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Ansprache von Prof. John Lennox

Mittwoch 11. September 2013 von Prof. John Lennox


Prof. John Lennox

Ansprache von Prof. John Lennox zum Parlamentarischen GebetsfrĂŒhstĂŒck in Großbritannien 20131

In seiner brillianten Dokumentation „Der gefĂ€hrlichste Mensch Englands zur Zeit der Tudors“ beschrieb der Fernsehproduzent und Autor Melvyn Bragg kĂŒrzlich das imposante, aber weitgehend in Vergessenheit geratene Werk William Tyndales.2 Tyndale wurde in England verfolgt, floh auf den Kontinent und ĂŒbersetzte dort die Bibel ins Englische. Er machte sie dadurch fĂŒr jedermann zugĂ€nglich, sogar ein Bauernjunge konnte sie dadurch verstehen – jede noch so einfache Person konnte durch Gottes Wort direkt, ohne irgendeine institutionelle Zwischeninstanz, zu Gott kommen.

Tyndale wurde verraten, erwĂŒrgt und verbrannt. Seine letzten Worte waren: „Herr, öffne dem König von England die Augen!“ Seine BibelÂ­ĂŒbersetzung wurde in Baumwollballen und ÖlfĂ€ssern nach England geschmuggelt. Der Widerstand war so heftig, dass die Bibeln auf den Stufen der Londoner St.-Pauls-Kathedrale verbrannt wurden, und doch dauerte es nicht lange, bis Tyndales Gebet erhört wurde. Heinrich VIII. gab die Anweisung, dass in jeder Kirche seines Reiches eine englische Bibel ausgelegt werden musste. Tyndales Bibel setzte sich durch und hatte unermesslichen Einfluss auf die Geschichte, Regierungsform, Kultur und Sprache Großbritanniens.

Zwar verbrennen wir in unserem Land die Bibel heute nicht mehr. Aber eine lautstarke Minderheit einflussreicher Denker verspottet und verlĂ€stert sie. Tyndales Bauernjunge lĂ€uft Gefahr, dass man ihm einredet, die ihn den christlichen Glauben lehrten, seien des Kindesmissbrauchs schuldig. Gott sei eine schĂ€dliche Wahnidee. Die Naturwissenschaft habe doch bewiesen, dass der Glaube an Gott irrational sei und streng im privaten Bereich gehalten werden mĂŒsse – solange, bis er völlig verschwinde.

Dadurch fĂŒhlen sich viele GlĂ€ubige an den Rand gedrĂ€ngt und entrechtet.

Aber die Naturwissenschaft hat Gott nicht begraben. Ironischerweise war es die Bibel, die Europa mit dem Gedanken erfĂŒllte, dass ein rationaler, intelligenter Gott das Universum geschaffen hat und erhĂ€lt. Sie bereitete damit den Boden fĂŒr die moderne Naturwissenschaft. „Menschen wurden wissenschaftlich, weil sie Gesetze in der Natur erwarteten, und sie erwarteten Gesetze in der Natur, weil sie an einen Gesetzgeber glaubten“ (C. S. Lewis)3. Der Glaube an Gott behinderte also Naturwissenschaft nicht – im Gegenteil, der Glaube war der Motor, der die Naturwissenschaft antrieb.

Trotzdem wird darauf bestanden, dass wir zwischen Gott und Naturwissenschaft wĂ€hlen mĂŒssen. Aber das stimmt auf gar keinen Fall. Wir mĂŒssen nicht zwischen Gott und der Naturwissenschaft als ErklĂ€rung fĂŒr den Kosmos wĂ€hlen, so wie wir nicht zwischen Sir Frank Whittle und Naturwissenschaft als ErklĂ€rung fĂŒr das Strahltriebwerk wĂ€hlen mĂŒssen. Diese ErklĂ€rungen stehen nicht in Konkurrenz oder im Konflikt zueinander, sondern ergĂ€nzen sich – beide sind notwendig. Gott ist nicht dieselbe Art von ErklĂ€rung wie Naturwissenschaft. Gott ist die ErklĂ€rung dafĂŒr, warum es ĂŒberhaupt ein Universum gibt, in dem Naturwissenschaft betrieben werden kann.

