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Die Seligpreisungen

Einleitung

Die Bergpredigt ist ein Kosmos für sich. Viele haben sie schon für ihre Zwecke auszunutzen versucht. Politiker erklärten, sie könnten nicht mit der Bergpredigt regieren. Revolutionäre beriefen sich auf sie. Pazifisten sahen in ihr das Manifest gegen den Krieg. Kritische Geister fühlten sich in ihrem Spott über Jesus bestätigt. Strenge Mönche fanden in ihr die klösterlichen Ideale Gehorsam, Keuschheit und Armut verkörpert.

Doch was ist die Bergpredigt wirklich? Sie ist das Lebensprogramm für die Nachfolger Jesu. Sie führt zu einem Leben unter Gottes guter Herrschaft. Inmitten einer Welt, die nur sich selber kennt, ist die Christenheit zu einem Lebensstil berufen, der von Glaube und Liebe geprägt ist.

Zu wem spricht Jesus? Das steht deutlich am Anfang der Bergpredigt: „Als er aber das Volk sah, ging er auf den Berg und setzte sich, und seine Jünger traten zu ihm. Und er tat seinen Mund auf und lehrte sie“. Diese Predigt hat der Herr seinen Jüngern gehalten, um sie in seine Nachfolge zu rufen und sie dafür vorzubereiten.

Man kann deshalb die Bergpredigt nur dann richtig verstehen, wenn man selber Nachfolger Jesu ist. Was Nachfolge ist, sagt der Herr in Matth. 4,17-19: Zu ihm umkehren und das Leben mit ihm teilen. Dann empfängt man den Heiligen Geist. Dann findet man Freude und Geschmack an diesem neuen Leben, das Gott die Ehre gibt und das Beste für den Nächsten sucht.

Das Volk steht am Rand. Es findet keinen Zugang zu dieser gewaltigen Rede. Matthäus berichtet, daß es sich entsetzte und empörte.

Wer nach dem Gesetz „Wie du mir, so ich dir“ lebt, der hat für die Aufforderung zur Feindesliebe nur ein müdes Lächeln übrig (Matth. 5,44). Wer seine innere Heimat noch in dieser Welt hat, dem erscheint es als eine unbegreifliche Zumutung, daß er zuallererst nach Gottes Reich trachten soll (6,33). Wer gewohnt ist, sich zu nehmen, was er braucht, hält das andauernde und dringliche Gebet für vergebliche Liebesmühe (7,7).

An der Bergpredigt entscheidet sich, wer wir sind.

Der Ort der Bergpredigt ist „der Berg“. Matthäus meint einen bestimmten Berg, aber er nennt uns nicht den Namen. Heilige Orte braucht die Christenheit nicht, denn sie kennt den heiligen Namen Gottes.

Der Berg ist in der Bibel oft die Stätte einer besonderen Gottesoffenbarung. Wir brauchen nur an den Sinai, den Berg der Verklärung oder an den Ölberg zu denken. Was Jesus auf „dem Berg“ predigte, ist also eine besondere göttliche Offenbarung. Hier geht es um nichts Geringeres als um die Leitlinien des neuen Lebens unter Gottes Herrschaft. Die feierliche Situation ist deutlich: Der Herr setzt sich. Die Jünger treten zu ihm.

Selig sind, die da geistlich arm sind, denn ihrer ist das Himmelreich.

Die Bergpredigt beginnt mit den Seligpreisungen. Der Evangelist setzt sie als Leitwort bewußt an den Anfang. Wir dürfen den Begriff „Seligpreisungen“ nicht mißverstehen. Diese Verheißungen sollen keine „seligen“ Gefühle vermitteln. Es handelt sich hier vielmehr um verbindliche Zusagen Gottes an Menschen, die ihre alten Lebensziele verlassen („umkehren“) und bei Jesus Christus ihren neuen Lebenssinn suchen und finden („nachfolgen“).

Die Wahrheit der Seligpreisungen erweist sich in unserem Leben in dem Maße, in dem wir im Glauben unsere konkreten Alltagsentscheidungen auf sie gründen. Wenn wir uns zur Nachfolge Jesu entschließen, gilt fortan in unserem Leben: Du darfst dich glücklich schätzen, denn Gott ist dein König.

