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Der Zweck des evangelischen Lehramtes – Antrittspredigt über 2. Korinther 1,24

Es lautet ungemein schön, wenn der heilige Apostel Paulus die liebevolle Aufnahme rühmt, die er bei den Galatern fand. Ihr nahmt mich auf, sagt er von denselben (Gal. 4,14), als einen Engel Gottes, ja als Jesum Christum selber, und die Anfechtungen die ich leide nach dem Fleisch, habt ihr nicht verachtet. Freilich, wer wird nicht gestehen, dass ein Mann wie Paulus, einer solchen Ausnahme höchst würdig war. Ein großer Redner, im gewöhnlichen Sinne des Wortes, war er zwar nicht, weswegen auch die feinen Korinther sagten, seine Rede sei verächtlich, fülle ihnen das Ohr nicht genug. Allein wenn auch Paulus die glänzendsten Rednertalente hätte entwickeln und die Rolle der berühmtesten Redner des Altertums hätte erneuern können, so wollte er’s doch aus dem freilich etwas eignen Grundsatze nicht tun, damit das Kreuz Christi nicht zu Schanden werde.

Einen Selbstdenker kann man ihn in dem gewöhnlichen Sinne auch nicht nennen. Er erklärt sich für untüchtig, aus sich selber etwas Gutes zu denken. Er war aber ein von Gott sehr hoch erleuchteter Mann, der das ganze Gebiet des Reiches Gottes und der Wahrheit mit Adlersblicken überschaute. Er war ein ungemein heiliger Mann. Zwar lehnt er alles menschliche Urteil über seinen moralischen Wert, den er selbst nicht bestimmen will, als etwas geringes ab; demnach möchten wir die Behauptung wagen, er sei unter dem neuen Testament das gewesen, was David unter dem alten und Abraham unter der Verheißung war. Seine Demut ist so groß, dass er sich für ein Nichts erklärt und nicht seine Kraft, sondern vielmehr seine Schwachheit, die dem Herrn Gelegenheit gab, in ihm stark zu sein, als die Ursache seiner ausnehmenden Taten angibt. Seine Liebe war brünstig und wurde dadurch nicht lau, dass er „wenig geliebet war.“ Seine Geduld hatte, so zu reden, keine Schranken, so wenig wie seine Tätigkeit, aber auch Gelegenheit genug, sich zu erweisen.

Dass ein solcher Mann solche Aufnahme fand, das war freilich billig; aber auch keine Kunst, sondern sehr natürlich. Umso rührender muss es einem gewöhnlichen Diener des Evangeliums sein, wenn er seines weiten Abstandes von diesem Muster ungeachtet, eine liebevolle Aufnahme bei einer Gemeinde findet, nachdem eine andere geübte und liebende Gemeinde ihn nur mit Schmerzen von sich ließ.

Es ist wahr, Paulus fand nicht überall die nämliche Aufnahme. Was will dieser Schwätzer? fragte man zu Athen und lachte über seine Rede. „Helfet“, schrie man zu Jerusalem, gerade als ob eine Schar erforderlich sei, einen einzelnen wehrlosen Mann zu überwältigen, „helfet, die Leute die den ganzen Erdkreis verwirren, sind hergekommen“.

Jedoch sollte man einen Diener des Evangeliums mit Vergnügen überall aufnehmen und wird es tun, wenn man den Zweck des evangelischen Lehramtes anerkennt.

Und von demselben wollen wir jetzt einiges bemerken nach Anleitung derjenigen Worte die wir in 2. Korinther 1,24 lesen und die so lauten:

Nicht, dass wir Herren seien über euren Glauben, sondern wir sind Gehilfen eurer Freude.

Weil die ausführliche Anzeige des Zusammenhangs, worin diese Worte mit dem Vorherigen stehen, zum richtigen Verständnis derselben nicht notwendig ist, so übergehen wir dieselbe und erwägen, was ein Diener des Evangeliums nicht, und was er doch sei.

Er ist

  1. nicht Herr über euren Glauben, sondern
  2. ein Gehilfe eurer Freude.

1. Er ist nicht Herr über euren Glauben

Der Diener des Evangeliums ist nicht Herr über euren Glauben.