Deshalb gibt es nach wie vor hervorragende Wissenschaftler, die an Gott glauben; denn es gibt einen engen Zusammenhang zwischen der rationalen VerstÀndlichkeit des Universums und der RationalitÀt Gottes.

Einige Atheisten wollen diesen Zusammenhang leugnen, aber der Versuch scheitert. Denn das wissenschaftliche Arbeiten erfordert Glauben, dass man ĂŒberhaupt wissenschaftlich arbeiten kann, was wiederum erfordert, dass wir uns auf unsere menschlichen kognitiven FĂ€higkeiten verlassen können. Laut atheistischer Lehre sind diese FĂ€higkeiten Produkte geistloser, ungelenkter, natĂŒrlicher Prozesse. Wenn das der Fall ist, warum sollte ich irgendetwas glauben, was sie mir erzĂ€hlen? Wenn Sie glauben wĂŒrden, Ihr Computer sei das Produkt geistloser Prozesse, wĂŒrden Sie ihm vertrauen? NatĂŒrlich nicht.

Der Atheismus will Gedanken darauf reduzieren, sie seien bedeutungslose SchaltvorgĂ€nge an Synapsen im Hirn. Das untergrĂ€bt die Grundfesten genau jener RationalitĂ€t, die notwendig ist, um Argumente zu erstellen, zu verstehen oder zu glauben, einschließlich derer, die den Atheismus verteidigen. Der Atheismus schießt sich daher nicht nur selbst in den Fuß, er schießt sich ins Hirn. Die Ironie scheint hier zu sein, dass der Atheismus nicht nur auf Kriegsfuß mit Gott steht, sondern auch mit der Naturwissenschaft. Es sieht so aus, als wĂŒrde der Atheismus sehr gut auf Dawkins Definition einer Wahnvorstellung passen: Ein hartnĂ€ckiger, falscher Glaube, der trotz starker Gegenbeweise verbissen festgehalten wird!

In einem Interview mit der englischen Zeitung „The Guardian“ sagte der berĂŒhmte Physiker Stephen Hawking kĂŒrzlich: „Der Himmel ist ein MĂ€rchen fĂŒr Menschen, die sich vor Dunkelheit fĂŒrchten.“ Ich fĂŒhle mich versucht, Ă€hnlich kurz zu antworten: „Umgekehrt: Atheismus ist ein MĂ€rchen fĂŒr die, die sich vor Licht fĂŒrchten.“

Der Atheismus verwirft zu Recht Karikaturen, die Gott als alten Mann im Himmel oder als LĂŒckenbĂŒĂŸer darstellen. Der Atheismus muß aber klein beigeben, wenn er mit dem Gott konfrontiert wird, der das kreative Wort ist und der das Universum verstehbar gemacht hat. Wittgenstein hat schon ganz richtig gesagt: „Der Sinn der Welt muß außerhalb ihrer liegen.“4

Mittlerweile sollte klar sein, dass nicht notwendigerweise ein Konflikt zwischen Naturwissenschaft und Gott besteht. Der Konflikt besteht eigentlich zwischen Weltanschauungen: Atheismus und Theismus. Ich treffe in Großbritannien viele Leute, die diesen Konflikt diskutieren und die Argumente jeder Seite abwĂ€gen wollen. Doch die Chancen dafĂŒr sind kaum gegeben; denn der Atheismus tritt in der akademischen Welt Ă€ußerst dominant auf und wird in den Medien als naturgemĂ€ĂŸ vorgegebene Position hingestellt. Aber nicht nur das, sondern seine AnhĂ€nger sehen oft nicht einmal, dass der Atheismus ganz genauso Glaubensentscheidungen beinhaltet wie das Christentum oder jede andere Religion. Man kann das daran erkennen, wie man ĂŒber „Glaubensschulen“ redet, aber gar nicht begreift, dass der Atheismus ebenfalls ein Glaubenssystem ist, das an vielen Erziehungseinrichtungen ungehindert gelehrt wird.

