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Streit um die Auferstehung

Donnerstag 16. März 2017 von Dr. Joachim Cochlovius


Dr. Joachim Cochlovius

Auszug aus einem Streitgespräch zwischen Prof. Dr. Gerd Lüdemann, Göttingen, und Pastor Dr. Joachim Cochlovius, Walsrode. Das Gespräch moderierte Ralph Ludwig. Ostermontag, 31.03.1997, NDR (Hörfunk).

Ludwig: Der Heidelberger Bibelwissenschaftler Klaus Berger hat gesagt: „Als Historiker kann man sagen, wenn man ganz vorsichtig ist: Es besteht kein Zweifel, dass Petrus und die Frauen das leere Grab gesehen haben und dass die Jünger Jesus nach seinem Tod gesehen haben. Damit ist nichts gesagt über die Tatsächlichkeit, als ob man beweisen könnte, dass das Grab leer war oder dass der Auferstandene erschienen ist.“ Stimmen Sie dem zu?

Cochlovius: Die Überzeugungskraft dieser Aussage ist mit der Lupe zu suchen. Ich will das hier einmal frank und frei sagen: Wenn Personen da sind, die für sich beanspruchen Zeugen zu sein, hat ein Historiker nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, von der Stimmigkeit ihrer Aussagen auszugehen bis zum Beweis des Gegenteils.

Ludwig: Herr Lüdemann, bis zum Beweis des Gegenteils?

Lüdemann: Der Beweis ist auf der Grundlage des vorhandenen Quellenmaterials zu entscheiden. Und hier ist im Falle der Feststellung des Kollegen Berger, dass Petrus und die Frauen das leere Grab gesehen haben, zu sagen: Nein, sie haben es mit Sicherheit nicht gesehen. Das andere, dass die Jünger den Auferstandenen gesehen haben: Natürlich, sie haben ihn gesehen, denn die subjektive Überzeugung, ihn gesehen zu haben, wird man ihnen nicht bestreiten, es sei denn man sagt, sie hätten Betrug geübt und das alles nur erfunden. Das schließe ich aber aus.

Cochlovius: Ich bin hier anderer Ansicht. Ich gehe davon aus, dass bei aller Unterschiedlichkeit der Zeugen – besonders der Evangelisten – doch die Grundtatsachen ganz zuverlässig berichtet sind. Dass also hier ein leeres Grab gefunden wurde, dass Engel gesehen worden sind und dass auch der Auferstandene, Jesus, da war und zu den Frauen gesprochen hat, vermutlich sogar zweimal, und dass eine allgemeine Aufregung und Hektik sich der Leute bemächtigt hat.

Lüdemann: Aber damit vergessen Sie die Kritik, Herr Cochlovius. Wer hat denn hier Zeugnis abgelegt? Wir haben überhaupt kein Zeugnis des Petrus und der Frauen, sondern wir haben Berichte darüber, was ihnen passiert ist. Das ist doch ein großer Unterschied. Nach dem ältesten Evangelium, nach Markus, ist Petrus gar nicht zum leeren Grab gegangen, da soll den Jüngern erst eine bestimmte Botschaft mitgeteilt werden, erst in den Quellen, die dreißig oder vierzig Jahre nach Markus geschrieben worden sind, kommt Petrus zum Grab. Da kann man doch beim besten Willen nicht sagen, dass eine Quelle aus dem Jahr 100 über Ereignisse siebzig Jahre vorher informiert ist. Das sind ganz grobe Klötze, die Sie uns hier glauben machen wollen. Darüber hat eine 250jährige Forschung auch mehrheitlich ein klares Votum abgegeben, dass Petrus das leere Grab nicht gesehen hat.

Cochlovius: Da möchte ich einen entschiedenen Widerspruch anmelden.

Ludwig: Geht es denn überhaupt beim Glauben an die Auferstehung um die Frage, ob das Grab leer war oder nicht?

