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Gottes Weg mit Israel

Mittwoch 16. April 2014 von Dr. Joachim Cochlovius


Dr. Joachim Cochlovius

Wir kennen vielleicht den kurzen Wortwechsel zwischen Friedrich dem Großen und seinem General Hans Joachim von Zieten. Der König fragte seinen gläubigen General und persönlichen Freund, ob er ihm einen Gottesbeweis nennen könne. Die Antwort: „Majestät – die Juden“. In der Tat, die Existenz des jüdischen Volks seit über 3500 Jahren ist, wenn schon nicht ein Beweis, so doch in jedem Fall ein Hinweis auf Gottes Handeln in der Geschichte. Wo gibt es sonst ein Volk, das sich ableitet von einer Offenbarung Gottes und stärkste Anfeindungen bis heute überstanden hat? Wer die Wege studiert, die Gott mit Israel gegangen ist und die er gegenwärtig geht und nach den biblischen Verheißungen noch gehen wird, der wird in vielerlei Hinsicht ganz persönlich gefordert. Immer wieder wird er gezwungen, sein eigenes Gottesbild zu hinterfragen, immer wieder kommt er ins Staunen und Grübeln und Zweifeln. So ist es nicht verwunderlich, dass auf die Frage nach dem Sinn der Geschichte und Geschicke des Volkes Israel ganz unterschiedliche Antworten gegeben werden. Nachfolgend stelle ich zwölf Merkmale dar, die Gottes Weg mit Israel kennzeichnen.

1.)    Der Ursprung der Auserwählung Israels liegt im Wesen Gottes

Wir glauben an einen dreieinigen Gott, drei Personen, ein Wesen. Dabei ist es wichtig, dass wir uns die innergöttlichen Verhältnisse nicht statisch, sondern dynamisch vorstellen. Weil Gottes Wesen Liebe ist (1 Joh 4,16), bestimmt die göttliche Liebe das Miteinander und Füreinander von Vater, Sohn und Geist. Jede göttliche Person ist für die anderen Personen da. Dieses göttliche kommunikative und komplementäre Wesen bestimmt die ganze Schöpfung, den ganzen Kosmos und die ganze kreatürliche Welt. Ein Teil ist jeweils für die anderen da, ein einzelnes Organ für den ganzen Organismus.

Genauso handelt Gott auch in seinem Umgang mit der Menschheit. Er stattet Menschen mit Gaben aus, damit sie damit anderen dienen. So ist es in der Ehe, und so ist es in der Gemeinde. Er beruft sich Apostel, Propheten, Hirten, Evangelisten und Lehrer, um die Gemeinde zu leiten und mit allem nötigen zu versorgen. Und er beruft sich ein Volk, um die anderen Völker zu segnen. Das ist das Geheimnis der Auserwählung Israels. Nach 2 Mose 4,22f soll Mose zum Pharao sagen: „So spricht der Herr: Israel ist mein erstgeborener Sohn; und ich gebiete dir, dass du meinen Sohn ziehen lässt, dass er mir diene“ (2 Mose 4,22f). Das ist die göttliche Bestätigung der Auserwählung Israels.

Wir sehen: die Auserwählung Israels ist nicht exklusiv gemeint, sondern inklusiv. Gott meint die Menschheit, wenn er Israel beruft. Israel ist nur Werkzeug. Man kann es auch ganz einfach sagen: jede Gabe ist eine Aufgabe. Die Auserwählung Israels ist der erste Schritt Gottes auf dem Weg, die Menschheit zu segnen. Schon im Abrahamsegen bricht dieser große Horizont durch. „In dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden“ (1 Mose 12,3). Uns zugute wurde dieses eine Volk Israel auserwählt und berufen! Wer das verstanden hat, kann niemals in Judenfeindschaft abgleiten.

2.)    Israels fehlende Voraussetzungen

Um diesen Punkt zu verstehen, muß man einen weiteren göttlichen Wesenszug verstanden haben. Gott zieht es vor, seine Segens- und Heilspläne durch schwache, benachteiligte, wenig geehrte und scheinbar ungeeignete Menschen durchzuführen. Ismael war der ältere Sohn Abrahams, aber erwählt wird der jüngere Sohn Isaak. Genauso war es bei Esau und Jakob und bei Aaron und Mose. Nicht der erste König Israels Saul, sondern der zweite König David wird der Verheißungsträger, dem Gott ein ewiges Haus bauen will (2 Sam 7,13.16). Nicht Jerusalem, sondern das kleine Bethlehem wird die Geburtsstadt Christi. Paulus verdeutlichte dieses Handeln Gottes, als er den Korinthern schrieb, dass nicht viele hochgestellte Personen zur Gemeinde berufen worden sind (1 Kor 1,26f).

