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Familienpolitik: Ausbeutung statt Nachhaltigkeit?

Trotz aller Beschwörungen: An „Nachhaltigkeit“ fehlt es in Deutschland. Das gilt besonders für die „Ressource Nachwuchs“. Die schrumpft beständig: Jahr für Jahr sterben mehr ältere Menschen als Kinder zur Welt kommen. Der Grund sind die niedrigen Geburtenraten von 1,4 Kindern pro Frau. Damit ersetzt sich jede Elterngeneration nur noch zu zwei Dritteln. Eine immer kleinere Zahl von Jüngeren muss für Unterhalt und Pflege einer immer größeren Zahl an Älteren aufkommen. Diese Lasten drohen die Jüngeren zu erdrücken, der „Generationenvertrag“ funktioniert nicht mehr (1). Auch Zuwanderung, wie sie Deutschland derzeit erlebt, löst das Problem nicht: Zum einen altern auch die Zuwanderer und zum anderen passen sie sich dem Geburtenniveau der einheimischen Bevölkerung an. Um die Alterung zu stoppen, müssten bis zur Jahrhundertmitte weit über hundert Millionen Menschen einwandern, wie die Vereinten Nationen schon 2000 vorrechneten (2). Aus dieser Lage zog Renate Schmidt (SPD), Bundesfamilienministerin 2002-2005, den Schluss, dass Deutschland mehr Kinder brauche. Sie forderte eine „nachhaltige“ Familienpolitik, die sich auch „am Ziel der Geburtenentwicklung messen“ lassen sollte (3).

Das war revolutionär, denn bis dato war Geburtenförderung ein politisches Tabu. Nun sollte die Geburtenrate „mittelfristig“ auf 1,7 Kinder steigen (4). Als das Schlüsselinstrument dafür galt die Kindertagesbetreuung: Ihr Ausbau sollte die Vereinbarkeit von Beruf und Familie verbessern, um die „Opportunitätskosten“ von Kindern für (gut ausgebildete) Frauen zu senken. Sie sollten mehr Kinder bekommen, zugleich häufiger erwerbstätig bleiben und ihre Kinder von klein an in institutionelle Betreuung geben. Die von Renate Schmidt konzipierte und aufs Gleis gesetzte neue Politik setzte Ursula von der Leyen weiter in die Praxis um. Inzwischen lässt sich eine erste Zwischenbilanz ziehen: Die Zahl der Betreuungsplätze für unter Dreijährige ist in Westdeutschland um etwa das Fünffache gewachsen. Zugenommen hat auch die Ganztagsbetreuung in Schulen – der Paradigmenwechsel zu einer „Institutionenkindheit“ kommt voran (5). Gegen den Kindermangel hilft er offensichtlich nicht: Die Geburtenrate ist unverändert niedrig. Daran dürfte sich auch künftig nichts ändern, wie die jüngsten Berechnungen des Statistischen Bundesamtes nahe legen (6). Die Bundesregierung schweigt sich dazu aus, von dem Ziel die Geburtenraten zu steigern, will sie nun nichts mehr wissen (7).

Im Gegensatz dazu beschäftigt sich die Politik umso intensiver mit dem Ziel, die Frauenerwerbstätigkeit zu steigern. Hier könnte sie eigentlich zufrieden sein: In der letzten Dekade ist die Erwerbsbeteiligung von Frauen in Deutschland so stark gestiegen wie in keinem anderen westeuropäischen Land. Die deutsche Frauenerwerbsquote (72%) gehört zu den höchsten in der OECD-Welt. Sie übertrifft deutlich die im Nachbarland Frankreich (65%), das noch immer als Vorbild in Sachen der „Vereinbarkeit“ herhalten muss (8). Hierzu ist wenig zu hören, obwohl die Bundesregierung doch sonst mit „Erfolgsmeldungen“ nicht spart. Stattdessen bemängeln Regierungsberichte, dass häusliche Kindererziehung und Pflege noch immer „die Ausschöpfung des weiblichen Erwerbspersonenpotenzials“ behindern (9). Stein des Anstoßes ist besonders, dass die Mehrheit der erwerbstätigen Mütter in Teilzeit beschäftigt ist. Um die Vollzeiterwerbstätigkeit von Müttern zu steigern, werden „gezielte Anreize“ gefordert (10). Im Klartext bedeutet dies, dass Eltern unter Druck gesetzt werden sollen, dem politisch erwünschten Doppelvollzeitmodell zu folgen. Aus diesem Interesse heraus wäre es folgerichtig, das Betreuungsgeld wieder abzuschaffen, das Kindergeld zu kürzen und das Ehegattensplitting zu „kappen“. Teuer zu bezahlen hätten dafür ausgerechnet diejenigen, die noch Nachwuchs haben: In den meisten Familien können und wollen nicht beide Eltern in Vollzeit erwerbstätig sein. Das Vollzeitmodell funktioniert vor allem dann nicht, wenn mehrere Kinder da sind (11). Eltern brauchen viel Zeit und Energie für ihre Kinder – und ihre Kinder brauchen die Zuwendung der Eltern. Eine arbeitsmarktfixierte Politik, die diese Bedürfnisse von Familien missachtet, ist nicht „nachhaltig“, sondern ausbeuterisch.