Lüdemann: Zunächst einmal geht es darum: Was ist damals passiert? Herr Cochlovius und viele andere aus seiner Richtung sagen, das Grab war leer. Und dann frage ich gleich: Steht das in der Bibel? Und ich frage dann gleich: Rechnen Sie damit, dass ein Leichnam wiederbelebt wurde, weil das Heraustreten aus dem leeren Grab zur Voraussetzung hat, dass ein Leichnam wiederbelebt wurde und dann verklärt wurde. So steht es nun einmal in der Bibel, und so ist es dann in der Tradition der Kirche jahrhundertelang tradiert worden. Im Glaubensbekenntnis: „Auferstehung des Fleisches“ usw. Und da muss ich – da ist Herr Cochlovius wohl mit mir einig – sagen, die ganze Kirche hat bis vor kurzem die leiblich-fleischliche Auferstehung bekannt. Und ich sage dagegen nur: Historisch ist das ein Humbug. Das ist so nicht gewesen. Jesu Leichnam ist verwest.

Cochlovius: Das sagen Sie, als seien Sie mit dem Fotoapparat dabei gewesen.

Lüdemann: Nein! Wenn das Grab voll war, wenn Jesus nicht rausgekommen ist, dann nehme ich an, dass das, was inzwischen mehr als 20 Milliarden Menschen geschehen ist, die verwest sind, Jesus geschehen ist. Damit habe ich noch nichts dazu gesagt, ob der Glaube heute eine Relevanz haben kann, wenn er anders formuliert wird.

Cochlovius: Also, zum Thema „leeres Grab“: Das leere Grab als solches ist immer zweideutig, mehrdeutbar. Was aber in den Auferstehungsberichten eine viel größere Rolle spielt, ist ja die Tatsache, dass der eigentliche Glaubensakt erst dann bewirkt wird, wenn der Auferstandene selbst mit den Menschen redet. Das ist für mich eine sehr deutliche und wichtige Beobachtung. Dort, wo der Auferstandene zu den Jüngern eintritt oder wo er dem Thomas begegnet. Das hat meines Erachtens beispielhafte Bedeutung bis heute.

Lüdemann: Sie weichen historisch aus. Was heißt „der Auferstandene“? Wer ist der Auferstandene? Kann ich ihn anfassen, kann ich ihn sehen? Ich würde auch sagen: Die Rede von „dem Auferstandenen“ setzt ein Weltbild voraus, was heute nur noch als Hokuspokus bezeichnet werden kann, wenn man das heute ungebrochen übernimmt. Denn in der ältesten Tradition handelt es sich eindeutig um Visionen, unseren Tagträumen vergleichbar, und daraus ist dann erst – sekundär – als man nämlich später darüber nachdachte, welche Körperlichkeit diese Person hat, die Aussage geworden, Jesus isst und trinkt, das können wir doch nicht für bare Münze nehmen. So dass ich hier Herrn Cochlovius eine völlig unklare, nebulöse Begrifflichkeit vorwerfen möchte.

Cochlovius: Vielen Dank, Herr Lüdemann, für die deutlichen Worte. Dann muss ich sagen, dass ich seit über zwanzig Jahren mit einem Hokuspokus lebe. Seit dieser Zeit bin ich innerlich ganz und gar durchdrungen davon, dass Christus auferstanden ist und dass er durch den Heiligen Geist Wohnung nimmt in all denen, die dem Evangelium vertrauen, auch in mir. Also, ich glaube, wenn wir hier von Hokuspokus reden, nehmen wir ein Stück der Gesprächsbrücke, an der mir sehr viel liegt.

Es geht nicht nur um Interpretationen, es geht letztlich um den Glauben, Herr Lüdemann, und wenn Sie sich als Bibeltheologe nach wie vor verstehen möchten, dann frage ich Sie: Was sagen Sie den Menschen in einer Zeit, die nun wirklich in einem unendlichen Pluralismus versinkt, wo viele ein ausrichtendes und hilfreiches Wort eines Christen, auch eines Theologieprofessors, suchen, was sagen Sie den Menschen, die nach dem christlichen Glauben fragen, wenn Sie ihnen gleichzeitig die Grundlage, die leibliche Auferstehung, die Himmelfahrt Jesu und auch seine Existenz im Heiligen Geist, in jedem der glaubt – wenn Sie diese Grundlage bestreiten?

