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Konsequenzen aus der biblischen Bewertung des homosexuellen Verhaltens

Sonntag 4. Dezember 2005 von Dr. Joachim Cochlovius


Dr. Joachim Cochlovius

Konsequenzen aus der biblischen Bewertung
des homosexuellen Verhaltens
Vortrag in der Evang.-theolog. Fakultät Tübingen 1.12.2005

1. Drei Schwerpunkte des biblischen Befundes
1.1 Gott segnet die Ehe mit Fruchtbarkeit
(1. Mose 1,28; Matth. 19,1-12)

Der erste Segen Gottes für die Menschen ist leiblich-sexueller Art: Mann und Frau werden gewürdigt, aber auch aufgefordert, fruchtbar zu sein und sich zu mehren (1. Mose 1,28). Jesus bestätigt in einem Streitgespräch mit den Pharisäern die Erschaffung des Menschen als Mann und Frau „am Anfang“ und die Zusammenfügung beider in der Ehe (Matth. 19,4 und 5). Implizit bejaht er damit die Ehe als eine göttliche Stiftung und als Ort der Fruchtbarkeit.

Das Bekenntnis Jesu zur Ehe bedeutet jedoch nicht, daß er in der Ehe die einzige Lebensform sieht, die unter dem Segen Gottes steht. In gleicher Weise gibt es für ihn auch den bewußten Verzicht auf die Ehe wie auch angeborene oder anderswie bedingte Eheuntauglichkeit (Matth. 19,12). Eine ähnliche Gleichrangigkeit von Ehe und Eheverzicht findet man auch bei Paulus in 1. Kor. 7. Paulus selbst lebt den Eheverzicht, aber er sagt sehr nützliche und empfehlende Worte über die eheliche Sexualität (1. Kor. 7,3 und 4).

1.2 Gott bestraft seine Entehrung durch die Menschen mit gegenseitiger sexueller Entehrung der Menschen untereinander (Röm. 1,22-27)

Nach Paulus ist die Lage des Menschen bestimmt von einem von Gott verhängten umfassenden Preisgegebensein an sein sündiges Ego. Dieses Dahingegebensein kann als adäquate Vergeltung. Verstanden werden. Weil die Menschen mit ihren Gedanken sich dem Nichtigen zuwenden, gibt Gott sie an ihre nichtigen Gedanken dahin, so daß sie sich gegenseitig zur Last und Gefahr werden (Röm. 1, 21 und 28-31). Weil die Menschen Gottes Herrlichkeit entehren und mit Bildern vergänglicher Wesen vertauschen, gibt Gott sie an ihre unreinen Begierden und schändlichen Leidenschaften dahin, so daß sie sich durch fehlgeleitete Sexualität ihre Leiber entehren und den natürlichen mit dem widernatürlichen Verkehr vertauschen (Röm. 1,22-27). Man kann dieses Dahingegebensein ein pädagogisches Strafhandeln Gottes nennen, durch das er die Menschen die Folgen ihrer Sünde erleiden läßt, aber eben nicht um sie zu zerstören, sondern um sie zur Umkehr zu führen. Vermutlich denkt Paulus in 1,24 an außerehelichen Verkehr zwischen Männern und Frauen, während in 1,26 und 27 eindeutig gleichgeschlechtlicher Verkehr zwischen Frauen und Männern untereinander gemeint ist. Beide Fehlformen der Sexualität entehren den Leib des Menschen und damit ihn selbst.