(1)  Vgl.: Stefan Fuchs: Gesellschaft ohne Kinder. Woran die neue Familienpolitik scheitert, Wiesbaden 2013, S. 343 ff. (V. 7. Fertilität und Wohlfahrt – wozu mehr Kinder?). Online verfügbar unter: http://www.springer.com/springer+vs/politikwissenschaft/book/978-3-658-03389-7?otherVersion=978-3-658-03390-3 [1].

(2)  Einschlägig dazu: Herwig Birg: 188 Millionen Einwanderer zum Ausgleich? Demographische Alterung und Bevölkerungsschrumpfung bei uns – Konsequenzen für das soziale Sicherungssystem, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12. April 2000, S. 10.

(3)  Renate Schmidt: Nachhaltige Familienpolitik – für eine Zukunft mit Kindern, S. 13-19, in: J. Flöthmann und C. Höhn (Hrsg.), Wege zu einer erfolgreichen Familien- und Bevölkerungspolitik, Books on Demand, Norderstedt 2007, S. 14-15.

(4)  Vgl.: Malte Ristau: Der ökonomische Charme der Familie«, S. 18-24, in: Aus Politik und Zeitgeschichte (23-24), S. 18. Detailliert hierzu: Stefan Fuchs: Gesellschaft ohne Kinder, a.a.O., S. 9-11.

(5)  Vgl. Stefan Fuchs: „Familienmodelle, Erwerbstätigkeit und Fertilität – Ziele der »nachhaltigen« Familienpolitik im Spiegel der Bevölkerungs- und Arbeitsmarktstatistik“, S. 16-2, in: ifo Schnelldienst 66 (12) 2013, S. 4.

(6)  Siehe hierzu die Materialien zur PRESSEKONFERENZ „Geburtentrends und Familiensituation in Deutschland“ am 7. November 2013 in Berlin, abrufbar unter: https://www.destatis.de/DE/PresseService/Presse/Pressekonferenzen/2013/Geburten_2012/Geburten_Ueb.html;jsessionid=17CB586F6E883148D991857836C1D79D.cae4 [2].

(7)  Kritisch dazu: Markus Wehner: Kinder in Raten, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 10.11.2012, abrufbar unter: http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/familienpolitik-kinder-in-raten-11957183.html [3].

(8)  Eingehender hierzu: Vgl. Stefan Fuchs: „Familienmodelle, Erwerbstätigkeit und Fertilität, a.a.O., S. 4-5.

(9)  „Nach wie vor erschwert der Umstand, dass es überwiegend Frauen sind, die familiäre Aufgaben wie Kindererziehung und Pflege übernehmen, die Ausschöpfung des weiblichen Erwerbspersonenpotenzials.“ Bundesministerium des Innern: Demografiebericht. Bericht der Bundesregierung zur demografischen Lage und künftigen Entwicklung des Landes, Berlin 2011, S. 103.

(10)       „Eine bessere Ausschöpfung des vorhandenen weiblichen Arbeitskräftepotenzials lässt sich nicht nur durch einen höheren Frauenanteil, sondern auch durch eine Ausweitung des Arbeitszeitvolumens der Frauen erzielen. Hierzu bedarf es zum Beispiel gezielter Anreize, geringfügig entlohnte in voll sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse umzuwandeln und Teilzeitarbeit mit geringem Stundenumfang auf eine vollzeitnahe oder eine Vollzeittätigkeit aufzustocken.“ Ebenda, S. 112.

(11)       Zu den empirischen Verhältnissen: „Erwerbstätigkeit von Elternpaaren nach Kinderzahl“ sowie „Familie und Beruf im Spiegel der Statistik: Trend zum „modernisierten Ernährermodell“ (Abbildungen unten).

IDAF, Nachricht der Wochen 45-46 / 2013

 Abbildungen:

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