl hätte können Freude haben, erduldete das Kreuz und achtete der Schande nicht und hat sich gesetzt zur Rechten des Thrones Gottes. Gedenket an den, der ein solches Widersprechen von den Sündern wider sich erduldet hat, auf dass ihr nicht matt werdet und nicht in eurem Mut ablasset.” Amen.

Liebe Gemeinde!

Ich möchte über drei Dinge aus diesem Text sprechen: über die Verfolgung, über die Mahnung zur Verfolgung und über die Tröstung und die Stärkung.

1.)    Die Verfolgung

Dieser Brief ist “An Hebräer” überschrieben, d.h. “An Juden”; genauer gesagt: Er ergeht an jüdische Christen, die von Juden verfolgt werden. Juden gegen Judenchristen.- Das ist auch heute im Staat Israel wieder sichtbar. Vor kurzem hat der Christliche Hilfsbund in Maisenbach eine Nachricht versandt, die besagt, dass ihre Arbeit im Haus “Zedakah” in Shavei Zion für KZ-geschädigte Juden aus Deutschland von Juden verleumdet wird. Die Verfolgung von Judenchristen durch Juden ist das Thema des gesamten Hebräerbriefes. Wie geschah diese Verfolgung?

Es sind drei Erscheinungen dieser Verfolgung deutlich. Zum einen schreibt der Verfasser, der uns unbekannt ist, in Hebräer 10,25: “Verlasset nicht unsere Versammlung, wie einige pflegen.” Der Grund für diese Mahnung ist, dass Juden, jüdische Gegner der Gemeinde also, die Besucher des christlichen Gottesdienstes notierten.- Irgendwo im Osten lebt ein gläubiger Christ, der Bauingenieur beim städtischen Hochbauamt ist. Er geht nur zum Abendgottesdienst, nicht aber zum Gottesdienst am Sonntagmorgen, damit er nicht notiert wird. Er würde sonst seine Stellung verlieren. Es ist nun ein Kampf um die Treue.- So war auch die Verfolgung damals der Kampf um die Treue.

Zum andern schreibt der Verfasser: “Ihr habt den Raub eurer Güter mit Freuden erduldet” (Hebr 10,34). Juden haben Judenchristen geplündert! (Das ist neulich auch in Ashdod vorgekommen.)- Dieser Bruder im Osten, von dem wir eben sprachen, hat Angst, seine Stellung zu verlieren. Seine Entlassung wäre der “Raub der Güter”.- Das hatten die Empfänger dieses Briefes in Kauf genommen. Das ist der Kampf um die Treue zu Jesus!

Die dritte Erscheinung dieser Verfolgung: “Ihr habt mit den Gefangenen gelitten”, schreibt der Verfasser in 10,34. “Gedenket der Gebundenen als die Mitgebundenen” (13,3). Die Judenchristen, die in Freiheit waren, hatten also die Judenchristen in der Haft besucht und ihnen Lebensmittel usw. gebracht. Warum ist das gefährlich? Das Aufsichtspersonal im Gefängnis erkennt in ihnen freilich “Sympathisanten”, und so riskieren diese Judenchristen ihre Verhaftung.

In einem anderen Staat des Ostblocks lebt ein Prediger. Sein Haus steht in einem Garten hinter einem anderen Haus, das an der Straße steht, und von diesem andern Haus aus wird beobachtet, wer im Haus des Predigers aus- und eingeht. Für meine Frau und mich ist von größter Bedeutung, dass wir diesen Bruder besuchen!

Das ist der Kampf um die Treue zu Jesus, dass wir die Brüder in den Staaten des Warschauer Paktes besuchen. Die Türen sind offen, weil die östlichen Staaten westliche Devisen brauchen. Noch sind sie offen!

Verstehen Sie jetzt das Wort: “…der Kampf, der uns verordnet ist…”? Ich scheue mich, das im Westen zu sagen. Was haben wir dagegen für geringe Kämpfe!?

2.)    Die Mahnung an die Verfolgten

“Der Kampf, der verordnet ist”, dem man nicht entfliehen darf! Viele gläubige Christen in der DDR bleiben drüben – “verordnet”! Wer Jesus gehört, empfängt von ihm zweierlei. Auf der einen Seite empfängt er Wunderbares: Frieden (“Meinen Frieden gebe ich euch!”), Freude (die Freude am Herrn), Geborgenheit (“Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid…”). Liebe Gemeinde, das ist das Eine, und mehr wollen wir nicht. Jesus schenkt immer noch das Gegenteil dazu. Jesus führt uns in einen Kampf – in einen Kampf, den der Weltmensch nicht kennt. Dieser Kampf ist ein Kampf um die Treue zu Jesus. Statt “Anfänger und Vollender des Glaubens” sagen wir besser “Anfänger und Vollender der Treue”.