1.3 Gott vergibt unzüchtiges sexuelles Verhalten (1. Kor. 6,9-11)

In der korinthischen Gemeinde lebten Leute, die früher Ehebrecher waren bzw. gleichgeschlechtlichen Verkehr geübt hatten. Paulus bezeichnet hier die homosexuell Praktizierenden mit zwei Begriffen, die auf den heidnischen Brauch der sog. Knabenliebe hinweisen (Luther: „Lustknaben“ und „Knabenschänder“). Der Oberbegriff in V. 9 pornoi („Unzüchtige“) umfaßt sowohl alle Formen außerehelicher Sexualität als auch homosexuelle Praxis zwischen Erwachsenen des gleichen Geschlechts und homosexuellen Umgang zwischen Erwachsenen und Kindern. Paulus stellt im Blick auf die korinthische Gemeinde fest, daß aufgrund der Annahme des Evangeliums durch Glaube und Taufe das unzüchtige Verhalten der Vergangenheit beseitigt worden ist. Der Begriff „reingewaschen“ (griech. apelousaste) könnte ein Hinweis auf die Taufe sein, kann sich aber auch auf das „Wasserbad des Wortes“ beziehen (Eph. 5,26). Der Begriff „geheiligt“ ( griech. hägiastete) meint das Beschlagnahmtsein durch Gott und „gerechtgemacht“ (griech. edikaiotete) meint die Vergebung. Der Text ist für die Sexualseelsorge wichtig: Ehebruch gehört in die Vergebung und sollte nicht gleich Anlaß zur Scheidung sein. Auch voreheliche sexuelle Beziehungen gehören in die Vergebung, weil sie sich als Ballast in der Ehe auswirken können. Ebenso homosexuelle Akte. Man sollte homosexuelle Praxis vor diesem Hintergrund weder bagatellisieren noch dramatisieren. Sie stellt im neutestamentlichen Kontext eine sexuelle Fehlform unter anderen dar.

2. Theologische Konsequenzen
2.1 Gott will die Gemeinschaft mit Menschen

Der biblische Befund zeigt einen Gott, der die menschliche Fruchtbarkeit will und segnet. Offensichtlich hat er Sehnsucht nach der Gemeinschaft mit Menschen. Es liegt im Wesen der Liebe, daß sie nicht allein bleiben will. Weil Gottes Liebe zu den Menschen unendlich ist (Joh. 3,16), erhält er ihnen dauerhaft seinen Fruchtbarkeitssegen, denn auch auf der neuen Erde nach Christi Wiederkunft wird es Völker geben (Apok. 21,24). Im 127. Psalm (ein Psalm Salomos) wird die Fruchtbarkeit gepriesen: „Siehe, Kinder sind eine Gabe des Herrn, und Leibesfrucht ist ein Geschenk“ (V. 3). Vielleicht kann man in diesem Zusammenhang auch an den Bericht von Jakobs Enkel Onan denken, der sich der Leviratsehe entzog, indem er seinen Samen verderben ließ und sich dadurch Gottes Strafe zuzog (1. Mose 38,6-10). Das biblische Gottesbild zeigt jedenfalls durchweg einen Gott, der die Fruchtbarkeit der Menschen will. Angesichts der Tatsache, daß etwa 20% der deutschen Ehepaare ungewollt kinderlos bleiben, ist das eine Feststellung, die nachdenklich macht. Was machen wir falsch? Welche Faktoren sind dafür verantwortlich?

2.2 Gott will die Ehe als Ort der Fruchtbarkeit

Gott gibt die Gabe der Fruchtbarkeit ausschließlich in die Institution der Ehe hinein. Das ist aus 1. Mose 1,26ff. zu erschließen, denn mit der Erschaffung des ersten Menschenpaares war die Ehe konstituiert. Eine für das heranwachsende Kind bessere Institution als die auf lebenslange Dauer geschlossene Ehe wurde noch nicht gefunden, bei allen Abstrichen, die man zweifellos angesichts vieler Ehen machen muß, denen es nicht mehr gelingt, ihren Kindern ein Minimum an Geborgenheit und Heimat zu vermitteln. Die Entwicklungspsychologie bestätigt den unersetzbaren Wert der Ehe, wenn sie feststellt, daß der Junge zur seelischen Ausreifung ein festes „Mannsbild“ braucht und das Mädchen ein festes Mutter- bzw. Frauenbild. Weil für die Bibel die Fruchtbarkeit in die Ehe gehört, wird die Ehe durch massive Schutzwälle umgeben, damit sie ein Ort der Geborgenheit für die Kinder sein kann. Jesus mahnt zum Festhalten an der Ehe: „Was Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden“ (Matth. 19,6). Paulus verbietet den Christen in 1. Kor. 7,10 und 11 die Ehescheidung. In der zweiten Tafel des Dekalogs wird der Ehebruch verboten. In Hebr. 13,4 wird den Unzüchtigen und Ehebrechern Gottes Gericht angedroht. Der hohe Stellenwert der Ehe in beiden Testamenten ist nicht zu übersehen, gerade auch dort, wo im A.T. eheliche Fehlformen und ihre verhängnisvollen Auswirkungen beim Namen genannt werden.