Wenn man die Seligpreisungen liest, zählt man acht oder neun Zusagen. Zwei Beobachtungen sprechen aber dafür, eine Siebenzahl und die erste Seligpreisung als Überschrift anzunehmen.

1.)                Die Siebenzahl als Zahl der göttlichen Fülle ist angesichts der Absicht der Bergpredigt, ein komplettes Lebensprogramm für die Nachfolger Jesu zu sein, wahrscheinlicher.

2.)                Die Verheißungen der ersten und achten Seligpreisung („…ihnen gilt die Königsherrschaft Gottes“) sind gleich. Diese Wiederholung erklärt sich am besten dadurch, daß man die erste Seligpreisung als Überschrift versteht. Der Zuspruch der Gottesherrschaft ist seinem Inhalt nach die Zusammenfassung aller Einzelverheißungen (vgl.Matth. 4,17).

Wenn wir die erste Seligpreisung (Matth. 5,3) als Überschrift verstehen, wird ihr Inhalt noch gewichtiger. Jesus spricht seinen Nachfolgern Anteil an der Königsherrschaft Gottes zu.

Unser Begriff „Herrschaft“ ist belastet durch die jahrtausendealte Erfahrung menschlicher Willkürherrschaft. Gottes Herrschaft ist ganz anders. Sein Wesen ist Liebe. Seine Arbeit ist Fürsorge. In seiner Herrschaft prägt sich seine göttliche Herrlichkeit ab. Wenn Gott die Regie über unser Leben übernimmt, dann wird er uns jederzeit das Beste geben. Nicht immer das, was wir wollen, aber immer das, was wir brauchen.

Die Voraussetzung dafür, daß Gott seine gute Herrschaft über unser Leben übernimmt, formuliert Jesus denkbar knapp. Wir müssen „geistlich arm“ sein. Selbstverständlich ist das kein Lob mangelnder Klugheit. Hier geht es um nichts anderes als um die von Jesus grundsätzlich geforderte Lebensänderung: „Kehrt um!“

Der Weltmensch vertraut auf seinen Geist, auf seine Erfahrungen und Kenntnisse. Der Nachfolger Jesu ist mißtrauisch gegenüber seinem Geist, er vertraut auf den Heiligen Geist. Geistliche Armut im Sinne der Bergpredigt ist also nichts anderes als die Demut des Herzens vor Gott. Sie ist das andauernde Eingeständnis, nicht aus eigener Kraft und Klugheit vor Gott und den Nächsten richtig leben zu können.

Selig sind, die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden.

Solange wir unter den Bedingungen unseres Leibes und dieser gefallenen Welt leben, bleiben uns Leid und Traurigkeit nicht erspart. Jesus verheißt uns nicht, daß er die Ursachen von Leid und Traurigkeit von uns fernhält, sondern daß Gott uns trösten wird. Christen werden nicht vor Schwierigkeiten und Nöten bewahrt, sondern in ihnen.

Die Zeitform der Zusage ist die Zukunft. Das bedeutet aber nicht, daß Gott uns seinen Trost erst in der Herrlichkeit bei ihm spendet. Er ist der „Gott des Trostes“, hier und jetzt (2. Kor. 1,3).

Unser menschlicher Leib verursacht eine Menge an Leid und Traurigkeit. Seit dem Sündenfall wohnen im Leib egoistische Begierden und Leidenschaften, er wird regiert von einem Verstand, der unfähig ist, das zu denken, was in Gottes Augen gut ist (Röm. 1,22-32), und er ist von Hinfälligkeit, Krankheit und Tod gekennzeichnet.

Nachfolger Jesu leiden darunter, daß die Sünde, die in ihrem Leib verwurzelt ist, sie immer wieder zu Trägkeit und Lieblosigkeit verführt. Sie kämpfen, daß ihr Leib sich nach dem Willen des Heiligen Geistes richtet (1. Kor. 9,27). Sie sehnen sich danach, mit einem himmlischen Herrlichkeitsleib überkleidet zu werden (2. Kor. 5,2).

Ebenso legt uns unser Leben in dieser gefallenen Welt viel Leid und Traurigkeit auf. Zusammen mit allen anderen Menschen sind auch die Christen den Begierden und Boshaftigkeiten anderer ausgesetzt. Dazu kommen noch Ablehnung und Feindschaft um des Glaubens willen, so wie es die letzte Seligpreisung in Aussicht stellt.