Wenn die christliche Lehre schlecht fĂŒr Kinder sein soll, warum nicht auch die atheistische Lehre?

Diese Unausgewogenheit stammt aus der sĂ€kularen Umdefinition von Glauben: Glaube sei ein rein religiöser Begriff mit der Bedeutung, dass man immer dann glaubt, wenn es keine Beweise gibt – also blinder Glaube. Aber nicht jeder Glaube ist blind. Denn Glaube ist ein alltĂ€glicher Begriff. Er bedeutet Vertrauen und erfordert immer Beweise, Sicherheiten. Wenn Sie einen Kredit aufnehmen wollen, verlangt die Bank Sicherheiten, damit sie Ihnen das Geld anvertrauen kann.

Das Christentum beruht auf Beweisen. Lukas, der sich als hervorragender Historiker erwiesen hat, berichtet dem hohen römischen Beamten Theophilus, dass er alles von Anfang an genau verfolgt hat, damit Theophilus Gewissheit hat ĂŒber das, was er glaubt. Lukas berichtet auch von Paulus’ Behauptung gegenĂŒber den Philosophen in Athen, dass Gott durch die Totenauferweckung Jesu jedem bewies: Jesus war der, der er behauptete zu sein. Zu dieser historischen BeweisfĂŒhrung tritt die persönliche Erfahrung. Denn Glaube an Gott ist gemĂ€ĂŸ der christlichen Lehre bei weitem nicht blind, sondern rationales, persönliches Vertrauen, das auf vielfĂ€ltigen Beweisen basiert.

Warum befassen wir uns ĂŒberhaupt damit? Naturwissenschaft interessiert ja gar nicht jeden. Auch wenn wir keine Atheisten sind, warum wursteln wir nicht einfach weiter im Sinne von „Such dir deine eigene Religion selbst aus und bastele dir, was immer dich glĂŒcklich macht“? – statt uns mit der Frage herumzuquĂ€len, was wahr ist?

Der Hauptgrund ist, dass Ansichten Konsequenzen haben. Der britische Großrabbiner Jonathan Sacks wies kĂŒrzlich darauf hin, dass der grĂ¶ĂŸte Atheist aller Zeiten, Friedrich Nietzsche, die Konsequenzen seiner Abwendung von Gott mit erschreckender Klarheit erkannte. Aber seine derzeitigen Nachfolger haben diesbezĂŒglich nicht einen Hauch von Ahnung.5

Sacks schrieb: „In seinen spĂ€teren Werken weist uns Nietzsche immer wieder darauf hin: Wenn wir den christlichen Glauben ĂŒber Bord werfen, fĂŒhrt das zum Verschwinden der christlichen Werte. Nicht mehr ‘Liebe deinen NĂ€chsten wie dich selbst’; stattdessen der Wille zur Macht. Nicht mehr ‘Du sollst nicht’; stattdessen leben die Menschen nach dem Naturprinzip, dass die Starken die Schwachen unterdrĂŒcken oder vernichten.‘An sich von Recht und Unrecht reden entbehrt alles Sinns, an sich kann natĂŒrlich ein Verletzen, Vergewaltigen, Ausbeuten, Vernichten nichts „Unrechtes“ sein, insofern das Leben essentiell, nĂ€mlich in seinen Grundfunktionen verletzend, vergewaltigend, ausbeutend, vernichtend fungiert und gar nicht gedacht werden kann ohne diesen Charakter.’6“

Die Werteverschiebung in unserer heutigen Gesellschaft bestÀtigt Nietzsche. Wir stehen in Gefahr, den Beitrag des Christentums zu den ethischen Grundfesten unserer Gesellschaft zu vergessen.