Herr über jemandes Glauben wäre derjenige, der ihm geböte, was er glauben und nicht glauben, was er für Wahrheit oder für Irrtum halten, was er als richtige Vorstellung annehmen, oder als Irrsal verwerfen soll. Nun sagt Paulus: Solche Herren über euren Glauben sind wir nicht. Er meint zunächst sich selbst und die übrigen Apostel, „Wir“; diese heiligen und großen Männer Gottes, die unter allen Lehrern den ersten, einzigen und höchsten Rang bekleiden, die an ihrer Spitze stehen und selbst vor den Propheten den Vorzug haben, zu Lehrern des ganzen menschlichen Geschlechts verordnet.

Lasset uns ihre Vorzüge ein wenig entwickeln, welches niemand für eine unnütze Betrachtung erklären wird, der erwägen will, dass die Gemeine auf den Grund der Apostel erbauet ist!

1.1 Sie hatten zuvörderst den Befehl, alle Völker zu lehren. An keine besondere Gemeinde gebunden, war die ganze Welt ihr Kirchsprengel. Sie hatten die besondere Verheißung des heiligen Geistes, der sie nach Joh. 16,13 „in alle Wahrheit leitete.“ Deswegen bedurften sie keines Unterrichts von einem anderen, deswegen konnte Paulus gleich nach seiner Bekehrung und Berufung zum Apostelamte alsofort das Evangelium verkündigen, ohne sich vorher mit den anderen Aposteln besprochen zu haben; deswegen brauchten sie nicht dafür zu sorgen, sich nicht darauf vorzubereiten, was sie reden sollten, weil es ihnen zur Stunde außerordentlich und übernatürlich verliehen wurde. Sie hatten eine große Vollmacht: „Was ihr auf Erden binden oder lösen werdet, soll auch im Himmel gebunden oder los sein; wer euch höret, der höret mich, wer euch verachtet, der verachtet mich,“ sagte Christus. Sie hatten bei derselben einen ungemeinen Erfolg, so dass sie nach der Verheißung Christi größere Taten ausrichteten wie er selbst, da durch sie so viel Tausend bekehrt wurden, als durch Christum vielleicht einzelne Menschen; der daher auch einmal dachte, er bringe seine Kraft unnütz zu, nach Jes. 49,4, durch eine einzige Predigt Petri hingegen wurden dreitausend Menschen auf einmal bekehrt.

1.2 Diesen Vorrechten gemäß verhielten sich auch die Apostel. Sie lehrten mit großem Nachdruck und erklärten auf die entscheidender Weise alles für Irrtum, was ihrer Lehre widersprach, und sollte es, den unmöglichen Fall angenommen, von einem Engel des Himmels herrühren (Gal. 1). Ihre Lehre aber erklärten sie für Gottes Wort und also für ewige, für unveränderliche Wahrheit. Deswegen reden sie oft ungemein scharf. Sie schelten die Widersprecher Hunde und die Zerschneidung (Phil. 3), wünschen, dass die ausgerottet würden, die die Gemeine verstören (Gal. 5). Und so sanft Johannes sonst ist, so scharf geht er diejenigen an, die da übertreten und die Lehre von Christo nicht mitbringen, und verbiete, sie auch nur zu grüßen oder ins Haus aufzunehmen. Dennoch unterwarfen sie sich der Prüfung. Jedoch nicht nach den Sätzen menschlicher Erfindung. Die wiesen sie ab, gestanden im voraus, dass ihre Lehre damit nicht übereinstimme, und erklärten menschliche Weisheit für Torheit, so wie die Welt ihnen dies Prädikat reichlich zurück gab, und nachdem sie Christum für unsinnig gescholten hatte, erklärte sie seine Boten für Narren. Dieses Titels weigerten sie sich auch so wenig, dass sie vielmehr erklärten, wer weise werden wolle in Christo, müsse ein Narr werden vor der Welt (1. Kor. 3,18). Denn dieser Welt Weisheit sei Torheit bei Gott. Aber beurteilen ließen sie ihre Lehre nach der Schrift, wie sogar Christus selber sagt: Forschet in der Schrift! Sie gaben den Beröern ein vorzügliches Lob, dass sie täglich in der Schrift forschten, ob sich’s also verhielte. Dabei konnte und kann noch ein jeder, der den Versuch machen wollte oder noch machen will, durch die Erfahrung selber inne werden, dass die Lehre aus Gott sei, dass sie die Kraft, den Mut und Trost wirklich verleihe, den sie verspricht.