Wir Menschen denken und handeln da ganz anders. Wenn z.B. zum jährlichen Gartenfest des Bundespräsidenten eines unserer Kinder einmal eingeladen werden sollte, dann würden wir dasjenige auswählen, mit dem wir unserer Meinung nach am meisten „Staat“ machen könnten. Ganz anders Gott, er sucht sich diejenigen aus, die in der Welt nichts gelten. Man kann sich fragen, warum Gott diesen Weg geht, durch unbedeutende Menschen Bedeutendes zu machen. Die Antwort ist nicht schwierig. Weil auf diese Weise seine Ehre gewährleistet bleibt und niemand auf die Idee kommt, sich seine Erfolge auf die eigene Fahne zu schreiben. In 5 Mose 7 erklärt Mose den Israeliten, warum Gott sie erwählt hat. „Nicht weil ihr größer wäret als alle Völker – denn du bist das kleinste unter allen Völkern – sondern weil er euch geliebt hat und damit er seinen Eid hielte, den er euren Vätern geschworen hat“ (5 Mose 7,7f). Israel selber bietet keine Voraussetzungen.

Aber Israel ist nicht nur unbedeutend und klein, es ist auch halsstarrig. Die Wüstenwanderung wird schon am dritten Tag nach der wunderbaren Errettung aus Ägypten ein Desaster. Die Israeliten lagern sich in Mara, wo das Wasser ungenießbar war, und sie beginnen sich gegen Mose aufzulehnen (2 Mose 15,24). So geht es weiter. Paulus zählt in 1 Kor 10,6-10 einige markante Beispiele des inneren Abfalls auf, Götzendienst, Unzucht, Ungehorsam.

Mit einem Wort: Israel bringt aus sich keinerlei Qualifikation mit für seine große Bestimmung, ein Segensvolk für die Welt zu sein. Und trotzdem handelt Gott so. Er ist ein schöpferischer Gott, der dem, was nicht ist, ruft, dass es sei (Röm 4,17). Er braucht keine perfekten Verhältnisse und Menschen, um perfekt handeln zu können.

3.)    Die beiden Hauptverheißungen für Israel

Die Urverheißung für das Volk Israel ist die Abrahamverheißung 1 Mose 12,1-3. Arnold Fruchtenbaum hat öfters darauf hingewiesen, dass sie an keine Bedingungen geknüpft ist, sich also in jedem Fall heilsgeschichtlich durchsetzt. Man könnte sogar sagen, dass diese Verheißung der rote Faden der gesamten Heilsgeschichte ist. Sie ist dreigeteilt. Erstens bekommt Abraham von Gott Land zugewiesen. Zweitens soll aus ihm ein großes und gesegnetes Volk werden. Drittens sollen alle gesegnet werden, die diesem Volk wohltun, und alle verflucht werden, die ihm Böses antun, und schließlich soll es den Segen Gottes in die ganze Menschheit bringen.

3.1   Die Landverheißung hängt mit dem Noahsegen zusammen. Noah hatte Sem und seine Nachkommen mit Gotteserkenntnis gesegnet und die Kanaaniter zu Dienstvölkern der Semiten bestimmt (1 Mose 9,26). Deswegen sollte Abram, wie er damals noch hieß, nach Kanaan ziehen. Seit dieser Zeit hängt die Identität des jüdischen Volkes an diesem Land.

3.2   Dass aus Israel ein großes, gesegnetes und trotz aller Verfolgungen lebensstarkes Volk über die Jahrtausende geworden ist, ist nicht zu leugnen.

3.3   Auch die dritte Teilverheißung hat sich in der Geschichte immer wieder erfüllt und wird sich voll und ganz erfüllen im neuen Äon auf der neuen Erde. Denjenigen, die Israel wohlgetan haben, ging es gut und geht es gut. Diejenigen, die Israel Böses wollten, sind in Not geraten und müssen viel Leid ertragen. Zur letzten Erfüllung kommt die Abrahamverheißung im neuen Äon, wenn die Völker vom erneuerten Volk Israel zu Gott geführt werden.

