Gemeindenetzwerk

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Das viermalige reformatorische „Allein“

Mittwoch 30. Oktober 2013 von Pastor Jens Motschmann


Pastor Jens Motschmann

Predigt zum Reformationstag über Römer 3,21-28

Am Reformationstag, denken wir daran, daß Martin Luther am 31. Oktober 1517 seine berühmt gewordenen 95 Thesen veröffentlichte – ein Bußruf an die Kirche.  These 1, die jeder evangelische Christ auswendig kennen sollte, lautet:

„Wenn unser Herr und Meister Jesus Christus spricht: „Tut Buße!” hat er gewollt, daß das ganze Leben der Gläubigen Buße sein soll.“

Diese Thesen lösten eine Bewegung aus, die zur Bildung der evangelischen Kirche führten. Wenn wir gefragt werden, worin denn der biblisch-reformatorische Glauben besteht, dann können wir antworten mit dem vierfachen „Allein“:

Allein durch das Wort!
Allein durch den Glauben!
Allein durch Christus!
Allein durch die Gnade!

So kommt Gott zu den Menschen und so kommt der Mensch zu Gott. In den soeben vorgelesenen Sätzen aus dem Römerbrief finden wir tatsächlich diese vier Begriffe wieder.

1.  Allein durch das Wort!

Paulus gebraucht hier für das Wort Gottes den in der Bibel häufig wiederkehrenden Ausdruck „das Gesetz und die Propheten“. Damit ist also das Wort Gottes gemeint.

Warum haben die Reformatoren – Luther, Melanchthon, Zwingli, Calvin  und Beza und John Knox und wie sie alle heißen – das Wort der Bibel so überdeutlich in die Mitte der Kirche gestellt?

Die katholische Kirche kennt die Heilige Schrift nicht weniger als wir. Es gibt eine Menge Katholiken, die in ihrer Bibel besser Bescheid wissen als der Durchschnitt der Evangelischen. Aber die Katholische Kirche hat immer gesagt: Die Bibel ist uns heilig und wichtig, aber es muß noch etwas hinzukommen, damit wir ihren Inhalt recht verstehen können:

Das ist die Lehre der Kirchenväter!
Das sind die Lehrentscheidungen der Kirche!
Das ist die Tradition der Kirche!

Nun bin ich der Letzte, der etwas gegen gute Tradition sagen möchte. Im Gegenteil, nichts ist so lächerlich, als wenn eine Generation so tut, als habe die Geschichte erst mit ihr begonnen, als ginge erst mit ihr das Licht der Wissenschaft an und wenn man vorher noch ein paar uneinsichtige Querköpfe überzeugen oder beseitigen könnte, dann könnte alles ganz wunderbar auf dieser Erde sein. Das ist natürlich Unsinn.

Aber dennoch können wir nicht sagen: Heilige Schrift und Tradition! Wir wissen, wohin das führt. Es gibt ja nicht nur eine Tradition der Wahrheit, sondern es gibt genauso eine Tradition des Irrtums.

Die Katholiken sagen: Eben darum muß jemand da sein, der die unwahre Tradition von der wahren scheidet – und das ist der Papst. So kam es zur Lehre von der Unfehlbarkeit des Papstes, wenn er als Lehrer der Kirche spricht. Damit kam es zu Entwicklungen, zu denen wir als Evangelische niemals Ja sagen können.

Ich brauche nur an das Mariendogma zu erinnern, das im 19. und 20. Jahrhundert immer reicher entfaltet worden ist.

Unberührt davon ist für mich die Tatsache, daß wir dennoch zugeben müssen, daß in der einen oder anderen Sache etwa auf dem Felde sozialethischer Entscheidungen die Katholische Kirche in manchen Punkten evangelischer handelt als unsere protestantischen Landeskirchen. Denken Sie nur einmal an die Fragen, die mit der Abtreibung und der Familienpolitik zu tun haben, dann wissen Sie, was ich meine.

Daß das so ist, liegt aber nicht am reformatorischen Christentum, sondern daran, daß wir heute innerhalb der evangelischen Kirche weithin kein reformatorisches Christentum haben. Was wir haben ist ein bunt zusammengewürfelter Haufen von Menschen, die offensichtlich gar nicht wissen, was evangelisch ist, die offensichtlich seit der Konfirmation nicht mehr in eine Bibel reingeschaut haben, für die eben nicht gilt: „Allein das Wort!“

Das ist der Punkt. Das nenne ich Etikettenschwindel. Draußen steht evangelisch dran, aber drinnen ist man alles Mögliche: sozialistisch, feministisch, synkretistisch. An dieser Lüge geht unsere Volkskirche zugrunde, wenn es hier nicht zu einer bußfertigen Umkehr kommt.