2.3 Gott ist ein leibfreundlicher Gott

Der Gott der Bibel ist ein leibfreundlicher Gott. Das gilt es wieder zu entdecken. Christi leibhafte Auferstehung ist ein deutliches Bekenntnis Gottes zum Leib. Die lebendige Hoffnung der Christen, die Petrus in 1. Petr. 1,3ff. entfaltet, zielt auf einen neuen Leib in Gottes Herrlichkeit. Nichts anderes meint Paulus mit dem Begriff „Erbe“. Alle Kinder Gottes erben Gottes Erbe (Röm. 8,17). Der menschliche Leib dient in 1. Kor. 12 als Urbild für das Verhältnis Christi zu seiner Gemeinde. Die leibliche Zärtlichkeit zwischen Mann und Frau wird im Hohen Lied (2,6; 8,3) und im Predigerbuch (3,5) hoch geschätzt. Paulus ruft den Ehemann auf, seine Frau zu verwöhnen so wie ein Kopf es mit seinem Leib tut (Eph. 5,28 und 29). Speziell zum ehelichen Intimleben gibt er in 1. Kor. 7,4 einen hervorragenden Rat: „Die Frau verfügt nicht über ihren Leib (d.h. über ihre Sexualität), sondern der Mann. Ebenso verfügt nicht der Mann über seinen Leib (seine Sexualität), sondern die Frau“. Es ist bemerkenswert, daß Paulus als unverheirateter Mann hier die von der Agape bestimmte eheliche Sexualität als Quelle der Freude und als stabilisierenden Ehefaktor schätzt. Allerdings sagt derselbe Paulus wenige Verse später, daß die Verheirateten so leben sollen, als ob sie nicht verheiratet wären, d.h. daß sie die Ehe und die Sexualität nicht überhöhen dürfen (1. Kor. 7,29). Die biblische Ablehnung homosexueller Praxis darf vor diesem Hintergrund nicht als Leib- und Lustfeindlichkeit interpretiert werden.

3. Anthropologische Konsequenzen
3.1 Der Mensch muß vom Ziel her bestimmt werden

Die Berufung des Menschen zur Ebenbildlichkeit Gottes (1. Mose 1,26 und 27) konstituiert ein offenes, ein teleologisches, d.h. vom Ziel bestimmtes Menschenbild. Keiner darf auf seine Herkunft, seine Erziehung, seine Prägung, sein momentanes Verhalten festgelegt werden. Und niemand sollte sich selber in dieser Weise festlegen. Gott hat das Ziel und den Willen, den Menschen zur Agape hin zu verändern (denn die Ebenbildlichkeit definiert sich immer von Gottes innerstem Liebeswesen her). Das gilt für Männer und Frauen, Erwachsene und Kinder, Christen und Nichtchristen. Das gilt auch für das Vater-, Mutter- und Ehebild, das der Mensch zuhause kennengelernt und verinnerlicht hat, und das gilt ebenso für seine sexuellen Erfahrungen, Prägungen und Phantasien. Es entspricht nicht dem biblischen Menschenbild, einen Menschen auf sein momentanes Sosein zu fixieren. Die Bezeichnungen „Homosexuelle“, „Schwule“ und „Lesben“ sind insofern fragwürdig. Gott ist ein schöpferischer Gott (Ps. 33,9; Röm. 4,17), und er kann verändern durch die Kraft seiner Liebe. Zu erinnern ist an 1. Kor. 6,9-11, wo Paulus von den Veränderungen in der korinthischen Gemeinde spricht.

3.2 Der Mensch ist zur Kommunikation berufen

Wie Gott selbst sich nach dem biblischen Zeugnis und der kirchlichen Lehrtradition als Dreieinige bzw. dreipersonale Wesenheit offenbart und damit kommunikative Wesenszüge trägt, so trägt auch alles, was Gott erschafft, kommunikative Züge. Die ganze Schöpfung muß als eine unermeßliche Verschränkung von Bezugssystemen angesehen werden, und auch der Mensch muß als ein kommunikatives Wesen verstanden werden. Er ist erschaffen, um mit Gott, mit anderen Menschen und mit seiner Umwelt in Beziehung zu treten. Sein Leben gelingt in dem Maß, in dem seine Beziehungen gelingen. Die sog. Selbstverwirklichung als eines der bestimmenden Leitbilder der Postmoderne führt uns leider mehr in Isolierungen als daß sie uns den Wert von Beziehungen aufschließt und uns zum Aufbau fester Beziehungen ermutigt.