Die zweite Elementarverheißung für Israel ist die Sinaiverheißung 2 Mose 19,5 und 6. Gott bestimmt sein auserwähltes Volk zu heiligen Priestern und Königen für die Menschheit. Diese Verheißung ist im Gegensatz zur Abrahamverheißung an eine Bedingung gebunden, nämlich an Israels Gehorsam.

Eine erste Teilerfüllung dieser Verheißung geschieht dort, wo Juden an Christus gläubig werden und sie damit geistliche Priester und Könige für andere werden. Das Neue Testament verdanken wir solchen gläubigen jüdischen Menschen. Seit Pfingsten sind viele Juden an Christus gläubig geworden und haben viel Segen in die Welt gebracht. Endgültig erfüllen wird sich die Sinaiverheißung aber erst im Neuen Jerusalem, wo 144000 jüdische Männer Gott und Christus dienen und die Völker regieren werden. „Seine Knechte werden ihm dienen und sein Angesicht sehen, und sein Name wird an ihren Stirnen sein…und sie werden regieren von Äon zu Äon“ (Offb 22,3.5).

4.)    Die Ausstattung Israels mit zehn besonderen Gaben

In der Bibel ist die Zehn die Symbolzahl für den Segen Gottes für die Völkerwelt. In Röm 9,4 und 5 zählt Paulus insgesamt zehn identitätsstiftende Merkmale bzw. Begabungen auf, die Gott Israel gegeben hat, damit dieses Volk für andere Völker ein Segen sein kann. Sie schlagen sich nicht zuletzt in einer hohen Intelligenz und in einem ganz besonderen Lebenswillen nieder. Die Tatsache, dass bisher etwa 180 jüdische Menschen mit einem Nobelpreis ausgezeichnet worden sind, spricht für sich. Die zehn Merkmale sind:

–     Die Auserwählung

–     Die Teilhaberschaft am Titel Israeliten („diejenigen, gegen die Gott streitet“)

–     Die Teilhaberschaft am Titel „Erstgeborener Gottes“

–     Die „Herrlichkeit“, d.h. der Glanz der Anwesenheit Gottes

–     Die Bundesschlüsse, d.h. die Bundeszusagen Gottes an die Erzväter

–     Die Gesetzgebung

–     Der Gottesdienst

–     Die Verheißungen

–     Die Erzväter

–     Christus

Man kann auch sagen: das sind anvertraute Pfunde, mit den Israel wuchern kann, Schätze, die Israel heben kann. Die Apostel haben das gemacht. Das neue Israel im neuen Äon wird mit diesen Pfunden erst recht wuchern und damit die Völker zu Gott führen. „Zu der Zeit werden zehn Männer aus allen Sprachen der Heiden einen jüdischen Mann beim Zipfel seines Gewandes ergreifen und sagen: Wir wollen mit euch gehen, denn wir hören, dass Gott mit euch ist“ (Sach 8,23).

5.)    Die Ablehnung Israels durch die Völker

Jede Auserwählung weckt Neid. Saul wurde neidisch auf David, weil das Volk ihm mehr zufiel. Die Philister beneideten Isaak, weil seine Ernten üppiger waren. Was im zwischenmenschlichen Rahmen zwar belastend aber noch verkraftbar ist, das wächst sich zu einem weltgeschichtlichen Problem aus, wenn es ganze Völker erfasst. Die Geschichte Israels kann auch als Neidgeschichte der Völker auf seine Auserwählung interpretiert werden. Die Ablehnung Israels zieht sich durch die Weltgeschichte, seitdem es dieses Volk gibt. Die kanaanäischen Völker wollten Israel nicht bei sich dulden, geschweige denn über sich. Ps 83 scheint eine Erinnerung an diese alten Zeiten zu sein, evtl. schildert er die Lage Judas unter Josaphat im 8. vorchristlichen Jahrhundert. Asaph schreibt in diesem Psalm im Blick auf die israelfeindlichen Nachbarvölker „Wohlan –sprechen sie – lasst uns sie ausrotten, dass sie kein Volk mehr seien und des Namens Israel nicht mehr gedacht werde!“ (Ps 83,5) Assyrer, Babylonier, Perser, Griechen und Römer haben in unterschiedlicher Weise das Volk Israel unterdrückt. Ein krasses Beispiel bietet der sog. alttestamentliche Antichristus, der Seleukidenkönig Antiochus IV., der um 170 v. Chr. im Jerusalemer Tempel einen Zeusaltar errichtete und den Sabbat verbot.

