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Allgemeines Priestertum, Ordination und Beauftragung – Teil II

Sonntag 28. November 2004 von VELKD-Bischofskonferenz


VELKD-Bischofskonferenz

Allgemeines Priestertum, Ordination und Beauftragung nach evangelischem Verständnis 
Teil II

3.4 Das mit der Ordination übertragene Amt
in der reformatorischen Theologie

Von 1520 an bis in seine späten Schriften hält Luther die Allgemeinheit der Berechtigung und Verpflichtung zum priesterlichen Dienst und die damit gegebene Verantwortung jedes Christenmenschen für den Dienst am Evangelium fest. (29) Gleichzeitig hat er jedoch nie die uneingeschränkte, eigenmächtige Ausübung aller priesterlichen Funktionen durch jeden Gläubigen gebilligt, sondern von Beginn an zusammen mit der These vom Allgemeinen Priestertum an der Notwendigkeit eines eigens zu ordnenden und ordnungsgemäß zu übertragenden Amtes festgehalten. Es handelt sich um eine Notwendigkeit im strikten Sinn, d. h. es liegt nicht im Belieben der Gemeinde, diese Übertragung zu ordnen und vorzunehmen oder nicht.

Die Verpflichtung, das zu tun, hat ihren Grund gerade in dem Verkündigungsamt, das der Kirche als Ganzer aufgetragen und damit Sache aller Christenmenschen ist (CA V, s.o. Kap.2). Denn die Verkündigung des Evangeliums ist nicht nur im privaten Bereich, sondern auch in überindividueller Öffentlichkeit, d. h. allgemein zugänglich, umfassend sowie in räumlicher oder zeitlicher Hinsicht nicht eingeschränkt oder begrenzt – wahrzunehmen; geht es doch um das Evangelium, das allen und zu allen Zeiten gilt und bei allen und zu allen Zeiten Glauben wecken will. Solche überindividuelle Wahrnehmung aber kann nur durch Einzelne geschehen, die von der Gesamtheit der Kirche dazu beauftragt sind. Sie kann nicht durch die Menge (Luther: den „Haufen“) der Träger und Trägerinnen des Allgemeinen Priestertums geschehen, die alle dieselbe geistliche Vollmacht haben. Wollten sie diese Vollmacht alle öffentlich wahrnehmen, käme Öffentlichkeit gar nicht zustande, sondern nur ein wirres Nebeneinander von Einzelnen: „Was sollte … werden, wenn jeder reden oder die Sakramente reichen und keiner dem anderen weichen wollte.“ (30) Oder es würden sich Einzelne anmaßen, die öffentliche Verkündigung auszuüben, obwohl sie dazu keine größere Vollmacht haben als ihre Mitchristen. Dann aber würden sie nicht mehr das Verkündigungsamt wahrnehmen, das der ganzen Kirche aufgetragen und Sache aller ist, sondern ihren eigenen Anspruch vertreten: „Es ist niemandem erlaubt, aufgrund eigener Autorität vorzutreten und an sich allein zu reißen, was allen zusteht“. (31) Soll gewährleistet sein, dass jenes allgemeine Amt öffentlich wahrgenommen wird, so muss es durch Einzelne ausgeübt werden, die dazu als Einzelne von allen beauftragt sind. Das geschieht in der Ordination. Die Ordination ist also der Akt, in dem ein Christenmensch – unter Gebet und Handauflegung – mit der öffentlichen Verkündigung beauftragt wird. (32) Sie ist nicht die Verleihung einer besonderen geistlichen Fähigkeit, die über die aller Christen hinausginge.

Streng in diesem Rahmen zu verstehen sind die Aussagen Luthers, die das ordinationsgebundene Amt als Stiftung Christi oder Stiftung Gottes bezeichnen. (33) Sie sind nicht so zu verstehen, als ginge das ordinationsgebundene Amt und seine Ordnung auf eine göttliche Einsetzung zurück, wie dies von den Heilsmitteln Wortverkündigung und Sakramente zu sagen ist. Sondern damit ist gemeint, dass mit der Einsetzung der Heilsmittel selbst, insofern diese nach Christi Willen öffentlich weiterzugeben sind, die Kirche unter der Notwendigkeit steht, eine Ämterordnung zu schaffen, deren Zentrum es ist, dem öffentlichkeitsbezogenen Auftrag Christi im ordinationsgebundenen Amt Gestalt zu geben: „Man muss Bischöfe, Pfarrer oder Prediger haben, die öffentlich insbesondere die oben genannten vier Stücke oder Heilsmittel [sc. Predigt, Taufe, Absolution, Abendmahl] geben, reichen und üben, wegen der Kirche und in ihrem Namen, noch viel mehr aber aufgrund der Einsetzung Christi … Denn der Haufen in seiner Gesamtheit kann das nicht tun, sondern sie müssen es einem anbefehlen oder anbefohlen sein lassen.“ (34) In diesem strikt auf den Auftrag bezogenen Sinn können die Bekenntnisschriften die Ãœbertragung des ordinationsgebunden Amtes sogar als Sakrament bezeichnen: „Wo man aber das Sakrament des Ordens wollt nennen ein Sakrament von dem Predigtamt und Evangelio, so hätte es kein Beschwerung, die Ordination ein Sakrament zu nennen. Denn das Predigtamt hat Gott eingesetzt und geboten, und hat herrliche Zusage Gottes … Denn die Kirche hat Gottes Befehl, daß sie soll Prediger und Diakonos bestellen.“ (35)

