Gemeindenetzwerk

Ein Arbeitsbereich des Gemeindehilfsbundes

Drucke diesen Beitrag Drucke diesen Beitrag Artikel empfehlen Artikel empfehlen

Die falsch verstandene Politisierung

Montag 29. Mai 2017 von Dr. Klaus-Rüdiger Mai


Dr. Klaus-Rüdiger Mai

Auf dem Evangelischen Kirchentag konnte der belehrungswillige Christ zahlreiche Foren besuchen. Die Vielzahl der Podien bildet leider nicht die Vielfalt evangelischen Glaubens ab, lässt aber in der Summe parteipolitische Präferenzen durchscheinen. Die Politisierung der Evangelischen Kirche hat zu anhaltenden Diskussionen innerhalb der Kirche geführt, die nun auch den Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, zu einer Stellungnahme in der FAZ bewogen haben.

Einmischung der Kirche bringt nichts Gutes

Von Anfang an widerspricht er darin der eigenen Forderung, dass prophetisches Reden den Diskurs nicht verschließen, sondern öffnen soll. Denn immer wieder setzt er differierende Standpunkte in assoziative Nähe zum Rassismus, Nationalsozialismus oder Militarismus. Das Recht, politisch Stellung zu beziehen, wird von Martin Luther Kings Kampf gegen die Rassendiskriminierung und von Dietrich Bonhoeffers Widerstand gegen den Nationalsozialismus hergeleitet. Doch die Beweisführung überzeugt weder methodisch noch historisch, denn es ließen sich in der Geschichte weitaus mehr Beispiele finden, wo es eben nicht zum Guten, sondern zum Schlechten führte, wenn sich die Kirche politisch einmischte.

Auch das schlimme Eintreten der Deutschen Christen für den Nationalsozialismus stellte ein politisches Engagement dar. Es ist methodisch nicht zulässig, die guten Beispiele herauszustellen, die schlechten nicht zu gewichten und die Argumentation auf die Nennung von Beispielen zu reduzieren. Ganz abgesehen davon, dass sich Geschichte immer konkret vollzieht. Genau an dieser Stelle wird die Argumentation für eine Politisierung der Kirche hinfällig, denn der Verweis auf die Bekennende Kirche vernachlässigt den fundamentalen Unterschied zwischen Diktatur und Demokratie.

In einer Demokratie ist es problematisch, wenn sich die Kirche politisch engagiert, weil sie damit den Christen als Bürger zu entmündigen droht, da sich jeder Christ in der Gesellschaft selbst als Bürger in Parteien, Vereinen, im Ehrenamt politisch einbringen kann. In Diktaturen aber muss die Kirche den Menschen ihre Stimme geben, sie unterstützen, Zeichen der Hoffnung und des Widerstandes setzen. Mehr noch, politisches Engagement in der Demokratie läuft Gefahr, sich einseitig parteipolitisch zu positionieren und spaltet daher die Kirche. Denn die Christen, die verfassungsmäßig garantiert einer anderen Vorstellung folgen, geraten daher unweigerlich in den Dissens zur eigenen Kirchenführung. Deutlich wurde das beispielsweise in einem Volksentscheid in Hamburg über den Rückkauf der öffentlichen Daseinsvorsorge durch die öffentliche Hand, die man privatisiert hatte. Die Landeskirche unterstützte die Kampagne auch mit beträchtlichen finanziellen Mitteln. Die Christen, die gegen den Rückkauf votierten, fühlten sich von ihrer Kirche geschurigelt und sahen Kirchensteuern entfremdet, so dass es auch zu Kirchenaustritten kam.

Besondere Autorität der Propheten

Anachronistisch mutet es an, wenn die Rechtfertigung parteipolitischen Agierens mit dem prophetischen Reden der Kirche begründet wird, denn im protestantischen Verständnis hat die Kirche niemals „prophetisch geredet“, Menschen allerdings schon. Die Propheten des Alten Testaments gehörten keiner „Kirche“ im heutigen Sinne an. Gerade weil sie keine Kirchenfunktionäre waren, konnten sie „eine leidenschaftliche moralische Empörung zum Ausdruck“ bringen, ohne „eine verlässliche wissenschaftliche Expertise einzuholen“.