Durch die Botschaft der Bibel sind wir auf dieses zweifache Leiden vorbereitet. Die biblische Lehre vom Menschen zeigt uns, daß er im Kern seines Wesens nicht gut, sondern böse ist. Und was das Leiden um des Glaubens willen betrifft, so wissen wir von den Glaubensvätern wie z.B. Joseph oder Daniel, daß die Welt die Liebe Gottes mit Haß beantwortet.

In dem vielfachen Leiden an unserem Leib und an der gefallenen Welt werden wir von Gott auf vielfache Weise durch den Heiligen Geist getröstet, der für uns als Tröster eingesetzt ist. Wenn wir in Sünde gefallen sind, gehen wir zu ihm und bitten um Vergebung der Schuld. Wenn wir an der eigenen Schwachheit des Glaubens und der Liebe leiden, blicken wir auf Gottes Zusage, daß seine Kraft gerade durch die Schwachen hindurch wirkt (2. Kor. 12,9). Wenn die Todesangst nach uns greift, werden wir uns unseres himmlischen Erbteils bewußt (Röm. 8,17). Wenn die Bosheit anderer uns Not macht, setzen wir Gutes dagegen (Röm. 12,21). Und wenn wir wegen unseres Glaubens bedrängt werden, lernen wir Geduld (Röm. 5,3).

Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Erdreich besitzen.

In der Welt herrschen Macht und Gewalt. Wo der christliche Glaube an die Allmacht Gottes fehlt, dort spielt sich der in Wahrheit ohnmächtige Mensch als mächtiger Ersatzgott auf. Es ist mit den Händen zu greifen, wie sich in unserer entchristlichten Zeit das Machtstreben in  allen gesellschaftlichen Bereichen wie eine Epidemie ausbreitet. Männer gegen Frauen, Frauen gegen Männer. Eltern gegen Kinder, Kinder gegen Eltern. Lehrer gegen Schüler, Schüler gegen Lehrer. Arbeitgeber gegen Arbeitnehmer, Arbeitnehmer gegen Arbeitgeber.

Als Nachfolger Jesu sind wir berufen, nach seinem Motto zu leben: „Wer unter euch groß sein will, der sei euer Diener“ (Matth. 20,26).

Was Jesus von uns erwartet, hat er selber vorgelebt. Er hat die Herrlichkeit Gottes verlassen und auf die Allmacht Gottes verzichtet. Er hat in vollkommener Selbsterniedrigung gelebt. Und er hat sich an das Kreuz schlagen lassen, ohne die himmlischen Heerscharen zu Hilfe zu holen. Petrus schildert Jesu Sanftmut anschaulich: „Der nicht widerschmähte, als er geschmäht wurde, nicht drohte, als er litt“ (1. Petr. 2,23). Weil Jesus so lebte,  konnte er auch sagen: „Lernt von mir, denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig“ (Matth. 11,29). Ebenso heißt es im Hebräerbrief: „Gedenkt an den, der soviel Widerspruch gegen sich von den Sündern erduldet hat“ (Hebr. 12,3).

Sanftmut im Sinne Jesu ist keine menschliche Möglichkeit. Wir müssen sie von Gott empfangen. In der Nachfolge Jesu wächst sie uns als Frucht des Heiligen Geistes zu (Gal. 5,23).

Der Sanftmütige verzichtet darauf, sich auf Kosten anderer durchzusetzen. Er ist nicht ängstlich um seinen Einfluß besorgt. Weil er Gottes Allmacht kennt, hat er es nicht nötig, mit menschlichen Machtmitteln zu kämpfen. Statt dessen vertraut er auf die Wirksamkeit des Heiligen Geistes, gemäß dem prophetischen Wort „Es soll nicht durch Heer oder Kraft, sondern durch meinen Geist geschehen, spricht der Herr“ (Sach. 4,6). Dieses Vertrauen schenkt ihm Frieden.

Die Verheißung dieser Seligpreisung ist außerordentlich. Sie stellt die Eigentumsverhältnisse auf der Erde auf den Kopf. Nicht den Mächtigen, Reichen und Brutalen gehört in Wahrheit die Erde, sondern den Nachfolgern Jesu. Weil Jesus Christus der wahre König ist über die sichtbare und unsichtbare Welt und wir im Glauben mit ihm verbunden sind, gibt er uns Anteil an seinem geistlichen Königtum. So dürfen wir in Sanftmut und Liebe Salz und Licht sein für diese Welt.