In dieser Mahnung, die Treue durchzuhalten, gebraucht der Verfasser des Hebräerbriefes ein wunderbares Bild: das Bild vom Wettlauf im Stadion. Der Kampf um die Treue zu Jesus und deshalb auch um die Treue zu den Gefangenen ist wie ein 10000-Meter-Lauf auf der Aschenbahn: 25 Runden zu je 400 Meter Länge! Das ist der Lauf, und während dem gibt es viele “tote” Punkte, an denen ich aufgeben möchte. Ein solcher Lauf ist der “Kampf, der uns verordnet ist”.

Im Rahmen dieses Bildes eines Wettlaufes im Stadion sagt der Verfasser dreierlei:

2.1 “Ihr habt eine Wolke von Zeugen um euch!”

Auf den Rängen, auf den Zuschauertribünen sitzen welche, die schauen den Läufern zu! (Ein erschütterndes Bild!) Wer ist das denn? Es sind verstorbene Gotteskinder. Aus der unsichtbaren Welt schaut uns die “Wolke”, das ist die Masse der Vollendeten, zu!

Wenn ich die Biographien von verstorbenen Christuszeugen lese – etwa von Modersohn, von Hudson Taylor oder von dem im Hunsrück umgebrachten Pfarrer Paul Schneider –, oder wenn ich mich meiner Mutter erinnere, so rufen sie mir von den unsichtbaren Zuschauerplätzen zu: “Walter Tlach, wir haben das Ziel erreicht. Du wirst es auch erreichen. Gib nicht auf!”

2.2 “Lasset uns ablegen, was uns belastet!”

Einen 10000-Meter-Lauf absolviert man doch nicht im Wintermantel und mit einer Pelzmütze! Dazu muss man die schweren Kleidungsstücke ausziehen und eine leichte Sportkleidung nehmen. Zu diesem Kleiderwechsel ermahnt der Verfasser. Das heißt: “Komm doch täglich ans Kreuz von Golgatha und lege dort ab, was dich belastet, was du am Tag zuvor falsch gemacht hast! Lege doch deine Sünde ab!”

Liebe Gemeinde, Feigheit um Jesu willen ist oft die Folge davon, dass wir verborgene Sünde mit uns tragen! Lege das, was dich – auch im Glaubensleben – an Sünde belastet, doch ab! Bring’s an das Kreuz von Golgatha! Dann kannst du weiterkämpfen, dann kannst du im Stadion mit leichter Sportkleidung laufen!

Der Verfasser des Hebräerbriefes sagt mit diesem Bild des Stadions etwas Drittes, und hier wird das Bild durchbrochen:

2.3 “Lasset uns laufen mit Geduld!”

Schlatter übersetzt “Standhaftigkeit” statt “Geduld” und sagt in seinem Kommentar dazu: “Die Geduld, die wir beweisen sollen, ist das Gegenteil zur Nachgiebigkeit, ist keine willenlose Schlaffheit.” Es gibt falsche christliche Kompromisse – aus Liebe! Nicht nachgeben, wenn man ausgelacht wird um Jesu willen!

Das Wort “Geduld” hat noch eine andere Bedeutung. Ein Ingenieur in einem Staat des Ostblocks hat als Laie jahrelang fast jeden Sonntag in freikirchlichen Gottesdiensten überall im Land gepredigt, weil es an Predigern fehlte. Nun hat ihm im vergangenen Sommer die dortige Sicherheitspolizei Predigtverbot für das gesamte Land erteilt, denn gläubige Gemeindeglieder haben ihn bei dieser Sicherheitspolizei angeschwärzt. Er ist unschuldig! (Liebe Gemeinde, können Sie jetzt verstehen: “…laufen mit Geduld”?) So weit geht der Verrat! Er möchte sich am liebsten von dieser Kirche trennen, aber er tut’s nicht. “…laufen mit Geduld…” heißt, zu tragen! Mein Auftrag ist es, ihn für dieses Tragen zu stärken.

3.)     Die Tröstung, die Stärkung

“Lasset uns aufsehen auf Jesus, den Anfänger und Vollender der Treue!” Am Anfang steht nicht meine Treue, und am Ende steht auch nicht meine Treue, sondern Seine! Das ist nun der Sinn der vor uns liegenden Karwoche, dass wir aufschauen, dass wir ihn, diesen Gekreuzigten, anschauen. Dort fängt die Treue an: am Kreuz – nicht bei mir, nicht bei dir, nicht bei denen im Osten.

