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Sind Evangelikale schießwütige Mörder?

Montag 15. August 2016 von Martin-Bucer-Seminar


Martin-Bucer-Seminar

1. Die Süddeutsche Zeitung erklärt Evangelikale zu schießwütigen Mördern

Zu den billigsten und erfolgversprechendsten Verleumdungen Andersdenkender gehört derzeit, sie mit IS und islamistischem Terrorismus in einen Topf zu werfen. Während es fast schon normal geworden ist, dass Diktatoren in aller Welt unliebsame Bewegungen und Kräfte zu Terroristen oder deren Nährboden erklären, verblüfft es doch, dass das auch in Deutschland geschieht, unter anderem neuerdings wieder mit den Evangelikalen, und dabei eine völlig unschuldige Menschengruppe seit drei Jahrzehnten per Sippenhaft verunglimpft werden, nach dem Motto: Steter Tropfen höhlt den Stein.

Das neueste Beispiel:

Ein selbsterklärter IS-Anhänger tötet 50 Gäste einer Schwulenbar, die er selbst häufiger aufgesucht hat (www.welt.de). Die WELT spricht gar von schwulem Selbsthass (www.welt.de).

Die Süddeutsche schrieb dazu: „Für diese Tat hätte er genauso gut auch ein evangelikaler Christ gewesen sein können.“

Was, außer Hass auf Evangelikale, könnte so eine Aussage verständlich machen?

  • Erschießen Evangelikale öfter Homosexuelle? Mir ist kein Fall weltweit bekannt.
  • Laufen Evangelikale öfter zu IS über? Auch hier Fehlanzeige.
  • Veranstalten Evangelikale öfter mal Schießereien in der Öffentlichkeit? Auch hier bringt das Web keinen Fall zutage.
  • Erschießen Evangelikale wenigstens Abtreibungsärzte? Auch das ist frei erfunden, obwohl es schon so oft in der Öffentlichkeit wiederholt wurde, dass es Bürger auf der Straße tatsächlich glauben. Die führenden Verbände der Abtreibungskliniken in den USA selbst erheben den Vorwurf nicht!
  • Und schließlich: Gibt es evangelikale Kirchen, die solcherlei Dinge auch nur andeutungsweise befürworten? Obwohl ich oft nachgefragt habe: Einen Beleg dafür hat mir noch keiner vorgelegt, der Evangelikale als gefährlich hinstellt.

Ich würde ja humorvoll vermuten, der Autor sei in einem evangelikalen Kloster mit mittelalterlichen Erziehungsmethoden aufgewachsen und habe das nicht verarbeitet, aber solche Klöster gibt es ja nicht. Was haben ihm die Evangelikalen nur angetan, dass er sie ohne Not des schlimmsten Verbrechens beschuldigt, das man sich denken kann, Menschen massenhaft wahllos und ohne erkennbaren Grund umzubringen? Welcher Evangelikale befürwortet denn so etwas, geschweige denn, dass er es zulässt oder ausführt?

Und da die Süddeutsche ja in Deutschland erscheint: Welches Ereignis in unserem Land berechtigt die Tageszeitung, die Evangelikalen pauschal auch nur andeutungsweise in die Nähe von Terrorismus oder wahlloser Schießereien zu rücken?

Gilt eigentlich die gesamte Antidiskriminierungsgesetzgebung und -agenda für Evangelikale und Pfingstler nicht? Wird Hassrede gegen Muslime verworfen, gegen Zeugen Jehovas, Schwule und Sinti und Roma von den Medien geahndet, aber gegen Evangelikale ist sie jederzeit zulässig?

Selbst wenn es auch nur einen einzigen leibhaftigen evangelikalen oder pentekostalen Terroristen gäbe und nur ein einziges Mitglied einer evangelikalen Kirche, der einen Abtreibungsarzt umgebracht hätte: Darf man deswegen eine halbe Milliarde Menschen mit ihnen in einen Topf werfen und als verkappte Terroristen beschimpfen?

2. Gegen Ramelows Großstadtmythos: Kein Evangelikaler hat je einen Abtreibungsarzt erschossen

Der thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke) sagte in der ZDF-Fernsehsendung „Maybrit Illner“ vom 31. März zum Thema „Terrorismus: Was tun gegen islamistische Gewalt?“ etwa in der Mitte der Sendung:

„In Amerika gibt es selbst ernannte Evangelikale, die der Meinung sind, sie könnten Abtreibungsgegner [gemeint sind wohl Abtreibungsbefürworter] oder Abtreibungskliniken überfallen und Menschen umbringen, erschießen, die sich für Abtreibung einsetzen.“

Was sind denn „selbst ernannte Evangelikale“? Aber das war wohl eh ein Versprecher. Jedenfalls bringt er wieder einmal Evangelikale mit Mördern von Abtreibungsärzten in Verbindung.

