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Kirchen als Spaßverderber?

Kirchen als Spaßverderber?

„Es gibt längst keine Sonntagskultur mehr, in deren Zentrum die Religiosität stünde“. So schrieb „Die Zeit“ bereits vor fast zwanzig Jahren. Heute ist den Bürgern der Sonntag kaum noch heilig, allerdings die uneingeschränkte Freizeit. Beim verkaufsoffenen Sonntag stehen wirtschaftliche Erwägungen im Zentrum und kaum höhere Werte „in dem weltweiten Rattenrennen der unternehmerischen Großorganisationen. Da wird ausgepunktet, wer Schwächen zeigt. Die Normen setzen nicht deutsche Gewerkschafter, Kirchenleute oder Politiker“ (Der Spiegel). Gleichwohl prangert der Leitende Evangelische Bischof Hans Christian Knuth die „stets präsente Aufforderung zum Kaufen“ an.

Sind es nicht Spaßverderber, die den Neumünsteranern die Freude an dem sonntäglichen Shopping nehmen? Zweifellos ist der Wunsch mancher Bewohner verständlich, zumal es in unserer Stadt ohnehin nur um vier jährliche Sonntagnachmittage geht. Den Kirchen ist das Feiern des Palmsonntags und des Erntedankfestes wichtiger als höhere Besucherzahlen beim „Landvergnügen“ am 1. April und „Lands-Bulldog-Treffen“ am 30. September durch die Kombinationen mit dem verkaufsoffnen Sonntag. Die Ratsfraktionen haben bereits Zustimmung signalisiert, auch die Partei mit dem „C“, die gar ihren sonntäglichen Frühschoppen volksnah auf die Gottesdienstzeit setzt. Nun sind im Ausland vielfach die Geschäfte sonntags ganz geöffnet, Kiel will 18 verkaufsoffene Sonntage. Wirkt es nicht kleinlich, wenn über ein paar Stunden sonntäglicher Einkaufsbummel überhaupt diskutiert wird?

Die Kirchen hatten einmal in dem gemeinsamen Wort „Der Sonntag muss geschützt werden“ ihrer Sorge Ausdruck verliehen, dass mit der Aufweichung des Arbeitsverbots ein Kernstück der Kultur preisgegeben würde: „Denn die wiederkehrende sonntägliche Arbeitsruhe ist dem Menschen lebensnotwendig und wesensmäßig“ und „ermöglicht ihm regelmäßige Selbstbesinnung, Muße und die Pflege des menschlichen Miteinanders“. Die Aufforderung „Wehret den Anfängen!“ gilt auch hier, denn zumindest den angestellten Verkäufern wird ihr Recht auf den Sonntag beschnitten. Gerade die „gemeinsame“ freie Zeit wird gemindert. Die Humanwissenschaften bestätigen, dass die Wirtschaftlichkeit eines Unternehmens auch von der Menschlichkeit der Verhältnisse abhängt. Dazu ist auch das Geschenk der Sonntagsruhe zu rechnen. Erscheint etwa die Öffnung der Bäckereien als Fortschritt?

Gerade Schleswig-Holstein hat sich vor zehn Jahren verdient gemacht, als es mit dem Volksentscheid zum Buß- und Bettag ein nachdrückliches Zeichen für die Feiertagskultur gesetzt hat. Immerhin hatten für die Wiedereinführung des Bußtags mehr als zwei Drittel gestimmt. Nur wegen der relativ schwachen Wahlbeteiligung reichte das Votum nicht aus. Was dem Buß- und Bettag blühte, kann auch dem Sonntag passieren.

In geistvoller Weise hat sich die „Süddeutsche Zeitung“ über die Bereitschaft in unserer Gesellschaft, auf Feiertage zu verzichten, Anfang 1994 lustig gemacht. „Tatsächlich ist es überfällig, den Heiligen Abend, Silvester und den Faschingsdienstag zusammenzuziehen und auf den 2. Weihnachtsfeiertag zu legen. Dadurch würden drei Arbeitstage disponibel. Ostersonntag und Ostermontag werden auf den Karsamstag, an dem die Auferstehung ohnehin begangen wird, geschoben. Der so gewonnene Sonntag wird Arbeitstag. Der Montag wird Schalttag in dem Sinn, dass bundesweit die Maschinen angeschaltet werden. Die berüchtigten Donnerstags-Feiertage Christi Himmelfahrt und Fronleichnam bleiben, werden allerdings erst ab 18 Uhr begangen. Neujahr schließlich wird mit Silvester zusammengelegt, womit automatisch die obige Regelung in Kraft tritt.“