1.3 Die Apostel suchten dadurch keinen Beifall, dass sie sich nach den philosophischen Lehrgebäuden bequemten oder einen Glanz der Beredsamkeit verbreiteten und in zierlichen Wendungen redeten. Hätten sie’s auch gekonnt, so vermieden sie’s doch absichtlich und redeten schlichtweg ohne Prunk und gesuchte Redensarten, damit ihrer Zuhörer Glauben nicht bestehe aus menschliche Weisheit, sondern auf Gottes Kraft (1. Kor. 2,5), der das, was töricht ist vor der Welt, erwählet hat, um die Weisen zu Schanden zu machen. Kein Wunder auch, denn nach ihrer Lehre ist Welt und Reich Gottes nicht nur scharf geschieden, sondern einander durchaus entgegen und feind.

Sie ließen alles auf den heiligen Geist ankommen und erklärten Nichtübereinstimmung mit ihrer Lehre für ein Zeichen, dass jemand verloren gehe (1. Kor. 1,18). Auch lassen sie sich auf keine andere Beweise ein, als die aus der heiligen Schrift hergenommen sind. Ist unser Evangelium verdeckt, sagt der Apostel Kapitel 4,3, so ist’s denen verdeckt, die verloren werden. Bei ihnen verfangen ohnehin keinerlei Beweise. Der Unglaube gleicht einem Sumpfe. Werft hinein, was ihr wollt, es ist alles bald wieder versunken. Statt der Beweise stellen sie sich selbst dar als Lehrer von Gott gesandt und erleuchtet „Gott, der da hieß das Licht aus der Finsternis hervorleuchten, der hat einen hellen Schein in unsere Herzen gegeben, dass durch uns entstände Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes in der Person Jesu Christi“, sagt der Apostel (Kapitel 4,6). Sie stellten sich dar als das Fundament, worauf die Kirche Gottes erbaut werde (Eph. 2,20). Sie fordern Glauben darum, weil ihr Wort gewiss sei; nicht als ihre eigene Ansicht und Meinung (Tit. 1,9).

Allein wie kann dann Paulus sagen: Wir sind nicht Herren über euren Glauben? Heißet das denn nicht gebieten, was man glauben und nicht glauben, was man für Wahrheit oder für Irrtum halten, was man als richtige Vorstellung annehmen, oder als Irrsal verwerfen solle? Ist durch ein solches Verhalten nicht aller freie Gebrauch des Verstandes abgeschnitten, oder ihm doch wenigstens der Raum seines Wirkungskreises eng genug bezeichnet, festgesetzt, was man bei Verlierung seiner Seligkeit glauben müsse, und nicht davon abweichen dürfe, sollte man darüber auch selbst von den Obersten und Angesehensten dieser Welt für einen Narren gehalten, oder gar auf den Tod gehasset und verfolget werden? Sagt nicht Paulus zu seinem Timotheus: Ich gebiete dir? Was ist das denn anders, als Herr über jemandes Glauben sein wollen? Oder spielt der Apostel mit Worten?

Freilich muss es mit Einschränkung verstanden werden. Seine Meinung wird diese sein.

Wir sind nicht Herren über euren Glauben in dem Sinne, als wollten wir euch nach eigenem Gutdünken Lehren und Vorschriften geben. Die Apostel waren nicht ihr selbst eigen und unterstanden sich nicht, etwas zu sagen, wie es sehr merkwürdig Röm. 15,18 heißt, was nicht Christus in ihnen wirkte. Gott selbst lehrte durch sie. Was sie lehrten und befahlen, band sie selbst eben so sehr als ihre Zuhörer. So wenig diejenigen sich selbst als Herren aufwerfen, welche die Gesetze des Landesherrn bekannt machen, eben so wenig die Apostel, da sie Gottes Rat offenbarten. Auch zwangen sie niemand zum Glauben, sondern einem Sämanne ähnlich, streueten sie den Samen des Wortes auf Hoffnung aus. Der Glaube lässt sich auch seiner Natur nach nicht erzwingen, sondern entsteht in der Seele durch Belehrung unter der Mitwirkung des heiligen Geistes. Der Indifferentismus, nach welchem man jeden soll glauben und meinen lassen, was er will, und zuletzt jede Religion für gleichgültig hält, findet hier freilich keinen Vorschub. Ihr stehet im Glauben, sagt der Apostel.