Wo aber das Wort Gottes im wirklich evangelischen Sinne zur alleinigen Richtschnur des Denkens und Handelns gemacht wird, da weiß der Mensch auch, was er an diesem Worte hat, da weiß er, was er zu tun und zu lassen hat, da weiß er, was er zu glauben hat und wo der Aberglaube anfängt. Darum ist das Wort Gottes so wichtig, so unverzichtbar.

Darum sagt Paulus an anderer Stelle des Römerbriefes, daß der Glaube aus der Predigt des Wortes Gottes kommt. (Röm.10,17)

Zuerst also das Wort und dann der Glaube.
Zuerst das Hören, dann der Gehorsam.

Damit kommen wir zum zweiten Punkt:

2.  Allein durch den Glauben!

„Etwas Festes muß der Mensch haben” – schrieb einst Matthias Claudius.

„Etwas Festes muß der Mensch haben, daran er zu Anker liege, etwas, das nicht von ihm abhängt, sondern davon er abhängt.“

Und Martin Luther hatte in Anlehnung an Psalm 46 gedichtet: „Ein feste Burg ist unser Gott…” Haben Sie, hast Du dieses Feste, das unser Leben trägt und schützt? Viele haben es nicht und fühlen sich darum unsicher und ungeborgen.

Der Grund für diese Unsicherheit und Ungeborgenheit liegt allerdings weniger darin, daß Menschen der Glaube fehlt. Mir ist noch kein Mensch begegnet, dem ich hätte bescheinigen können, daß er total ungläubig sei.

An irgendetwas glauben sie fast alle. Aber eben an irgendetwas: die Muslime, die Hindus, die Buddhisten, die Horoskopanhänger – sie alle haben Glauben. Es kommt aber nicht darauf an, daß man Glauben hat, sondern Glauben an Jesus. Nicht durch Glauben werde ich gerettet, sondern durch Jesus.

Der Satz „Allein auf den Glauben kommt es an” aus dem biblischen Zusammenhang gelöst ist unvollständig und damit belanglos. Darum laßt uns nicht auf unseren Glauben blicken, sondern auf auf das Kreuz Christi, auf das Sühneopfer, das er am Kreuz für uns alle vollbracht hat. Den hat Gott für den Glauben hingestellt als Sühne in seinem Blut zum Erweis seiner Gerechtigkeit, indem er die Sünden vergibt.

Der Glaube wird ja oft, allzu oft mißverstanden  und mißdeutet und verfälscht. Aus dem Gesamtzeugnis des Römerbriefes, aber auch des Neuen Testamentes – ja, der ganzen Heiligen Schrift – geht hervor, daß der Glaube seinem Wesen nach Vertrauen ist.

Jesus hat nicht den religiösen Wissensstand der Menschen anheben wollen, sondern er hat die Vertrauensfrage gestellt. Die Glaubensfrage ist die Vertrauensfrage. Christus selbst stellt diese Vertrauensfrage: Vertraust du mir dein Leben an? Nicht nur den Sonntagmorgen zwischen 10 und 11 Uhr, sondern alle Tage! Vertraust du mir dein ganzes Leben an?

Wenn wir hören, daß die „Vertrauensfrage“ gestellt wird, dann denken wir in der Regel an die Politik, dann fragen wir uns, wird das die Regierung überstehen oder wird sie darüber stürzen?

Hier liegt die Sache allerdings anders. Hier geht es nicht darum, ob Christus, der diese Frage selber stellt, im Regiment bleibt oder nicht.  Natürlich bleibt er im Regiment!  Aber es geht darum, ob wir an ihm zu Fall kommen oder durch ihn und mit ihm leben.

Darum geht es bei dieser Vertrauensfrage. Um nicht mehr und nicht weniger! Darum hängt alles von unserer Beziehung zu Jesus ab. Nicht unser Denken, nicht unser Gefühl, sondern allein der Glaube, aber der Glaube an Jesus Christus , macht uns frei von allen niederziehenden Kräften.