Ich zitiere nochmals Melvyn Bragg: „Es befremdet mich, dass Menschen, die sich selbst Atheisten nennen – und zwar aus verstĂ€ndlichem Grund, da sie nicht an einen Gott, eine Auferstehung, eine Jungfrauengeburt, eine Drei­einigkeit glauben – meinen, dass dies ihnen das Recht gibt, jede Menge Wissen aufzugeben, das die Menschen zweitausend Jahre hindurch belehrt und zu einigen der grĂ¶ĂŸten Errungenschaften, die die Menschheit je gesehen hat, gefĂŒhrt hat. Dieses Wissen muss in jedem Fall in Betracht gezogen werden, wenn wir ĂŒberhaupt ĂŒber die Vergangenheit in Bezug auf Ethik, Geschichte und Kunst nachdenken wollen.“7

Dankenswerterweise sind nicht alle Atheisten so respektlos. Der fĂŒhrende deutsche Denker JĂŒrgen Habermas schreibt: „Der egalitĂ€re Universalismus, aus dem die Ideen von Freiheit und solidarischen Zusammenleben, von autonomer LebensfĂŒhrung und Emanzipation, von individueller Gewissensmoral, Menschenrechten und Demokratie entsprungen sind, ist unmittelbar ein Erbe der jĂŒdischen Gerechtigkeits- und der christlichen Liebesethik. … DafĂŒr gibt es bis heute keine Alternative. Auch angesichts der aktuellen Herausforderungen … zehren wir nach wie vor von dieser Substanz. Alles andere ist postmodernes Gerede.“8

Es gibt unzĂ€hlig viele Beispiele fĂŒr dieses Erbe: Christliches Engagement bei der GrĂŒndung von UniversitĂ€ten, Schulen, KrankenhĂ€usern, Hospizen, industriellen Reformen, Abschaffung der Sklaverei. Und unsere Britischen Institutionen. Die Times schrieb in ihrem Kommentar zum 60. ThronjubilĂ€um ihrer MajestĂ€t: „Mehr als irgend ein anderes Ereignis bezeugt die Krönungszeremonie … die Ableitung jeder Gewalt und AutoritĂ€t von Gott und die christliche Basis, auf der Regierungsgewalt ausgeĂŒbt wird, Recht gesprochen wird und der Staat verteidigt wird.“9

Jahrhundertelang war Gott in unserem Land die höchste ethische AutoritĂ€t. So sehr man sich auch dagegen wehrt – unausweichlich stellt sich uns heute unter dem zunehmenden Druck des postmodernen ethischen Relativismus die dringende Frage: Wenn wir Gott aufgeben, welche AutoritĂ€t steht dann hinter unserer Ethik?

C. S. Lewis argumentierte: „Wenn wir zum Beispiel fragen: ‘Warum soll ich selbstlos handeln?’ und die Antwort lautet: ‘Weil es fĂŒr die Allgemeinheit gut ist’ können wir weiter fragen: Weshalb soll ich mich darum kĂŒmmern, was fĂŒr die Allgemeinheit gut ist, solange ich persönlich nichts davon habe?’ Die Antwort darauf wird lauten: ‘Weil der Mensch selbstlos sein soll!’ und damit wĂ€ren wir wieder am Anfang.“10

Jeder, der nicht bereit ist, einem völlig unsinnigen ethischen Subjektivismus zu verfallen, steht vor dem Dilemma, das H. P. Owen so zusammenfasst: „Einerseits liegen [objektive ethische] AnsprĂŒche außerhalb einer menschlichen Person … Es wĂ€re andererseits widersprĂŒchlich zu behaupten, unpersönliche AnsprĂŒche seien unserer Zustimmung unterworfen. Die einzige Lösung fĂŒr dieses Paradoxon ist die Annahme, dass die Ordnung der [objektiven ethischen] AnsprĂŒche … tatsĂ€chlich in der Persönlichkeit Gottes begrĂŒndet ist.“11

Wenn wir das Transzendente und Absolute abschaffen, werden wir in RelativitĂ€t und SubjektivitĂ€t getrieben. Pfadfinderinnen wĂŒrden dann nicht mehr ihre Treue zu Gott schwören, sondern sich selbst treu zu bleiben. Wenn es aber keine Ethik jenseits persönlicher Vorlieben und Wahl gibt, wenn es keine ewige Basis fĂŒr Werte außerhalb der Menschheit gibt, wie können dann ethische Standards mehr bedeuten als limitierte menschliche Konventionen, letztendlich bedeutungslose Produkte ungelenkter natĂŒrlicher Prozesse?