Der Antijudaismus durchzieht auch die Kirchengeschichte. Schon die frühen Kirchenväter entwickelten die sog. Substitutionstheologie, wonach die noch nicht eingelösten biblischen Israelverheißungen auf die Kirche übergegangen seien. Am Straßburger Münster befindet sich ein Portal, wo die Kirche als eine siegreiche Frauengestalt und Israel als besiegte Figur mit verbundenen Augen dargestellt ist. Luthers antijüdische Spätschriften müssen in diesem Zusammenhang ebenfalls erwähnt werden. Im Islam gibt es seit Chomeinis Machtantritt 1979 verstärkt eine antijüdische Stimmungslage. Die Röm.-Kath. Kirche tat sich mit der Anerkennung des Staates Israel lange schwer, sie erfolgte erst 1994. Im biblisch-eschatologischen Kontext wird es schliesslich noch eine furchtbare letzte Verführungs- und Verfolgungszeit für das jüdische Volk durch den Antichristus bzw. Falschmessias geben (Dan 12,1).

In der heilsgeschichtlichen Perspektive ist die global verbreitete Israelfeindschaft letztlich auf Satan zurückzuführen, der durch die Vernichtung Israels den Heilsplan Gottes stören und zerstören will.

6.)    Der Glaubensabfall von Gott

Kein Volk hat im Lauf seiner Geschichte so viele Gnadenerweise und Manifestationen der Nähe Gottes erlebt wie das jüdische. Keines stand und steht aber auch so sehr in der Gefahr der Abwendung von Gott. Durch gezielte Offenbarungshandlungen hat Gott der Vergesslichkeit und dem Glaubensabfall Israels vorgebeugt. Die wesentlichen Feste und Festtage Israels, die bis heute gefeiert werden, sind Erinnerungsfeste an Großtaten Gottes. Pessach erinnert an die Befreiung aus der Sklaverei in Ägypten. Schawuot, das Wochenfest und Erinnerungsfest, an die Übergabe der 10 Gebote. Sukkot, das Laubhüttenfest, erinnert an den schnellen Auszug aus Ägypten. Jom Kippur, der Versöhnungstag, erinnert an den Großen Versöhnungstag, der nach 3 Mose 16 jährlich begangen werden soll. Auch die Zehn Gebote beginnen mit einer Erinnerung an die göttliche Befreiung aus Ägypten. „Ich bin der Herr, dein Gott, der dich aus Ägypten, aus der Knechtschaft, geführt hat (2 Mose 20,2).

Aber trotz aller Mahnungen und Erinnerungen ist Israels Geschichte durchzogen von Glaubensabfall. Die Einwanderung nach Kanaan wurde begleitet von Auflehnungsphasen gegen Mose. In 5 Mose 28 muss Mose unter Androhung schlimmster Strafen sein Volk vor weiterem Abfall warnen. Die Königsgeschichte ist voller Glaubensabfall, die Sünde Jerobeams ist sprichwörtlich geworden. In einem Anflug von magischem Aberglauben holen die Ältesten Israels im Kampf gegen die Philister die Bundeslade ins Kriegslager und provozieren eine der bittersten Niederlagen Israels (1 Sam 4). Wenig später setzen sie gegen Samuels ausdrückliche Mahnung die Wahl eines Königs durch (1 Sam 8). Hesekiel berichtet in Hes 8 von 70 Ältesten, die im Tempel Greuelbilder anbeten. Bei der Aufwiegelung der Volksmassen gegen Jesus spielten Älteste Israels die Hauptrolle. Jesu Drohrede gegen die Schriftgelehrten und Pharisäer in Mt 23 ist wohl der bewegendste Ausdruck seines Leidens an Israel.

