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Das Christuskind mit dem Bade ausschütten

Das Christuskind mit dem Bade ausschütten

Für den Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland stellt die „Bibel in gerechter Sprache“ das Bekenntnis in Frage. Ein Blick in die Geschichte der „gerechten Sprache“ verrät, daß diese Mängel beabsichtigt sind. Und wie es möglich war, eine Übersetzung zu finanzieren, die nie von einem kirchlichen Gremium autorisiert wurde.

Wenn man im Zusammenhang mit der Aufgabe einer Übersetzung von Gerechtigkeit sprechen will, dann in dem Sinne, daß eine Übersetzung dem zu übersetzenden Text gerecht werden muß. Doch die Herausgeber der Bibel in „gerechter Sprache“ verstünden das Gegenteil darunter, nämlich „vorgefaßte Meinungen, die in den Text hineingetragen werden“. So lautet der Ratsbeschluß der EKD vom 31. März.

Im Zentrum dieser „vorgefaßten Meinungen“ steht die Grundannahme der feministischen Theologie: Das Christentum sei ursprünglich frauenfreundlich gewesen, aber schon in der Bibel „patriarchal deformiert“ worden. Und aus der feministischen Linguistik, die als „parteiliche Wissenschaft“ der Frauenbewegung Sprache nicht nur analysieren, sondern normieren will, stammt die „gerechte Sprache“, mit der sich die patriarchale Deformation des Christentums einfach beim Übersetzen korrigieren läßt.

Der Ursprung dieser Idee liegt in Amerika. In den Vereinigten Staaten startete 1848 die erste Welle der Frauenbewegung mit der Verabschiedung der Frauenrechtskonvention von Seneca Falls, verfaßt von Elisabeth Cady Stanton (1815-1902). Sie war nicht nur die erste Frauenaktivistin, sondern begründete 1895 mit der „Woman’s Bible“ auch die feministische Theologie. Die zweite Welle nahm ihren Anfang in den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts, nachdem Pille und Geburtenplanung schlagartig die biologisch bedingte Abhängigkeit der Frauen beendet hatten und sie der Arbeitswelt uneingeschränkt zur Verfügung stellten. War es vor hundert Jahren den Suffragetten noch um Grundfreiheiten wie Besitzrecht, Sorgerecht und Wahlrecht gegangen, forderten die Feministinnen nun die Beseitigung aller Diskriminierungen und Rollenklischees. Dazu wurden in der Politik Frauenquoten durchgesetzt und alle Bereiche der Gesellschaft durchleuchtet, um mit dem Vorurteil aufzuräumen, das Geschlecht bestimme die soziale Rolle, und andererseits das Männliche als gewalttätig zu entlarven, wo es nur geht. In Amerika kontrolliert inzwischen eine Art Sprachpolizei das Verlags- und Bildungswesen auf frauen- und minderheitengerechte Ausdrücke und Inhalte. Die New Yorker Professorin Diane Ravitch, einst Staatssekretärin im Washingtoner Erziehungsministerium, hat in ihrem Buch („The Language Police: How Pressure Groups Restrict What Students Learn“) eine Reihe absurder Beispiele dieser Zensur gesammelt.

Noch mehr davon bietet die deutsche „Bibel in gerechter Sprache“. Dort werden Leben und Glauben im alten Israel und der Urgemeinde den Idealen und Absichten der Übersetzerinnen unterworfen. Die Bedeutung von Frauen wird selbst in Texten sichtbar gemacht, in denen Frauen gar nicht vorkommen. So tauchen beim Übersetzen plötzlich Jüngerinnen, Apostelinnen, Pharisäerinnen, Zöllnerinnen oder Hirtinnen auf. Gottvater wird in eine „ER SIE“ oder „SIE ER“ verwandelt, der Sohn in „Gottes Kind“, der Geist in „die Geistkraft“. Als Anrede ist „Vater“ nur mit dem Zusatz „und Mutter“ erlaubt, und „Herr“ soll ganz gemieden werden. Fast restlos verschwinden Hoheitstitel wie „Christus“ oder „Menschensohn“ in einem herrschaftsfreien Raum. Und im entmilitarisierten Himmel werden die Heerscharen zum „Chor“.