3.  Allein durch Christus!

Wir glauben nicht an irgendwelche religiösen Ideen und Programme, sondern an eine Person: Jesus Christus. In den vielen Religionen, die es auf dieser Erde gibt, geht es immer ganz entscheidend um diese eine Frage:

Was müssen wir tun?
Was müssen wir zustande bringen?
Was müssen wir leisten, um vor der Gottheit in rechter Weise bestehen zu können?

Paulus sagt hier: Ich rede auch von der Art und Weise, wie du vor Gott – und nun nicht vor den Götzen, sondern vor dem allmächtigen und lebendigen Gott – recht bist, er sagt: gerecht wirst.

„Ich rede aber von der Gerechtigkeit vor Gott, die da kommt durch den Glauben an Jesus Christus…“

Luther beschrieb, wie er allein unter dem bloßen Wort „Gottes Gerechtigkeit” gelitten hatte, aber auch, wie er aus diesen Ängsten herausfand. Hören wir ihn selbst:

„Gerechtigkeit Gottes – durch Brauch und Übung aller Doktoren war ich falsch ausgerichtet worden, als sei es philosophisch: als müßte ich Gerechtigkeit tun, um gerecht zu werden…

Ich aber konnte den gerechten, die Sünde strafenden Gott der Bibel nicht lieben, ich mußte ihn hassen, obwohl ich ein untadeliger Mönch war…

Da erbarmte sich Gott und im Römerbrief  las ich: aus Glauben schafft Gott Gerechtigkeit, der Gerechte wird aus Glauben leben! (Römer 1, 17)

Durch den Glauben – nun fühlte ich mich ganz und gar neu geboren: die Tore hatten sich mir aufgetan; ich war in das Paradies selber eingegangen. Da zeigte sich mir sogleich die ganze Heilige Schrift ein anderes Gesicht“.

 Das war der Durchbruch zum Evangelium:  Allein durch das Wort, allein durch den Glauben, allein durch Jesus Christus werde ich selig.

Allein Jesus Christus rettet – kein anderer bringt dich in den Himmel – weder die Heiligen und Seligen noch die eigenen Werke.

„Wo bleibt nun das Rühmen? Es ist ausgeschlossen. Durch welches Gesetz? Durch das Gesetz der Werke?

Nein, sondern durch das Gesetz des Glaubens“ –  des Glaubens daran, daß Jesus Christus für uns getan hat, was kein Mensch für sich oder für einen anderen tun kann: die Versöhnung mit Gott.

Unsere Antwort auf die Versöhnung mit Gott ist unsere Versöhnung untereinander. Jeder wird irgendwo und irgendwann an anderen schuldig. Das können sehr dunkle Kapitel in unserem Leben sein. Aber durch die Versöhnung im Namen Jesu weicht diese Dunkelheit, wird es hell.

Ein großer Denker aus dem vorigen Jahrhundert  – Albert Einstein – hat kurz vor seiner Emigration aus Deutschland in die Vereinigten Staaten ein sehr persönliches Glaubensbekenntnis  auf Tonband gesprochen:

„Ich bin zwar Jude, aber das strahlende Licht Jesu, des Nazareners, hat auf mich einen überwältigenden Eindruck gemacht. Es hat sich keiner so ausgedrückt wie er. Es gibt wirklich nur eine Stelle in der Welt, wo wir kein Dunkel sehen – das ist die Person Jesu. In ihm hat sich Gott am deutlichsten vor uns hingestellt.“

(Zit. nach: Fritz May: Christus aktuell. Prominente über ihr Verhältnis zu Jesus Christus. Brendow-Verlag o.J., S. 147)

Darum soll auch Er allein mein Halt und meine Orientierung in allen Lebensfragen sein. Ich möchte das Gesagte veranschaulichen mit einer Begebenheit aus  der Mission.

Der Missionsinspektor Hoffmann, vor allem in den fünfziger und sechziger Jahren den Gemeinden bekannt, berichtete von einem bewegenden Ereignis:

Die Eingeborenen, die Christen werden wollten, bekamen Taufunterricht, um Jesus und das Evangelium kennenzulernen. An einem Sonntag wurden sie dann getauft. Das war immer ein großes Fest. Auch viele Heiden kamen dazu, um sich das anzusehen. Aber das für die Eingeborenen Entscheidende geschah eigentlich immer am Abend zuvor:

Da wurde ein großes Feuer angezündet, die Täuflinge schritten heran, auf den Armen trugen sie die seltsamsten Gegenstände vom früheren  Götzendienst: Zaubersachen, Amulette, Götzenbilder.