Lüdemann: Zunächst einmal begrüße ich den Pluralismus. Ich denke mit Entsetzen an die Zeit, wo andere unterdrückt wurden. Zweitens: Wer ist heute ein Christ? Was glauben die Christen wirklich. Was glauben unsere Bischöfe wirklich? Ich halte es für äußerst schwierig, darauf eine Antwort zu bekommen, und wie Sie wissen, diskutiert keiner von den Bischöfen mit mir. Ich halte also die Voraussetzung, die Sie machen, für hinterfragbar. Denn die Mehrheit der heutigen Kirchenmitglieder, die – wie gesagt – die Volkskirche bezahlen, glaubt das gar nicht mehr, was da steht. Ich würde sagen, fünf bis acht Prozent der deutschen Bevölkerung, die zur Kirche gehören, hängen dem traditionellen Glauben an, die anderen sind voller Zweifel, und alle anderen leiden in gewisser Weise darunter, weil sie sich von den Theologen im Stich gelassen fühlen. Ich schätze die heutige Situation eben ganz anders ein.

Ludwig: Eigentlich war die Rede von der kirchlichen Auferstehung und vom leeren Grab früher eine Hilfe zum Glauben, heute scheint beides für viele eine Art Hindernis, eine Hürde zu sein, die sie nehmen müssen, um zu glauben.

Cochlovius: Herr Lüdemann hat die Hürde schon abgebaut, für ihn gibt es gar keine Hürde mehr.

Lüdemann: Nein, nein!

Cochlovius: Doch! Sie haben das so ausgedrückt. Dass Sie eine Antwort suchen, die auf möglichst breite Zustimmung stoßen kann, weil sie möglichst viel Denkschwierigkeiten wegnimmt. Also einen, wie soll ich sagen, Marktglauben wollen, der für jeden immer und überall sofort und unmittelbar einsichtig ist.

Lüdemann: Sie haben mich falsch verstanden. Ich habe gesagt, ich möchte eine Erklärung des Entstehens des frühchristlichen Osterglaubens bieten, die möglichst wenige Gegenargumente gegen sich hat. Ich möchte zunächst einmal rational die Entstehung dieses geheimnisvollen Glaubens erklären.

Cochlovius: Aber das kommt doch darauf hinaus!

Lüdemann: Nein! Und dann frage ich: Was hat diesen Glauben überhaupt veranlasst? Ich sage: Am Anfang stehen die Visionen, und dann führ ich die Visionen auf den Eindruck zurück, den Jesus auf seine Jünger gemacht hat. Das führt dann zu einem ganz anderen Glauben an Jesus, an den historischen Jesus, als es traditionell der Fall ist. Mit anderen Worten: Ich ziehe aus meinen historischen Rekonstruktionen die Konsequenzen, um Zeitgenossen, die sich ja nicht für dumm verkaufen lassen – ich habe manchmal den Eindruck, dass Kirchenfunktionäre einen für dumm verkaufen, wenn sie solche Thesen in die Welt setzen von der Jungfrauengeburt, von der leiblichen Auferstehung usw. – um diesen Menschen, die sich immer noch innerhalb der christlichen Tradition im weitesten Sinne bewegen und nach Antworten such, das Glauben einfacher zu machen.

Cochlovius: Also genau dasselbe Problem kann man ganz anders ansehen. Ich denke, dass wir in der Diagnose unserer Christlichkeit oder kaum noch vorhandenen Christlichkeit in unserem Land und Volk weitgehend einig sind. Nur: Sie ziehen darauf die entgegengesetzten Schlüsse. Ich bin nach wie vor davon überzeugt, und meine eigene Biografie ist für mich das beste Beispiel, dass wir auch einem nachaufklärerischen Menschen durchaus das Glaubensbekenntnis bezeugen können…

Lüdemann: Die Jungfrauengeburt auch?

Cochlovius: …einschließlich der Jungfrauengeburt!

Lüdemann: Die echte Jungfrauengeburt? So richtig Jungfrauengeburt?

Cochlovius: Aber natürlich!

Lüdemann: Das ist Aberglaube!