Außer in Victor Golds Edition des Neuen Testaments und der Psalmen von 1995 findet sich nichts davon in den 16 amerikanischen Bibelübersetzungen in „geschlechtsneutraler“ oder „inklusiver“ Sprache, die zwischen 1983 und 1996 erschienen sind. Daß im Land der Reformation deutsche Sprachbereinigerinnen das extremste Beispiel noch überbieten, das Christuskind mit dem Bade ausschütten und Gottvater einer Geschlechtsoperation unterziehen, hängt mit der Entstehungsgeschichte der „Bibel in gerechter Sprache“ zusammen. Sie ist kein Kind des Konsenses, sondern des Kampfes. In ihr spiegeln sich 30 Jahre eines langen Marsches durch die Institution Kirche und das Weltbild einer wissenschaftlichen Parallelgesellschaft: der feministischen Theologie.

Das erste theologische Frauenforschungsprojekt in Deutschland hatten 1974 Hans Küng und Elisabeth Moltmann-Wendel gegründet. Moltmann-Wendel gehört zu einer Generation, die (bis 1964 die Ordination von Frauen ermöglicht wurde) nur als Pfarrvikarinnen Dienst tun konnte. Außerdem mußten sie ledig sein und bleiben. Als die promovierte Theologin 1952 Jürgen Moltmann heiratete, verlor sie somit die Chance auf eine kirchliche Anstellung. Nicht anders erging es Luise Schottroff 1961 bei ihrer Eheschließung. Auch sie wechselte in die Forschung und wurde 1969 die erste Professorin für Neues Testament – und Liebling der revoltierenden Studenten in Mainz. Ein Jahr später schickte ein Unbekannter ein Arbeitspapier ihres Seminars „Gleichnisse Jesu“ an drei Kirchenleitungen, um ihre Bewerbung auf den vakanten Lehrstuhl von Herbert Braun zu vereiteln. Studenten und Assistenten katapultierten sie daraufhin auf Platz eins, die Professoren machten vom Vetorecht Gebrauch, die Studenten besetzten das Dekanat, der Rheinische Präses Joachim Beckmann nannte die Mainzer Theologie antichristlich, und Ministerpräsident Helmut Kohl fragte im Landtag, ob die theologische Fakultät eine rote Zelle sei.

Für die theologische Rebellin Schottroff bedeutete das 16 weitere Jahre als außerplanmäßige Professorin, die sie als faktisches Publikationsverbot, massive Diskriminierung und Marginalisierung erlebte. 1978 konnte sie mit „Jesus von Nazareth – Hoffnung der Armen“ einen Bucherfolg landen. Damit gelang ihr auch, ihre Verknüpfung von Befreiungstheologie mit der sogenannten materialistischen Bibellektüre unter dem Schlagwort „sozialgeschichtlich“ in die deutsche Exegese einzuführen. Von dort zur feministischen Exegese ist nur ein kleiner Schritt, den sie vollzog, nachdem sie sich Elisabeth Moltmann-Wendels losem Netzwerk feministisch interessierter Theologinnen angeschlossen hatte.

Dem folgte 1986 die Gründung der „European Society of Women in Theological Research (ESWTR)“, des ersten rechtsförmlichen Zusammenschlusses feministischer Theologinnen. Bärbel von Wartenberg-Potter, die bis 1985 beim Ökumenischen Rat der Kirchen die Abteilung „Frau in Kirche und Gesellschaft“ geleitet hatte, lud dazu 25 Gründungsmitglieder ins schweizerische Magliaso ein. Mittlerweile gehören der Vereinigung über 500 Theologinnen an. Aus diesem feministischen Forscherinnenpool stammen die meisten Übersetzerinnen der „Bibel in gerechter Sprache“. Sie wurden ergänzt durch Luise Schottroffs männliche Koautoren aus ihren „sozialgeschichtlichen“ Publikationen.