Und dann traten sie einer nach dem andern ans Feuer und warfen diese Zeichen ihres alten Lebens in die lodernden Flammen.

Und nun kommt’s! Einmal, so berichtete dieser Missionar, habe er eine junge Frau beobachtet, die trat auch mit einem Arm voll Götzenkram und Amuletten ans Feuer. Aber in dem Augenblick, als sie dieses Zeug ins Feuer werfen will, da kann sie es nicht. Vielleicht schoß es ihr in diesem Augenblick durch den Kopf: Damit ist ja meine ganze Vergangenheit verbunden, davon kann ich mich doch nicht trennen. Sie geht zurück.
Da fällt ihr ein: dann kann ich aber nicht zu Jesus gehören! Darauf geht sie wieder drei Schritte vor – und kann sich wieder nicht trennen.

„Da bin ich zu ihr hingegangen“, so berichtet der Missionar weiter und habe gesagt: „Es fällt dir zu schwer, überlege es dir noch einmal. Du kannst dich ja zur nächsten Taufe wieder anmelden.“ Darauf überlegte die junge Frau einen Augenblick lang, trat rasch vor, warf die Sachen ins Feuer – und sank ohnmächtig in sich zusammen.

So gewaltig kann die Erschütterung sein, die einen Mensch erfaßt, der zur Gewißheit durchbricht: Allein Christus.

Jeder, der einmal zu dieser Erkenntnis gekommen ist, weiß allerdings, daß selbst ein solcher Entschluß nicht von uns aus „gemacht“ werden kann, sondern daß dieses geschieht:

4.  Allein durch Gnade!

Wie hat doch Luther zunächst in seiner Klosterzelle gerungen um diese Frage: Wie finde ich sündhafter Mensch in den Augen Gottes Gnade? Wie kriege ich einen gnädigen Gott?

An dieser Frage – wir hörten es – drohte dieser Mann fast zu zerbrechen. Bis ihm dann Gott selbst über dem Römerbrief, wahrscheinlich auch über einer Schriftstelle wie dieser hier, durch seinen Heiligen Geist ein Licht aufgehen ließ. Denn zum ersten Male verstand er, was Paulus meinte, wenn er schreibt:

„Denn es ist hier kein Unterschied: sie – die Menschen – sind allesamt Sünder und ermangeln des Ruhmes, den sie bei Gott haben sollten, und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade…“

„Seine Gnade“ ist Geschenk – und ein Geschenk will ganz schlicht und einfach angenommen, dankbar angenommen sein.

Aber vielleicht liegt hier der entscheidende Punkt: viele haben ihre Schwierigkeiten mit der Annahme von Geschenken. Sie können sie nicht so ohne weiteres annehmen, es macht ihnen zu schaffen, sie fragen sich, was steckt dahinter, sie sind mißtrauisch.

Ich kann denjenigen, die so empfinden, nur sagen, wenn du überhaupt erkannt hast, daß Gott mit Jesus Christus dir etwas schenken will, dann bist du bereits von Gottes Geist angerührt, denn Fleisch und Blut können dich nicht zu dieser Erkenntnis gebracht haben. Dann danke Gott, daß du bereits im Kraftfeld seiner Gnade bist.

Wenn aber dies alles für jemanden „böhmische Dörfer“ sind, dann sage ich ihm:

Es bleibt die Hoffnung, daß Gott auch dich anrühren und öffnen kann für sein Wort, für den Glauben, für Christus. Das haben seit Paulus, der ja aus dieser persönlichen Erfahrung spricht, unzählig viele erfahren und die Reformatoren haben es der Christenheit wieder neu vor Augen geführt, wie Gott zum Menschen und wie der Mensch zu Gott kommt:

Allein durch das Wort der Heiligen Schrift!
Allein durch den Glauben!
Allein durch Jesus Christus!
Und allein durch die Gnade Gottes, die uns unser Elend und unser Heil erkennen läßt.

Ich schließe mit dem Wort unseres Predigttextes, daß geradezu zum Schlüsselwort der Reformation wurde:

„So halten wir nun dafür, daß der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, sondern allein durch den Glauben.“ Amen.

Pastor Jens Motschman, Bremen

 

 

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Mittwoch 30. Oktober 2013 um 9:14 und abgelegt unter Kirche, Predigten / Andachten, Theologie.