Also habe ich mir – wie für ein ausführliches Gutachten 2008 und erneut 2009 [PDF] – wieder alle Daten und Ereignisse angeschaut, ob denn zwischenzeitlich wenigstens ein einziges Mal ein Evangelikaler verdächtigt worden ist, einen Abtreibungsbefürworter umgebracht zu haben. Immer noch gibt es keinen einzigen Fall!

Ramelow zitiert eindeutig einen Großstadtmythos, der sich längst verselbstständigt hat. Einer zitiert den anderen, keiner sieht, dass am Anfang der ‚Reise zu Jerusalem‘ überhaupt kein Ereignis steht.

Erst einmal allgemein zu Fällen von Morden im Zusammenhang mit Überfallen auf Abtreibungskliniken. Seit 1998 gab es einen einzigen Fall von 2009 und dann einen weiteren unklaren Fall von 2015. Das soll eine Parallele zum islamistischen Terrorismus sein? So furchtbar jeder Mord ist, für die USA ist das eine erstaunlich geringe Zahl!

Geht denn wenigstens der Fall von 2015 auf das Konto von Christen? Nein, jedenfalls behauptet das niemand in den Medien, in den Polizeiverlautbarungen, der anklagenden Staatsanwaltschaft oder auch in den Berichten der großen Pro-Abtreibungsverbände und Abtreibungsklinikbetreiber in den USA. Der Prozess wurde abgebrochen, da der Täter offensichtlich in ein psychiatrisches Krankenhaus, nicht vor Gericht gehört.

Auch 2016 muss man sagen: Es handelt sich um ein Problem der USA. Seit 2009 sind außerhalb der USA keine Fälle bekannt geworden, auch nicht in Kanada und Australien, wo es so etwas früher in Einzelfällen einmal gab. Bisher gehen 99% aller solcher Fälle auf das Konto der USA.

Was geschah am 29.11.2015? Es gab drei Tote und neun Verletzte bei einer Schießerei in einer Abtreibungsklinik in Colorado Springs, die in einem Einkaufszentrum liegt. Der Täter gab erst nach einer stundenlangen Belagerung durch die Polizei auf. Ob sein Ziel überhaupt die Klinik war, bleibt offen. Der Täter war seit 1997 wegen zahlreicher wilder Schie­ßereien in öffentlichen Gebäuden in mehreren Bundesstaaten aufgefallen. Am 11.05.2016 beendete das Gericht den Prozess wegen offensichtlicher Unzurechnungsfähigkeit des Täters. Ein religiöser Hintergrund wurde von niemandem behauptet.

Wo bitte schön ist hier die Verbindung zu Evangelikalen oder Christen überhaupt?

Bereits in meinem Bericht von 2008 gehe ich ausführlich auf Berichte bzw. Statistiken ein, die die National Abortion Federation, die Lobby für Abtreibungseinrichtungen NARAL Pro Choice oder Feminist Majority Foundation (FMF) jährlich veröffentlichen. In ihnen werden auch alle Mordfälle und alle schwerwiegenden Fälle von Anschlägen auf Abtreibungskliniken aufgelistet, dazu die Hintergründe der Täter. Beide sind nicht gerade Christen-freundlich, geschweige gut auf Evangelikale zu sprechen und beides sind tendenziöse Berichte. (Wobei aber durchaus berichtet wird, dass sich evangelikale Pro-Life-Verbände in jedem Fall scharf von dieser Art Verbrechen distanziert haben.)

Trotzdem machen weiterhin auch die 2016 veröffentlichten Berichte für 2015 und davor in keinem Fall evangelikale oder katholische Christen für eine Straftat verantwortlich. Woher der Großstadtmythos dann stammt?

Zusammenfassend kann man sagen:

Seit 1977 gab es 11 Morde in Abtreibungskliniken oder an Abtreibungsärzten, also etwas mehr als jedes vierte Jahr ein Fall. Seit 1995 sind es 6 Todesopfer, wobei 3 Morde auf eine Schießerei und Belagerung zurückgehen, die möglicherweise nichts mit dem Thema Abtreibung zu tun hatte, da die Klinik in einem Einkaufszentrum lag. Lässt man diese 3 Opfer außen vor, sind es 3 Morde in 20 Jahren, also jedes sechste Jahr einer.

Der mit Abstand häufigste Grund der Täter ist Unzurechnungsfähigkeit, gefolgt von Angehörigen von weißen Terrorgruppen. Christen und christliche Kirchen spielen keine Rolle.

Prof. Dr. Thomas Schirrmacher, Bonner Querschnitte 434-Nr. 39/2016

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Montag 15. August 2016 um 11:28 und abgelegt unter Gesellschaft / Politik.