Unterhalb dieser akademischen Höhen drang die feministische Theologie in die traditionelle Frauenarbeit ein. Zunächst über die Zeitschrift „Anhaltspunkte“ des Deutschen Evangelischen Frauenbundes, ab 1983 dann über die „Schlangenbrut“, so etwas wie eine theologische „Emma“. 1979 erläuterte die Berliner Pfarrerin Susanne Kahl (heute Leiterin des Diakonischen Werkes Berlin-Brandenburg) ihren Leserinnen in „Feministische Theologie – eine befreiende Entdeckung“ erstmals, warum das Christentum „patriarchal deformiert“ sei, und ein Jahr später lasen sie in der deutschen Übersetzung des Buchs der katholischen Professorin Mary Daly, „Jenseits von Gottvater, Sohn & Co.“, daß Frauen an keinen Männergott glauben können. Dalys Umkehrschluß „Wenn Gott männlich ist, dann ist das Männliche Gott“, wurde zum meistzitierten Satz feministischer Theologie. 1999 verlor die exkommunizierte Katholikin am Boston College übrigens ihre Lehrerlaubnis wegen Geschlechterdiskriminierung, nachdem sie sich jahrelang geweigert hatte, männliche Studenten zu unterrichten.

In Deutschland war das 1989 bereits Elga Sorge widerfahren, der Verfasserin des „Mutterunsere“, und wenig später auch Jutta Voss, die neben Jesu Blut das Blut der Frauen anbetete. Beim Amtsverlust der beiden Häretikerinnen wurde erstmals die Bekenntniswidrigkeit feministischer Theologie von evangelischen Bischöfen festgestellt. Elga Sorge wollte daraufhin eine eigene „Kirche der Frauen“ gründen, die sich in „Hexenkonventen“ organisierte. Doch ihre prominenten Schwestern Dorothee Sölle, Elisabeth Moltmann-Wendel oder Luise Schottroff machten dabei nicht mit. Heute leitet Elga Sorge die Seniorenarbeit in der FDP in Niedersachsen, während Jutta Voss nahe Tübingen das „Haus Menucha“ betreibt, ein „Ausbildungszentrum für weibliche Mythologie“.

Trotz ihrer Bekenntniswidrigkeit überlebte die Göttin-Spiritualität. Als ein „SIE ER“-Zwitterwesen-Kompromiß wurde sie geduldet und sogar kanonisiert, in praktisch letzter Minute: Als in Berlin die Mauer fiel, beschloß die 7. Synode der EKD auf ihrer 6. Tagung in Bad Krozingen neben Quotenzielen, daß Gott als ein Du anzureden sei, „das in weiblicher und männlicher Form symbolhaft beschrieben werden kann“. In den achtziger Jahren bemühten sich feministische Theologinnen, das im Alten Testament angeblich „verborgene Matriarchat“ freizulegen. Dem Judentum wurde die Zerstörung heidnischer Göttinnen-Kulte vorgeworfen und Jesus als Prototyp des „neuen Mannes“ gesehen, der sich als Frauenfreund gegen seine patriarchalische jüdische Umwelt gestellt habe. Das provozierte den Widerspruch jüdischer Feministinnen – bis hin zum Antisemitismusvorwurf. Die Matriarchatstheologinnen übten umgehend Selbstkritik. Seither ist die Beachtung des jüdisch-christlichen Dialogs ein integraler Bestandteil feministischer Theologie und „gerechter Sprache“.