Beziehungen leben vom Nehmen und Geben, und ihr Reiz liegt in der Gestaltung der menschlichen Unterschiede. Diese Tatsache kommt in der Ehe täglich zur Geltung. Die mentalen, physiologischen und physischen Unterschiede von Mann und Frau deuten auf eine ebenso hohe Intelligenz wie auch Risikobereitschaft des Schöpfers, der offensichtlich mit dem Modell Ehe eine gegenseitige Ergänzung der Geschlechter beabsichtigt. Natürlich funktioniert dieses Modell nur, wenn beide Eheleute im Gespräch bleiben und sich im Nehmen und Geben üben. Die menschliche Sexualität ist so gesehen kein Instrumentarium zum eigenen Lustgewinn, auch wenn unsere Mediengesellschaft sie so darstellt. Vielmehr ist sie eine Kommunikationschance ersten Ranges, weil sie ein Ehepaar in die Lage versetzt, sich gegenseitig leiblich-seelisch Frieden zu vermitteln und den anderen zu „befriedigen“ in des Wortes eigentlicher Bedeutung. Genau das meint Paulus in 1. Kor. 7, 3 und 4. Sexualität beglückt und läßt sich beglücken, aber nur, wenn sie nicht das Eigene sucht, sondern das, was dem andern guttut (Phil. 2,4). Diese gegenseitige sexuelle Beglückung ist nach dem biblischen Menschenbild der intimen Begegnung von Mann und Frau in der Ehe vorbehalten, weil sie im Raum von Verbindlichkeit und Geborgenheit möglich ist.

3.3 Der Mensch ist zur Priorität des Geistes berufen

Es gibt in 1. Kor. 9,24-27 ein offenes Bekenntnis des Apostels über seinen Umgang mit seinem Leib. Er ist nicht bereit, dem Leib die Priorität in seinem alltäglichen Lebensvollzug einzuräumen. Im Gegenteil: er bezwingt ihn und zähmt ihn. Man kann diese Aussagen mißverstehen als asketisch und leibfeindlich. Aber in Wirklichkeit weisen sie auf die Priorität des Geistes hin, die alle Christen anstreben sollten. Der Geist soll dem Leib sagen, wo es lang geht und nicht der Leib dem Geist. Nach Röm. 8,14 ist das Christsein dadurch gekennzeichnet, daß der Christ sich vom Geist führen läßt. Im Geist ist Christus gegenwärtig, denn „der Herr ist Geist“ (2. Kor. 3,18). Wer sich vom Geist führen läßt, hat also Christus selbst als Kraftgeber für sich. Aber der Geist gibt nicht nur Kraft, sondern auch Liebe. Die Liebe sucht das Beste des anderen. Sie ist feinfühlig, gerade auch im geschlechtlichen Bereich. Sie gönnt dem anderen auch sexuell das Beste. Vor der Ehe gönnt sie dem anderen das Tiefenerlebnis des leiblich-seelischen Einswerdens im Schutzraum der Ehe. In der Ehe vergewaltigt sie nicht. Außerhalb der Ehe hat sie die Kraft zum sexuellen Verzicht, auch hinsichtlich homoerotischer Neigungen.

4. Seelsorgerliche Konsequenzen
4.1 Christliche Seelsorge ist parakletische Seelsorge

Der in der neutestamentlichen Briefliteratur oft verwendete Begriff parakaleo heißt in der Grundbedeutung „herbeirufen“. Er wird im N.T. meistens verwendet im Sinn von „ermahnen“ bzw. „trösten“. Wenn man bei der wörtlichen Bedeutung „herbeirufen“ bleibt und als das Ziel des Herbeirufens Christus einsetzt, dann gewinnt parakeleo eine programmatische Bedeutung für die christliche Seelsorge. Sie ruft zu Christus. Das bedeutet, daß sie sich immer der eigenen Ohnmacht bewußt sein muß, denn kein Mensch ist in der Lage, einen anderen Menschen zu verändern. Das bedeutet aber auch, daß sie mit Gottes konkreter Hilfe rechnen darf. Dieser doppelte Blick ist besonders in der Sexualseelsorge nötig. In wenigen Lebensbereichen erfährt sich der Mensch so authentisch, so berührt, so beglückt aber auch so frustriert wie in der Sexualität. Gleichzeitig ist er in wenigen Lebensbereichen so wie in der Sexualität gefährdet, Rücksichtnahme und Barmherzigkeit zu vergessen und sein Ego zu befriedigen. Angesichts der Urmacht Sexualität ist er dringend auf Gottes Hilfe angewiesen, um sie so zu steuern, daß sie nicht verletzt, sondern beglückt, und zwar sowohl den anderen als auch sich selbst. Das ist die besondere Chance christlicher Sexualseelsorge. Außerdem verfügt sie gegenüber der rein psychologischen Beratung über den großen Vorteil, daß sie zur Bewältigung der Schulddimension im Beichtgespräch die Vergebung Gottes zusprechen und auf Gottes weitere Hilfe hinweisen kann.

