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Dialog, Wahrheit und Mission – Worüber können und sollten Christen mit Muslimen reden?

Mittwoch 7. September 2016 von Prof. Dr. Ulrich Eibach


Prof. Dr. Ulrich Eibach

Voraussetzung jedes Dialogs ist, dass man die wesentlichen Aussagen des eigenen Glaubens kennt und befähigt ist, sie ins Gespräch mit Anhängern anderer Religionen einzubringen. Dazu gehört auch, dass man hinreichend Kenntnisse über die Religion der Gesprächspartner hat. Äußerst fraglich aus christlicher Sicht ist allerdings eine theologische Ausgangsbasis, wonach man mit der Möglichkeit rechnen muss, dass es auch Wahrheitsansprüche in anderen Religionen gibt, die dem christlichen Glauben widersprechen. Anders ausgedrückt hieße das: Geltungsansprüche gelten nur innerhalb einer bestimmten Religion. Man müsse deshalb auf Mission verzichten und die widersprüchlichen Geltungsansprüche möglichst verschweigen, denn die wahre Religion findet sich in keiner der geschichtlich gewordenen Religionen (vgl. G. E. Lessing). Jedes Geltendmachen einer Wahrheit bedrohe angeblich den gesellschaftlichen Frieden.

Nur: Selbst zum Dialog mit Christen bereite Vertreter des Islam sind zu einem solchen Verzicht auf den Wahrheitsanspruch des Islam nicht bereit. Und dass dieser Anspruch den gesellschaftlichen Frieden bedrohe, entspricht weder dem Selbstverständnis des Islam noch erst recht nicht dem der Christenheit. Im Gegenteil, die Vertreter des Islam werten dies als Zeichen, dass Christen und Kirchen ihren eigenen Glauben nicht ernst nehmen. Vor diesem Hintergrund sind die folgenden Ausführungen zu sehen.

Mission und Wahrheit

Das Christentum breitete sich in einer religiös pluralistischen Umwelt durch eine Mission aus, die das Evangelium von Jesus Christus als die Wahrheit für alle Menschen bezeugte. Diese Botschaft kann in dem Satz des Apostels Petrus zusammengefasst werden: „Und in keinem anderen (sc. als in Jesus Christus) ist das Heil, auch ist kein anderer Name unter dem Himmel den Menschen gegeben, durch den wir sollen selig werden“ (Apg 4,12; vgl. Joh 14,6 ff.). Hätte man diese Mission nicht gezielt betrieben, sondern wäre davon ausgegangen, dass in der damaligen religiös pluralistischen Welt jeder sich seine eigene Religion wählen soll oder bei seiner angestammten Religion bleiben soll, da ohnehin keine Religion „Wahrheit“ für sich beanspruchen kann oder Gott ja auch schon immer verborgen in diesen Religionen wirkt, so gäbe es heute keine Kirche Jesu Christi in unserem Land.

Dabei ist zu beachten, dass diese „frohe Botschaft“ als Einladung zum Glauben an Jesus Christus verkündigt wurde, dass sie sich bis ins 4. Jh. nur durch diese Verkündigung und das entsprechende Lebenszeugnis der Christen ausbreitete und dass dies mit Verfolgung und Leiden der Christen, bis hin zum Martyrium, verbunden war. Das unterscheidet die Entstehung der christlichen Kirchen grundsätzlich von der Ausbreitung des Islam, die zwar nicht nur, aber doch auch von allem Anfang an schon bei Mohammed mit Gewalt und Krieg verbunden war. Dies ist nur erklärlich, wenn dahinter ein wesentlich anderes Gottesbild als in der Botschaft Jesu Christi steht. Dass die christliche Kirche, als sie zu politischer Macht gelangte, teils die Ausbreitung des Christentums  mit dem „Schwert“ bejaht und unterstützt hat, steht im Widerspruch zum Evangelium, das allein auf die Überzeugungskraft der Verkündigung und des gelebten Lebens setzt. Man wird auch kaum bestreiten können, dass sich die unterschiedlichen  Entstehungsbedingungen beider Religionen auch heute noch in der unterschiedlichen Einstellung zur Macht und Gewalt widerspiegeln.

Christologie: Überflüssig und schädlich für einen Dialog?