Ganz abgesehen davon, dass im Altertum keine wissenschaftlichen Expertisen existierten, weil es schlichtweg keine Wissenschaft gab. Kirchenvertreter würden heute somit postfaktisch argumentieren, wenn sie versuchten, in die Fußstapfen der alten Propheten zu treten. Der Ratsvorsitzende begründet prophetisches Reden heute gesinnungsethisch und erteilt eine Befreiung von „wissenschaftlichen Expertisen“. Damit fällt er in einen Obskurantismus zurück. Folgerichtig will er prophetisches Reden an „eine besondere Autorität“ gebunden wissen. An dieser Stelle tut Diskussion und Widerspruch not. Die Propheten erhielten ihre „besondere Autorität“ nicht von einer Institution, sondern von Gott selbst. Nicht dem von Gott berührten Christen stünde prophetisches Reden zu, sondern ausschließlich dem von der Kirche ermächtigten Funktionär. Damit aber wird Gott im wahrsten Sinn des Wortes entmündigt und die Kirche in Laien und Priester unterteilt.

Ist man erst mal so weit, kann man Luthers Rechtfertigungslehre und das Priestertum aller Christen komplett vergessen. Keinesfalls zufällig gerät die Argumentation an diesem Punkt mit sich selbst in Widerspruch, denn die „prophetische Dimension des öffentlichen Redens der Kirche“ wird „eher an die Person als an die Institution gebunden“ gesehen, die anderseits die Vollmacht für das prophetische Reden erst zuerkennt. Der Zirkelschluss folgt unausweichlich, denn es ist nach dieser Vorstellung letztlich der Apparat, der dem Apparat die Vollmacht erteilt. Dadurch nimmt er Gottes Position ein, der über Gut und Böse, über Freund und Feind entscheiden darf.

„Feindschaft“ nicht mit Nächstenliebe vereinbar

Der Kulturbeauftragte der EKD möchte deshalb auch den „Feind“ theologisch definieren: „Wir brauchen einen politischen und theologischen Begriff von Feindschaft, schreibt er. „Es darf kein Appeasement geben. Man darf nicht vor dem Feind zurückweichen.“ Ausdrücklich wird in diesem Beitrag klargestellt, dass „nun auch im Weißen Haus ein Feind der offenen Gesellschaft“ residiert. Man muss Donald Trump wahrlich nicht mögen, es spricht manches dafür, ihn als politischen Gegner zu sehen – was keine Angelegenheit der Kirchen ist. Aber dass er als Feind mit allen Mitteln zu bekämpfen ist, zu dem keine Brücke gebaut, mit dem kein Kompromiss geschlossen werden darf, zeigt, welche Blüten das prophetische Reden hervorbringt. Ein Reden, das nach den Worten des Ratsvorsitzenden „den Diskurs nicht verschließen, sondern ihn öffnen, vielleicht auch neueröffnen will“.

Wer aber den Feind theologisch definieren will, für den es kein Pardon gibt, der handelt gegen das Gebot der christlichen Nächstenliebe. Oder gilt Nächstenliebe nur für den lieben Nächsten? Für den neuen „Feind“ des Kulturbeauftragten existieren bereits theologische Definitionen, nämlich die des antiquus hostis, des alten Feindes, schlicht: des Teufels. Es hat den Anschein, als verliere man im Inneren des Apparates den Blick nach außen und führe einen geschlossen Diskurs, gefangen in der eigenen Filterblase, geleitet von den eigenen parteipolitischen Vorstellungen. Mit Hölderlin möchte man sagen: „Komm, ins Offene, Freund.“

Auf die Kernaufgaben konzentrieren

Wäre es nicht besser, anstatt sich über den Staat, über die Gesetze, über das Recht – Stichwort Kirchenasyl -, über die Klugheit der Menschen in den Gemeinden zu erheben, sich auf die immer wichtiger werdenden Kernaufgaben der Kirche zu konzentrieren, die da wären: Bibelstudium, Seelsorge, Gottesdienst, Mission, Diakonie und Bildung. Den christlichen Glauben zu vertiefen und sich von einer Gesinnungsethik zu verabschieden, die im Zweifelsfall konträr zu Luthers „Gewissen“ und konträr zu seinem Freiheitsbegriff, der Freiheit, Gewissen und Verantwortung austariert, steht? Zumal die Kirche sich doch bis in die jüngste Zeit hinein nur allzu oft geirrt hat, gerade wenn sie „prophetisch reden“ oder politisch agieren wollte, denn die EKD scheint politisches Reden mit prophetischem Reden zu verwechseln.

Dr. Klaus-Rüdiger Mai, geboren 1963, Schriftsteller und Historiker, verfasste historische Sachbücher, Biographien und Essays, sowie historische Romane. Sein Spezialgebiet ist die europäische Geschichte.

Quelle: www.cicero.de

 

Drucke diesen Beitrag Drucke diesen Beitrag Artikel empfehlen Artikel empfehlen

Dieser Beitrag wurde erstellt am Montag 29. Mai 2017 um 9:46 und abgelegt unter Gesellschaft / Politik, Kirche.