Dawkins’ Beschreibung eines Universums ohne Gott hört sich so an: „In einem Universum blinder physikalischer KrĂ€fte und genetischer Replikation werden einige Menschen verletzt werden, andere haben GlĂŒck, und sie werden keinen Rhythmus und keinen Grund dafĂŒr finden, auch keine Gerechtigkeit. Das Universum, das wir beobachten, hat genau die Eigenschaften, mit denen man rechnet, wenn dahinter kein Plan, keine Absicht, kein Böse oder Gut steht, nichts außer blinder, erbarmungsloser GleichgĂŒltigkeit. DNS weiß nichts und sorgt sich auch nicht. DNS ist einfach da. Und wir tanzen zu ihrer Musik.“12

Aber wenn die Bombenleger von London nur zu ihrer DNS getanzt haben, kann sie niemand verantwortlich machen. Ethik wird zu einer Wahnvorstellung. Genau das sagen Michael Ruse und E. O. Wilson: „Werte oder was wir fĂŒr Werte halten sind nur eine Illusion, die uns von unseren Genen angedreht wurde, damit wir kooperieren.“13

Weltanschauliche Ideen haben Konsequenzen. Wenn wir Menschen beibringen, dass moralische Werte eine Illusion sind, dann werden sie anfangen, es zu glauben – viele haben es schon getan – mit dem Ergebnis, dass unsere Institutionen von Skandalen heimgesucht werden, Familien zunehmend zerbrechen, Menschen einsamer sind denn je und gegenseitiges Vertrauen so gering ist wie nie. Wir haben Wind gesĂ€t und ernten Sturm.

Denn in der schönen neuen Welt blinder physikalischer MĂ€chte verschwinden Gut und Böse, und mit ihnen Gerechtigkeit. Bei all ihrer moralischen Kritik an Gott leugnen die Neuen Atheisten ironischerweise das Eine, das moralischen Werten StabilitĂ€t verleiht: schlussendlich Gerechtigkeit. Millionen von Menschen erfahren in dieser Welt keine Gerechtigkeit, und da laut Atheismus der Tod das Ende ist, werden sie auch nie Gerechtigkeit erfahren. Ihr Werteempfinden, ihr Verlangen nach Gerechtigkeit erweist sich als trĂŒgerische Wahnvorstellung. Es gibt keine Hoffnung. Die Terroristen, die nach der Musik ihrer DNS auf den Leibern ihrer Opfer tanzten, kommen ungeschoren davon.

Die Neuen Atheisten behaupten, dass Glaube an Gott eine kindische Wahnvorstellung ist – so wie das Saugen an einem Schnuller fĂŒr unbegrĂŒndetes Wohlbefinden sorgt. Aber was ist mit ihrem Atheismus? Wie der polnische NobelpreistrĂ€ger Czeslaw Milosz schon sagte: „Echtes Opium fĂŒr das Volk ist der Glaube an das Nichts nach dem Tod – der große Trost, denken zu können, dass wir fĂŒr unsere BetrĂŒgereien, Gier, Feigheit, Morde nicht gerichtet werden.“14

Vernunft und Erfahrung lehrt uns, dass das ethisch absurd ist. Die Bibel stimmt dem zu. Sie lehrt, dass der Tod nicht das Ende ist. Die gute Nachricht ist, dass es ein Endgericht geben wird, welches Gerechtigkeit bringen wird, faire Gerechtigkeit. Die Ernennung des Richters wurde durch seine Auferstehung aus den Toten bestĂ€tigt. Das Christentum leistet einen unermesslich wichtigen, positiven Beitrag fĂŒr unsere Gesellschaft, indem es die Werte hochhĂ€lt, die den Gewissen aller Menschen eingebrannt sind, ob sie an Gott glauben oder nicht, die Werte, auf denen die Freiheit und das Wohlergehen der Menschheit beruhen.