Für den christlichen Glauben ist die Gegenwart Gottes in Jesus Christus, seinem Sohn (Inkarnation), konstitutiv. Jesus ist nicht nur ein Prophet (so der Koran). In ihm ist Gott gegenwärtig. „Ich und der Vater sind eins“ (Joh 10,30; 14,20). Durch ihn und in ihm allein (Apg 4,12; Gal 2,5) haben wir Zugang zu Gott, unserem „Vater“, dem „guten Hirten“, der sein Leben lässt für die „Schafe“ (Joh 10, 9ff.). Er ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um den Menschen zu dienen, indem er aus Liebe sein eigenes Leben als „Lösegeld“ (Mk 10,45) dahingibt, also stellvertretend für uns unsere Sünde und das Böse auf sich selbst nimmt (vgl. Röm 6,18). Dass Gott in seinem Sohn am Kreuz gegenwärtig und eins mit ihm ist und den Tod durch Menschenhand erleidet, das ist der tiefste Ausdruck der Liebe Gottes, desVaters, zum Menschen. Dabei liegt alles daran, dass Gott selbst im Leiden des Sohnes am Kreuz gegenwärtig ist, Gott also aus Liebe zum Menschen zum Leiden fähig und bereit ist und das Böse und den Tod auf sich nimmt und sie in der Auferweckung überwindet.

Paulus (1.Kor 1,23) sagt, dass diese Botschaft für die gebildeten Griechen eine Dummheit und für die Juden ein Ärgernis ist. Für Muslime ist sie eine Gotteslästerung, denn „Allah“, der „Allmächtige“, kann niemals leiden, auch nicht aus Liebe wie ein „Vater“ und eine „Mutter“. Zwar anerkennt der Koran, dass Jesus ein Prophet ist, doch am Kreuz ist für die Muslime nur scheinbar dieser Prophet, in Wahrheit aber ein anderer Mensch getötet worden. Auch ein Prophet Gottes kann nicht um der Ungerechtigkeit anderer Menschen willen leiden. Das würde auch der Allmacht und Unberührtheit „Allahs“ von allen Leiden widersprechen. Dies ist für den Islam wie gesagt „Gotteslästerung“ und deshalb sollen und müssen nach Ansicht vieler Muslime die Kreuze in deutschen Krankenhäusern (Krankenzimmern, Räumen der Stille) und Schulen entfernt werden. Hier liegt der tiefste und unauflösliche Widerspruch beider Religionen.

Monotheismus und „Dreieinigkeit“ Gottes

Eng mit der Christologie zusammen hängt das Gottesbild von Gott dem „Vater“. Die Gottessohnschaft Jesu macht die Liebe und Treue dieses Vaters auch zu den Menschen offenbar. In der islamischen Theologie wird dies als „Gotteslästerung verurteilt, weil Gott durch diese anthropomorphe und intime Anrede Gottes als „Vater“ (vgl. Röm 8,14 f.; schon im AT; vgl. Jes 63,16; oder auch als „Mutter“, vgl. Jes 49,15; 66,13) und als „guter Hirte“ (Ps 23) ins „Menschliche“ erniedrigt werde. Aber diese Anrede Gottes als „Vater“ spricht die tröstliche Nähe Gottes (Jes 66,13), seine nie aufhörende Barmherzigkeit und Gnade und seine sich im Leiden bewährende Liebe aus. Gottes grundlegendes Wesen ist die Liebe (1.Joh 4,16), die primär darin besteht: „nicht, dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt hat und gesandt seinen Sohn zur Versöhnung für unsere Sünden“ (1.Joh 4,9 f.). Zur Liebe Gottes gehört konstitutiv die Beziehung Gottes zum Menschen und damit seine Treue zum und Fürsorge für den Menschen. Gott ist daher nicht ein ferner und erst recht kein willkürlich handelnder Gott, er ist ein gegenwärtiger, treuer und verlässlicher Gott. Die Gegenwart Gottes ist in der Gabe des Heiligen Geistes, des Trösters (Joh 14,26) geschenkt, durch den die Beziehung zu Gott gegeben und verbürgt ist. Durch die Gabe des Heiligen Geistes schenkt Gott selbst die Glaubensgewissheit, dass er „unser lieber Vater“ (Röm 8,15) und „guter Hirte“ ist, dass wir seine Kinder sind (Röm 8,14 ff.), die mit ihm eine Gemeinschaft haben, die Gott nie abbricht (Jes 49,15 f.). Ein derartiges Wirken des Heiligen Geistes ist dem Islam unbekannt.