3.1 “Der Anfänger der Treue”

Paulus drückt das in 1. Korinther 3 so aus: “Einen andern Grund kann niemand legen…” Jesu Treue ist das Fundament unseres Lebens, seine Treue am Anfang!- Ich will dazu nur zwei Dinge sagen:

3.1.1 Jesu Ziel

Sehen Sie, zwischen dem heiligen Gott und meinem Leben ist ein unüberbrückbarer Abgrund: meine Schuld! Jesus wollte als Ziel nur eines; er war jedem Erfolgsdenken fremd. Er dachte nicht an Erfolg – genauer gesagt: Er dachte nicht an Ehre. Ich las bei einem Schriftsteller diesen Satz über einen großen Mann, der vielen bekannt ist: “Er wollte nicht nur sein, sondern auch gelten.” Verstehen Sie, dieser Mann wollte nicht nur leben – er wollte, dass man ihn auch anerkennt. Das ist die Ehre, das ist das Ansehen, das ist das, wir alle wollen. Wir alle sind hier krank. Jesus hatte das nicht. Sein Ziel war nicht die Ehre; er kannte nur das eine Ziel, nur die eine Frage, wie er den Graben zuschütten könnte, der uns Menschen von unserem Gott trennt. Er schüttete diesen Graben zu mit sich selbst – am Kreuz. Dazu kam der ewige Sohn auf diese Erde, darin war Jesus treu, dass es ihm nicht um die Ehre von seiten der Menschen ging, sondern nur um dieses Ziel: “Wie beseitige ich die Sünde?”

3.1.2 Jesu Weg

Lukas schreibt in einem Wort, das zu seinem Sondergut zählt, wunderbar: “Es begab sich aber, da die Zeit erfüllt war, dass er sollte sterben, da wandte Jesus sein Angesicht, stracks nach Jerusalem zu wandern” (Lk 9,51). Das war sein Weg. Der Weg zum Sieg über die Sünde war dieses Kreuz von Golgatha, und da ging er “stracks” hin – nur zum Kreuz von Golgatha! Und der Verfasser des Hebräerbriefes sagt: “Er hätte wohl können Freude haben, aber er erduldete das Kreuz und achtete der Schande nicht…” Er hat das Widersprechen von den Sündern erduldet. Es war ein erfolgloser Weg, den Jesus gegangen ist. Er hat drei Jahre lang um Menschen gerungen – und wer stand am Schluss noch bei ihm? Zur Ehre der Frau sei’s gesagt: Drei Frauen und ein Mann. Alle anderen sind aus Angst geflohen, alle seine Anhänger. Drei Frauen und ein Mann nach dreijährigem Ringen um die Menschen – ein völlig erfolgloses Leben! Das Kreuz ist ein einziger menschlicher Misserfolg. Alle spotteten, und deshalb flohen die Jünger.

Um den Misserfolg seines Lebens kümmerte sich Jesus nicht! Er schaute auf den Vater. Sie kennen den Choral “Schau hin auf den Mann von Gethsemane”. Dort, im Garten Gethsemane, hat Jesus diesen Misserfolg durchgekämpft. “Schau hin…” “Siehe, das ist Gottes Lamm!” Er sollte Gottes Nein zu unserem schuldhaften, erfolglosen Leben allein ertragen und uns davon befreien, indem er es an unserer Stelle trug.-

Das ist der “Anfänger der Treue”. Seinem Ziel, den Abgrund der Sünde zwischen uns und Gott zu beseitigen, blieb er treu; und seinem Weg, erfolglos und verspottet ans Kreuz zu gehen, blieb er ebenso treu. Und so hat er die Schlucht aufgefüllt, die den Ewigen von uns trennt.

3.2 “Der Vollender der Treue”

Liebe Gemeinde, wenn Sie die Märtyrer im Osten kennenlernen, werden Sie eine schmerzliche Erfahrung machen: Es gibt keinen Märtyrer ohne Fehler. Sie könnten alle sagen: “Schaut den da an mit seinen Fehlern! Das ist ein Märtyrer!” Das könnten alle Rechthaber sagen – und der Teufel ist ja der größte Rechthaber. Wir vollenden die Treue nicht! Auch im treuesten Christenleben sind Fehler. Der Prophet sagt: “Auch unsere Gerechtigkeit ist wie ein unflätig Kleid.” Jedes Gotteskind hat Schmutzflecken! Wir vollenden’s nicht, doch er vollendet die Treue. Unser Weg hat keine vollendete Treue in sich.

Luther sagt: “In meinem Herzen regiert nur jener einzige Artikel: die Treue Christi (fides Christi), aus welcher, durch welche und in welche bei Tag und Nacht alle meine Gedanken hin und zurück fließen. Und dennoch merke ich: An dieser hohen, breiten und tiefen Weisheit des Kreuzes habe ich nur schwache und arme Anfänge, nur Fragmente (veluti fragmentae) verstanden.” So sieht Luther sein Leben: ein lebendes Fragment!

Er, Jesus, ist “der Vollender der Treue”! Er wird wiederkommen! Er verspricht: “Siehe, ich mache alles neu!” Dann, erst dann kommt der wahre Weltfriede! Erst dann kommt die wahre saubere Umwelt, die wahre Erneuerung meines Lebens! Dann, liebe Gemeinde, ist der Kampf zu Ende. Amen

 (Herrenberg-Gültstein, 15. April 1984)

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Freitag 11. April 2014 um 17:41 und abgelegt unter Predigten / Andachten.