Die gewöhnlichen Lehrer und Diener des Evangelii sind den Aposteln darin durchaus unähnlich, dass sie ihre Lehre niemals und in keinem Falle als eine unmittelbare göttliche Eingebung und Offenbarung außer dem Worte vorstellen mögen. Sie sind genau gebunden an die Schrift, dürfen nichts anders vortragen, als was derselben gemäß ist, auch so viel möglich alles was sie enthält und zur Seligkeit zu wissen nötig ist. Sie müssen ihre Lehrvorträge nach dem Worte richten und prüfen lassen, und niemand ist verbunden, denselben weiteren Glauben beizumessen, als er sie dem göttlichen Worte gemäß findet. Sie brauchen sich in keine anderen Beweise einzulassen, als welche in der Schrift enthalten sind, und wenn nur die Schrift etwas lehrt, so ist es eben darum schon bewiesene Wahrheit. Den abwechselnden philosophischen Lehrgebäuden nicht huldigend, brauchen christliche Lehrer dieselben auch nicht zu widerlegen, sondern können über dem babylonischen Turmbau die Sprachen ruhig sich verwirren lassen. Dabei müssen christliche Lehrer nach apostolischer Heiligkeit streben, Vorbilder der Gemeine zu werden suchen, geduldig leiden, sich ohne Erbitterung schmähen lassen, wenn’s so sein soll; demütig sein ohne Zaghaftigkeit, nachgiebig ohne Wankelmut, die Kraft der Wahrheit je länger je mehr an sich selbst erfahren, auch allen suchen allerlei zu werden.

Nun, als Herren über den Glauben lässet uns unser Zeitalter ohnehin nicht gelten, häuft aber nicht selten die Beschuldigung auf uns, als suchten wir eine Priesterherrschaft. Sie kommt uns nicht zu. Wir sind Diener; doch nicht Diener eurer vorgefassten Meinungen. Ihr seid auch unsere Herren nicht, und zwar nicht unsere Diener aber auch unsere Herde, wir aber Botschafter an Christus statt.

2. Er ist ein Gehilfe eurer Freude

Also solche lasset uns gelten, damit wir den eigentlichen Zweck unseres Amtes an euch mögen erreichen können, welcher darin besteht, Gehilfen eurer Freude zu sein. Das ist der wahre Zweck des evangelischen Lehramtes, nicht finstere, grämliche Seufzer, sondern heitere, furchtlose, freudige Menschen zu bilden. Denn das Reich Gottes ist eben sowohl Friede und Freude als Gerechtigkeit und Stärke, und die Beschuldigung, als ob die evangelische Gottseligkeit melancholische Leute bilde, ist eine durchaus unwahre Beschuldigung.

2.1 Freude ist ein Gut, was, der Einrichtung unserer Natur gemäß, jeder eben so sehr begehrt und sucht, als er das Gegenteil meidet und flieht. Vieles verheißet uns Freude. Die Welt tut’s und beut eine ganze Menge mannigfaltiger, sinnlicher Ergötzungen dar, die auch keineswegs alle dem Christentum zuwider sind, doch aber gutenteils. Es kommt darauf an, wie sie genossen werden. Das evangelische Lehramt beut auch Freude an. Ja das nicht nur, es maßt sich ausschließlich das Geheimnis an, zur wahren Freude führen zu können. Nun kommt’s drauf an, ob’s sich dessen mit Recht anmaßt! Wir behaupten, ja, und zwar aus folgenden Gründen.