Cochlovius: Ja, das ist Ihre Definition. Erst haben Sie Hokuspokus gesagt, jetzt sagen Sie Aberglaube –

Ludwig: Ich unterbreche an dieser Stelle. Mein Interesse ist doch: Wie kann man sich die Auferstehung im Glauben vorstellen – neben der Frage: Was ist denn damals geschehen?

Cochlovius: Da kann ich eine ganz einfache Antwort geben: Römer 4, Vers 25: „Christus dahingegen für unsere Sünden, auferweckt für unsere Rechtfertigung“. Damit ist alles inbegriffen. Er ist nicht nur für uns gestorben, er ist auch für uns auferstanden, damit wir die Gerechtigkeit Gottes empfangen. Was ist das? Es ist das Heil Gottes, damit wir geheilte Menschen werden für Zeit und Ewigkeit. Und das vermag nur der Auferstanden durch den Heiligen Geist. Das ist das komplette Zeugnis des Neuen Testaments.

Lüdemann: Ein Wort von ihren Darlegungen finde ich gut: Heil. Heil hat mit Heilen zu tun. Alles andere, also: „Für unsere Sünden gestorben“ stammt aus vergangenen Denkvoraussetzungen. Überlegen Sie sich, was Sie da sagen. Christus ist für die Sünden gestorben – musste er sterben? Brauchte Gott das Opfer seines Sohnes, damit er uns die Sünden vergibt? Kann er uns nicht so die Sünden vergeben? Ich halte da das Gottesbild, das dahintersteht, für barbarisch und völlig unzeitgemäß. Alle die Bibelstellen, die Sie zitieren, sind für mich Vergangenheit, eine ehrwürdige Vergangenheit! Ich möchte sagen, was ich selbst unter Auferstehung verstehe. Auferstehung heißt für mich stehen können, einen Grund unter die Füße bekommen können und damit mit dem Grund meines ganzen Lebens zu tun zu haben. Aufrecht sein können. Den Inhalt dessen, was ich sage, finde ich ansatzweise im Johannes-Evangelium, wo schon gesagt wird: Wer an Christus glaubt, ist schon heute vom Tod ins Leben gegangen. Da wird schon gesagt: Hier und heute entscheidet sich das Heil, hier und heute können wir stehen. Und ich würde es auch noch dahin zuspitzen können: Auferstanden sein heißt „ich“ sagen können. Das ist ein ganz anderes Verständnis.

Cochlovius: Ja, in der Tat, das ist ein anderes Verständnis von Auferstehung, und es lohnt sich, darüber nachzudenken, Herr Lüdemann. Aber …

Lüdemann: Vielen Dank, Sie sind generös …

Cochlovius: …aber Sie fahren nachher mit dem Zug nach Hause. Wenn Sie ein paar Minuten haben, dann schauen Sie sich mal einen Kiosk an und die dort ausgelegte Literatur. Ich hab’s neulich getan und war wieder überrascht. Fast die Hälfte der Taschenbücher befasst sich mit Bewusstseinserweiterungsstrategien, die im Grunde genau das beinhalten, was Sie jetzt als Extrakt des christlichen Auferstehungsglaubens gedeutet haben, nämlich: Stabilisierung des Menschen, aufstehen können, feststehen können …

Lüdemann: Was haben Sie dagegen? Das ist Heilung!

Cochlovius: Ich habe dagegen überhaupt nichts! Aber dazu brauchen Sie keinen christlichen Glauben! Das kriegen Sie an jeder Ecke für 12,80 DM geliefert. Wissen Sie, also dafür den christlichen Glauben in Anspruch zu nehmen, das ist so ein Minimalprogramm. Ich glaube, da holen Sie keine Katze hinter dem Ofen hervor!

Lüdemann: Aber wenn Sie das nicht von innen kennen, diese Studien und diese Gruppen, dann dürfen Sie darüber nicht urteilen. Ich selbst habe vier Jahre lang intensiv damit gearbeitet. Man sollte nicht so abschätzig darüber reden. Aber so denken eben die Zeitgenossen. Daran muss sich die Kirche orientieren, auch an den Interessen der Leute, und dann kommen vielleicht mehr in die Kirche.

Quelle: NDR (Hörfunk), 31.03.1997

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Donnerstag 16. März 2017 um 16:36 und abgelegt unter Theologie.