Eine heilsgeschichtliche Deutung der Abfallgeschichte Israels kann nur darin bestehen, all diese Fehlentwicklungen und Fehlentscheidungen als Spiegelbild eigener Anfälligkeit und als Warnungen vor der Sünde ernst zu nehmen, so wie es Paulus in 1 Kor. 10 macht. Zu Überheblichkeit gegenüber Israel Volk besteht nicht der mindeste Anlass, Paulus warnt davor nachdrücklich (Röm 11,18).

7.)    Israels Geschichte als Straf- und Gerichtsgeschichte

Von Anfang an ist in der biblischen Überlieferung Israels Geschichte verwoben mit Strafakten Gottes. Sie zeigen, dass Gott sein auserwähltes Volk als seinen „erstgeborenen Sohn“ ganz ernst nimmt. Das Prophetenwort aus Jer 2,19 erfüllt sich immer wieder aufs Neue: „Deine Bosheit ist schuld, dass du so geschlagen wirst, und dein Ungehorsam, dass du so gestraft wirst. Und du musst innewerden und erfahren, was es für Jammer und Herzeleid bringt, den Herrn, deinen Gott, zu verlassen und ihn nicht zu fürchten, spricht Gott, der Herr Zebaoth“. Was Mose in 5 Mose 28 angedroht hatte, erfüllt sich. Israel wird immer wieder heimgesucht von Unfrieden, Unruhe und Unglück in jeder Form.

Immer wieder gab es Demütigungen, Rückschläge, Niederlagen, Deportationen, Vernichtungsmaßnahmen der Feinde. Bekannte Beispiele: der 38-jährige Wüstenzug, die Reichsteilung 926 v. Chr., die Deportation der 10 Nordstämme 722 v. Chr., die Zerstörung Jerusalems und des Tempels und die Deportation durch Nebukadnezar 586/87 v. Chr., die Fremdherrschaft der Medo-Perser, der Griechen und Römer, die erneute Zerstörung Jerusalems und des Tempels 70 n. Chr. Dann die lange anschließende Zeit der Zerstreuung unter die Völker mit all den Einzelvertreibungen, Verfolgungen und Unterdrückungsmaßnahmen. Und am Ende unseres Äons wird nach der Prophetie Daniels (Dan 7,25) noch ein Herrscher kommen, der die „Heiligen des Höchsten zerreiben wird“ (so wörtlich).

Wie soll man diese lange Leidenszeit Israels theologisch und heilsgeschichtlich deuten? Benjamin Berger, ein messianischer Jude und Gemeindeleiter in Jerusalem, sieht in seinem Buch „Gottes Plan mit Israel“ Parallelen zu den Leiden Christi, der sich gerade darin mit seinem Volk verbindet und es vorbereitet auf seine Erlösung. Vielleicht ist das ein Weg zum inneren Verstehen. In jedem Fall gilt Röm 3,3: Ihre Untreue wird Gottes Treue niemals aufheben.

8.)    Die Christusblindheit Israels

Kein Volk weiß so viel von Gottes Heilsabsichten, kein Volk hat so viele Wunder erlebt, kein Volk hat so viele Messias- bzw. Erlöser-Verheißungen bekommen wie das Volk Israel. Insofern ist und bleibt die Christusblindheit Israels ein Rätsel. Wer es verstehen will, muss bei Jesus und Paulus in die Schule gehen. Jesus deckt Israels Berufung auf die Abrahamskindschaft und Paulus die Berufung auf Gesetz und Beschneidung als wesentlichste Hinderungsgründe für die Heilserkenntnis auf.

In Joh 8 ist uns ein Streitgespräch zwischen Jesus und den jüdischen Oberen überliefert. Jesus hält ihnen vor, dass sie trotz Auserwählung Knechte der Sünde geblieben sind. Sie erwidern, dass sie als Nachkommen Abrahams ein freies Volk sind. Er antwortet, dass sie nur durch den Sohn von der Knechtschaft der Sünde frei werden können.

In Röm 2, Röm 3 und Röm 9-11 deckt Paulus die missbräuchliche Berufung der jüdischen Theologie auf Gesetz und Beschneidung auf. Israel rühmt sich fälschlicherweise des Gesetzes, denn es versteht den Anklagecharakter des Gesetzes nicht. Kein Mensch kann durch Bemühung um das Gesetz vor Gott gerecht werden, niemand kann dem Todesurteil des Gesetzes entkommen, wenn der Christus nicht hat. Und Israel missversteht die Beschneidung, weil sie ohne Herzensbeschneidung nichts nützt und diese nur durch Christus und den Heiligen Geist geschehen kann. Paulus zieht in Röm 10,19ff das Fazit: Israel hat das Evangelium nicht verstanden. In 2 Kor 3,16 spricht er von der Decke, die vor dem Herzen Israels hängt, wenn sie Mose lesen.