Es weiset die eigentliche wahre Freude an. Dass nicht jegliche Freude erlaubt sei, gibt jeder zu. Denn wer wird nicht z. B. die Schadenfreude für unerlaubt halten? Wie viele Arten und Äußerungen vorgeblicher Freuden sind sündlich und schädlich! Schon ein Heide schreibt: Glaube es mir: Es ist eine sehr ernsthafte Sache um die wahre Freude. Eine echte Freude muss sein wahr und nicht bloß eingebildet, Gott gefällig, nicht sündlich. Sie muss sein erlangbar und nicht abhängig von zufälligen Dingen, die nicht in unserer Macht stehen, die auch in Armut, in Schmerz, in Krankheit und selbst im Tode genossen werden kann, ja, die uns bis vor den Thron des Richters aller Welt begleitet. Die echte Freude muss Gott, sie muss der Würde und Bestimmung des Menschen angemessen und förderlich, sie muss vernünftig, geistig, innerlich sein. Und eine solche Freude kündet das evangelische Lehramt an, mit jenem Engel rufend: „Siehe, ich verkündige euch große Freude.“

2.2 Das evangelische Lehramt ist auch Mittel zur Freude und zwar eben dadurch, dass es die Quellen derselben anweiset, dadurch, dass es die, durch Christum gestiftete, vollkommene Versöhnung predigt, dass es die Gnade Gottes verkündigt, dass es ein Jahr der Barmherzigkeit, der Vergebung der Sünden ausrufet. „Tröstet, tröstet mein Volk, redet mit Jerusalem freundlich, predigt ihnen, dass ihre Missetaten vergeben seien“ ist nach Jes. 40 der Auftrag an evangelische Lehrer. Auch den Weg weiset es an, um zur Freude zu gelangen. Erst betrübet es durchs Gesetz, wodurch Erkenntnis der Sünden, Reue, Leidwesen über dieselben, mit einem Worte: Buße entsteht. Dann tröstet es durch das süße Evangelium von der Gnade Gottes und reizet dadurch zum Vertrauen, zum Glauben. Es hält vor die teuersten und allergrößten Verheißungen. Es redet nach dem Herzen der Betrübten, und wie oft bestätigt sich’s, was David sagt: „Wenn dein Wort offenbar wird, so erfreuet es die Seele!“ Deswegen hat’s das evangelische Lehramt eigentlich und zunächst mit den Elenden zu tun, mit Erschrockenen, mit Sündern, mit Verlorenen, mit den Traurigen zu Zion, „dass ihren Schmuck für Asche und Kleider des Lobs für einen geängsteten Geist gegeben werden.“ „Lieblich sind ihnen die Füße der Boten, die gutes predigen.“

Also ist der Diener des Evangeliums Gehilfe eurer Freude.

Als ein solcher trete denn auch ich in Gottes Namen, auf eine ordentliche, herkömmliche Weise dazu berufen, unter euch auf und beginne unter euch dieses liebliche Geschäft. Nimm mich denn als einen solchen willig auf, ehrwürdige und geliebte Gemeinde! Dies hohe Amt trete ich unter dir an, nicht in der Einbildung, als sei ich dazu aus mir selber weise genug, geschickt genug. Fragt ein Apostel: Wer ist hierzu tüchtig? welche Sprache wird sich denn für mich geziemen? Ich wage es nicht, euch meinerseits etwas sonderliches zu versprechen, hoffe aber auf den Herrn, der, wie ich vertraue, mich gerufen hat. Erwartet, ich bitte euch, erwartet nicht zu viel von mir, aber lasset mich eurer fleißigen Fürbitte bestens empfohlen sein! Gebet mir auf diese Weise, damit ich imstande sein möge, euch wieder zu geben, und ihr den etwaigen Nutzen und Erbauung, die ihr von Gott durch mich hoffentlich empfangen werdet, zugleich als die Frucht eurer Fürbitte mögt ansehen können. Ich kann mich keiner sonderlichen Talente und glänzenden Gaben rühmen, sondern bekenne gern, dass mein Predigen wie mein Christentum von der Art ist, dass ich nur dann sammeln kann, wenn der Herr seine milde Hand öffnet, womit ich anfange, je länger je mehr zufrieden zu werden.