Es zeigt sich also, dass Allgemeines Priestertum und ordinationsgebundenes Amt nicht, wie oft behauptet wird, im Gegensatz zueinander stehen, dass es sich bei den entsprechenden Aussagen Luthers auch nicht um Inkonsequenzen handelt. Allgemeines Priestertum und ordinationsgebundenes Amt sind vielmehr organisch aufeinander bezogen: Das ordinationsgebundene Amt folgt aus der öffentlichen, überindividuellen Dimension des der Kirche als ganzer gegebenen, allen Christen übertragenen Verkündigungsamtes. Und es dient dem Allgemeinen Priestertum und schützt es, weil es verhindert, dass einzelne Christenmenschen ihr Priesterrecht auf Kosten anderer ausüben und diesen so das ihre streitig machen: „Denn weil dies alles … allen Christen gemeinsam ist, ist es niemandem erlaubt, aufgrund eigener Autorität vorzutreten und an sich allein zu reißen, was allen zusteht. … Vielmehr zwingt diese Gemeinschaft des Rechts, dass einer oder so viele der Gemeinschaft gefallen ausgewählt oder angenommen werden, die anstelle und im Namen aller derer, die dasselbe Recht haben, jene Aufgaben öffentlich durchführen..“ (36)

Nach welchen Kriterien ist eine Person auszuwählen, der das ordinationsgebundene Amt übertragen wird? Sie muss zur öffentlichen Verkündigung und Sakramentsverwaltung geeignet sein, d. h., sie muss sich insbesondere durch theologische Kompetenz auszeichnen. (37) Für diese Kompetenz ist die Fähigkeit zur theologischen Schriftauslegung konstitutiv.(38)

3.5 Das Verhältnis zwischen dem Allgemeinen Priestertum
und dem mit der Ordination übertragenen Amt

Auf der Basis der grundsätzlichen Aussagen über Allgemeines Priestertum und mit der Ordination übertragenes Amt stellt sich die Aufgabe, das Verhältnis beider näher zu bestimmen.

Von grundlegender Bedeutung für das reformatorische Verständnis von Allgemeinem Priestertum und mit der Ordination übertragenem Amt ist die Überzeugung, dass beide keine selbständigen Mittel oder Kriterien der Kirche darstellen, die denselben Rang wie Wortverkündigung und Sakramentsdarreichung (als die Heilsmittel) hätten, sondern dass sie beide diesen ganz zu- und untergeordnet sind. Entscheidend ist, dass das Wort Gottes durch Predigt und Sakrament zuverlässig und verständlich ausgerichtet wird. Denn die heilsame Kraft liegt nicht in den Amtsträgern, sondern in den vom Heiligen Geist frei benutzten äußeren Mitteln (CA VIII und V).

Mit der Ordination von Amtsträgern und Amtsträgerinnen werden Recht und Auftrag zur öffentlichen Wortverkündigung und Sakramentsverwaltung im umfassenden, uneingeschränkten Sinn übertragen.

Für die anderen Christenmenschen ist mit der Ordination von Amtsträgerinnen undAmtsträgern verbunden, dass sie den Dienst des Allgemeinen Priestertums in der Öffentlichkeit nicht eigenständig, sondern in der Weise wahrnehmen, dass die Kirche die Ordinierten durch die Ordination mit der Wahrnehmung jener priesterlichen Funktionen in der und für die Gesamtgemeinde beauftragt. Dabei gibt es jedoch ein priesterliches Recht, das unaufgebbar bei den Gliedern der Gemeinde bleibt, von dessen Ausübung sie sich letztlich nicht dispensieren können: das Urteilen über die Lehre. (39) In der Geschichte der Christenheit hat sich dieses Recht immer wieder Gehör verschafft, wofür die Reformation das prominenteste Beispiel ist. Unter normalen Umständen geht seine Ausübung im Zusammenwirken mit den Inhabern des geordneten Amtes vor sich. Dazu sind geordnete Verfahren notwendig.