4.2 Christliche Seelsorge ist geistorientierte Seelsorge

Christliche Seelsorge sollte sich an der Geistpriorität orientieren, zu der der Mensch nach dem neutestamentlichen Zeugnis berufen ist. In der seelsorgerlichen Praxis begegnet dem Seelsorger eine Vielzahl von Steuerungsmechanismen, die den Menschen bestimmen. Das können die rein leiblichen Bedürfnisse bzw. Begierden oder auch die seelischen Kräfte Wille, Verstand und Gefühl sein, wobei in der Realität des Alltags meistens Mischformen das Verhalten bestimmen. Immer darf christliche Seelsorge den Menschen ermutigen, dem Geist die oberste Steuer-Priorität einzuräumen. Dies trifft in besonderem Maß auf die Sexualseelsorge zu. Gerade diejenigen Menschen, die sich einen trieb- und lustorientierten Umgang mit der eigenen Sexualität angewöhnt haben, darf der Seelsorger ermutigen, das Sexualleben neu am Geist und d.h. an der Agape auszurichten. Das trifft für Verheiratete genauso wie für Nicht-Verheiratete zu. Für die Verheirateten gilt dabei die spezielle Maxime von 1. Kor. 7,4, wonach jeder Ehepartner die Verfügung über seine Sexualität an den anderen abgeben soll. Für die Nicht-Verheirateten gilt die allgemeine Maxime, daß Unzucht in jeglicher Form, also jeglicher außerehelicher Intimverkehr, auch der homosexuelle, gemieden werden sollte.

4.3 Christliche Seelsorge ist mitleidende Seelsorge

Das sexuelle Verhalten prägt grundsätzlich die Persönlichkeit eines Menschen mehr als andere Verhaltensmuster. Das hängt mit der geschlechtlichen Bestimmtheit des Menschen zusammen. Wir haben nicht nur ein Geschlecht, wir sind es. Sexuelle Verhaltensmuster wie z.B. Selbstbefriedigung, häufiger Partnerwechsel bei Heterosexuellen, pornographisch bestimmtes Sexualleben oder homosexueller Verkehr können so tiefe Prägungen verursachen, daß der oder die Betreffende trotz eigenem Wunsch und intensiver seelsorgerlicher Bemühung bzw. psychologischer Beratung keine schnellen Veränderungen der Steuerungsmechanismen erlebt. Aber auch, wenn gar keine tiefeingeprägte Sexualpraxis vorliegt, gibt es verfestigte sexuelle Fehl-Orientierungen, die auf beiden Seiten viel Geduld erfordern. Verschiedene Studien der vergangenen Jahre bei veränderungswilligen Personen mit homosexueller Orientierung zeigen, daß etwa 30-60 Prozent von ihnen zu einer gelebten Heterosexualität kommen (z.B. Prof. Robert L. Spitzer, New York, New Study on Sexual Reorientation Therapies, 2001). Wo es nicht oder noch nicht zu Veränderungen in der sexuellen Orientierung kommt, ist der Seelsorger zu einem solidarischen Mitleiden aufgerufen, das demjenigen, der sich verändern will, die Erfahrung gibt, daß er bei allem Scheitern ein von Gott geliebter und vor allem ein vollwertiger Mensch bleibt. Der Seelsorger darf ihn dann auch ermutigen, im Vertrauen auf Gottes Hilfe enthaltsam zu leben.