Ihr habt aus meinem bisherigen Vortrage leicht und, wie ich hoffe, gern abnehmen können, dass ich nicht gesonnen bin, euch etwas anders zu predigen, als das uralte Evangelium, als ein biblisches Christentum. Ich mag meines Orts auch nichts wissen als Jesum Christum und zwar noch dazu als gekreuzigten. Ich weiß durchaus keinen anderen Weg, wodurch jemand, er sei, wer er wolle, weise oder töricht, hoch oder niedrig, reich oder arm, wodurch er gerecht, heilig, fröhlich und selig werden könnte, ohne diesen unseren Heiland und Herrn. Ich meine: Es sei nur eine Wahrheit, und diese sei ewig und unveränderlich dieselbe. Ich traue es unserm Zeitalter gar nicht zu, dass man während desselben erst die rechte Antwort auf die Frage: Was ist Wahrheit? entdeckt habe, sondern hange einzig an den Lippen desjenigen, der da sagen konnte: „Ich bin selber die Wahrheit, ich bin dazu geboren und in die Welt gekommen, dass ich die Wahrheit zeugen soll.“ „Wer aus der Wahrheit ist, höret meine Stimme.“ „So jemand will des Willen tun, der mich gesandt hat, der wird inne werden, ob diese Lehre von Gott sei, oder ob ich von mir selbst rede.“ (Joh. 7,17). O möchten unser recht viele sein, die auf diesem Wege die Wahrheit suchten, was gilt’s, sie würden sie finden! Es ist ein Zeitalter des Zweifelns. Allein auf diesem Wege lässt sich feste Gewissheit finden. Mit bloßen Gründen allein ist die Sache nicht ausgerichtet. Betrachtet uns denn als Gehilfen eurer Freude, deren Absicht keine andere ist als die: Unter Gottes Segen dazu beizutragen, dass ihr fröhliche und heitere, dass ihr immer fröhlichere und heiterere Kinder Gottes werden möget, und lasset diese Absicht an recht vielen unter uns immer völliger erreicht werden.

Einem wohllöblichen Stadtmagistrat hierselbst komme ich, wie es sich für jeden Christen, besonders aber für den Diener des Evangeliums geziemt, als meiner nächsten bürgerlichen Obrigkeit, mit schuldigster Ehrerbietung und Untertänigkeit entgegen. Wohl demselben alles Heil und Wohlergehen wünschend, bitte ich zugleich um dessen Schutz, wo ich ihn bedarf. Es wird einem Diener des Evangeliums erlaubt sein, die Obrigkeit als Gottes Dienerin zu bitten, die ihr von oben herab anvertraute Gewalt, ferner zum Nutz und Frommen der Kirche, zur Erhaltung guter Sitten und Steuer des Bösen gebrauchen zu wollen, damit sie auch an ihrem Teil dazu beitrage, dass des Herrn Verheißung erfüllet werde, nach welcher Könige die Pfleger der Kirche und Fürstinnen ihre Säugammen sein sollen.

Sie, meine geschätzten und geliebten Brüder, fortan meine Amtsgenossen, nehmen Sie mich in Liebe auf! Doch ich darf Sie nicht darum bitten, ich muss Ihnen für die Liebe danken, womit Sie mir entgegen kommen. Seien Sie auch der meinigen versichert. Lassen Sie uns heute den Bund erneuern, mit vereinter Meinung nach unserm besten Wissen und Können dahin zu ringen, das Christi Reich gebauet, des Teufels Reich aber gedämpft werde! Lassen Sie uns, meine Brüder, lassen Sie uns getrost fortfahren, Jesum Christum den Gekreuzigten zu predigen, wenngleich den Werkheiligen ein Ärgernis und den Dünkelhaften eine Torheit, doch denen, die da selig werden, göttliche Weisheit und göttliche Kraft. Streben wir eben dadurch dem Zeitgeiste entgegen! Wir wollen die Schmach Christi nicht scheuen, die Moses allein schon für größern Reichtum achtete, als die Schätze Ägyptens. Das soll unsere Ehre und Weisheit sein, als demütige Schüler uns zu den Füßen der Apostel und ihres und unseres Herrn zu setzen. O, der Herr der Kirche gebe Ihnen und mir dazu die reiche Gnade! Er erbarme sich unseres hiesigen Zions, ja der ganzen armen, irregeleiteten Christenheit, und sende aller Orten Arbeiter aus in seinen Weinberg, Schriftgelehrte zum Himmelreich gelehret, die das Volk weiden mit Lehre und Weisheit!