In der Praxis der lutherischen Kirchen wurde die Funktion des Wachens über die Lehre lange Zeit von bischöflichen Amtsträgern und Konsistorien so wahrgenommen, dass die Gemeinden daran kaum mitwirkten – sei es in Verbindung mit der Prüfung, Visitation, Ein- und Absetzung von Amtsträgern, der Festlegung offizieller kirchlicher Verlautbarungen und Beschlüsse u. a. m. (40) D. h., die Einsichten der Reformation über die Beteiligung der Gemeinde wurden hier nur sehr eingeschränkt umgesetzt; deren angemessenere institutionelle Berücksichtigung sollte späteren Zeiten vorbehalten sein. Im Übrigen gilt, dass das Recht und die Pflicht der Gemeinde, die Lehre zu beurteilen, alle, auch die bischöflichen Amtsträger betrifft und sich u. U. auch gegen diese kehren kann: „Wo sie [sc. die Bischöfe] aber etwas dem Evangelio entgegen lehren, setzen oder aufrichten, haben wir Gotts Befehl in solchem Falle, daß wir nicht sollen gehorsam sein“ (CA XXVIII). (41) Dieses grundsätzliche Recht und diese grundsätzliche Macht aller Christenmenschen treten in solch kritischer Weise immer dann in Kraft, wenn bischöfliche Amtsträger ihre Aufgabe, zu lehren und Lehre zu beurteilen, nicht mehr in rechter, evangeliumsgemäßer Weise wahrnehmen. (42)

Darüber hinaus stellt sich die Frage nach dem Verhältnis von Allgemeinem Priestertum und ordinationsgebundenem Amt in Notsituationen und in der Mission:

– Da mit dem Allgemeinen Priestertum jedem Getauften und Glaubenden grundsätzlich die Fähigkeit auch zur öffentlichen Verkündigung zukommt, ist nach Luther in Notsituationen von dieser Fähigkeit Gebrauch zu machen: „Eines ist es, das (scil.: mit dem Allgemeinen Priestertum gegebene) Recht öffentlich wahrzunehmen, ein anderes, dieses Recht in einer Notlage zu gebrauchen: Es öffentlich wahrzunehmen, ist nicht erlaubt, außer mit Zustimmung der Gesamtheit oder Kirche. In einer Notlage gebrauche es, wer will.“ (43)

– Ebenso legt Luther Wert darauf, dass in Missionssituationen, in denen kein öffentlich beauftragter Amtsträger vorhanden ist, jeder Christenmensch die Aufgabe der Wortverkündigung und Sakramentsverwaltung auch öffentlich wahrnehmen kann und soll: „Nimm dieses Recht an dich und übe es aus, wo keiner da ist, der ein gleiches Recht hätte.“ (44)

Diese Argumentation ist in sich stimmig, weil erstens nur so in solchen Situationen der Auftrag der Verkündigung des Evangeliums wahrgenommen werden kann und weil zweitens in beiden Fällen durch die öffentliche Ausübung des Priesterrechtes niemand anderem das Priesterrecht streitig gemacht wird. Damit muss in diesen Fällen nicht auf das Argument rekurriert werden, dass die Wahrnehmung des Rechts der öffentlichen Wortverkündigung und Sakramentsverwaltung durch einzelne Ordinierte dem Schutz des Allgemeinen Priestertums gilt. Deshalb tritt in der Missionssituation oder in vergleichbaren Situationen für jeden Christenmenschen die Ausübung aller priesterlichen Dienste voll in Funktion.

4 Das Allgemeine Priestertum und das gemäß CA XIV
übertragene Amt unter gegenwärtigen Bedingungen

Nachdem die biblischen und reformatorischen Einsichten, die für die Wahrnehmung des Verkündigungsauftrages relevant sind, dargestellt worden sind, soll es nun darum gehen, wie dieser Verkündigungsauftrag unter gegenwärtigen Bedingungen angemessen wahrzunehmen ist.