Auch die erneuerte Erde wird den Sanftmütigen gehören. Wenn der Herr wiederkommt, wird er den Auserwählten aus seinem Volk Israel die Herrschaft über die neue Erde übertragen.

Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit, denn sie sollen satt werden.

Hier ist nicht die irdische, sondern die göttliche Gerechtigkeit gemeint. Die Gerechtigkeit dieser Welt gibt Lohn für Leistung. Die Gerechtigkeit Gottes schenkt durch den Glauben an Jesus Christus ein neues Leben.

Die Religionen dieser Welt gehen, alle auf ihre Weise, den Weg der Leistung und suchen Lohn. Um aber Gottes Gerechtigkeit zu empfangen, muß der Mensch mit leeren Händen kommen, und er muß Gottes Gnade suchen. Das fällt ihm schwer, denn er möchte vor Gott gern etwas vorweisen und nicht völlig von Gottes Gnade abhängig sein. Aber ohne diese beiden Voraussetzungen wird er vergeblich suchen.

Um mit leeren Händen zu Gott zu kommen und nur um Gottes Gnade zu bitten, braucht der Mensch ein demütiges Herz. Wenn er demütig ist, wird er Gottes Gnade empfangen, denn „den Demütigen gibt Gott Gnade“ (1. Petr. 5,5).

Demut kann man bei den Menschen der Bibel lernen. Der Psalmist bekennt, daß vor Gott keine Lebendiger gerecht ist (Ps. 143,2). Daniel liegt in seinem Gebet vor Gott und vertraut nicht auf seine eigene Gerechtigkeit, sondern sucht allein Gottes große Barmherzigkeit (Dan. 9,18). Der Zöllner schlägt sich an die Brust und spricht: „Gott, sei mir Sünder gnädig“ (Luk. 18,13). Bartimäus ruft: „Jesus, du Sohn Davids, erbarme dich meiner!“ (Mk. 10,47).

Wie sieht das aus, wenn ein Mensch satt wird durch Gottes Gerechtigkeit, oder anders gesagt, wenn er Gottes Heil empfängt? Er wird nun von zwei Bewegungen erfaßt, die ihn vom Selbstbezug freimachen, vom Glauben und von der Liebe.

Der Glaube wird erweckt durch die Botschaft der Bibel. Nachfolger Jesu suchen immer wieder Gottes Wort, weil sie wissen, daß sonst ihr Glaube verkümmert. Der Glaube entwickelt eine eigene Dynamik. Er weckt in uns das Interesse an Gottes Wesen, an Gottes Willen und an Gottes Ehre. Die Prioritäten des Lebens verschieben sich. Die Meinung Gottes wird uns wichtiger als die Meinung von Menschen.

Auch die Liebe hat eine Eigendynamik. Sie öffnet uns den Blick für unsere Nächsten und zeigt uns, was sie wirklich brauchen. Sie gibt uns Phantasie dafür, wie wir ihnen helfen könnten. Sie stattet uns mit Kraft aus für das Wollen und Vollbringen.

Dabei gibt sich die wahre Liebe niemals zufrieden mit vordergründiger Hilfe, so wichtig die praktische Fürsorge für Leib und Seele auch ist. Nein, die Liebe Gottes möchte dem anderen darüber hinaus das Allerbeste geben, und das ist die Geborgenheit bei Gott in Zeit und Ewigkeit durch den Glauben an Jesus Christus. So schütteln wir die Gleichgültigkeit ab und beginnen, Gott für unsere Nächsten zu bitten. Wir werden priesterliche Menschen.

Selig sind die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erlangen.

Gottes Barmherzigkeit ist ein unermeßlicher Schatz. Nachdem das Volk Israel sein Herz von Gott abgewandt und dem Götzenbild des goldenen Stiers zugewandt hatte und Mose mit Zittern und Zagen noch einmal vor Gott erschien, empfing er eine Gottesoffenbarung, die ihn zutiefst erschütterte. Gott gab ihm Einblick in seine Barmherzigkeit. Mose konnte nur ausrufen: „Herr, Herr, Gott, barmherzig und gnädig und geduldig und von großer Gnade und Treue!“ (2. Mose 34,6).