Seien Sie mir ehrerbietig gegrüßt. Würdige Glieder des Konsistoriums dieser Gemeinde! Sie kommen mir mit dem Wunsche entgegen, dass ich im vollen Segen des Evangelii gemeinschaftlich mit meinen Amtsgenossen bei dieser Gemeinde arbeiten möge. Der Oberhirte sage dazu Amen, so werden wir uns alle freuen. Ach, es ist ein köstliches Werk um ein Bischofsamt, ein köstliches Ding um einen treuen Haushalter! Ich bin noch nicht, was ich zu sein begehre. Seien Sie mir durch Ihre Fürbitte behilflich, es je länger je mehr zu werden! Ach, meine verehrten Brüder und Herren, man hält sich berechtigt, viel von uns zu fordern und zu erwarten. Wir sollen nicht nur, oder vielleicht gar, nicht so sehr wahr, als angenehm reden, unsere Zuhörer wollen zum Teil nicht nur belehrt, sie wollen auch erschüttert, gerührt, ergötzet sein. Alles soll den Sinnen schmeicheln, selbst die Religion. Welche Verantwortlichkeit, welche Pflichten haften auf uns armen Menschen! Selbst mancherlei Anfechtungen unterworfen, vielleicht gar das vorzüglichste Ziel der Pfeile des Satans, sollen wir „wie Pferde Gottes den Kot der Straße Zions treten.“ Kein Wunder, dass die größten Heiligen, dass ein Moses, Jesajas und Jeremias sich lange weigerten, das Amt zu übernehmen, was Gott ihnen auflegte. Denn wer ist hierzu tüchtig? Da haben wir nötig, selbst viel zu beten, nötig, dass viel für uns gebetet wird. Ihrem Amte ist es gemäß, dass auch Sie den Lehrern diesen unsichtbaren aber wichtigen Beistand leisten. O tun Sie es! Des Herrn Gnade und Segen walte über Ihren Personen, über Ihrer Amtsführung, über Ihren Angehörigen!

Seien auch Sie mir gegrüßt, achtungswürdige Lehrer der Jugend dieser Gemeinde!

Sie bekleiden ein sehr wichtiges Amt und können den zarten Herzen der Jugend eine Richtung geben, welche für’s ganze folgende Leben von erfreulichen Folgen ist. Vergönnen Sie mir’s, Sie aufzumuntern, dahin fleißig zu wirken, dass der Ihnen anvertrauten Jugend neben den nächsten Schulkenntnissen auch eine tiefe Achtung gegen Gott, sein Wort und die Religion eingeflößt werde. Meine Brüder, Gottesfurcht erhöhet ein Volk, und Religion ist Bedürfnis. Sie, eben Sie, können ungemein viel dazu beitragen, die bessern Zeiten und Sitten herbeizuführen, worauf wir hoffen, die wir begehren. Sie bekleiden ein sehr ehrwürdiges, freilich auch sehr mühsames Amt und haben, bei treuer Verwaltung desselben, die gerechtesten Ansprüche auf allgemeine Hochachtung, die Ihnen auch jeder Nachdenkende gern darbringt. Sie werden es nicht ungern sehen, das hoffe, darum bitte ich, wenn ich Sie, meiner Pflicht gemäß, von Zeit zu Zeit während Ihrer Schularbeit besuche, um Sie, nebst der Sie umgebenden Jugend zu grüßen. Der Herr segne Sie, würdige Männer, und verleihe Ihnen nach Leib und Seele alles, was Sie zu einer gesegneten Amtsführung bedürfen!