Leitend ist dabei die Einsicht, dass das reformatorische Grundmodell von Kirche nicht nur unter den damaligen Bedingungen das biblische Zeugnis sachgemäß und kritisch zur Sprache gebracht hat. Es ist es ebenso für die heutige Situation tragfähig und fruchtbar. Zu diesem Grundmodell gehört nicht zuletzt die in der Reformationszeit entwickelte Unterscheidung und Zuordnung von Allgemeinem Priestertum und dem mit der Ordination übertragenen Amt.

Allerdings stellt es eine eigene Herausforderung dar, die kirchliche Praxis unter den heutigen, gegenüber der Reformationszeit wesentlich veränderten Bedingungen auf der Basis der reformatorischen Grundsätze zu gestalten. Im Blick auf die heute anstehenden praktischen Probleme ist es nötig, zwischen bleibend gültigen theologischen Gründen und zeitgeschichtlich bedingten Gründen für die Gestaltung des kirchlichen Amtes zu unterscheiden.

Das reformatorische Grundmodell von Kirche, das sich an der beschriebenen Verhältnisbestimmung zwischen Allgemeinem Priestertum und mit der Ordination übertragenem Amt orientiert, muss unter den jeweiligen gesellschaftlichen Bedingungen in die Praxis umgesetzt werden. Die Herausforderung besteht darin, dies so zu tun, dass möglichst günstige Bedingungen für die Erfüllung des Verkündigungsauftrags der Kirche geschaffen werden.

Diese Gestaltungsaufgabe verlangt gegenwärtig in den evangelischen Kirchen in Deutschland besondere Aufmerksamkeit. Die Praxis des Allgemeinen Priestertums wie des mit der Ordination übertragenen Amtes bedürfen der kontinuierlichen kritischen Reflexion und der daraus u. U. resultierenden Neugestaltung.

4.1 Die gegenüber der Reformationszeit veränderten Bedingungen als Herausforderung

Die Bedingungen, unter denen das Allgemeine Priestertum wie das mit der Ordination übertragene Amt ihre jeweils angemessene Gestalt finden müssen, haben sich seit der Reformationszeit in mehreren Hinsichten erheblich verändert. Exemplarisch seien einige dieser Veränderungen genannt:

– Die Komplexität und Vielfalt unserer Lebenswelt und in deren Folge des kirchlichen Dienstes, wie er innergemeindlich und übergemeindlich wahrzunehmen ist, hat stark zugenommen.

– Die Bildungsmöglichkeiten in der Breite der Bevölkerung sind erheblich gestiegen. Hieraus resultiert eine Zunahme der Qualifikation von Christenmenschen für zahlreiche Aufgaben auch in Gemeinde und Kirche.

– Zugleich ist das Wissen um die Grundlagen des christlichen Glaubens und die Vertrautheit mit christlichen Bräuchen und kirchlichen Vollzügen auch bei Menschen, die sich der Kirche zugehörig fühlen, dabei, verloren zu gehen, oder bereits verloren gegangen. Ein fortschreitender Traditionsabbruch ist unübersehbar.

– Pluralität und Bildungsmöglichkeiten haben einerseits zu einer Steigerung der Freiheit, andererseits zu einem Verlust von Orientierung geführt. Das gilt auch für die kirchlichen Amtsträger. Vielfach ist ihnen ihre Aufgabe unklar geworden.

– In den Gemeinden wie gemeindeübergreifend tun sich Gruppen von Christen zusammen und treten mit eigenen Initiativen und Zielen der kirchlichen Institution gegenüber.

– Vielerorts sind die Christen in eine Minderheitensituation geraten: Das Christsein ist nicht mehr selbstverständlich, und die Rolle der Kirche in der Öffentlichkeit hat sich gewandelt.

– Das demokratische Selbstverständnis der Gesellschaft wird als Deutungsmuster für das Allgemeine Priestertum herangezogen. Das ist einerseits eine Herausforderung, über das Allgemeine Priestertum nachzudenken, bringt andererseits aber auch die Gefahr mit sich, es von fremden Kategorien her zu verzeichnen.

Unter diesen veränderten Bedingungen ist die Kirche heute herausgefordert, das Zeugnis der Christenmenschen im Alltag – im Privatleben, in Familie, Freundeskreis und Beruf sowie im öffentlichen Leben – in seiner Bedeutung für die Wahrnehmung des kirchlichen Auftrags neu in den Blick zu nehmen und sie zu diesem Zeugnis zu ermutigen und zu stärken. Zugleich muss sie ihren Amtsträgern bei der Klärung ihrer Aufgaben und ihrer Rollen helfen und sie dazu ermutigen, diesen auch heute gerecht zu werden. Damit kommen das Allgemeine Priestertum und die öffentliche Verkündigung in ihrer jeweiligen Bedeutung in der Kirche zur Geltung. Beides ist um der zeit und sachgemäßen Wahrnehmung des Verkündigungsauftrags der Kirche willen dringend erforderlich.