Um die Gegenwart Gottes im Leiden und Tod seines Sohnes auszusagen und doch nicht zugleich folgern zu müssen, dass Gott seit Golgatha tot ist (G.F.W. Hegel), hat die Theologie die Lehre von der Dreieinigkeit bzw. Dreifaltigkeit Gottes entfaltet, durch die Gottes „Gott- Sein“ in sich und nach außen hin als Beziehungsgeschehen der Liebe zwischen „Personen“ dargestellt wird. Die Dreieinigkeit unterscheidet sich von einem Monotheismus, wie ihn der Islam vertritt. Deshalb wirft dieser den Kirchen vor, dass sie eine „Drei-Götter-Lehre“ vertreten und Gott nicht als den „All-Einen“ und den allein „Allmächtigen“ verehren. Insofern widerspricht der christliche Glaube nach islamischer Sicht dem entscheidenden Bekenntnis des Islam: „Allah“ ist der „All-Eine“, der „Einzige“, der allein „Allmächtige“, der „Allherrscher“, dem niemand gleichgestellt ist und dem alles unterworfen ist. Das Bekenntnis zur Gottessohnschaft Jesu Christi und zur Präsenz Gottes im Heiligen Geist, also zur „Dreifaltigkeit Gottes“, ist daher Gotteslästerung.

Es ist offenkundig, dass zwischen dem Gottesbild des Islam und dem christlichen Gottesbild unüberbrückbare Gräben liegen. „Allah“ hat zwar viele, angeblich 99 „Namen“, unter ihnen auch der „ Allerbarmer“ (Koran, Sure 1). Grundlegend und alle anderen Namen beherrschend ist jedoch der „Allmächtige“, der auch als „Allherrscher“ und „Allverursacher“ verstanden wird. Die gebührende Gebetsgeste „Allah“ gegenüber ist daher die Unterwerfung (mit dem Angesicht auf dem Boden). Ein solches Gottesbild schließt die Anwendung von irdischer Macht und Gewalt zur Unterwerfung unter „Allah“ nicht nur nicht aus, sondern begünstigt sie auch, wie die zahlreichen Feldzüge Mohammeds gegen „Andersgläubige“, auch „Schriftbesitzer“ wie die Juden, zeigen. Gewalt und Bekehrung schließen im Islam einander nicht aus. Der Wille „Allahs“ (niedergelegt im Koran und auch in der „Scharia“) kann und soll auf Erden schon durch Menschen auch mittels drakonischer Strafen und mit Gewalt und Krieg durchgesetzt werden. Das Reich „Allahs“ ist durchaus von und in dieser Welt, von weltlicher Macht. Es geht dabei darum, alles der Macht „Allahs“ zu unterwerfen und so sein „Reich“ auf Erden zu errichten.

Der Islam kennt keine grundlegende Unterscheidung von geistlicher und weltlicher Macht, Kirche und Staat, Religion und Politik. Auch wenn die meisten „Kalifate“ recht weltliche Herrschaftsformen und kein Gottesstaat auf Erden darstellten, gab es doch keine wirkliche Unterscheidung zwischen profaner und religiöser Welt, keine Pluralität und Gleichberechtigung der Religionen, keine wirkliche Religionsfreiheit, vor allem kein Recht auf Abkehr vom Islam, wohl aber – vor allem gegenwärtig – zahlreiche Versuche, die religiös-ethischen Vorschriften des Koran und der Scharia zur maßgeblichen Grundlage staatlichen Rechts zu machen.