Sei mir endlich in zarter Liebe gegrüßt, teure Gemeinde! Möge der Herr auch mich bei sehr vielen unter dir einen Gehilfen zur wahren, echten, ewigen Freude werden lassen. Ihr Traurigen zu Zion, ihr nach Vergebung der Sünden, nach Licht, nach Gnade, Kraft und Heiligung, nach Friede und Freude im heiligen Geiste, nach dem ewigen Leben begierigen Seelen, ihr seid besonders der Gegenstand und die Lust unseres Amtes. Der Herr brauche auch mich an euch, dass euer Herz voll Freude und euer Mund voll Jauchzens werde! Er rüste eure Lehrer sämtlich in höchsten Gnaden aus und brauche uns dazu, dass die Frage: Was muss ich tun, damit ich selig werde? recht allgemein gehört und so lange und so ernstlich fortgesetzt werde, bis jeder sagen kann: Gott Lob, auch mich nimmt Jesus an! Möge doch der gnädige und barmherzige Herr ein neues Schaffen in dieser Gemeinde, dass Sie, wie an Zahl und sonstigem Glanze, dass sie sich auch im ganzen Lande auszeichne durch den Glanz der wahren Gottseligkeit, damit sein hoher und heiliger Name durch uns gepreiset werde, und wir einst unbeschämt vor ihm stehen, wenn er den ganzen Kreis der Erden richten wird in Gerechtigkeit, wobei wir alle auch gegenwärtig sein werden.

Glorwürdigster, Herr und Haupt deiner Gemeinde, die du mit deinem Blute erkaufet hast, die du durch deinen Geist heiligest, mit deinem Worte weidest, mit deiner Macht schützest, königlich sie regierest und sie endlich vollkommen selig und herrlich machst, Herr Jesu, Sohn Gottes! Du hast das Amt gestiftet, das deine herrliche, wunderbare Versöhnung verkündigen soll, diese Versöhnung, den blutigen Ursprung alles Heils, den einigen Grund aller wahren Beruhigung, den Gegenstand ewiger Lobpreisungen, worüber der ganze Himmel in eine ehrfurchtsvolle Bewegung gerät. Sei gebenedeiet, dass das Wort von deiner Gnade noch nicht ganz verstummt, noch erschallt, noch Freunde, noch Verehrer, noch Menschen findet, die es höher achten als Gold! Sei gepriesen, dass du drei der mächtigsten Herrscher in der Christenheit also bewirket hast, dass sie, zum großen Exempel für die ganze Welt, dir zu Fuße fallen, dich für den einigen König, deine Erlösung für das einige Heil, sich selbst aber für deine Lehnsträger und Bevollmächtigte erklären und ihre Völker auf dich verweisen. Herr Jesu, deinen Geist, geuß herab deinen Geist, deine Gnade, deinen Segen auf die Könige und Herren, sonderlich unsern teuersten Landesvater und sein königliches Haus, auf die Diener und Räte, auf die hohen und niederen Schulen, auf Prediger und Gemeinden! Geuß ihn herab auf alles Fleisch, dass die Erde voll werde von der Erkenntnis deiner Ehre! Besonders baue die Gemeinden dieser Stadt! Lass dir gnädiglich Wohlgefallen die hier gehaltene Predigerwahl und derselben

Ausgang! Sprenge darüber dein allein gültiges Blut! Sprich dazu deinen hohenpriesterlichen Segen, nimm sie in deine Fürsprache auf dem Thron, damit alles durch dich, du A und O, deinem majestätischen Vater gefallen könne, dem nichts gefällt als durch dich. Ohne dich ist alles zu leicht. O wie gern gönnen wir dir diese Ehre, wie gern und gänzlich genehmigen wir diesen heiligen Weg. Segne, o segne uns dann! Segne den neuantretenden, segne die schon länger arbeitenden, segne den abtretenden Lehrer! Segne die regierenden Väter der Stadt und die Verwalteten! Segne die ganze Gemeinde in allen ihren Gliedern! Gerechtigkeit und Friede begegne, Treue und Wahrheit küsse sich in derselben! Glaube wachse auf Erden, Gerechtigkeit schaue vom Himmel! Da Herr tue uns Gutes, dass Gottseligkeit im Schwange gehe!

Amen

Antrittspredigt von Gottfried Daniel Krummacher, gehalten am 11. Februar 1816

Herausgegeben von Thomas Karker, Bremen (www.karker.de [1])