4.2 Das gemäß CA XIV übertragene Amt
unter den Bedingungen der Gegenwart

Weil die Kirche das Amt hat, das Wort Gottes zu verkündigen, dem sie sich selbst verdankt, muss sie sicherstellen, dass es öffentlich verkündigt wird, d. h. überindividuell in Raum und Zeit, dauerhaft, regelmäßig, verlässlich und allen Menschen zugänglich. Kurz, sie muss die Verkündigung institutionell sicherstellen. Das tut sie, indem sie einzelne Christenmenschen gemäß CA XIV ordnungsgemäß beruft und beauftragt, die öffentliche Verkündigung des Evangeliums in Predigt und Sakrament wahrzunehmen.

Die Evangelische Kirche tut dies gegenwärtig in zwei Grundformen: einerseits in der Form der Ordination, andererseits in Form der Beauftragung. (45) Diese beiden Grundformen können dadurch unterschieden werden, dass die kirchliche Berufung zur öffentlichen Wahrnehmung des kirchlichen Verkündigungsdienstes sich teilweise auf einen uneingeschränkten (46), teilweise auf einen eingeschränkten Verkündigungsauftrag bezieht.

Die möglichen Einschränkungen können sich dabei beziehen auf die mit dem Dienstauftrag verbundenen Aufgabenstellungen und Befugnisse, auf die zeitliche oder räumliche Erstreckung des Dienstauftrages, auf die vorauszusetzende theologische Kompetenz und damit auf die Selbstständigkeit in der Wahrnehmung des Dienstauftrages. Ämter, für die dies gilt, sind z. B. die Tätigkeit als Religionslehrerin oder Religionslehrer, das Vikariat, das Prädikanten- und das Lektorenamt, das Kantoren- und das Küsteramt sowie andere Formen regelmäßiger, durch Beauftragung anvertrauter Mitwirkung im kirchlichen Verkündigungsdienst. In all diesen Fällen ist nicht eine Ordination angezeigt, sondern eine von der Ordination unterschiedene Beauftragung, z. B. eine Vokation oder Einsegnung.

Dort jedoch, wo der kirchliche Verkündigungsauftrag uneingeschränkt übertragen wird – gleichgültig ob hauptamtlich, nebenamtlich oder ehrenamtlich wahrgenommen – erfolgt die ordnungsgemäße Berufung in Form der Ordination. Und weil es sich dabei um die Übertragung eines uneingeschränkten Verkündigungsauftrags handelt, ist dem Wesen der Ordination eine zeitliche Befristung nicht angemessen. Zugleich lässt sich von dem durch die Ordination übertragenen uneingeschränkten Dienstauftrag sagen, dass er zum Sprechen und Handeln „im Namen der Kirche“ ermächtigt.

Die gelegentlich anzutreffende Auffassung, das durch Ordination übertragene Amt stehe der Gemeinde gegenüber, ist hingegen unrichtig. Auf dem Hintergrund des evangelischen Verständnisses von Wort und Sakrament, Kirche und Amt ist vielmehr festzuhalten, dass es die Aufgabe des durch Ordination übertragenen Amtes in der Kirche ist, das Gegenüber von Wort und Sakrament nicht nur zur Welt, sondern auch zur Gemeinde dauerhaft und umfassend zur Geltung zu bringen. Folglich ist nicht das Amt, sondern nur das Wort Gottes das Gegenüber zur Gemeinde. Wohl aber hat das Amt auf dieses Gegenüber zu verweisen. (47)

Zu widersprechen ist auch einem Verständnis der Ordination (und der Beauftragung), wonach sie als Befähigung, sei es zur Wortverkündigung, sei es zur gültigen Darreichung der Sakramente gilt. Weil die Fähigkeit dazu grundsätzlich allen Christenmenschen eignet, ist jede Deutung der Ordination oder einer anderen rechtmäßigen kirchlichen Berufung im Sinne einer Weihe abzulehnen. Ordination und Beauftragung verleihen keine besondere, zu spezifischen Amtsvollzügen überhaupt erst instandsetzende Seinsqualität.