Gesetzesreligion, Kreuzestheologie und Rechtfertigungslehre

Mohammed wurde in seinen Vorstellungen stark vom Judentum seiner Zeit bestimmt, das eine Gesetzesreligion vertrat, die wesentlich ausgeprägter war als im alten Israel und die Mohammed und seine Nachfolger noch verschärft haben. Im alten Israel war nicht nur eine Gesetzesreligion bestimmend. Vielmehr übten vor allem die Propheten Kritik nicht nur an Kultgesetzen sondern auch an bestimmten moralischen Vorschriften. Diese kritische Sicht der Gesetzlichkeit wurde von Jesus entscheidend vertieft. Der Apostel Paulus vollzog aufgrund seines „Christus-Erlebnisses“ vor Damaskus (Apg 9; Gal 1,11ff.) eine grundsätzliche Abkehr von seiner pharisäischen Auffassung, dass der Mensch durch das Tun der Vorschriften des Gesetzes vor Gott gerecht wird, also das Heil Gottes erlangt. Das Heil Gottes, die Vollendung in der Gemeinschaft mit Gott erlangt der Mensch allein durch den Glauben (Röm 3,28) an Jesus Christus und sein Erlösungswerk am Kreuz und seine Auferweckung von den Toten. Dieser „Kreuzestheologie“ entspricht ein wesentlich anderes Gottesbild als einer Gesetzesreligion, wie sie insbesondere der Islam vertritt (vgl. Absch. 2 und 3). Für die islamische Gesetzesreligion gibt es keinen anderen Weg zur Gewissheit, dass der Mensch das „Heil Gottes“ erlangt, als die Gesetze des Koran und auch der Scharia genau zu beachten und zu erfüllen, nicht nur im individuellen sondern nach Auffassung vieler auch im öffentlichen Leben und dem eines Staates. Eine „Heilsgewissheit“ ist damit letztlich nicht erreichbar, weil der Mensch nicht vollkommen ist und auch eine menschliche Gemeinschaft und ein staatliches Leben es nicht sind, und letztlich auch deshalb nicht, weil kein Mensch wissen kann, wie „Allah“, der „Allmächtige“ und absolut „Freie“, das Tun des Menschen beurteilt. Der Unterschied zwischen Christentum und Islam besteht in Hinsicht auf die Erlangung des Heils nicht so sehr darin, dass der Islam das letzte Gericht Allahs über die Werke des Menschen ganz ernst nimmt, auch nicht darin, dass der Koran die Qualen derer, die im Gericht Allahs zur Hölle verurteilt werden, ausführlich beschreibt (vgl. Sure 44; 52; 56 u.ö.), sondern darin, dass keiner im Glauben gewiss sein kann, dass er nicht von Allah zu einem Leben in der Hölle verdammt wird (vgl. Sure 70,28). Das stachelt zu einem Streben nach Vollkommenheit in der Befolgung von „Allahs“ Willen an, um zu genereller Sündenvergebung und Gewissheit des Heils durch die Beachtung der Gesetze zu gelangen, aber vielleicht auch dazu, im Namen Allahs moralisch Verwerfliches, bis hin zu „Selbstmordattentaten“, zu begehen.

Für das Gespräch zwischen Christen und Muslimen ist auch die Vorstellung vom zukünftigen Heil nicht ohne Bedeutung. Während nach christlicher Sicht die  Menschen zur Vollendung ihrer Gottebenbildlichkeit im „Ewigen Leben Gottes“ und damit zur vollendeten Gemeinschaft mit Gott (Gottesschau) bestimmt sind, ist dem Menschen nach dem Islam das „Paradies“ verheißen, das als Erfüllung aller höchst menschlichen und auch sinnlichen Wünsche beschrieben wird (z.B Sure 56,12ff.; 78,31ff.), in dem Allah selbst aber nicht anwesend ist, es also keine direkte Gemeinschaft mit Allah gibt, der auch im Paradies nicht aus seiner Allmacht zum Menschen „herabsteigt“ und sich so auch nicht als der „Vater“ im Himmel“ und „gute Hirte“ erweist, der die Gemeinschaft mit den Menschen sucht.

Schlussfolgerungen:„Wir glauben doch alle an „denselben“ Gott!“ – Wirklich?

Die Zahl der aufgezeigten Widersprüche zwischen zentralen biblisch-theologischen Aussagen und den für die meisten islamischen Glaubensrichtungen fundamentalen Glaubenssätzen ließe sich vermehren, insbesondere durch einen Vergleich zwischen der Bedeutung der Bibel für die Christenheit und des Koran für den Islam. Die dargestellten Widersprüche reichen aber aus, um zu erkennen, dass eine christliche Kirche letztlich nicht darauf verzichten darf, diese fundamentalen Unterschiede zu benennen. Sie kann nicht so tun, als ob man durch einen Dialog schon zu einem gemeinsamen rein innerweltlichen „Weltethos“ und entsprechenden Aktionen gelangen kann, ohne die grundlegenden Differenzen im Glauben zu thematisieren, es sei denn man folgt dem gängigen Satz: „Wir glauben doch alle an denselben Gott!“, ohne ihn zu hinterfragen.