Wie lange wird die Decke vor dem Herzen Israels bleiben? Mk 11,14 gibt die Antwort. Das ist die Szene, wo Jesus den Feigenbaum verflucht, der keine Früchte trägt. „Nun esse niemand mehr eine Frucht von dir bis in den Äon hinein“. Leider wird das griechische Wort „aion“ meistens mit „Ewigkeit“ übersetzt. Es meint aber einen bestimmten Zeitabschnitt in Gottes Heilsplan. Jesus macht hier eine prophetische Aussage: Israel wird in diesem Äon zwischen dem ersten und zweiten Kommen Christi keine geistliche Frucht tragen. Danach, nach der Wiederkunft Christi, wird es anders werden. Jetzt bleiben Bekehrungen jüdischer Menschen zu Christus eine Ausnahme, dann wird es die Regel. Dann wird sich die Selbstverfluchung Israels vor Pilatus (Mt 27,25) in Segen verwandeln.

9.)    Die große Bedrängnis und der Ansturm der Völkerheere

Als von Gott auserwähltes Volk ist und bleibt Israel ein Fremdkörper in unserer Welt. In der derzeitigen politischen Großwetterlage zeichnet sich eine immer aggressiver werdende Ablehnung durch den militanten Islam und eine immer stärker werdende Isolierung ab. Jerusalem ist das zentrale Streitobjekt. Israel hat 1950 und 1980 Jerusalem zur Hauptstadt erklärt, 1988 zog die PLO nach und erklärte Jerusalem zur Hauptstadt eines künftigen Palästinenserstaates. Beide Erklärungen sind Fiktion geblieben, aber sie zeigen die absolut kontroverse Situation, die keine Diplomatie ändern kann.

In biblisch-heilsgeschichtlicher Perspektive entwickelt sich Jerusalem damit immer mehr zum „Taumelbecher“ und „Stemmstein“, an dem sich alle Völker wund reißen werden, wenn sie sich gegen Jerusalem versammelt haben (Sach 12,2f). Es scheint fast, als ob es vor allem deswegen zur Staatsgründung 1948 kommen musste. Anscheinend muss sich der Israelhass der Welt noch einmal endgültig und abschliessend entladen. Auch Ps 2 und die Offenbarung (Offb 16,12-16) kündigen an, dass sich alle Herrscher der Welt zu einem letzten Kampf gegen Israel und den wiederkommenden Christus versammeln werden. Im Buch Daniel gibt es darüber Aufschluss, dass sich dann ein besonderer Herrscher an die Spitze dieser Weltrevolte stellen wird (Dan 7,24f). Er wird in Jerusalem residieren, viele aus Israel zum Glaubensabfall verführen und sich als Gott verehren lassen (2 Thess 2,3f), und er wird viele töten, die ihn nicht anerkennen (Offb 13,7). Das wird die große Bedrängniszeit sein, die in Dan 12,1 für Israel angekündigt ist und nach Dan 7,25 dreieinhalb Zeiten andauern wird. Schliesslich wird der wiederkommende Christus zusammen mit den wieder lebendig gemachten jüdischen Märtyrern eingreifen und die versammelten Israel- und Christusfeinde vernichten (Offb 19,11-21).

10.) Die zeitweilige Verstockung Israels

Die Substitutionstheologie meint, dass Israel seine Verheißungen verwirkt habe, weil es seinen Messias verworfen hat. Röm 9-11 wird „enteschatologisiert“. „Die Israel-Passage des Römerbriefs kann sich nur auf das zur Zeit des Apostels Paulus noch bestehende Volk Israel beziehen“. Die Gemeinde sei nun der Verheißungsträger. „Man sollte deshalb die Juden von heute nicht mehr als ‚auserwähltes Volk‘ bezeichnen“. (Paul Schenk/John R. Wilch, Israel. Land und Staat in biblischer Sicht, 1998).