Der Auftrag, das Evangelium öffentlich zu verkündigen, umfasst die Wortverkündigung im öffentlichen Gottesdienst, die Sakramentsverwaltung, die stets auf die Öffentlichkeit der ganzen Gemeinde bezogen ist, und in der Regel auch die Amtshandlungen. Zu prüfen ist, welche Institutionen der Lebensbegleitung, die konstitutiv mit öffentlicher Verkündigung verbunden sind, um der Wahrnehmung des Verkündigungsauftrags unter den gegenwärtigen und zukünftigen Bedingungen willen neu zu entwickeln, einzuführen und durch eine spezifische Form der Beauftragung zu übertragen sind (s. u. 4.4).

Berechtigung und Auftrag zur öffentlichen Wortverkündigung und Sakramentsverwaltung werden durch eine ordnungsgemäße Berufung in Form der Ordination und der Beauftragung auf die Amtsträgerinnen und Amtsträger übertragen. Voraussetzung für die Ordination ist, dass den Ordinanden und Ordinandinnen die für ihren umfassenden Auftrag erforderliche theologische Kompetenz (48) eignet. Weil es ihre Aufgabe ist, das in der Heiligen Schrift bezeugte Wort Gottes zu verkündigen, ist die Fähigkeit zur selbständigen, am Urtext orientierten und zur hermeneutischen Reflexion fähigen Schriftauslegung konstitutives Element der theologischen Kompetenz. Hierzu gehört auch die selbständige Aneignung des Ansatzes und der Grundlage evangelischer Lehre. Hierzu gehört ferner die auf diesem Fundament zu erwerbende Fähigkeit der theologischen Urteilsbildung angesichts aktueller Herausforderungen sowie die Fähigkeit, das christliche Verständnis von Gott, Welt und Mensch innerhalb und außerhalb der Kirche darzustellen und zu vermitteln. Solche Kompetenz wird durch eine theologische Ausbildung erworben und bedarf der kontinuierlichen eigenständigen theologischen Fortentwicklung.

Voraussetzung für eine Beauftragung ist eine dem Auftrag entsprechende theologische Kompetenz. Es ist darauf zu achten, dass die Beauftragten diese Kompetenz auf dem Wege der Fortbildung bewahren und vertiefen.

Mit der ordnungsgemäßen Berufung in einen kirchlichen Dienstauftrag insbesondere in Form der Ordination verbindet sich zu recht die Erwartung der Kirche – aber auch der Öffentlichkeit –, dass die Berufenen sich nicht nur in der Wahrnehmung ihres Verkündigungsdienstes, sondern in ihrer gesamten Lebensführung so verhalten, wie es ihrem Auftrag entspricht.

4.3 Die neue Gestaltung der kirchlichen Leitungsaufgabe

Für eine angemessene Bewertung des Verhältnisses von Allgemeinem Priestertum und mit Ordination oder Beauftragung übertragenem Amt ist es nötig, sich neben den veränderten geschichtlichen Bedingungen auch die Veränderungen der von Ordinierten und Nichtordinierten wahrgenommenen Aufgaben von der Reformationszeit bis heute bewusst zu machen.

Seit dem 19. Jh. hat sich die Gestaltung des innerkirchlichen Lebens in den reformatorischen Kirchen in einer Hinsicht wesentlich verändert: Im Zuge der zunehmenden Ausdifferenzierung des kirchlichen Lebens kommt die Frage der Leitung von Gemeinde und Kirche als Gestaltungsaufgabe auf der Basis des reformatorischen Verständnisses von Allgemeinem Priestertum und ordinationsgebundenem Amt neu in den Blick. Es kommt zur Einführung von Synodalverfassungen. Die Verantwortung für die Kirchenleitung wird seitdem von gewählten Gremien (z. B. Kirchenvorständen/ Presbyterien/Gemeindekirchenräten und Synoden, in denen Ordinierte und Nicht-Ordinierte zusammenwirken) und ordinierten Personen gemeinsam wahrgenommen.

Dabei obliegt diesen kirchenleitenden Gremien die Verantwortung für rechtsetzende, konzeptionelle und finanzielle Entscheidungen. Die Ordinierten haben hier ihre theologische Kompetenz einzubringen. Das betrifft Entscheidungen über die öffentliche Wortverkündigung und Sakramentsfeier, Kasualgottesdienste, kirchliche Lehre, Unterweisung, Ausbildung und Seelsorge und alle übrigen konzeptionellen und rechtsetzenden Entscheidungen in der Kirche.

Als eine gemeinsame Aufgabe der kirchenleitenden Personen und Organe hat sich herausgebildet, die Kirche im öffentlichen Leben – auch durch kirchliche Stellungnahmen – zu repräsentieren. Das Bild der Kirche in der Öffentlichkeit wird nicht zuletzt davon bestimmt, welches Bild ihre Vertreterinnen und Vertreter und insbesondere Pfarrerinnen und Pfarrer von der Kirche zeichnen und wie sie selbst als Repräsentanten der Kirche auftreten. Um so wichtiger ist ihre theologische Kompetenz.