Das wirft die theologisch entscheidende Frage nach der Wahrheit in den Religionen auf, die auch bei einem Dialog über ethische, rechtliche u.a. Fragen nicht zu umgehen ist. Die Frage nach der Wahrheit wird im Neuen Testament allenthalben eindrücklich gestellt, denn sie ist die Basis für die frühchristliche Mission (vgl. Apg 4,12). Am eindrücklichsten sind die „Ich bin Worte“ im Johannes-Evangelium, wo Christus z.B. spricht: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich“ (Joh 14, 6; vgl. 8,32 ff; 10,9). Im Verhör vor Pilatus (Joh 18, 37 f.) sagt Jesus, dass er in die Welt gekommen ist, um die Wahrheit zu bezeugen, und dass, wer nach dieser Wahrheit sucht, sie in seiner Stimme hört. Pilatus antwortet daraufhin: „Was ist Wahrheit?“ Ganz offensichtlich versteht er unter Wahrheit nicht nur die Übereinstimmung einer Aussage mit einem objektiv beschreibbaren Sachverhalt. Aber bei dem, was darüber hinausgeht, wird es für ihn fraglich, was Wahrheit überhaupt bedeutet. Die Wahrheit, von der Jesus redet, ist keine Wahrheit, die man als objektiver Beobachter von außen anhand bestimmter Kriterien beschreiben und überprüfen kann, für die man also objektivierbare und allen einsichtige Maßstäbe hat. Es ist eine Wahrheit, die von Jesus in Wort und Tat bezeugt wird und die sich nur als Wahrheit des Lebens erschließt, indem man sich auf den Weg der Wahrheit persönlich einlässt, also den „Sprung des Glaubens“ (S. Kierkegaard) wagt. Dann lebt man in der Wahrheit, in der Gewissheit des Glaubens, in der Gemeinschaft mit Christus und damit mit Gott durch den Heiligen Geist (vgl. Joh 14,20). Sie erschließt das wahre, ein frei machendes Leben in der Wahrheit (Joh 8,31 f.), keine Wahrheit, die ich habe, sondern in der ich lebe. Diese Gewissheit ist nichts, was der Mensch von sich aus „machen“ kann, sie ist ein Werk des Heiligen Geistes (Röm 8,14 ff.). Sie kann nicht mit Macht sondern nur mit der Liebe bezeugt werden, mit der Gott seine Liebe in seinem Sohn bezeugt hat, einer Liebe, die zum Leiden, ja zum Tode bereit ist (vgl. 1 Joh 4,9 f.). Die frühe Christenheit hat daher in der missionarischen, auf Glauben an Christus zielenden Verkündigung des universalen Heils in Jesus Christus ihren vornehmlichen Auftrag gesehen.

Es ist nicht einsichtig zu machen, dass ein so vertretender Anspruch auf Wahrheit und eine ihm entsprechende zum Glauben an Jesus Christus einladende Mission unter Muslimen die Konflikte unter Menschen verschiedener Religionen verstärken muss. Muslime selbst nehmen Partner nicht ernst, die die Wahrheit ihres Glaubens nicht mehr ernsthaft vertreten. Dass dem „Wortzeugnis“ möglichst auch ein „Lebenszeugnis“ entsprechen sollte, ist unbestritten, dass das Lebenszeugnis aber das Wortzeugnis ersetzt, davon kann im Blick auf die Botschaft des Evangeliums nicht ernsthaft die Rede sein, denn beide sind konstitutiv aufeinander bezogen und interpretieren sich gegenseitig. Die Verheißung und das Handeln Gottes sind nicht durch das Handeln der Menschen einholbar, nicht zuletzt deshalb nicht, weil der Mensch Sünder ist und auf die Gnade und das Heil Gottes angewiesen bleibt, das alle innerweltlichen Möglichkeiten des Menschen übersteigt.

Die von Jesus bezeugte Wahrheit gilt allen Menschen, denn sie ist Gottes Wahrheit und schenkt Teilhabe an Gottes Leben. Sie ist daher allen Menschen, „Juden“ und „Heiden“, Muslimen und Christen und Menschen anderer Religionen, auch „Gleichgültigen“, Agnostikern und Atheisten zu verkündigen, nicht indem man sie dazu in irgendeiner Weise nötigt, sondern dadurch, dass man zu dieser Wahrheit mit Worten und dem Lebenszeugnis einlädt und darauf vertraut, dass der Heilige Geist so in den Menschen Glauben weckt. Christen sind nicht im Besitz dieser Wahrheit, sondern diese Wahrheit hat sie so ergriffen, dass sie von ihr Zeugnis geben (Apg 4,20). Aber mehr als „Wegweiser“ zu dieser Wahrheit können Menschen nicht sein. Es ist vornehmste Aufgabe der Kirche Jesu Christi, dass sie für alle, auch Menschen anderer Religionen, Wegweiser zu der Wahrheit wird, die Gott in Jesus Christus offenbart hat.

