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Wo bleibt die Freiheit der anderen?

Es ist jedem freigestellt, wie er Homosexualität bewertet. Ein Plädoyer für den Schutz einer neuen Minderheit

Es kommt nicht selten vor, dass Sieger sich nicht mir ihrem Sieg allein zufriedengeben, sondern die Besiegten auch noch demütigen wollen. Sie sollen nicht nur ihre Niederlage eingestehen, sondern auch bekennen, dass sie für die falsche Sache gestritten haben und ihrem „Irrtum“ abschwören. So weit scheint es mittlerweile auch schon im Streit um die „Normalität“ von Homosexualität gekommen zu sein. Obwohl es sich um eine kleine Minderheit handelt, die in einer Demokratie eigentlich durchsetzungsschwach sein müsste, ist es der Gruppe der Homosexuellen in Deutschland, im westlichen Europa und in Nordamerika dank einer eindrucksvollen Lobbyarbeit gelungen, ihre Agenda voller Gleichberechtigung und Gleichstellung mit der heterosexuellen Mehrheit zu einer Agenda der Mehrheitsgesellschaft zu machen.

Der politische Erfolg ist durchschlagend und vollständig: Homosexuelle genießen hier volle Freiheit und Gleichheit, und wo es noch letzte Restbestände von „diskriminierender“ Ungleichheit geben sollte, werden sie in kürzester Zeit mit oder ohne verfassungsgerichtliche Hilfe verschwinden. Auch der relativ rasche Umschwung in der öffentlichen Meinung könnte kaum deutlicher sein: Homosexualität gilt im Westen längst den meisten als „ ganz normal“. Nur noch eine kleine Minderheit sieht dies anders.

Doch was als legitimer Kampf gegen Stigmatisierung und Unterdrückung sowie für freie Entfaltung nach Maßgabe selbstbestimmter sexueller Orientierung begann, zeigt mittlerweile unverhohlen selbst eklatant freiheitsfeindliche Tendenzen zu Lasten Dritter, die alarmieren müssen. Aus einem berechtigten Freiheitsanliegen droht der Versuch einer Umerziehung mit staatlichem Befehl und Zwang zu werden.

Es genügt der Lobby der Homosexuellen nämlich nicht, dass sie die Entfaltungsfreiheit für ihre Klientel und die Meinungsführerschaft erstritten hat, sie will jetzt der Minderheit, die noch immer eine abweichende Meinung vertritt, die Freiheit nehmen, Homosexualität weiterhin negativ zu bewerten und ihr Verhalten gegenüber Dritten an dieser Bewertung zu orientieren. Schlimmer noch als diese Tatsache ist, dass Gerichte bereit sind, dieser unter der Fahne der „Antidiskriminierung“ gebieterisch vorgetragenen, freiheitswidrigen Forderung nachzugeben. So wurde beispielsweise in Großbritannien ein Hotelier, der aus religiösen Gründen einem verpartnerten schwulen Paar kein Zimmer mit Doppelbett vermieten wollte, wegen „Diskriminierung“ zu Schadensersatz verurteilt. Der dortige Supreme Court hielt das Verhalten des Hoteliers für einen „Affront gegen die Menschenwürde“! Es wird Zeit, daran zu erinnern, dass auch andere Personen als Homosexuelle Freiheit und Würde haben und daher nicht gegen ihr religiös oder anders begründetes Gewissen gezwungen werden dürfen, praktizierter Homosexualität im Wortsinne wie im übertragenen Sinne Raum zu geben. Diese Gewissensfreiheit ist auch nicht etwa nur auf das Forum Internum und die Privatsphäre beschränkt. Sie umfasst vielmehr auch die äußere Freiheit, das gesamte Verhalten an der eigenen moralischen oder religiösen Überzeugung auszurichten und dieser Überzeugung gemäß in der Öffentlichkeit zu handeln. Wenn es richtig ist, dass die Freiheit des einen da endet, wo die des anderen beginnt, kann niemand die Verwirklichung seiner Freiheit unter Inanspruchnahme einer dazu wegen ihres Gewissens nicht bereiten anderen Person begehren.

Wenn sich solche Beschränkungen der gewissensgeleiteten Handlungsfreiheit wie die des Hoteliers im Westen durchsetzen sollten, dann dürfte hier bald auch die Meinungsfreiheit derjenigen, die homosexuelle Praxis für unsittlich halten und dies, horribile dictu, auch noch auszusprechen wagen, in Gefahr sein. Der Angriff auf die Meinungsfreiheit wird dadurch vorbereitet, dass man all diejenigen, die Homosexualität noch immer negativ bewerten, sämtlich als „homophob“ bezeichnet, womit ihnen eine schlechthin irrationale „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ aus Angst attestiert werden soll. Es versteht sich dann schon fast von selbst, dass dafür keine Meinungsfreiheit in Anspruch genommen werden darf. Doch genau diese Freiheit, auch in Sachen Homosexualität eine von der überwiegenden Meinung abweichende Ansicht äußern zu dürfen, gilt es entschieden zu verteidigen. Denn Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden.

Es ist das gute Recht Homosexueller, ihre Homosexualität zu leben. Aber sie können nicht verlangen, dass auch alle anderen ihre Lebensweise für ein gutes Leben halten und positiv bewerten oder sich andernfalls einer Bewertung gänzlich enthalten. Nein, sie müssen sich, wie jeder andere, auch gefallen lassen, dass ihr Lebensstil von anderen anders, auch negativ moralisch bewertet wird. Dies hindert sie ja nicht an ihrer Freiheitsausübung und tastet, sofern die negative Bewertung nicht den Charakter einer persönlichen Beleidigung annimmt, auch nicht ihre Menschenwürde an. Umgekehrt müssen es die Gegner der Homosexualität hinnehmen, für ihre Haltung – auch scharf – kritisiert zu werden. Das ist Teil des geistigen Meinungskampfes mit der wechselseitigen Zumutung konträrer Ansichten.

Grundrechtsschutz, so heißt es allenthalben, ist Minderheitenschutz. Doch wer schutzbedürftige Minderheit ist, steht nicht ein für alle Mal fest, sondern wandelt sich mit der Entwicklung einer Gesellschaft. In den westlichen Gesellschaften sind es mittlerweile schon weniger die Homosexuellen als vielmehr diejenigen, die Homosexualität für moralisch fragwürdig und homosexuelle Praxis für anstößig halten, deren Freiheit, anders zu denken und in Übereinstimmung mit ihrer inneren Überzeugung zu leben, gefährdet erscheint. Doch ihre Freiheit verdient nicht weniger Respekt und Schutz.

Professor Dr. Christian Hillgruber lehrt öffentliches Recht an der Universität Bonn.

Quelle: www.faz.net [1], online-Ausgabe vom 20.2.2014 [2]

Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung des Verfassers.