Die spezifische Art der Kirchenleitung durch das ordinationsgebundene Amt ist die Wahrnehmung der umfassenden öffentlichen Verkündigung und Sakramentsverwaltung. Diese ist in sich Vollzug von Kirchenleitung.

4.4 Die Beteiligung aller Christenmenschen
am Leben der christlichen Gemeinde

Das gemäß CA XIV übertragene Amt dient dem Priestertum aller Glaubenden. Das zeigt sich auch darin, dass es die Beteiligung aller Christen am Leben der christlichen Gemeinde fördert, nicht zuletzt auch die Übertragung und verantwortliche Übernahme besonderer Aufgaben:

Schon seit langem haben sich Möglichkeit und Notwendigkeit ergeben, Gemeindeglieder mit ihren unterschiedlichen Befähigungen in verschiedenen Bereichen der Gemeindearbeit mit eigenständigen Aufgaben zu betrauen oder um ihre kompetente Mitwirkung zu bitten, etwa im Kindergottesdienst, in Besuchsgruppen, bei der Alten und Jugendarbeit. Dies ist eine unverzichtbare Bereicherung des kirchlichen Lebens und der kirchlichen Arbeit auf allen Ebenen und bedarf der Wertschätzung. Sofern es sinnvoll erscheint und erwünscht ist, kann und soll in solche Aufgaben und Ämter in Form einer gottesdienstlich gestalteten Beauftragung eingeführt werden. Die Ordination ins öffentliche, uneingeschränkte Amt der Verkündigung und Sakramentsverwaltung muss davon auf Grund der oben skizzierten reformatorischen Einsichten deutlich unterscheidbar bleiben. Es ist nicht vertretbar, aus solchen Beauftragungen die Konsequenz einer Ausweitung oder Vervielfältigung der Ordination zu ziehen.

Die Betrauung von nichtordinierten Gemeindegliedern mit besonderen Aufgaben muss jedoch in jedem Fall geordnet erfolgen. Dazu ist Voraussetzung einerseits, dass Zuständigkeitsbereiche in der Gemeinde ausdifferenziert und möglichst genau bestimmt werden; andererseits, dass auch die Zuständigkeiten für das Ordnen dieser Bereiche so genau wie möglich geregelt sind.

Nicht selten begegnet ein Pfarrerbild – in den Gemeinden und bei den Amtsträgern selbst –, wonach die pfarramtliche Aufgabe „eigentlich“ darin besteht, möglichst alles allein zu machen und für den nicht zu leistenden Rest Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu suchen. Demgegenüber muss betont werden, dass es eine der originären pfarramtlichen Aufgaben ist, nach Begabungen Ausschau zu halten, Menschen zum Einsatz ihrer Fähigkeiten in Gemeinde und Kirche zu ermutigen und sie in ihrer Tätigkeit zu begleiten, soweit dies sinnvoll und erforderlich ist.

Die Ausbildung der zukünftigen Pfarrer und Pfarrerinnen ist daraufhin zu überprüfen, ob sie hinreichend auf diese Aufgaben vorbereitet und ihnen die dazu notwendigen Fähigkeiten vermittelt werden. Die pfarramtliche Praxis ist daraufhin zu überprüfen, ob bzw. inwieweit diese Aufgabe wahrgenommen wird. Bei der Dienstaufsicht über Pfarrerinnen und Pfarrer sowie bei der Begleitung und Beratung von Kirchenvorständen (Visitation) ist verstärkt auf die Förderung solcher Fähigkeiten zu achten.

Zu den Weisen der Beteiligung aller Christenmenschen am Leben der Gemeinde gehört die – vielerorts bereits gewachsene – Praxis, dass nichtordinierte Gemeindeglieder an der Vorbereitung und Durchführung von Gottesdiensten, z. B. durch Übernahme von Lesungen und Gebeten sowie durch Beteiligung an der Austeilung des Heiligen Abendmahls, mitwirken. (49) Dazu gehört ebenfalls die Seelsorge im persönlichen Bereich, einschließlich des Hörens der Beichte. Die persönliche Seelsorge gehört nach reformatorischem Verständnis zum bleibenden Recht und zur bleibenden Pflicht jedes Christenmenschen. In der gegenwärtigen volkskirchlichen Wirklichkeit ist das aufs Ganze gesehen zu wenig im Bewusstsein. Gemeinde- und Kirchenleitungen sowie Pastoren und Pastorinnen sind darum herausgefordert, Wege zu suchen und zu beschreiten, auf denen die Wahrnehmung auch dieser seelsorgerlichen Aufgabe durch alle Christenmenschen gefördert wird. Zur Beteiligung der Gemeinde gehört schließlich auch, dass dazu kompetente Gemeindeglieder leitende Funktionen in kirchenleitenden Gremien (Kirchenvorstand/ Gemeindekirchenrat/Presbyterium, Synode) übernehmen, ja ganze Gottesdienste wesentlich mitgestalten (z. B. Weltgebetstag).