Eine Kirche, die sich nicht mehr die Aufgabe stellt, diese Wahrheit, diese „frohe Botschaft“ zu verkündigen und missionarische Kirche zu sein, wird sich – wenn  auch mehr oder weniger schnell – überflüssig machen und „aussterben“. Die Tatsache, dass es in dieser Mission auch Irrwege gab, ist ebenso wenig ein Grund für einen Verzicht auf Mission wie die Tatsache, dass Menschen verschiedener Religionen und Weltanschauungen immer mehr zusammenleben und in Achtung voreinander miteinander auskommen müssen. Erst recht ist der postmoderne Individualismus und Säkularismus, der keine das individuelle irdische Leben übersteigende Wahrheit mehr anerkennt, kein Grund dafür, die Wahrheit Gottes nicht mehr im angedeuteten Sinne missionarisch zu verkündigen, im Gegenteil, er macht diese Verkündigung immer dringlicher, zumal immer mehr Muslime in unseren Kulturkreis kommen und sich auch mit dem christlichen Glauben befassen wollen und dazu auch der Anleitung bedürfen. Diesen Menschen die Hilfe zum Verstehen des christlichen Glaubens und die Einladung zum Glauben vorzuenthalten, ist nicht ernsthaft zu rechtfertigen. Wenn sich bei Muslimen durch die christliche Verkündigung Gottes, des „Vaters“, der in seinem Wesen Liebe ist (vgl. Kap II), der Wunsch auftut, den christlichen Glauben anzunehmen, so kann ihnen nach einer angemessenen Zeit des „Unterrichts in der christlichen Religion“ die Taufe und die Aufnahme in eine christliche Kirche nicht verweigert werden. Das gilt insbesondere auch, weil wir in unserem Kulturkreis davon ausgehen, dass Menschen die möglichst freie Wahl haben sollen, ihren Glauben (Religion) selbst zu bestimmen.

Der so verstandene Missionsauftrag ist auch in der postmodernen Zeit konstitutiv für eine Kirche, die zu einer stetig abnehmenden Minderheit wird und die ihren rapiden Mitgliederschwund nicht mehr durch die noch volkskirchliche Praxis der Kindertaufe verhindern kann sondern dazu neue missionarische Wege gehen muss, um das Evangelium allen Menschen, auch den Muslimen, als Einladung zum Glauben an den Gott zu verkündigen, der sich in Jesus Christus zum Heil aller Menschen offenbart hat (vgl. Apg 4,20). Ein Dialog zwischen Christen und Muslimen sollte deshalb auf der Basis stattfinden, dass die Vertreter beider Religionen von dem die eigene Religion übergreifenden Wahrheitsanspruch ausgehen. Ein solcher, die grundlegenden Aussagen jeder Religion thematisierender Dialog wird immer auch mit  missionarischen Absichten verbunden sein, aber trotzdem von der Achtung der Religion der Gesprächspartner bestimmt sein. Die Entgegensetzung von „Mission“ und „Dialog“ ist daher ebenso weitgehend abstrakt und lebensfern wie die Reduktion der Dialogbasis auf mehr oder weniger konsensfähige moralische Überzeugungen. Der These, dass ein missionarisches Zeugnis unter Muslimen den gesellschaftlichen Frieden bedroht, ist daher entschieden zu widersprechen. Wenn ein Dialog unter Einschluss des missionarischen Zeugnisses und widersprechender Glaubensaussagen nicht möglich sein sollte, dann hilft auch der Verzicht auf den Wahrheitsanspruch und das Verschweigen fundamentaler Verschiedenheiten nicht weiter. Auf diese Weise leisten die Kirchen jedenfalls keinen wirklichen Beitrag zum gesellschaftlichen Frieden.

Prof. Dr. Ulrich Eibach

Professor Dr. Ulrich Eibach lehrte Systematische Theologie und Ethik an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn. Zahlreiche Bücher, Standardwerke und Aufsätze. Im November 2015 schrieb er für Idaf den Aufsatz des Monats zum Thema „Menschenwürde und Lebensschutz – wenn der zentrale Begriff vom Ursprung abgekoppelt wird“.

Quelle: Institut für Demographie, Allgemeinwohl und Familie e.V., Aufsatz des Monats 9/2016

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Mittwoch 7. September 2016 um 8:58 und abgelegt unter Kirche, Weltreligionen.