Aus rechtlichen Gründen sind verkaufsoffene Sonntage problematisch. „Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt“. Das Grundgesetz hat diese Bestimmung des alten Artikel 139 der Weimarer Verfassung in Artikel 140 übernommen. Es handelt sich um ein einklagbares Grundrecht, wie Andreas Mattner feststellt („Sonn- und Feiertagsrecht“). Nach Auffassung dieses Autors erscheint „die Einrichtung eines staatlichen Wächteramts“ als Zugeständnis „an kirchliche und soziale Bewegungen“. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits im Jahre 1969 die kirchlichen Feiertage dem Zuständigkeitsbereich der Kirchen zugeordnet. Bei allem Verständnis für die Auffassung, dass es bei den verkaufsoffenen Nachmittagen nur um einen Bruchteil der Sonntagsruhe geht, darf die symbolische Bedeutung nicht außer Acht gelassen werden. Einer der größten deutschen Dichter, nämlich Friedrich Hölderlin, hatte bereits geahnt, dass Feiertage möglicherweise nicht ewig unangetastet bleiben. In seiner Hymne „Wie wenn am Feiertage“ spricht er immer wieder vom „Heiligen“, vom „Unendlichem“ oder von der „himmlischen Gnade“. Der bedeutende Philosoph Martin Heidegger lässt sich dadurch inspirieren: „Hölderlins Wort sagt das Heilige und nennt so den einmaligen Zeit-Raum der anfänglichen Entscheidung über das Wesensgefüge der künftigen Geschichte“. Die kulturelle Bedeutung spiegelt sich etwa in dem nicht nur grundgesetzlich geschützten Familienleben wieder. Selbst wenn der religiöse Charakter z. T. verloren gegangen ist, der gemeinsame Spaziergang, der Besuch bei Verwandten, der Blumenduft des festlich geschmückten Zimmers, das Festtagsessen oder manches feierliche Zeremoniell mit den positiven Folgen der Ruhe und des Friedens oder der gehobenen Stimmung und Heiterkeit bleiben unvergessliche Kindheitserinnerungen. Das 3. Gebot „Du sollst den Feiertag heiligen“ ist nach den neuesten Erkenntnissen der Wissenschaft alles andere als überholt.

Die geistige Einheit Deutschlands beruht zu einem großen Teil auf gemeinsamen Erfahrungen, Symbolen, Bildern und Zeichen. Der Symbolcharakter des Sonn- und Feiertags macht ihn zu einem Ereignis, das „die offene Gesellschaft kulturell grundiert und den Einzelnen insofern vergemeinschaftet, als er nicht souverän, emanzipativ beliebig Zeit einteilt“ (Peter Häberle in „Feiertagsgarantien als kulturelle Identitätselemente des Verfassungsstaats“). Kirchen haben deshalb zu Recht die Aufgabe, vor einer Verzweckung des Sonntags durch Konsum- und Freizeitindustrie zu warnen. Bereits der atheistische Philosoph Voltaire wusste, dass man den christlichen Glauben am sichersten zerstören könne, wenn man die Feiertage zerstört. Wollen die Ratsherren das wirklich? Feiertage gehören zu den jahrhundertealten Privilegierungen des Volks, die nicht einmal der Nationalsozialismus angetastet hatte. Experten wissen um die Folgen der „Entfamiliarisierung“ im Zusammenhang mit der Gewaltdiskussion. Es geht nicht an, dass die geldwerten Güter bei der Lebenserfüllung in den Vordergrund gerückt werden. Können wir es uns leisten, dass solch kostbares Kulturgut auf dem Altar des materiell geprägten Zeitgeistes geopfert wird? Zornig wurde der evangelische Reformator Martin Luther über die Geldgier: „Der Mammon ist auch ein Gott, das heißt er wird von den Menschen wie Gott verehrt und hilft ihnen auch zuweilen. Es ist eine viel ärgere Sünde als der Diebstahl und reißt auch tiefer ein, wenn man auf den Mammon baut.“ In der Tat übernimmt derjenige, der den Sonntag entwertet, eine kaum übersehbare Verantwortung!

Neumünster