Wenn einzelne Christenmenschen oder kirchliche Gruppen allerdings die Zuständigkeit der Amtsträgerinnen oder Amtsträger für die öffentliche Wortverkündigung und Sakramentsfeier in Frage stellen, widerspricht dies dem reformatorischen Verständnis von Allgemeinem Priestertum und Amt. Das kirchliche Leben wird stets nachhaltig gestört, wenn zwischen den Zuständigkeiten des gemäß CA XIV übertragenen Amtes und der Ausübung des allen Christen gegebenen Auftrags Konkurrenzverhältnisse auftreten.

 4.5 Ordination und Beauftragung

In den meisten evangelischen Kirchen hat sich die Praxis entwickelt, unter bestimmten Bedingungen auch nichtordinierte Gemeindeglieder mit der Leitung von Gottesdiensten zu beauftragen: Schon lange gibt es Lektoren und Lektorinnen, die Lesepredigten vortragen, und seit einigen Jahrzehnten gibt es auch Prädikanten und Prädikantinnen (50), die den Auftrag zur freien Wortverkündigung, d. h. zur eigenständigen Erarbeitung von Predigten, und meist auch zur Sakramentsverwaltung haben.

Dazu ist zu sagen: Personen, die die öffentliche Wortverkündigung und die Sakramentsverwaltung uneingeschränkt wahrnehmen sollen, sind zu ordinieren. Personen, die einen – zeitlich, räumlich oder inhaltlich – eingeschränkten Dienstauftrag zur öffentlichen Wortverkündigung und/oder Sakramentsverwaltung erhalten, sind hierzu ordnungsgemäß zu beauftragen. Das folgt aus dem oben skizzierten reformatorischen Amtsverständnis, wonach die uneingeschränkte öffentliche, und d. h. zugleich im Namen der Kirche ergehende Verkündigung in Predigt und Sakrament Sache des ordinationsgebundenen Amtes ist.

In der Regel wird die für den umfassenden Dienst erforderliche Kompetenz durch wissenschaftliches Theologiestudium und Vikariat erlangt. Diese Regel schließt aber nicht aus, dass diese Kompetenz in einzelnen Fällen auch auf anderem Weg gewonnen werden kann. Ob das der Fall ist, muss von der Kirche jeweils geprüft werden. Maßgeblich ist dabei nicht der Wunsch der Einzelnen, ordiniert zu werden. Entscheidend ist vielmehr das Interesse der Kirche am ordinationsgebundenen Dienst der jeweiligen Person, ferner die Einschätzung der zuständigen kirchlichen Organe, dass diese Person die erforderliche theologische Kompetenz für die Wahrnehmung des mit der Ordination übertragenen Amtes hat. Dabei kann es sich etwa um einen entsprechend ausgewiesenen Prädikanten handeln. (51) Im Blick auf eine angemessene und einheitliche Amtsbezeichnung für ordinierte Prädikanten soll zwischen den Gliedkirchen eine Verständigung angestrebt werden. (52)

Die vorhandenen gliedkirchlichen Prädikantenordnungen sollten hinsichtlich einer möglichst großen Vereinheitlichung unter folgenden Gesichtspunkten überprüft werden:

Voraussetzungen, z. B. Alter, Zurüstung, kirchliches Interesse, Regelmäßigkeit sowie Ort und Zeit des Dienstes, Verantwortung des Pfarrers/der Pfarrerin bzw. des Superintendenten/der Superintendentin

Einführung und Verpflichtung, z. B. Bekenntnisbindung, Urkunde, Befristung,

Segenshandlung

Ausübung des Auftrages, z. B. Anbindung an Kirchenkreis und Gemeinde, Dienstanweisung, Amtstracht, Fortbildung, Verschwiegenheit, Kosten

Beendigung und Entpflichtung.

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Sonntag 28. November 2004 um 12:46 und abgelegt unter Kirche, Theologie.