5. Kirchliche Konsequenzen
5.1 Kirche Jesu Christi ist eine Körperschaft sui generis

Die Kirche Jesu Christi ist eine Alternativgemeinschaft zur Welt, denn sie ist „alternativ“, d.h. anders geboren. Nach dem reformatorischen Grundbekenntnis, der Augsburger Konfession, Artikel VII, lebt sie aus dem Wort Gottes. Ihre Lebensziele und Lebensnormen entnimmt sie der apostolischen Überlieferung, wobei es ihr klar ist, daß es sich dabei um Verheißungsnormen handelt, die nur im gelebten Glauben und auch dann nur annähernd erreichbar sind. Weil sie in Christus Leben und volle Genüge sucht und findet (Joh. 10,10), ist sie davon befreit, in dieser vergehenden Welt Lebenssinn und Zufriedenheit zu suchen (1. Kor. 7,29-31). Da sie aber in dieser Welt lebt, steht sie immer in der Gefahr, sich der Welt anzupassen. Sie ist jedoch durch den „erneuerten Sinn“ in der Lage, den Willen Gottes zu verstehen (Röm. 12,2). Die Kraft der Kirche ist die Liebe Gottes, und diese Liebe ist ihr der Ansporn für ihre Lebensgestaltung. Alle ethischen Entscheidungen fällt sie am Maßstab der Agape. Wenn sie diesen Maßstab verliert, dann ist sie nicht mehr authentische Kirche Jesu Christi. Diese grundsätzlichen Aussagen gelten natürlich auch für die kirchliche Sexualethik. In ihrer Predigt, Seelsorge und Öffentlichkeitsarbeit muß die Kirche die menschliche Sexualität als eine gute und von Gott gewollte, mit Fruchtbarkeit gesegnete und in der Ehe verwirklichte Gabe darstellen und alle ehegefährdenden Verhaltensmuster ihrer Umwelt ablehnen. Dazu gehört auch jede Form des egoistischen Mißbrauchs der Sexualität für den persönlichen Lustgewinn.

5.2 Die öffentliche sexualethische Verantwortung der Kirche

In ihren Bemühungen um Menschen, die ihr nicht angehören, sollte die Kirche gerade in unserer von Pornographie geprägten Zeit ein klares Bekenntnis zu Ehe und Familie und zur Würde der Frau ablegen. Viele Menschen sehnen sich heute nach der Geborgenheit in Ehe und Familie und sind empfänglich für eine solche Botschaft. Die Sexualität sollte die Kirche als von Gott ausschließlich der Ehe verliehene Gabe kennzeichnen und sexuelle Verhaltensweisen außerhalb der Ehe als ehegefährdend darstellen. Ein lauter kirchlicher Protest gegen die Vermarktung der Sexualität durch die Pornographie wäre überfällig. Ebenso müßte die Kirche ihren Einfluß geltend machen, um die Verniedlichung des Ehebruchs in den öffentlichen Medien einzudämmen. Für homosexuell orientierte Menschen, die veränderungswillig sind, müßte die Kirche ein Netz von Beratungsstellen aufbauen. Der staatlichen Gesetzgebung muß die Kirche nicht in jedem Fall folgen (Ag. 5,29). Z.B. sollte die Kirche der staatlichen Sanktionierung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften im sog. Lebenspartnerschaftsgesetz eine verstärkte Ehearbeit und Ehevorbereitungsarbeit entgegensetzen.

5.3 Kirche Jesu Christi wird innen gefestigt
durch Lehre und Diakonie

Nach 1. Tim. 3 sind die beiden Bereiche Gemeindeleitung und Gemeindediakonie konstitutiv für die Kirche vor Ort. Gemeindeleiter sollen nach 1. Tim. 3,2ff. untadelig in ihrer Lebensführung sein. Dazu gehört auch, daß sie in ihrer Sexualethik die apostolischen Wegweisungen achten und vertreten müssen. Sie sollen z.B. nach einer Ehescheidung nicht ein zweites Mal heiraten und, wenn sie Familie haben, sich vorbildlich um sie kümmern. Ein Sexualleben außerhalb der Ehe, sei es durch Ehebruch, unverheiratetes Zusammenleben oder homosexuelle Praxis kommt nach diesen Vorgaben für sie nicht infrage. Das gleiche gilt nach 1. Tim. 3 auch für Diakone und Diakonissen. Kirchliche Segnungshandlungen für gleichgeschlechtliche Partnerschaften und ein kirchenamtlich genehmigtes Zusammenleben von Amtsträgern mit gleichgeschlechtlichen Partnern stehen völlig außerhalb der neutestamentlichen Ethik und sind dringend revisionsbedürftig. Sie widersprechen dem Auftrag der Kirche, die Ehe als den von Gott gestifteten Ort menschlicher Sexualität und Fruchtbarkeit zu bezeugen. Sie gefährden auch den kirchlichen Auftrag, Menschen mit homosexueller Orientierung, die sich verändern möchten, zu helfen.

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Sonntag 4. Dezember 2005 um 11:17 und abgelegt unter Sexualethik, Theologie.