Dies fĂŒhrt zu einem Dilemma: einerseits das Problem meiner menschlichen Schuld, anderer­seits mein Verlangen nach Gerechtigkeit. Ich will Gerechtigkeit – aber wie wird das gerechte Urteil ĂŒber mich lauten? Denn mein menschliches Problem ist nicht, dass ich meine ethischen Regeln nicht kenne – aber ich habe nicht die Kraft, nach ihnen zu leben. Auch hier gibt das Christentum wieder die positive Antwort auf die tiefer liegende Frage mit seiner Botschaft der Gnade und Hoffnung. Denn das Christentum dreht sich nicht um Gesetze und Regeln. Seine zentrale Botschaft ist die Möglichkeit einer Beziehung mit Gott – zu Leidenden spricht es durch einen Gott, der mitleidet, zu denen, die beladen sind mit Schuld und Versagen, spricht es von Vergebung, denen die in Aufruhr leben, bietet es Frieden, und denen die kĂ€mpfen und verzweifeln, bietet es als Geschenk neues Leben, das man nur annehmen muss.

Das ist natĂŒrlich der Grund, warum Christus Gewalt ablehnte. Die Tragik ist, dass alle, die mit Waffengewalt Christus und seine Botschaft verteidigen wollten (zum Beispiel in meinem Heimatland Nordirland), ihm nicht gefolgt sind, sondern ihm ungehorsam waren. Als Jesus bei Pilatus wegen Anstiftung zu politischem Aufruhr angeklagt war, sagte er: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt – sonst hĂ€tten meine Knechte gekĂ€mpft. … aber dazu bin ich in die Welt gekommen, dass ich der Wahrheit Zeugnis gebe.“ Pilatus erklĂ€rte Jesus öffentlich fĂŒr unschuldig. Er sah, was offensichtlich war – dass Wahrheit nicht mit Gewalt aufgezwungen werden kann, besonders wenn es sich um die Wahrheit ĂŒber Vergebung, Liebe und Frieden mit Gott handelt.

Das ist ĂŒbrigens das genaue Gegenteil von Fundamentalismus, sei er religiöser oder sĂ€kularer Natur, der genĂ€hrt wird durch den ‘Willen zur Macht’ und Missachtung der Menschenrechte und MenschenwĂŒrde.

Das bedeutet nicht, dass es keine Probleme gibt – Schmerzen und Böses werfen ihre Schatten ĂŒber unser Leben –, aber durch das Kreuz Jesu können wir erkennen, dass Gott nicht ein ferner Zuschauer geblieben ist. „Das Wort wurde Fleisch und wohnte unter uns.“ Gott nahm am Leiden teil. Wie der englische Erzbischof von Canterbury Justin Welby an Ostern sagte: „Ich denke, das Kreuz ist genau der Punkt, wo Schmerz und Leid, Folter, Versuchung und SĂŒnde und Dreck der Welt auf den Schultern Gottes endeten, aus Liebe zu uns.“15

Dies sind wichtige Themen – Gott und Naturwissenschaft, Glaube und Beweise, Bedeutung und Ethik. Mit der christlichen Botschaft, die Teil unseres Erbes ist, haben wir enorme Ressourcen, damit umzugehen. Aber wie können wir das in einer pluralistischen Gesellschaft umsetzen?

GemĂ€ĂŸ der Bibel haben Menschen unermesslichen Wert, weil sie im Bild Gottes geschaffen sind. Das gilt, ob sie an Gott glauben oder nicht, und wird dadurch bestĂ€tigt, dass wir in jeder Religion und Philosophie dieser Welt eine Version der Goldenen Regel finden: ‘Behandle andere Menschen so, wie du behandelt werden willst.’ Meiner Erfahrung nach ist der Weg fĂŒr respektvolle und doch intensive und ehrliche Diskussionen bereitet, wenn wir diese Verhaltensregel beachten.

Meine UniversitĂ€t Oxford hĂ€lt große StĂŒcke auf ihre Sokratische Tradition – ‘Folge den Beweisen, wohin sie dich fĂŒhren’. Aber Menschen können Beweise nur bewerten, wenn sie sie von allen Seiten und nicht nur von einer betrachten. Im 16. Jahrhundert gab William Tyndale sein Leben, um die Diskussion ĂŒber die biblische Weltanschauung anzustoßen, sodass Menschen eine rationale Entscheidung treffen konnten. In diesem 21. Jahrhundert brauchen wir den gleichen Mut, um fĂŒr genau die gleiche Diskussion öffentlichen Raum zu schaffen.