Dieses barmherzige Wesen Gottes war in Jesus vollkommen verkörpert. Aus reiner Barmherzigkeit ist der Herr seinen Weg in diese Welt und in den Tod gegangen.

Jesus erwartet von seinen Nachfolgern Barmherzigkeit. Das ist keine Aufforderung zu mehr Toleranz, noch viel weniger zur Billigung von Sünde. Hier geht es um unsere Vergebungsbereitschaft. Sie soll unendlich groß sein. Das macht Jesus seinem Jünger Petrus klar, als der ihn fragte, ob es genüge, dem schuldigen Bruder siebenmal zu vergeben. Nein, war Jesu Antwort, sondern siebzig mal siebenmal (Matth. 18,21f.).

Eine solche Barmherzigkeit ist unserem Wesen fremd. Wenn uns aber durch den Heiligen Geist deutlich wird, wie barmherzig Gott mit uns ist, dann können auch wir barmherziger mit denen werden, die an uns schuldig geworden sind.

Unsere Barmherzigkeit steht unter der Verheißung der göttlichen Barmherzigkeit. Insofern entspricht diese Seligpreisung der 5. Bitte des Vaterunsers: „Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“.

Wir brauchen Gottes Gnade von früh bis spät. Es gehört zur geistlichen Nüchternheit der Nachfolger Jesu, daß sie sich darüber im klaren sind, daß sie täglich sündigen und immer wieder die Vergebung Gottes benötigen. Christen sind nicht besser als die Weltmenschen. Aber sie sind besser dran, denn sie wissen, wo sie Vergebung bekommen können. Wenn wir diesen Realismus verlieren und uns selber einen Heiligenschein aufsetzen, fallen wir aus der Verheißung der göttlichen Barmherzigkeit.

Gottes Barmherzigkeit brauchen wir nicht nur für unser tägliches Leben hier und heute, sondern vor allem auch im Blick auf Gottes Gericht und unsere Ewigkeit. Dann wird es ganz wichtig sein, ob wir unter der empfangenen Gnade Gottes selber barmherzig geworden sind, denn „es wird ein unbarmherziges Gericht über den ergehen, der nicht Barmherzigkeit getan hat“ (Jak. 2,23).

In diesem ewigkeitlichen Horizont wird aber auch erst ganz klar, wie kostbar die Zusage der göttlichen Barmherzigkeit ist. Wer als begnadigter Sünder hier aus Gottes Gnade lebt und allen vergibt, die ihn um Vergebung bitten, der darf in der lebendigen Hoffnung sterben, daß Gott ihm im Gericht gnädig sein wird.

Selig sind, die reines Herzens sind, denn sie werden Gott schauen.

Bei keiner anderen Seligpreisung spüren wir es so deutlich, daß wir ihre Voraussetzung nicht erfüllen. Ein reines Herz zu bekommen, das liegt nicht in unserer Kraft. Wir können wohl unseren Körper reinigen, nicht aber unser Herz. Aus dem Herzen kommt alles Böse, wie es Jesus einmal dem Volk erklärte (Matth. 15,19). Das Grundübel des menschlichen Herzens ist sein Selbstbezug. Es ist verkrümmt in sich, wie es Martin Luther ausdrückte. Was ist damit gemeint?

Das unreine Herz sucht nicht Gottes Ehre, sondern die eigene. Es sucht auch nicht das Beste für den anderen, sondern denkt im tiefsten nur an sich selbst.

Die Nachfolge Jesu wird dann ernsthaft, wenn uns der Wunsch nach einem reinen Herzen erfüllt. David hatte diesen Wunsch, als er betete: „Schaffe in mir, Gott, ein reines Herz“ (Ps. 51,12).

Nichts erhört Gott lieber als solche Gebete, denn er hat uns ja zu seinem Ebenbild erschaffen, und er will, daß wir Anteil an seinem Wesen bekommen.

Wer um ein reines Herz betet, wird in irgendeiner Weise Gottes Reden hören. Er wird erfahren, daß sein Glaube gestärkt und neu auf Gottes Ehre hin ausgerichtet wird. Und die Liebe zu seinen Nächsten wird in ihm neu entzündet werden. Glaube und Liebe brennen den Egoismus unseres Herzens immer wieder weg.