Aber: Gott hat sein Volk „nicht verstossen“ hat (Röm 11,2). Gottes unbezwingbare Liebe hält an Israel fest. Auch wenn sie „Feinde“ des Evangeliums sind, bleiben sie „Geliebte um der Väter willen“ (11,28). Weil sich Israel mehrheitlich dem Evangelium verschloss und immer noch verschliesst, wendet sich Gottes Gnade den Völkern zu. Jesu Weinberggleichnis erfüllt sich (Mt 21,33-46). Wenn aber die „Zeiten der Heiden“ abgelaufen sind (Luk 21,24), wird Israel die neue Gnade empfangen. Dann wird sich die gleichnishafte Josephsgeschichte erfüllen. So wie sich Joseph seinen Brüdern zu erkennen gab, wird sich dann Jesus seinem Volk zeigen. Die Endzeitrede Jesu nennt den Zeitpunkt dieses gewaltigen Geschehens: Wenn Christus in Macht und Herrlichkeit wiederkommt, z.Zt. der großen Bedrängniszeit. Dann heißt es für Israel: „Erhebt eure Häupter“ (Luk 21,28). Das ist ganz wörtlich gemeint. Blickt weg von der Erde, vom Verführer, vom irdischen falschen Messias, hinauf zum Himmel, von wo der wahre Messias kommen wird. Dann wird die Decke vom Herzen Israels weggenommen. Dann wird Gott über sie ausgießen „den Geist der Gnade und des Gebets“ (Sach 12,10). Die große Zeit Israels steht noch bevor.

Gewaltig ist Röm 11,15: „Wenn ihr Hinweggetanwerden der Welt die Versöhnung gebracht hat, was wird ihre Wiederannahme anderes bewirken als das Lebendigwerden der Toten?“ Israel wird wieder angenommen werden. Und danach wird es die Auferstehung der Toten und die Erneuerung der Schöpfung geben.

11.) Der neue Bund mit dem Volk Israel

Der Prophet Jeremia hat seinem Volk eine Zeit angekündigt, in der Gott mit Israel einen neuen Bund schliessen und sein Gesetz in ihr Herz hineinlegen wird (Jer 31,31-34). Hesekiel hat diese große gottgewirkte Herztransplantation zweimal bestätigt, als er ankündigte, dass Gott ihr steinernes Herz wegnehmen und ihnen dafür ein fleischernes Herz geben werde (Hes 11,19; 36,26).

Am Ende unseres Äons werden diese alten Verheißungen eingelöst. Der Himmel öffnet sich, Christus erscheint vor den Augen des teils verführten teils verfolgten jüdischen Volkes. Ein unbeschreibliches Geschehen. Sacharja überliefert uns folgende prophetische Christusworte „Sie werden mich ansehen, den sie durchbohrt haben“ (Sach 12,10). Johannes schaut dasselbe Geschehen „…es werden wehklagen alle Stämme des Landes“ (Offb 1,7; nicht „alle Geschlechter der Erde“). Es kommt zu einer gewaltigen Bußbewegung. Viele Juden erkennen dann unter dem Einfluss des Heiligen Geistes den tiefen Irrtum der Väter. Jesaja hat diesen Augenblick geweissagt in dem uns bekannten Gottesknechtslied Jes 53: „Wir aber hielten ihn für den, der geplagt und von Gott geschlagen und gemartert wäre. Aber er ist um unserer Missetat willen verwundet und um unserer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt. Wir gingen alle in die Irre wie Schafe, ein jeder sah auf seinen Weg. Aber der Herr warf unser aller Sünde auf ihn“ (Jes 53,4f).

Paulus schreibt in Röm 11,26, dass dann „ganz Israel“ gerettet wird. Numerisch, also im Sinne aller dann lebenden Juden, ist der Ausdruck schwerlich gemeint, denn viele Juden werden ja dann vom falschen Messias verführt sein. Vielmehr steht „ganz Israel“ in Korrespondenz zur „Vollzahl der Heiden“ in 11,25. Wenn die von Gott festgesetzte Zahl aus den Völkern zum Glauben an Christus gekommen ist, wird die von Gott festgesetzte Zahl der Juden in Gottes Neuen Bund aufgenommen. Nach den prophetischen Verheißungen wird es ein heiliger Überrest sein (Jes 4,2-4; Micha 5,6f).