Heute morgen sagte Premierminister David Cameron in seiner Ansprache: „Es ist ermutigend, dass das Christentum noch immer eine solch lebenswichige Rolle in unserem nationalen Leben spielt. Es hatte einen enormen historischen Einfluss auf die Entwicklung unserer Kultur und nationalen Einrichtungen und es motiviert britische StaatsbĂŒrger zu wunderbaren Diensten und Selbstaufopferung. … Wir sind ein Land mit einem christlichen Erbe und wir sollten uns auch nicht fĂŒrchten, dazu zu stehen.“

Niemand scheint in Großbritannien ein Problem damit zu haben, öffentlich den Atheismus auszuleben – warum sollten wir uns also schĂ€men, Gott zu leben?

25 Juni 2013, 7:30 – 9:00, Houses of Parliament

Übersetzung: Cornelia Imming, Halle, mit Genehmigung des Autors.

Quelle: www.wort-und-wissen.de  (zum PDF-Download)

1 http://www.nationalprayerbreakfast.org.uk (17. 7. 2013)

2 The Most Dangerous Man in Tudor England was on BBC Two at 9pm on Thursday 6 June 2013.

Artikel: Melvyn Bragg on William Tyndale: his genius matched that of Shakespeare, The Telegraph http://www.telegraph.co.uk/culture/tvandradio/10096770/Melvyn-Bragg-on-William-Tyndale-his-genius-matched-that-of-Shakespeare.html (17. 7. 2013)

3  C.S. Lewis, Miracles (1974) p.169

4 Ludwig Wittgenstein, Tractatus logico-philosophicus, 6.41

5 Jonathan Sachs, The Spectator, 15.06.2013, Chief Rabbi: atheism has failed. Only religion can defeat the new barbarians.

6 Friedrich Nietzsche, Zur Genealogie der Moral: § II — 11. Erste Veröff. 16/11/1887.

7 The Most Dangerous Man in Tudor England was on BBC Two at 9pm on Thursday 6 June 2013, Artikel: Melvyn Bragg on William Tyndale: his genius matched that of Shakespeare, The Telegraph http://www.telegraph.co.uk/culture/tvandradio/10096770/Melvyn-Bragg-on-William-Tyndale-his-genius-matched-that-of-Shakespeare.html  (17. 7. 2013)

8 JĂŒrgen Habermas: Ein GesprĂ€ch ĂŒber Gott und die Welt. Ein Interview. In: Zeit der ÜbergĂ€nge, Frankfurt/M. 2001, S. 173-196, hier: 175.

9 The Times

10 C. S. Lewis, Pardon ich bin Christ, Brunnen-Verlag 1977, S. 31.

11 H. P. Owen, The Moral Argument for Christian Theism, George Allen & Unwin, 1965.

12 Richard Dawkins, Und es entsprang ein Fluß in Eden. Goldmann Verlag, 1998. Übersetzer: Sebastian Vogel. S. 151.

13 Michael Ruse und Edward O. Wilson, The Evolution of Ethics, in: Philosophy of Biology, ed. Michael Ruse (New York: Macmillan, 1989), S. 316.

14 Czeslaw Milosz, The Discreet Charm of Nihilism, Polish poet in essay by Alister McGrath,“Challenges from Atheism“ in Beyond Opinion: Living the Life We Defend. Ravi Zacharias ed. (Nashville: Thomas Nelson Publishers, 2007): 32. (parenthetical addition). Auch in The Twilight Of Atheism: The Rise and Fall of Disbelief in the Modern World  By Alister McGrath, vor Camus and the absurdity of God

15 http://www.archbishopofcanterbury.org/articles.php/5048/listen-travellers-tales-archbishop-justin-on-his-journey-into-faith. (17. 7. 2013)

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Mittwoch 11. September 2013 um 11:04 und abgelegt unter Christentum weltweit, Gesellschaft / Politik.