In der doppelten Bewegung des Glaubens, der uns zu Gott hinzieht, und der Liebe, die uns zum Nächsten hinzieht, erschließt sich uns die Herrlichkeit des Dreieinigen Gottes. Wir wachsen im Verständnis seines Wesens, seines Willens und seiner Pläne. Unsere Glaubens- und Lebensgemeinschaft mit Jesus Christus wird gefestigt. Wir wollen ihn immer besser kennenlernen, und er gibt sich uns immer mehr zu erkennen. In diesem Aufblick zu ihm, dem Anfänger und Vollender unseres Glaubens (Hebr. 12,2), erfüllt sich die Verheißung dieser Seligpreisung an uns.

Und das Schönste: Durch den Anblick unseres Herrn werden wir „verändert zu seinem Bild, von Herrlichkeit zu Herrlichkeit“ (2. Kor. 3,18).

Die Verheißung, Gott zu schauen, hat noch größere Dimensionen.

Für uns, die Gemeinde Jesu aus den Völkern, hat der Herr eine himmlische Wohnung bereitet, einen neuen Leib (Joh. 14,2). Wenn er wiederkommt, wird er seinen Nachfolgern diesen Herrlichkeitsleib geben (1. Thess. 4,13-18), und sie werden den lebendigen Gott in seiner Schönheit schauen.

Für Israel, Gottes auserwähltes Volk, hat der Herr auf der neuen Erde die großartige Aufgabe vorgesehen, Priester und Könige für die dann lebenden Menschen zu sein. Er selbst, Jesus Christus, wird dann im Heiligtum des Neuen Jerusalem auf dem Thron sitzen. Die ihm dienen, werden ihn dort schauen (Offenb. 22,3f.).

Selig sind die Friedensstifter, denn sie werden Gottes Kinder heißen.

Unzählige Kriegsgegner haben mit dieser Seligpreisung ihre Haltung begründet. Doch wie schon beim Begriff der Gerechtigkeit geht es auch hier nicht um den Weltfrieden, sondern um Gottes Frieden. Das zugrunde liegende hebräische Wort „Schalom“ meint das umfassende Heil Gottes für die Völker, für alle Kreatur und die ganze Natur.

Nach dem Zeugnis der Bibel ist der natürliche Mensch unfähig zum Frieden (Röm. 3,17). Nur Gott selbst, der „Gott des Friedens“ (1. Thess. 5,23), vermag wahren Frieden zu stiften (Jes. 45,7; Joh. 14,27).

Wenn nur Gott in Wahrheit Frieden bringen kann, wie sollen dann Jesu Nachfolger ihn stiften? Aus sich heraus können sie es nicht. Aber sie kennen Christus, der in Person der Friede ist (Eph. 2,14), so wie es die himmlischen Heerscharen bei seiner Geburt angekündigt hatten (Luk.2,14).

Der wahre Friede beginnt damit, daß ein Mensch bei Jesus Christus die Vergebung seiner Schuld empfängt. Als mit Gott versöhnter Mensch kann er nun in der Wirklichkeit des göttlichen Friedens leben. Inmitten einer Welt voller Mißgunst und Streit, ja selbst in persönlichen Nöten und schlimmen Anfeindungen hat er Frieden. So kann er mit David sprechen: „Ich liege und schlafe ganz mit Frieden“ (Ps. 4,9).

Die große Aufgabe, in die der Herr mit dieser Seligpreisung seine Nachfolger stellt, Frieden zu stiften in einer friedlosen Welt, kann also nur mit ihm selber gelingen. Es genügt nicht, in Streitfällen an die menschliche Friedfertigkeit zu appellieren oder mit Zwang nachzuhelfen. Ohne eine wirkliche Bereinigung der vorliegenden Schuld durch Beichte und Vergebung bleibt die Grundlage des Miteinanders morsch. Und ohne die bleibende Gegenwart Jesu fehlt die Kraft zu einem dauerhaften Zusammenstehen.

Frieden stiften bedeutet also, Menschen den Wert der Beichte und der Vergebung zu bezeugen und sie mit Gottes Hilfe zum Glauben an Jesus Christus zu führen. Nachfolger Jesu sind Missionare.