12.)  Der Dienst Israels auf der neuen Erde

In seiner Endzeitrede sagt Jesus, dass das jüdische Volk bestehen wird bis in die Zeit der Vollendung dieses Äons (Mt 24,34). Jesaja schaut noch weiter, in die äonische Dauer der neuen Schöpfung, und er verheißt Israel, dass es solange Bestand haben wird wie die neue Schöpfung selber (Jes 66,22). Das ist eine einmalige Bestandsgarantie. Der Grund hierfür liegt in den beiden Grundverheißungen, die Israel erhalten hat. Dieses Volk soll das Segensvolk für alle Menschen sein (Abrahamsverheißung), und es soll als ein heiliges Priestervolk die Menschheit regieren (Sinaiverheißung). Und weil sich dies im alten Äon nicht verwirklicht, wird es einen neuen Äon geben.

Viele Christen haben ein verkürztes eschatologisches Denken. Das Handeln Gottes hört für sie auf mit dem Endgericht und der Entrückung der Gemeinde. Aber Gottes Liebe und Schöpfertum sind unbegrenzt. Sein Schöpfungs-, Erlösungs- und Vollendungshandeln soll noch unzähligen Menschen zugute kommen. Und: die drei ersten Vaterunserbitten müssen sich erfüllen. Auf der alten Erde wird es nicht geschehen, dass Gottes Name überall geheiligt wird, dass Gottes Herrschaft überall angenommen wird und dass Gottes Wille überall zum Zuge kommt. Es muss eine Neuschöpfung geben, so wie sie Petrus erwartet „Wir warten auf einen neuen Himmel und auf eine neue Erde nach seiner Verheißung, wo Gerechtigkeit wohnt“ (2 Petr 3,13).

Wann wird diese gewaltige Erneuerung der Schöpfung eintreten? Nach dem Zeugnis der Offenbarung im Anschluss an die Gerichtsakte des wiederkommenden Christus.

Wie kann man sich die Verhältnisse auf der erneuerten Erde vorstellen? Die Natur wird paradiesische Züge tragen. Die Tierwelt wird versöhnt sein. Die Menschen werden nicht mehr von Satan verführt werden, weil es den und sein Dämonenheer nicht mehr gibt. Sie werden sehr lange leben. Sie werden aus eigenem Antrieb den lebendigen Gott ehren.

Welche Ordnung wird dann auf der Erde herrschen? Im Mittelpunkt wird das Neue Jerusalem stehen, die himmlische Stiftshütte Gottes, die sich auf die neue Erde herabgesenkt hat. Gott selber und Christus werden dort wohnen.

Welche Aufgabe wird das Volk Israel dann haben? Nach Dan 7,27 wird es das Regierungsvolk der neuen Erde sein. „Die Herrschaft, die Macht und Gewalt über die Reiche der Welt unter dem ganzen Himmel wird dem Volk der Heiligen des Höchsten gegeben werden, dessen Herrschaft ewig ist, und alle Mächte werden ihm dienen und gehorchen“.

Eine besondere Aufgabe bekommen nach dem Zeugnis der Offenbarung die jüdischen Märtyrer der Großen Bedrängniszeit. Sie erhalten einen unsterblichen Leib (Offb 20,4). Sie wirken mit beim tausendjährigen Endgericht über die Toten (Offb 20,4-6.11-15). Sie werden gewürdigt, im Neuen Jerusalem Gott und Christus von Äon zu Äon zu dienen und die Völker zum Heil zu führen.

So wird sich auf der neuen Erde endgültig erfüllen, was Jesus zur Samariterin gesagt hat: „Das Heil kommt von den Juden“ (Joh 4,22).

Referat auf dem Kongress des Gemeindehilfsbundes „Gottes Weg mit Israel“, der in Bad Gandersheim/Harz vom 4.-6. April 2014 und in Zavelstein/Nordschwarzwald vom 11.-13. April 2014 stattfand. Alle Vorträge, Seminar- und persönliche Zeugnisbeiträge werden in Kürze in einem Dokumentationsband veröffentlicht, der zum Preis von 5.- Euro bei der Geschäftsstelle des Gemeindehilfsbundes (Mühlenstraße 42, 29664 Walsrode, Email: info@gemeindehilfsbund.de) vorbestellt werden kann.

 

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Mittwoch 16. April 2014 um 10:24 und abgelegt unter Gemeinde, Theologie, Weltreligionen.