Wichtigstes Experimentierfeld dieser Sprachregelungen wurde der Kirchentag. Von 1989 an wurden hier für alle Bibelarbeiten neue Übersetzungen in urtextgerechter, frauengerechter, jüdinnengerechter und gegenwartsgerechter Sprache parallel zum Luthertext angeboten. Zwischen 1997 und 2001 erschienen alternative Agenden und Lektionare mit allen Predigttexten beim Gütersloher Verlag. Herausgeber der vierbändigen Reihe „Der Gottesdienst. Liturgische Texte in gerechter Sprache“ waren Hanne Köhler von der Frankfurter Beratungsstelle für Gestaltung und ihr Pfälzer Kollege Erhard Domay. Der „konsequente nächste Schritt“, so Köhler, war die „gerechte“ Übersetzung der kompletten Bibel. Hierfür hätte allerdings der Bertelsmann-Konzern tief in die Tasche greifen müssen und sich damit der Gefahr ausgesetzt, einen teuren Ladenhüter zu produzieren; es sei denn, das unternehmerische Risiko ließe sich auf Sponsoren abwälzen, die das Marketing gleich mit übernähmen.

Dieser Coup gelang. Am 8. Mai 2001 beschloß die Kirchenleitung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) die Projektstelle „Bibel für das neue Jahrtausend“. Sie sollte für die angeblich „genuin kirchliche“ Übersetzungsaufgabe einen „kirchlichen Kontext“ schaffen. Durch diesen „Kontext“ bekam die Verlagsgruppe Random House, wie der Konzern jetzt hieß, die fertige Übersetzung zum Nulltarif, subventioniert aus Kirchensteuern mit einem Stellenetat von etwa 200.000 Euro, dem Honorarverzicht der 52 Übersetzer im Gegenwert von weiteren 200.000 Euro und noch einmal 400.000 Euro Spenden. Wäre es bei der kirchlichen Einbindung tatsächlich darum gegangen, die Christenheit zusammen- und deshalb die Theologie konsensfähig zu halten, hätte die Projektstelle bei der EKD eingerichtet werden müssen. Doch wäre ein Vorhaben mit diesen Übersetzungskriterien dort nicht mehrheitsfähig gewesen. In Hessen-Nassau war das ein Heimspiel. In der achtköpfigen Kirchenleitung saßen drei Frauen, die selbst bereits mit Hanne Köhler zusammen publiziert hatten: Erika Görke 1996 ein alternatives „Glaubensbekenntnis für unsere Zeit“, Heidi Rosenstock 1991 das Buch „Du Gott, Freundin der Menschen“. Die Frankfurter Pröpstin Helga Trösken, seit 1987 erste Frau in einem Amt mit Bischofsrang, war in Hanne Köhlers Liturgieausschuß des 29. Deutschen Evangelischen Kirchentages, der 2001 in der Mainmetropole stattfand.

Noch in derselben Woche kam es dort zum ökumenischen Eklat. Beim Feierabendmahl sollten nach Hanne Köhlers Lied „Komm, Geistin, Geist“ die Einsetzungsworte in einer „unblutigen“ Übersetzung gesprochen werden. Statt „dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut, das für euch vergossen wird“, sagt Jesus nun unversehens: „Schmeckt und seht, was stärkt und zum Leben befreit.“ Die Begründung lautete: „Wir lassen die Vorstellung, Fleisch zu essen und Blut zu trinken, endgültig hinter uns.“ Der Limburger Bischof Franz Kamphaus verbot daraufhin Katholiken die Teilnahme: „Ich bedaure sehr, daß die Einladung zu einem derartigen ,Feierabendmahl‘ an uns ergangen ist. Wir müssen sie ausschlagen.“ Das führte zwar zur Änderung des Liturgieentwurfs, hielt aber die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau nicht davon ab, die Ausschußvorsitzende Hanne Köhler ohne Ausschreibung mit der Verwaltung der Projektstelle „Bibel für das neue Jahrtausend“ zu beauftragen – hinter der das Konzept der Bibel in „gerechter Sprache“ steckte. Mit dieser personellen Entscheidung stand alles Weitere fest: die Übersetzungskriterien, die Kernmannschaft des Übersetzerteams und der Skandal nach dem Erscheinen.

Quelle: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 03.06.2007, Nr. 22