Die Verheißung, die auf der Arbeit für Gottes Frieden liegt, ist ein neuer Name. Der Herr nennt seine Nachfolger Kinder Gottes. Dieser Name ist nicht „Schall und Rauch“, sondern eine außerordentliche Vollmacht (Joh. 1,12).

Sie stellt uns unter seinen Schutz, so daß wir von allen Seiten geborgen sind (Ps. 139,5). Sie nimmt uns hinein in die ewige und weltweite Gemeinschaft der Gemeinde Jesu (1. Kor. 12,13). Sie gibt uns das Anrecht und die Gewißheit, daß der Heilige Geist uns führt und regiert (Röm. 8,14). Sie öffnet uns den Zugang zu allen Verheißungen Gottes (1. Kor. 1,20). Und sie gibt uns Anteil am himmlischen Erbe, dem neuen Herrlichkeitsleib, wenn Christus wiederkommt (Röm. 8,17).

Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden, denn ihrer ist das Himmelreich.

Diese Seligpreisung spricht allen Christen, die um ihres Glaubens willen bedrängt und verfolgt werden, Gottes besondere Fürsorge zu. Daß sie mit Nachdruck am Ende steht und durch Matth. 5,11f. verstärkt wird, zeigt deutlich, daß die Bedrängnis und Verfolgung der Nachfolger Jesu nichts Außergewöhnliches ist, sondern elementar zum entschiedenen Christsein dazugehört (vgl. 1. Petr. 4,12-14). Die Welt in ihrer Selbstverliebtheit spürt genau, daß sie durch die Botschaft der uneigennützigen Liebe Gottes in Frage gestellt wird. Deswegen sollten wir uns auf die Ablehnung des Evangeliums einstellen.

Die Gemeinde Jesu steht in unserer nachchristlichen Gesellschaft in der besonderen Gefahr, den Anstoß des Evangeliums durch eine falsche Anpassung an die Welt aufzuheben. Wo sie dieser Gefahr erliegt, verliert sie ihre Salzkraft und letztlich auch ihre Existenzberechtigung.

Als Hilfe zur Überwindung ihrer Leidensscheu spricht Jesus seinen Nachfolgern in Matth. 5,12 ausdrücklich Freude und Trost in der Bedrängnis zu und erinnert sie an das Schicksal der Propheten des alten Bundes. Darüber hinaus finden wir an seinem eigenen Leidensweg das bleibende Beispiel für das bewußte Annehmen der Verkennung und Verfolgung um des Evangeliums willen.

In einer besonderen Weise gilt die letzte Seligpreisung dem verfolgten Israel in der künftigen großen Bedrängnis, die Gott nach den prophetischen Schriften noch über sein Volk verhängen wird (Dan. 12,1). Jesus hat in seinen Endzeitreden diese Ankündigungen wiederholt und ebenso wie in der Bergpredigt diejenigen glücklich gepriesen, die in der Bedrängnis überwinden (Matth. 24,9-13). Die Johannesoffenbarung gibt den Blick auf die zukünftige Erfüllung dieser Seligpreisung frei. Die Überwinder aus Israel werden gewürdigt, auf der neuen Erde mit Christus regieren zu dürfen (Offenb. 20,4; 22,5). Sie werden ihm in seinem Heiligtum im neuen Jerusalem dienen und das Heil Gottes den Völkern vermitteln.

Die Verheißung dieser Seligpreisung „…ihrer ist das Himmelreich“ bedeutet, daß Jesus Christus alle, die um seines Namens willen leiden, in seine Königsherrschaft aufnimmt. Das gilt sowohl für uns, seine Gemeinde aus den Völkern, als auch für die Überwinder aus Israel.

Die Zusage der guten Herrschaft des Sohnes Gottes über uns Menschen enthält allen Segen für Leib, Seele und Geist, den es überhaupt gibt. Dies wurde schon bei der Überschrift Matth. 5,3 deutlich. Daß diese umfassendste und schönste Verheißung  nun noch einmal ausdrücklich allen zugesprochen wird, die um des Glaubens willen benachteiligt, geschmäht und verfolgt werden, unterstreicht die besondere Liebe des Herrn zu ihnen.

Pastor Dr. Joachim Cochlovius